Was macht einen Lauf zum Kult? Das Alter? Es gibt ja Veranstaltungen, die finden bereits zum 40. Mal statt. Oder ein beeindruckender Streckenverlauf? Läuferisches Besichtigen von mittelalterlichen Städten oder das bezwingen hoher Berge und gewaltiger Schluchten kann auch was Kultiges haben. Manche sagen ja, dass Mammut-Events mit 30-, 40- oder 50-Tausend Teilnehmern Kultläufe sind.
Jedenfalls wird der Begriff arg strapaziert und nichts davon trifft auf den immer am letzten Samstag im Januar stattfindenden Ultra von Rodgau zu. In diesem Jahr wird er zum 15. Mal veranstaltet. Die Strecke ist, mit Verlaub gesagt, eher nicht mit Höhepunkten gesegnet, und mit ca. 1000 Voranmeldungen gehört er auch nicht zu den Riesenläufen. Der Termin taugt nicht als Saisonhöhepunkt, über den Reiz von Rundenläufen kann man sowieso streiten, das Wetter ist meist mies, und nette Atmosphäre und ambitionierte Helfer sind mittlerweile bei den meisten Veranstaltungen Standard.
Trotzdem ist die Frage: „Treffen wir uns in Rodgau?“ überflüssig. Natürlich treffen wir uns in Rodgau! Mit neuem Voranmelderekord und der Ankündigung von Vorjahressieger Florian Neuschwander, dieses Mal den Streckenrekord knacken zu wollen, setzen die Mitglieder des LT Rodgau die Erfolgsserie ihres Ultras eindrucksvoll fort.
Schon vor 9 Uhr sind die Parkplätze. Mein Mann Norbert, Anja und ich genießen in diesem Jahr den Fahrservice unserer Lauffreundin Kathi. Der Parkplatzeinweiser schickt uns ins angrenzende Wohngebiet. Zu Fuß erreichen wir in wenigen Minuten das Sportgelände. Startnummern gibt es wie immer im Tennisheim. Jedes Jahr wundere ich mich über die zügige Abfertigung hier. Obwohl das Startgeld von 25 Euro in bar entrichtet wird und die ersten 800 Anmelder ein kleines Präsent bekommen, halten sich die Wartezeiten in Grenzen. Engpässe gibt es erst an den Toiletten. Die Schlange erweist sich heuer als Kommunikationsmittelpunkt. Ansonsten ist die Lage unübersichtlich. Seine Bekannten zu treffen, gehört bei solchen Events dazu.
Plötzlich leert sich die Halle spürbar. Die meisten wissen, dass der Weg zum Start doch einige Zeit beansprucht. Wir folgen der Karawane zunächst über eine Brücke, dann links in den Wald. Nach ca. 800 m befinden wir uns auf der Laufstrecke. Pylonen markieren eine hier zu laufende Kurve. Nach gut hundert Metern erreichen wir den Startbereich. Wir verstauen die mitgebrachten Taschen im Unterstand.
Nach Aufforderung durch den Moderator und Chef des ganzen, Wolfgang Junker, haben sich die meisten bereits in den abgesperrten Korridor hinter dem Startbanner begeben. Ich inspiziere die Reihen: vorne haben sich die Schnellen aufgestellt. Allen Voran Florian Neuschwander, Tobias Hegmann, Rodgausieger 2011 und die schnellen Ukrainer Evgenii Glyva, Rodgausieger 2012 und Oleksandr Holovnytskyy, Vorjahreszweiter. Die schnellen Mädels haben sich wohl weiter hinten platziert.
Die Anspannung ist zum Greifen. Dahinter geht es lockerer zu. Jeder versucht sich nach seinem Leistungsvermögen zu positionieren. Norbert und ich reihen uns also hinten ein. Dann geht es auch schon los. Erste Herausforderung ist, beim Überschreiten des Starts im dichten Feld die eigene Sportuhr zu starten und zwar ohne zu stolpern oder anderen in die Hacken zu laufen. Dann heißt es cool bleiben. Auf den nächsten Kilometern ist Überholen zwecklos.
Zunächst geht es gerade aus und leicht bergab. Eine scharfe Rechtskurve bringt uns an den Waldrand. Hier laufen wir erst einmal entlang. Nach ca. 800 m kommen die Tische mit der Verpflegung. Noch haben die Helfer nichts anderes zu tun, als uns anzufeuern. Es geht auf das freie Feld. In der Ferne können wir die bunten Shirts der Führenden sehen. Nach ca. 300m und dem scharfen Abzweig, wieder rechts, laufen wir Richtung Wald. Im Wald passieren wir das km 2 Schild und kurze Zeit später das Schild, das die erfolgreiche Marathondistanz anzeigt. Das ist aber erst in der 9. Runde relevant. Oh je, hier gibt es Pfützen. Ich habe Glück und laufe zufällig einen Kurs, der die matschigen Stellen umgeht. Bei den vielen Beinen ist ein Ausweichversuch nicht anzuraten.
Musik ertönt. An der Kreuzung zur Begegnungsstrecke kommen, wie auch in den Vorjahren, Oldie-Rhythmen aus der Konserve, mit großen Lautsprechern entsprechend verstärkt. Mehrere Helfer weisen uns links. Hier ist der Weg geteilt und auf der anderen Seite kommen bereits die Schnelleren. Es wird gegrüßt und angefeuert. Norbert hat sich auch schon nach vorne gearbeitet. Bald ist der Wendepunkt erreicht; wir laufen grüßend und anfeuernd zurück.
Wieder bei der Musik geht es jetzt gerade aus weiter (km 3). Im Zickzack verläuft der Weg über die Felder. Im Wald wird es nun richtig matschig. Hier hat es auch keinen Sinn, irgendwas umlaufen zu wollen. Der ganze Weg ist ein einziger Sumpf. Vor einer kleinen Steigung steht das km 4 Schild. Es steigt auf ca 20 m Länge vielleicht 2 m an. Vorne nochmal rechts, dann geht es nur noch leicht bergab ins Ziel und die ersten 5 km sind geschafft.
Ich bin gerade am VP vorbei, da kommt das Begleitrad des Führenden von hinten. Evgenii Glyva ist in rasendem Tempo unterwegs. Wir versuchen möglichst schnell Platz zu machen. Wo bleiben die nächsten? In gehörigem Abstand erkenne ich Florian Neuschwander auf Platz 3. Das sieht locker aus. Wenn die mich jetzt schon überrunden, sind sie doppelt so schnell wie ich. Bis jetzt bin ich in 6:10 (Minuten pro Kilometer) unterwegs. Können die einen 3:00er Schnitt auf 50 km halten?
Für mich ist 6:10 auf jeden Fall zu schnell. Aber es läuft so gut, dass ich immer wieder der Versuchung widerstehen muss, im Gespräch vertieft, noch schneller zu laufen. Nach der 2. Runde steuere ich die Verpflegung an. Die erste Helferin reicht warmen, süßen Tee. Das ist gut. Wasser und Iso sind nicht so mein Fall, und für Cola ist es noch zu früh.
Die Helfer mit den Getränken stehen geschützt in einem Zelt. Heute ist das gar nicht notwendig. Es scheint zwar keine Sonne, aber auch von Regen fehlt jede Spur. Temperaturen um die 5 °C bedeuten optimales Laufwetter. Wind, der vor allem auf den freien Flächen das Laufen stört, gibt es heute auch nicht. Eine Runde später schaue ich auch nebenan auf dem reich gedeckten Tisch vorbei. Verschiedene Müsli- und Früchteriegel in kleine Stücke geschnitten, außerdem Kräcker und später noch Schokolade sind in Mengen verfügbar. Was braucht man mehr!
Inzwischen ist die erste Frau (Astrid Staudach) vorbei. Es kommen immer mehr Läufer von hinten und so ist es kaum mehr auszumachen, wer wie viele Runden Vorsprung hat. Nur, dass Florian mittlerweile führt, kann ich noch erkennen. Im Vergleich zu den Vorjahren sind heute spürbar mehr Läufer auf der Strecke. Überholmanöver erweisen sich als ganz schön schwierig. Wir versuchen zwar, Platz zu machen, aber gerade auf der Begegnungsstrecke ist es eng. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unter solchen Bedingungen ein Streckenrekord zustande kommen soll.
Ab der Hälfte wird es bei mir zäh. Als Florian Neuschwander mit 2:58,42 und tatsächlich neuem Streckenrekord das Rennen beendet, ist bei mir die Luft raus. Meine Beine sind wie Blei. Fehlende Trainingskilometer machen sich nun bemerkbar. Dass die Strecke langsam leerer wird, ist auch nicht unbedingt motivierend. Gut, zum Reden hätte ich jetzt keine Lust mehr, aber ein bisschen Gesellschaft wäre doch ganz nett. Da tut es gut, wenn Bekannte von hinten kommen und kurz für ein Schwätzchen langsam tun. Ab der 7. Runde versuche ich es mit Cola. Blöderweise ist dann ab der nächsten Runde an der VP das Cola aus. Man sieht also: selbst bei der besten Organisation kann sowas passieren. Das sollte für Ultraläufer auch kein Handicap sein, doch wenn es eh nicht läuft, ist halt alles ein Problem.
Im Zielbereich wird es jetzt übersichtlich. Jedes Mal wenn ich vorbeikomme, laufen mit mir Finisher ein. Aus dem Sprecherwagen beglückwünscht Gabi Gründling jeden Einlaufenden und moderiert souverän auch nach Stunden immer noch unermüdlich.
Eigentlich ist die 9. Runde meine liebste. Hier wird der Marathon geschafft und es fehlt dann nur noch eine Runde. Aber heute kann mich nicht mal das aufmuntern. Ich bitte Jörg, der hier auf seine Conny wartet, mir an der Zielverpflegung Cola zu besorgen. Er schafft es auf der Abkürzung durch den Wald, mich rechtzeitig zu erreichen und ich kann mich stärken. Danke Jörg! Hier auch einen Dank an den Läufer, der mich vorher schon mit Kaffee versorgt hatte.
Jetzt geht besser. Die Beine haben wieder Kraft. Locker kann ich die letzte Runde zu Ende laufen. Danke an die Helfer die bereits mit dem Säubern der Strecke beschäftigt sind, danke an die, die uns immer noch am Wendepunkt anfeuern, danke an die, die mit ihrer orginellen Musikauswahl mitten im Wald unsere letzten Kräfte mobilisieren. Im Ziel werden wärmende Folien verteilt. Ich stärke mich ausgiebig an der Zielverpflegung. Zusammen mit den anderen Finishern mache ich mich auf den Weg zur Halle. Dort ist noch mächtig Betrieb. Gerade werden die Sieger der DUV-Cups geehrt, dann folgt die Siegerehrung für den Ultramarathon. Von 835 Startern sind 587 ins Ziel gekommen. Ein neuer Rekord.
Ich finde es beeindruckend, dass trotz des vorgegebenen Limits von 6 Stunden jeder die Möglichkeit hatte, auch später den Lauf zu finishen. Normalerweise wird man bei Verzug vorzeitig aus dem Rennen genommen. Den Helfern kann nicht zugemutet werden, länger zu warten, heißt es dann. Vielen Dank an diejenigen, die das hier nicht so sehen und die Mühe auf sich nehmen, um auch den langsamen Läufern ein Finish ermöglichen. So kann z. B. Christoph Geiger noch den 2. Platz in der M70 erreichen.
Der Ultramarathon von Rodgau ist für mich ein absolutes Muss. Die familiäre Atmosphäre kommt auch bei anderen gut an. Selbst Spitzenathleten lassen es sich nicht nehmen, im Januar ins hessische Rodgau zu pilgern und überzeugen hier mit klasse Leistungen. Im nächsten Jahr wird es wieder heißen: „Natürlich treffen wir uns in Rodgau“. Ultramarathon Rodgau – Auf Wiedersehen bei und mit Freunden.
Männer
1 Neuschwander, Florian Trierer Stadtlauf e.V. 2:58:43
2 Holovnytskyy, SC Kovel 3:06:00
3 Hegmann, Tobias TSG Kleinostheim 3:08:58
Frauen
1 Staubach, Astrid LG Vogelsberg 1971 3:42:05
2 Werthmüller, Gabriele LG Derendingen 3:53:16
3 Bethke, Ricarda LG Derendingen 4:01:53
587 Finisher