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Laufberichte

Fata Rotaha

28.01.12
Autor: Joe Kelbel

Während meines Laufes sinniere ich über die Theorie des „Erfundenen Mittelalters“ (auch Phantomzeit-Theorie). Demnach fehlen 300 Jahre in der Menschheitsgeschichte, nur weil einige Herrscher und Kalenderjongleure  wichtige Leute des Jahres 1000 sein wollten. Komischerweise wurde der Lorscher Codex, das älteste „Grundbuch“ Deutschlands, mindestens 200 Jahre nach der Schenkung des Klosters Rotaha geschrieben. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern was mir vor 200 Jahren geschenkt wurde, auch wenn es ein Kasten Bier gewesen wäre.  Demnach hat es Karl den Großen auch gar  nicht gegeben, auch die vielen Nonnen nicht, dabei hätte ich mal gerne  eine kennengelernt, waren ja alles hochgestellte Damen. Dann bin ich  jetzt  auch  300 Jahre jünger als manche behaupten. Dann muss ich jetzt auch einen Zahn zulegen, also den Kochtopf über dem Feuer einen Haken tiefer hängen, damit es  richtig abgeht. Genau das mache ich jetzt.

Als mein Tempo in irgendeiner Runde nachlässt, überholt mich C.H.,  schnautzt mich aus privaten Gründen an: „ Joe, jetzt reicht´s aber! Ich hab hier bezahlt, um meine Ruhe zu haben!“ Tiernamen fallen. Glaube ich. Genau das, was ich jetzt brauche, jetzt bin ich hemmungslos, geh ab wie ne Rakete,  hänge mich an sie ran. Solche Frauen braucht das Land!

Mittlerweile garnieren meine Getränkebehältnisse die Marathonmarke, 50 Cent Pfand für die Waldarbeiter! Dafür ist meine Zeit an dieser Marke traumhaft. Es geht voll Stoff weiter.  Die 50km beende ich in einer  für mich ungewöhnlichen  Zeit von 4:50, sodass  Gabi ungläubig übers  Mikrofon die Info verteilt: „Und der Joe macht jetzt die letzte Runde“ .Klar, dass sie „Frau Werwolf“ genannt wird. Die Story geht auf die 90er Jahre zurück, als bei SWR3 die Sendung „Frau Werwolf, Herr Zipp und Frau Zombie aus Feinkost Zipp“  lief.  Das „Grrrr“ und „Jetzetle “ beim „Höllentrip im Feinkost-Zipp“ passt so gut zu ihr, dass sie „Frau Werwolf“ als Nickname bei Btx, dem Vorgänger des Internet, wählte.

Der wahre Ultra beginnt im Anschluß des Laufes in der Halle. Robert Wimmer erklärt mir gerade, dass er Familienvater und Augenoptikermeister ist, sonst nichts, als ihm Stefan einen 10 cm Jahresstapel Urkunden mit der Aufschrift „Deutscher Meister“ bringt. Hier wird die Ausbeute des letzten Jahre verteilt. Jede Menge Urkunden und kistenweise alkfreies Bier. Was Reinhard und Stefan da oben verteilen, verschwimmt in  der ultrageilen Stimmung. Manche Läufer kommen von der Bühne gar nicht mehr runter, als gehörten sie zum Inventar. Macht aber auch einen guten Eindruck, vor der Mauer aus alkfreien Bierkisten. Kein Wunder, dass mein Platz hier unten ist.

Der Sieger Evgenii aus der Urkraine und seine zwei Betreuer schaufeln sich die dicken Schwarzwälderkirsch rein. Wenn das Gordan Gekko sehen würde! Nach einer Stunde ist Ruhe im Tortenkarton und ich kann endlich ein Foto zusammen mit ihm machen. Ich weiss nicht was er von Deutschland erzählen wird. Markant sind auf jeden Fall die zahlreichen, leeren  Bierflaschen unter den Stühlen, und die Wiskeyflasche der Schweizer.

Die Geschichten, die hier erzählt werden, könnten Bücher füllen und werden immer grotesker, je mehr Bier fließt. Aber sie sind alle wahr, auch wenn wir Tränen lachen, während sich der ungeduschte Dunst mit Bockwürstchen und Erbsensuppe vermischt.

Die Fata Rotaha vom Christoph (M70), dem Kirschbaumläufer,  ist aber der Abendknaller. Daß er zunächst  24mal hintereinander die 100 km Strecke in Biel lief, bevor er sich an den eigentlichen Wettkampf wagte, ist ja noch normal. Aber dass er von Biel nach Zürich läuft, um Kirschbäume zu kaufen, ist eher ungewöhlich. Knüppeldick kommt es aber,  als er am Bahnhof Zürich den letzten Zug verpasst. Um für den  Niesen-Treppenlauf zu trainieren, packt Christoph seine 6 Kirschbäume samt Wurzelballen und läuft die Bahnhofstreppe 150mal hoch und runter. Nun gibt es auch  in Zürich jede Menge Durchgeknallte, aber sowas hat die Welt und die Polizei dort auch noch nicht gesehen. Zumal es sich mittlerweile einige Zuschauer samt Bierkästen gemütlich gemacht hatten und auch die Presse zahlreich erschienen war.

Christoph erzählt diese Story in seinem Schweizer Dialekt so, als sei sein Abenteuer ganz normal. Statt Ausweispapiere legt er zerknitterte Siegesurkunden vor und wird in einen „Velowaggon“ abgeschoben, aus dem er rausfliegt, weil „der Wald“ sich selbstständig macht und den Zug in eine Obstplantage verwandelt. Mit Sonderzug (er allein und kein Licht im Zug)  in Biel angekommen, schultert er den Restwald samt Restwurzelballen in Fahrtrichtung und läuft nach hause. Es fängt an  zu regnen. Nun hat er eh nur noch 6 % Sehkraft und der Waldboden läuft ihm über das Gesicht. Aber irgendwie registriert er noch, dass vor ihm, hinter ihm und seitlich plötzlich Sanitäter stehen. Dabei lief er nur im Kreis.

Übrigens, ein Jahr später grub er die 6 Bäume wieder aus und lief damit ins Tessin: „Dort wachsen die Bäume sogar im Winter und es gibt dickere Kirschen“.

Egal was Frauen beim Staubsaugen anhaben oder auch nicht, es beendet irgendwie den bunten Abend. Und  egal, wer das Klo verstopft hat. Was ich erzähle, ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Weltgeschichte wird in Rodgau geschrieben, sonst nirgendwo. Fata Rotaha!

Siegerliste:

Männer

1 Evgenii Glyva Malaya Pavlovka 3:02:32,7 (Streckenrekord)
2 Wataru Iino SG Stern Stuttgart 3:09:00,3
3 Marc Papanikitas Marathonplus 13:14:40,9

Frauen

1 Elissa Balles Erlenbach 3:41:30,4
2 Astrid Staubach LG Vogelsberg 3:57:59,5
3 Gabriele Wertmüller LG Derendingen 3:58:48,0

 

554 Finisher

 

12
 
 

Informationen: Ultramarathon Rodgau
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