Laufen gehört zu den sichersten Sportarten. Klar, Autos, Fahrräder und Fußgänger mit und ohne Hund bieten schon mal Gefahrenpotential. Und natürlich kann man auch fallen oder sich anderweitig die Haxen vertreten. Aber im Großen und Ganzen kann man gefahrlos laufen.
Auch im Wettkampf ist es (selbst wenn unsportliche Zeitgenossen anderer Meinung sind) relativ unwahrscheinlich, sich als gesunder Läufer ernsthaft zu verletzen oder zu erkranken. Die Strecken sind frei von Straßenverkehr, die Fans hinter Zäunen und die Sportkameraden passen ja schon im eigenen Interesse auf.
Umso kurioser ist der Unfall, der sich im letzten Jahr beim Ultramarathon in Rodgau ereignete: In der ersten Runde, das Läuferfeld war naturgemäß noch dicht beisammen, rannten zwei Rehe mitten durch die Läufermenge. Dabei wurde ein Läufer vom einem der Tiere zu Boden gerissen. Während der Unfallverursacher unerkannt das Weite suchte, konnte der verletzte Läufer noch zu Fuß zum Zielände gehen, um dann auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht zu werden. Er hatte sich den Arm gebrochen.
Frank aus Berlin war der Verletzte und zum ersten Mal in Rodgau. Es sollte für ihn die Vorbereitung auf den Rennsteiglauf werden; ein Traum, den sich der Fünfzigjährige endlich erfüllen wollte. Dort beim Rennsteigsupermarathon traf ich ihn dann zufälligerweise. Mit durch den Unfall geschuldeten Trainingsdefizit stellte er sich der Aufgabe trotzdem. So ist das halt mit Träumen - man lässt sie sich nicht so einfach nehmen. Er hat es geschafft und kam glücklich ins Ziel.
Dieses Jahr ist Frank erneut in Rodgau am Start. Hier treffen wir uns wieder. Schnell merken wir, dass wir das gleiche Tempo haben und bleiben die ersten vier Runden zusammen. So kommt es, dass für mich das Rennen erst mit Runde fünf beginnt.
Doch nun der Reihe nach: Heute sind wir zu viert nach Rodgau-Dudenhofen angereist. Norbert, unsere Tochter Laura, Freundin Kati und ich. Die Parkplätze seien voll und so werden wir frühzeitig gebeten ins Wohngebiet auszuweichen. Durch Zufall, vielleicht auch durch Norberts Ortsgefühl, parken wir nur wenige Meter hinter dem Sportzentrum.
Die Startunterlagen gibt es im Tennisheim nebenan. Als wir dort eintreffen, reicht die Schlange der Wartenden schon fast bis zum Zaun. Drinnen geht es allerdings zügig, dann sind wir auch schon wieder draußen. In der Halle ist es wie immer brechend voll. Wir behalten die Uhr im Blick, denn zum Start sind es noch 800 m zu laufen. Das muss man zeitlich berücksichtigen. Heute ist es frisch aber nicht wirklich kalt. Die momentan geschätzten 4 °C sollen noch auf 8 °C ansteigen. Wir haben Taschen dabei, die im Unterstand im Startbereich deponiert werden. Für Ängstliche kann ich sagen, dass dort noch nie etwas weggekommen ist. Ein letzter Dixi-Stopp, dann werden wir auch schon an den Start gerufen.
Wir wollen nach hinten, damit vor allem Laura nicht zu schnell losrennt. Schließlich reihen wir uns irgendwo ein, denn das Ende der nahezu 1.000 Startenden ist nicht abzusehen. Der Startschuss ertönt und wir laufen los. Natürlich nicht sofort. Erst mit Passieren der Zeitmessung wird losgejoggt, im dichten Feld geht nichts Anderes. Das ist auch gut so. Meine Beine sind irgendwie nicht locker - das wird heute zäh. Zunächst leicht bergab, geht es anschließend um eine scharfe Rechtskurve und auf asphaltiertem Weg zur Verpflegungsstelle. Danach links durch die Felder. Nach ca. 100 m steht ein Partyzelt aus dem laute Musik ertönt. Ist die Musik, die seither immer beim Begegnungsstück stand, etwa umgezogen? Ich hoffe nicht.
Nebel liegt auf den Feldern, nur mit viel Fantasie kann man in der Ferne die bunten Shirts der Führenden erahnen. Es geht wieder rechts. Nach ca. 300 m erreichen wir erneut den Wald. Der Weg ist jetzt matschig. Ich suche trockene Stellen, die gibt es aber leider nicht. Schon von weitem hören wir die von früheren Läufen vertraute Musik. Sie befindet sich immer noch an der Kreuzung zum Begegnungsstück. Juchuh!
Wir biegen nach links ab, wo uns schon die Schnelleren entgegenkommen. Die Strecke ist so, dass man in Ruhe seine Bekannten grüßen kann, dann kommt die Wende um einen Biertisch herum und es geht zurück. Der Nebel zaubert ein ungewohntes Szenario. Es wird erneut gegrüßt und angefeuert. Gleichzeitig muss man aber aufpassen, denn die Strecke hat einige Unebenheiten, die zwar mit Schotter aufgefüllt wurden, aber trotzdem zu fiesen Stolperfallen werden können.
Wieder bei der Musik angekommen, geht es nun gerade aus weiter (km 3). Im Zickzack verläuft der Weg durch die Felder. Hier war die Stelle, wo letztes Jahr der Unfall mit dem Reh passierte. Frank, mein Begleiter, atmet auf, denn dieses Mal ist er unverletzt geblieben. Gespannt freut er sich auf den Rest der Runde. Zuletzt ist er diesen Teil der Strecke ja unter Schock gelaufen.
Im Wald wird der Matsch tiefer. Vor der einzigen kleinen Steigung der gesamten Runde steht das Schild mit km 4. Im Sumpf pflügen wir hinauf. Vorne nochmal rechts, dann geht es nur noch leicht bergab bis ins Ziel. Die Uhr zeigt die erste Runde mit 33 Minuten. Ich bin erstaunt, denn trotz meiner schweren Beine ist das voll im Plan.
Bei der VP kommt bereits der Führungsradler. Wir machen schnell Platz, um Benedikt Hoffmann nicht zu behindern. Mann, hat der ein Tempo drauf. Seine Verfolger haben schon deutlichen Abstand. Ob er diese Pace durchhalten kann? Frank und ich schaffen die 2. Runde nochmal in einer 33er Zeit. Zufrieden steuere ich die Verpflegung an. Die Helferinnen verteilen warmen, süßen Tee, der tut gut. Das ebenfalls angebotene Wasser und auch der Apfelsaft sind nicht so mein Fall. Cola hebe ich mir für später auf. Auf dem Tisch mit dem Essen wird sogar Salz bereitgestellt. Selbst an Papiertaschentücher ist gedacht. Zu Essen gibt es Bananenstücke, Müsli- und Früchteriegel, die ebenfalls in mundgerechte Portionen geschnitten sind. Außerdem Kräcker und Salzstangen sowie später noch Schokolade und Doppelkekse.
Die erste Frau, Susanne Gölz, kommt an uns vorbei. Ein paar Männer haben sich dran gehängt um die Schneise, die das Führungsfahrrad schafft, auszunutzen. Immer mehr Läufer überrunden uns jetzt Benedikt Hoffmann überholt uns insgesamt 5 Mal. Er ist doppelt so schnell wie ich, gewinnt und verbessert seinen Streckenrekord von 2016 auf 2:56,20 h. Ein perfekter Einstieg ins Läuferjahr für den Deutschen Meister im 100 km Lauf, sowie Halter der Jahresbestzeiten 2017 über 100 km und 50 km.
Vorjahres Rodgau-Sieger Frank Merrbach wird mit 3:05,40 h Zweiter vor Janosch Kowalczyk mit 3:06:25 h. Bei den Damen gewinnt Susanne Gölz in 3:40,36 h und bestätigt damit ihre gute Form aus dem Vorjahr, wo sie im Herbst den Einsteinmarathon Ulm 2017 in 2:54,59 h gewann. Zweite wird die Hamburgerin Britta Giesen mit 3:50,32 h vor Lisa Mehl in 3:51,47 h die trotz ihrer jungen Jahre bereits einige Ultraerfahrung mitbringt.
Im Zielbereich moderiert wie jedes Jahr Gabi Gründling jeden Vorbeikommenden an. Mir gefällt Ihre Art den Lauf zu kommentieren. Sie kennt Alles und Jeden; ihre vielen Jahre in der Laufszene zahlen sich dabei aus. Dass sie mich bei unserer aktuellen Winterlaufserie schon zweimal geschlagen hat, erwähne ich nur am Rande.
In der fünften Runde will Frank etwas Tempo herausnehmen. Ich wiederum versuche nochmal eine 33er Runde zu laufen, versage aber kläglich. Die 6. Runde ist daraufhin extrem zäh. Der Nebel wird sogar noch dichter und ich fröstele. Aber dann läuft es plötzlich wieder. Die 9. Runde ist meine liebste. Hier wird die Marathondistanz geschafft und es fehlt dann nur noch eine Runde bis ins Ziel. Mir geht es jetzt richtig gut. Locker kann ich die letzte Runde beginnen. Danke an die Helfer, die bereits mit dem Säubern der Strecke beschäftigt sind. Danke an die Streckenposten, die uns immer noch am Wendepunkt anfeuern. Danke an die Helfer vom Roten Kreuz und an die, die mit ihrer perfekten Musikauswahl mitten im Wald unsere letzten Kräfte mobilisieren.
Im Ziel werde ich von Gabi angekündigt, Norbert wartet schon hinter der Ziellinie. Er ist die ganze Zeit mir Laura gelaufen, die bereits vor 20 Minuten ins Ziel gekommen ist. Grandios! Sie ist schon auf dem Weg zur Halle. Die Helfer verteilen wärmende Folien. Ich hole mir aber lieber meine warme Jacke aus der deponierten Tasche. Es gibt sogar noch ein richtiges Bier für mich, Cola, Malzbier und warmen Tee. Ich stärke mich ausgiebig, dann machen Norbert und ich uns an den Rückweg. Wir treffen Laura in der Halle. Laut Ergebnismonitor ist sie Vierte in ihrer Altersklasse. Ich spendiere eine Medaille und gratuliere.
(Klaus und Margot Duwe)
Fazit:
Der Ultramarathon in Rodgau ist seit 19 Jahren immer das Gleiche: Schwierige Parksituation, kaum Platz in der Halle, weiter Weg zum Start und unspektakuläre Strecke. Und das ist gut so! Der Laufkalender ist gespickt mit „Neuer, Schöner, Schneller, Höher, Weiter“. Wir brauchen aber auch das Beständige, das Einfache und das Verlässliche. Rodgau ist wie McDonalds: Man weiß, was man bekommt.
Hier herrscht immer super Stimmung, die Helfer sind topp freundlich und hoch motiviert, außerdem ist die Strecke immer irgendwie laufbar. Deshalb kommen viele jedes Jahr nach Rodgau. Und wer das erste Mal dabei ist, kommt wieder. Vermutlich hat Rodgau nach dem Rennsteiglauf die treuesten Teilnehmer.
Frank, der Unglücksrabe vom letzten Jahr, hat heute seinen 25. Marathon/ Ultra gefinisht. Bravo!
Männer
1 Hoffmann, Benedikt TSG Heilbronn 2:56:20
2 Merrbach, Frank LG Nord Berlin 3:05:40
3 Kowalczyk, Janosch SKV Eglosheim 3:06:25
Frauen
1 Gölz, Susanne LC Breisgau 3:40:36
2 Giesen, Britta Laufwerk Hamburg 3:50:32
3 Mehl, Lisa WILLPOWER 3:51:47
635 Finisher