Wintertraining ist, laut Expertenmeinung, die wichtigste Vorbereitung für ein erfolgreiches Wettkampfjahr. Moderate Temperaturen vorausgesetzt, stärkt Bewegung an frischer Luft das Immunsystem und die höhere Luftfeuchtigkeit im Freien pustet die Atmungsorgane so richtig durch. Wenn dann noch Schnee liegt, wird, wegen des höheren Kniehubs, der normale Trainingslauf zum kleinen Lauf ABC. Dass Gleichgewichtssinn und Trittsicherheit ganz nebenbei mit gefordert werden, versteht sich dabei von selbst. Für mich ist jedoch das Naturerlebnis der wichtigste Grund, die Laufschuhe zu schnüren. In keiner anderen Jahreszeit ist Feld und Wald so wandelbar wie im Winter. Wer einmal in frischem Neuschnee durch den Wald gejoggt ist, wird dieses Erlebnis nicht mehr missen wollen.
Ob ich im Winter tatsächlich eifrig meine Kilometer abspule – nein. Meine Trainingsfaulheit zieht sich leider auch durch die kalte Jahreszeit. Einzig die Aussicht auf den immer Ende Januar stattfindenden 50km Lauf in Rodgau motiviert mich, doch noch den einen oder anderen Kilometer zu laufen. Gute Vorbereitung sieht allerdings anders aus. Interessanterweise ist das wohl bei vielen so. Die Sporthalle im Freizeitgelände Gänsbrüh in Rodgau-Dudenhofen scheint, nach meiner gründlichen Recherche, auch in diesem Jahr wieder voll von „faulenzenden“ oder „verletzten“ Kollegen zu sein.
Es sind ja auch völlig verschiedene Charaktere versammelt. Ungefähr 10 % sind Eliteläufer, also welche, die 50 km unter 4 Stunden laufen können. Dann kommen 30 % ambitionierte Hobbyathleten, mit Zeiten zwischen 4 und 5 Stunden. Genussläufer, Marathonsammler und die meisten Ultranovizen machen nochmal 30 % aus. Die letzten 30 % wollen heute wirklich nur einen Trainingslauf machen und steigen nach 30, 40 oder 45 km aus.
Dieses Jahr gibt es 2 Neuerungen: Das Startgeld wird, wie bei den meisten Laufveranstaltungen auch, bei Anmeldung fällig und das Zeitlimit ist nach hinten verschoben. Bisher war der offizielle Zielschluss um 16 Uhr. Weil die Veranstalter immer schon ein Auge zugedrückt hatten, ist es nur konsequent, eine neue Regelung einzuführen. Man muss nun um 15.59 seine letzte Runde beginnen und kommt dann immer noch in die Wertung.
Norbert, Kati und ich erreichen Rodgau-Dudenhofen pünktlich um 9 Uhr. Die Parkplatzeinweiser schicken uns über die Brücke und dann links in den Wald. Norbert quetscht den Bus an den Wegrand. Zum Start ist es nun nicht mehr weit. Wir müssen zuvor aber die Startnummer im Tennisheim abholen, das heißt zu Fuß retour über die Brücke. Obwohl sich alle der knapp 800 Voranmelder ein kleines Präsent aussuchen dürfen, geht die Ausgabe zügig über die Bühne. In der Sporthalle ist es wie immer proppenvoll und so flüchten Norbert und ich schnell ins Auto.
Während wir unsere Startnummern vorbereiten, zieht bereits eine lange Karawane von Läufern am Auto vorbei zum Start. Endlich sind auch wir bereit. Nach gut 500 Metern erreichen wir den Startbereich. Ich stelle mich noch an den Dixies an, dann reicht es gerade noch die dicke Jacke auszuziehen und in der mitgebrachte Taschen im Unterstand zu verstauen. Es ist kalt, so um die -4 °C, dafür scheint aber schon die Sonne. Der Wetterbericht hatte für den laufenden Tag sogar Plusgrade versprochen.
Nach Aufforderung durch den Moderator haben sich die meisten bereits in den abgesperrten Korridor hinter dem Startbanner begeben. Jeder versucht sich nach seinem Leistungsvermögen zu positionieren. Norbert und ich reihen uns hinten ein. Es wird von 10 herunter gezählt. Gespannt erwarten wir den Startschuss. Langsam setzt sich die Kolonne in Bewegung. Erst an der Zeitmessung fallen wir in Laufschritt. Jetzt heißt es mitschwimmen.
Noch haben die Helfer im Verpflegungszelt nichts anderes zu tun, als uns anzufeuern. Die Becher sind gefüllt und Riegel, Kekse, und Cracker geschnitten und aufgereiht. Auf dem freien Feld kann man in der Ferne die bunten Shirts der Führenden erahnen. Nach der zweiten Kurve ist der erste Kilometer schon vorbei. Norbert ist es zu langsam. Er verabschiedet sich nach vorne. Nach weiteren ca. 300 m und dem scharfen Abzweig, wieder rechts, geht es zurück Richtung Wald. Im Wald passieren wir das km 2 Schild und kurze Zeit später das Schild, das die erfolgreiche Marathondistanz anzeigt. Das ist aber erst in der 9. Runde relevant.
Musik ertönt. An der Kreuzung zur Begegnungsstrecke kommen, wie auch in den Vorjahren, heiße Rhythmen aus der Konserve, mit großen Lautsprechern entsprechend verstärkt. Hier ist der Weg geteilt, Helfer weisen uns links. Auf der anderen Seite kommen bereits die Schnelleren. Es wird gegrüßt und angefeuert. Bald ist der Wendepunkt erreicht; wir laufen grüßend und anfeuernd zurück. Wieder bei der Musik geht es nun gerade aus weiter (km 3). Im Zickzack verläuft der Weg über die Felder. Plötzlich gibt es vor mir heftiges Getümmel. Im Augenwinkel kann ich etwas „Braunes“ weg huschen sehen. Es geht das Gerücht um, dass ein Reh einen Läufer umgerannt habe. Wie kann so etwas passieren? Weil sich schnell wieder alles beruhigt, vergesse ich den Vorfall gleich wieder. Wir erreichen erneut den Wald. Vor der einzigen kleinen Steigung der gesamten Runde steht das km 4 Schild. Vorne nochmal rechts, dann geht es nur noch leicht bergab ins Ziel und die ersten 5 km sind geschafft.
Von Anfang an versuche ich mein Tempo zu finden. Das gestaltet sich schwierig, weil immer wieder Bekannte von hinten kommen. Man hat sich lange nicht gesehen und es sind viele Neuigkeiten auszutauschen. Immer wieder ertappe ich mich dabei, außer Atem hinterher zu hecheln. Das macht eindeutig keinen Sinn. Gerade in den ersten Runden darf ich nicht unnötig Kraft vergeuden und daher lasse ich mich zurückfallen. Kurz vor dem km 2 Schild meiner 2. Runde kommt das Begleitrad des Führenden von hinten. Eine kleine Gruppe um den Schweizer Bernhard Eggenschwiler, letztes Jahr 5., dem Vorjahres zweiten Janosch Kowalczyk und Frank Merrbach, die letzten beiden Jahre unter den Top Ten, spurten vorbei.
Nach der 2. Runde steuere ich die Verpflegung an. Die Helferinnen servieren warmen, süßen Tee. Das tut gut. Das ebenfalls angebotene Wasser und auch Iso ist nicht so mein Fall, Cola hebe ich mir für später auf. Eine Runde später schaue ich auch nebenan auf dem reich gedeckten Tisch vorbei. Verschiedene Bananenstücke, Müsli- und Früchteriegel ebenfalls in mundgerechte Portionen geschnitten, außerdem Kräcker, Salzstangen, Erdnüsse und später noch Schokolade sind in Mengen verfügbar. Was will man mehr?
Inzwischen ist die erste Frau, Sabine Schmitt, an mir vorbei. Es kommen immer mehr Läufer von hinten und so ist es kaum mehr auszumachen, wer wie viele Runden Vorsprung hat. Überholmanöver erweisen sich dabei zum Teil als ganz schön schwierig. Wir versuchen zwar, Platz zu machen, aber gerade auf der Begegnungsstrecke ist es eng.
Oft werde ich gefragt, ob es nicht langweilig ist, immer nur im Kreis zu laufen. Insbesondere in Rodgau ist es alles andere als eintönig. Ich genieße die Freiheit, einfach nur zu laufen. Wenn ich Lust habe, fange ich ein Gespräch mit Mitläufern an, wenn ich Ruhe brauche, schotte ich mich ab. Gerade bei dem optimalen Wetter in diesem Jahr macht das Laufen doppelt Freude. Kein Wind, wunderbare Sonne, dabei weder zu warm, noch zu kalt. Die Strecke weist zwar nicht unbedingt Naturschönheiten auf, aber es gibt auch keinen nerviger Straßenverkehr und keine unschönen Industriegebäude. Der Untergrund ist teilweise leicht trailig und heute, außer einer dicken Wurzel auf dem Begegungsstück, über die ich gleich zweimal hintereinander stolpere, hervorragend zu laufen. Highlight sind für mich die beiden Mädels, die sich spontan vor dem Musikzelt im Wald aufgebaut haben und über Stunden eine beachtliche Cheerleadervorstellung abgeben. Das beschwingt nicht nur mich jedes Mal aufs Neue.
Nach 3 Stunden wird es ruhig. Während Frank Merrbach mit 3:08:32 das Rennen vor Enrico Wiessner (3:11:10) und Bernhard Eggenschwiler (3:12:29) gewinnt, bin ich gerade auf dem Feld unterwegs. Kurz bevor ich den Zielbereich erneut passiere, kommt auch die dritte Frau, Natascha Bischoff in 4:00:00 ins Ziel. Vorher finishten bereits Sabine Schmitt (2. im Jahr 2015) in 3:49:06 vor der Vorjahreszweiten und Siegerin 2011und 2014, Astrid Staubach in 3:54:53. Im Zielbereich laufen von nun an, jedes Mal wenn ich vorbeikomme, Finisher mit mir ein. Gabi Gründling im Sprecherwagen beglückwünscht jeden Ankommenden. Ihre Art zu moderieren, gepaart mit Sachverstand und Ausdauer, ist vielleicht auch ein Grund, warum der Rodgau Ultra immer mehr Anhänger gewinnt.
Die 9. Runde ist meine liebste. Hier wird der Marathon geschafft und es fehlt dann nur noch eine Runde bis ins Ziel. Mir geht es gut, locker kann ich die letzte Runde beginnen. Danke an die Helfer, die bereits mit dem Säubern der Strecke beschäftigt sind. Danke an die Streckenposten, die uns immer noch am Wendepunkt anfeuern. Danke an die, die mit ihrer originellen Musikauswahl mitten im Wald unsere letzten Kräfte mobilisieren.
Im Ziel werde ich von Gabi angekündigt, ein Grüppchen Helfer applaudiert jedem Finisher und wärmende Folien werden verteilt. Norbert hat für mich noch ein Bier sichergestellt, das tut jetzt gut. Ich stärke mich noch ausgiebig an der Zielverpflegung. In der Halle findet bereits die Siegerehrung statt. Birgit Burrer, eine gute Bekannte aus unserer Heimat, hat die Altersklasse W55 mit 4:27,33 gewonnen. Dabei ist sie heute ihren ersten Ultra gelaufen! Herzlichen Glückwunsch.
Fazit:
Ob wirklich Athleten nach Rodgau kommen, um dort zu gewinnen? Ich weiß es nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass die Spitzenleute eine Standortbestimmung vornehmen. Dabei weniger gegenüber den potentiellen Gegnern, als viel mehr für das eigene Training. Immer wieder ertappe ich Schnelle, die sich miteinander unterhalten und nur selten gibt es hörbaren Unmut wegen der teilweise vollen Strecke. Der Ultra in Rodgau - „ein super Trainingslauf mit Vollverpflegung“ (O-Ton von Christoph Lux, der heute 10. wurde).
Hier findet ihr einen weiteren
Laufbericht mit vielen Bildern
Männer
1 Merrbach, Frank LG Nord Berlin 3:08:32
2 Wiessner, Enrico LG Nord Berlin Ultrateam 3:11:10
3 Eggenschwiler, Bernhard www.mega-joule.ch 3:12:29
Frauen
1 Schmitt, Sabine *Udenheim 3:49:06
2 Staubach, Astrid SV Herbstein 3:54:53
3 Bischoff, Natascha LSG Karlsruhe 4:00:00
526 Finisher