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Laufberichte

Geballte Olfaktorik bei der Mutter aller Ultras

12.06.10

Ich aber beginne zu leiden. Drei Minuten gönne ich mir jetzt immer öfter zu gehen, um dann sieben Minuten (= 1 km) zu laufen. Oh, das Anlaufen fällt von Mal zu Mal schwerer! Was mich tröstet ist die Tatsache, daß es denen um mich herum kaum besser zu gehen scheint. Ziehharmonikaförmig quälen wir uns über die km. Mal geht der eine, dann läuft der andere. Und wieder umgekehrt. An der Verpflegungsstelle in Büren (km 88) ziehe ich meinen letzten Joker und beginne, Cola zu trinken. Aber nicht in homöopathischen Dosen! Ob es wirklich noch etwas hilft, kann ich nicht beurteilen. Zumindest geht es im bisherigen Stil weiter.

Büren – Biel (km 90 – 100)

Hinter Büren ist tatsächlich irgendwann einmal km 90 (10:50 Std) erreicht. Interessant ist wiederum, daß ich, wenn ich denn laufe, das noch einigermaßen zügig hinbekomme, denn die 5 km-Zeiten laufen nicht vollkommen aus dem Ruder und die km-Schilder tauchen meist überraschend früh auf, ich hatte mich noch langsamer eingeschätzt. Gut so! Ich setze mich auch nicht hin, wie es einige andere machen. Ich weiß nicht, ob ich wieder hochgekommen wäre. Will nur noch ins Ziel. Bewundere die Radbegleiter, die bei der Schleichfahrt fast vom Rad fallen müssen und dabei mindestens genau so müde sein müssen.

Km 95 (11:31 Std). Jetzt ist jeder der restlichen 5 km ausgeschildert. 96. 97. 98. Silke und Lothar gehen Hand in Hand, ein schönes Bild. Für mich. Ich knipse sie und in ihrer Erschöpfung sind sie zunächst etwas unwirsch. Ich erkläre ihnen, warum ich die Bilder mache und biete an, das von ihnen zu löschen. Nein, das sei dann doch OK. Mir gefällt gerade diese Szene besonders gut, denn sie zeigt, daß geteiltes Leid halbes Leid ist. Und ihr seid ja wohl mehr als respektabel durchgekommen! Doch, Eure Zweisamkeit hat mir sehr gut gefallen!

Und dann ist der große Moment da. Nein, nicht das Ziel. Das km-Schild 99. Darauf habe ich mindestens genau so gefreut wie auf das Ziel selber. Ich überlege schon, wie ich ein Selbstportrait am geschicktesten anstelle, aber eine gute Seele ist vor Ort und macht zwei schöne Bilder von mir und „meinem“ Schild. Wie oft habe ich diesen Anblick schon mit fremden Gesichtern gesehen, die Glücklichen bewundert und beneidet. Und jetzt darf ich selber da stehen und weiß, daß mich nur noch wenige Minuten von meinem größten Läufertriumph trennen.

Erst auf den letzten paar hundert Metern laufe ich wieder ins Stadtgebiet und höre schon den Moderator. Staune, daß unmittelbar vor mir mein Lauffreund Thorsten Hintsch ins Ziel kommt, den ich noch gestern beim Start vergeblich gesucht hatte (und er mich). Dann sehe ich es: Das Ziel! Auch für mich finden sich ein paar Klatscher – danke! – und dann entdecke ich Silke und Elke 50 m vor dem Bogen am rechten Rand stehen. Das muß belohnt werden und Elke bekommt einen dicken Kuß. Vielleicht hat mich jetzt noch jemand überholt. Interessiert mich das? In keiner Weise. Sehe Klaus, der mich fotografiert, freue mich darüber und mache auf Papst Johannes Paul II.: Ich knie mich hin, küsse den Zielboden und komme doch tatsächlich ohne fremde Hilfe wieder auf die Beine. Wow. Der Rest ist nur noch Freude.

Jetzt bin ich ein Zweieinhalbfach-Pheidippides (Achim: traumhafter Ausdruck, danke!). Aber noch höchst lebendig... 12:17 Std. ist weitaus schneller, als ich zu hoffen gewagt hatte. Eines muß allerdings gesagt werden: Die Wetterverhältnisse waren super. Nachts warm, vormittags mild und praktisch trocken. Wie grausam ein heißer Vormittag auf freiem Feld sein kann wissen diejenigen, die es erleiden mußten. Heute allerdings nichts dergleichen. Trotzdem bleibt die Streckenlänge immer dieselbe. Selbst heute, zwei Tage nach dem Lauf, kann ich mir die Streckenlänge nicht wirklich vorstellen. 100 km sind ja sooo weit, aber anscheinend habe ich es geschafft, denn attestiert ist es und meine stolzgeschwellte Brust ziert auch heute das hochbegehrte Angebershirt.

Mit Recht darf gefragt werden, ob man sich diese Strapaze wirklich antun muß. Diese Frage entscheidet jeder für sich ganz alleine. Wer die Marathonstrecke gut im Griff hat (was nicht heißen soll, daß einem die 42 km leicht fallen!), strebt fast zwangsläufig irgendwann nach Höherem, d.h. Längerem, wenn das mit dem eigenen Trainingsaufwand halbwegs in Einklang zu bringen ist. Und so wie Boston DER Marathonlauf schlechthin ist, so ist Biel eben die Mutter aller Ultras und sollte sowohl unter sportlichen Aspekten als auch wegen des hohen Erlebniswerts in keiner Sammlung fehlen. Ich jedenfalls werde noch in Jahren gerne darüber sprechen.

Bildgalerie von Klaus Duwe

Streckenbeschreibung:
Abwechslungsreicher und fordernder 100 km-Rundkurs mit 650 Höhenmetern

Rahmenprogramm:
In der Eissporthalle erfolgt am Donnerstag ab 18.30 Uhr die Ausgabe der Startunterlagen. Kleine Messe, Pastaparty (gegen Bezahlung).

Weitere Veranstaltungen:
Stafettenmarathon über 100 km (4 Läufer), Nachtmarathon (42,195 km), Halbmarathon, sog. Kids Run.

Auszeichnung:
T-Shirt (NACH dem Zieleinlauf!), Medaille, Soforturkunde und über das Netz, Ergebnisliste, Abschlussparty

Logistik:
Darüber braucht man sich auf diesem Eiland wirklich keine Gedanken zu machen...

Verpflegung:
16 Verpflegungsstellen, absolut mehr als ausreichend, man muß nichts mitnehmen.

Zuschauer:
Gute Stimmung am Start/Ziel und in den durchlaufenen Dörfern, die ganz Nacht hindurch.

 

 
 

Informationen: Bieler Lauftage
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