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Laufberichte

Öfter mal was Neues

11.04.10

Jetzt geht es hinaus aus der Stadt, dem See entlang durch die schwerreichen Vororte. Wer sich das Wohnen an dieser Lage leisten kann, spielt finanziell in einer anderen Liga als ich. Aber das Glück, das ich an diesem sonnigen Frühlingstag verspüre, kann kein Geld der Welt kaufen, das ist nur zu erlaufen.

Der Pulk, auf welchen ich auflaufe, folgt nicht etwa einem Rattenfänger, sondern den Zugläufern für 4:00. Ihre Satellitennavigation gibt ihnen einen Vorsprung auf die Marschtabelle von zwei Minuten an. Nicht, dass mir das nicht reichen würde, aber damit ich mehr Platz um mich herum habe und ohne besondere Rücksichtnahme beliebig in alle Richtungen schauen kann, ziehe ich an ihnen vorbei. Bis ich wieder den Stadtrand erreiche, habe ich 20 Kilometer auf der Seestraße vor mir, die mal lockerer, mal dichter von Zuschauern gesäumt ist. Zwischendurch machen uns ein paar Musikgruppen Dampf und treiben uns an. Dann und wann treffe ich mir bekannte Vielläufer, die ich nach der Winterpause nun wieder regelmäßig antreffen werde.

Mir nicht bekannt ist die Läuferin mit dem Rückenaufdruck „Den Letzten beißen die Hunde“. „Wie unwahr“, denke ich. Meine kleine Ida blieb immer stehen und wollte nicht mehr weiterlaufen, bis auch der Letzte wieder Anschluss an das Laufrudel gefunden hatte. Ich hätte mir gewünscht, alle Rudelmitglieder hätten sich ihr und mir gegenüber auch nur ansatzweise so sozial und empathisch gezeigt…

In Küsnacht kommt mir das Spitzenfahrzeug entgegen. Nach 1:38  (für mich 1:34) und siebzehn Kilometern haben die drei dunklen Schatten, welche in der Gegenrichtung vorbeihuschen, schon fünfzehn Kilometer mehr in den Beinen als ich, trotzdem macht es den Anschein, dass sie eine Spur leichtfüßiger dem Ziel entgegeneilen. An was das wohl liegt?

Von nun an gibt es nebst Frühlingsflor, Musik und kleinen Zuschauergruppen eine weitere Attraktion, nämlich das langsam dichter werdende Feld auf der Gegenseite mit den unterschiedlichsten Laufstilen und Gesichtsausdrücken.
In Meilen, rund um die Wendeschlaufe, ist wie üblich wieder Stimmung angesagt, heute verstärkt durch die Wechselzone des Staffelmarathons. Die Herrschaften auf der Ladebrücke des LKW altern wie ich selbst auch, was aber nur auf Fotos zu bemerken wäre, denn die Verstärker blasen wie jedes Jahr jugendlichen Rock aus den Lautsprechern.

Die Kilometer fliegen auf der fast ebenen Straße nur so vorbei, was nicht nur daran liegt, dass ich das Tempo ein wenig angezogen habe, denn zwischendurch passe ich die Geschwindigkeit an, um ein Gespräch zu Ende führen zu können, das sich beiläufig – ein passenderes Wort gibt es dafür nicht -ergeben hat.

Ich bin einfach auf der ganzen Linie zufrieden. Auch mit dem Hersteller meiner Schuhe. Ich bin nämlich ein Wagnis eingegangen und trage heute einen neuen Testschuh, den ich außer einmal beim Einkaufen und auf einem Hundespaziergang noch nie getragen hatte.

Einer der wenigen Läufer, der bei Kilometer 37 immer noch mit steter Geschwindigkeit unterwegs ist und sogar eine Steigerung andeutet, ist Ronald. Ich gratuliere ihm erst zu der guten Einteilung seiner Kräfte und dann ein zweites Mal dazu, dass ihm dies bei seiner Premiere gelingt! Ich mag es ihm gönnen, auch dass er an dieser Stelle nicht wie früher das Hin und Her zum Opernhaus, zurück zum Zürichhorn und wieder zum Stadtzentrum überstehen muss. Mit Grauen denke ich daran zurück, wie bei meiner ersten Teilnahme in Zürich der Hammermann an diesem Ort zugeschlagen hat. Das Splittern kann ich heute noch hören und das dumpfe Krachen, als es anderen gleich ging und sie ungebremst in die ominöse Mauer donnerten.

Heute nun ein drittes Mal am Chinagarten vorbei, ein viertes Mal am Bellevue und dann stehe ich wieder auf der Quai-Brücke. Richtig, ich stehe und halte den Ausblick auf die Stadt auf Bildern fest.

Limmatabwärts ist links das Bauschänzli auszumachen, ehemals Siedlungsgebiet von Pfahlbauern, später südlichste Bastion der Stadtbesfestigung gegen den See und in der Zwischenzeit als großer Biergarten wieder einer friedlichen Bestimmung gewidmet. Dass er heute noch im Trockendock liegt, kratzt mich nicht, denn so heiß ist mir nicht und für die letzten vier Kilometer gab es noch einen Schub Cola. (Jetzt bloß nicht wegen der Cola rülpsen und die Bilder verwackeln…)

Weiter vorne ist am rechten Ufer die Wasserkirche auszumachen, welche bis zur Reformation als angebliche Hinrichtungsstätte der Stadtheiligen Regula und Felix ein wichtiger Pilgerort war. («… Do machtent die christen menschen eyn cappell an der statt vff dem steyn über das blut, das sy vergossen hatten. Vnd geschahen do alle zit on underlassung grosse wunder vnd zeichen …» Martin von Bartenstein um 1480). Der Hinrichtungsstein, der Märtyrerstein, kann in der Krypta der Kirche besichtigt werden.

Einen Steinwerf von der ehemals auf einer Insel in der Limmat gelegenen Wasserkirche erheben sich – von hier aus besser zu sehen als vom Paradeplatz - die Doppeltürme des Großmünsters in den Zürcher Himmel, ein Wahrzeichen der Stadt. Der Legende nach haben Regula und Felix nach ihrer Enthauptung mit dem Kopf unter dem Arm den Weg dorthin genommen, wo sie dann beerdigt wurde. Karl der Große soll den Anstoß gegeben haben, an jener Stelle eine Kirche zu bauen. Unter dem 1519 aus Einsiedeln ans Großmünster berufenen Leutpriester Huldrich Zwingli und seinem Nachfolger Heinrich Bullinger wurde das Großmünster zur Mutterkirche der Reformation zwinglischer Prägung.

Wenn ich jetzt sage, dass ich mit diesen historischen Ausführungen meine kulturelle Berichterstattung abschließe, und jemand froh ist, dass dieser Marathon der Wissensvermittlung endlich fertig  ist, dann kann er mit vielen mitfühlen, denen ich auf diesen letzten Kilometern begegne. Die teilweise schweren Schritte auf der erneuten Schlaufe durch die Innenstadt lassen erahnen, dass sie keine Zeit und Lust haben, diesen Abschnitt auf Sehenswürdigkeiten abzusuchen. Ihr Ziel ist das Ziel. Und wer es bis hierher geschafft hat, schafft auch den Rest und gehört zu den Finishern. Zu ihnen gehört auch Ronald, den ich nach Medaillen- und Finisher-Shirt-Übergabe wieder treffe. Er hat sich die Sache gut eingeteilt und wurde mit respektablen 3:40 gestoppt. Und wie schon im vergangenen Jahr treffe ich auf einen überglücklichen Mario. Sein Erstling vor einem Jahr war keine Eintagsfliege. Er blieb dem Laufen treu, hat eher nochmals abgenommen und kam bei seinem dritten Marathon 25 Minuten schneller als im vergangenen Jahr ins Ziel. Ich freue mich mit ihnen und etwas später über die warme Dusche, die bekanntlich entscheidend ist, ob eine Marathonveranstaltung von mir in den Wellness-Adelstand erhoben wird.

Meine Einschätzung, dass die diesjährigen Neuerungen eine Kleinigkeit sein würden, sehe ich bestätigt, zumal ich ihnen nur Positives abgewinnen kann. Diese Streckenführung passt mir und die Staffelläufer bringen ein bisschen Pepp auf die zweite Streckenhälfte.

Das Ausbrechen in die schöne Marathonwelt ist leider schon wieder vorbei und ich muss wieder zurück zu allen anderen Veränderungen. Ich tue dies aber wieder mit mehr Schwung und ich bin zuversichtlich, dass ich mich an die läuferische Veränderung gewöhnen werde. Damit Ida und ich Gesellschaft haben, trainieren wir unseren neuen vierbeinigen Freund Hannu. So schnell wie er Fortschritte macht, können wir bald zu Dritt unsere Runden in der Natur drehen – in stiller Zwiesprache mit  dem Schöpfer und zwei seiner bemerkenswerten Kreaturen.

Marathonsieger

Männer

1. Langat David Kiprono,  KEN-Kenia           2:11.03,8    
2. Leleito Stanley, KEN-Kenia                2:11.36,5    
3. Kiptum Daniel, KEN-Kenia                  2:14.00,7

Frauen

1. Rosseeva Olga,  RUS-Russland               2:35.43,6    
2. Gavelin Lena, S-Schweden                  2:38.21,4   
3. Abossa Emebet, ETH-Herisau                2:44.40,7  

 
 

Informationen: Zürich Marathon
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