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Laufberichte

Öfter mal was Neues

11.04.10

Den ersten Kilometer legen wir zuerst auf dem Mythen-Quai, dann auf dem General-Guisan-Quai zurück. Die Benennung einer Straße nach einem General mag in der friedlichen Schweiz seltsam erscheinen, doch um den Oberbefehlshaber der Armee erwuchs während der Zeit des Zweiten Weltkriegs ein wahrer Personenkult, der den Eidgenossen sonst so fremd ist. Ein  Artikel der Neuen Zürcher Zeitung zu der zum fünfzigsten Todestags des Generals eben erschienen biografischen Annäherung an einen Mythos (von Markus Somm) trug dann auch die Überschrift «Im Land der Zwerge wuchs Guisan zu einem Riesen».

Um über sich selbst hinauszuwachsen, dafür bleiben jedem Marathoni noch weitere 41 Kilometer, als wir beim Bürkli-Platz links in die Innenstadt abbiegen. Der Platz ist benannt nach dem Stadtingenieur Arnold Bürkli, der die Gestalt der Stadt während seiner Amtszeit von 1860-1882 nicht nur in die in ihren Grundzügen heute noch bestehenden Bahnen leitete, sondern nach einer Cholera-Epidemie eine Abfuhrwesen- und Kloakenreform durchführte  und die städtische Wasserversorgung schuf. Für seine Verdienste um die Stadtsanierung und die dadurch verbesserte Grundlage für die Gesundheit der Bevölkerung wurde er von der Medizinischen Fakultät der Universität mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

Hätte die Schweizer Geschichte eine andere Wendung genommen, stünde hier ein Bundespalast und die Eidgenössische Hochschule in Bern. Die Weichen wurden 1848 anders gestellt als die Zürcher das gerne gehabt hätten, und so thronen in Bern das Bundeshaus auf dem Stadthügel über der Aare und in Zürich die ETH in dem vom Semper entworfenen Bau über der Stadt.

Mittlerweile sind wir an der Sihlpforte angelangt, benannt nach dem zweiten Fluss, welcher durch Zürich fließt. Im Sihltal vor den Toren der Stadt – vor der Fertigstellung der Westumfahrung und der Autobahn durchs Säuliamt die Straßenverbindung nach Luzern schlechthin – ist der national anerkannte Naturerlebnispark Zürich-Sihlwald, Teil des größten zusammenhängenden Buchenmischwaldes der Schweiz und seit zehn Jahren Nat-Ur-Wald ohne menschlichen Eingriff.

Wenn ich aber schon wieder einmal an einem Stadtmarathon mitlaufe, will ich nicht zu fest abschweifen, sondern von den Sehenswürdigkeiten und der Stimmung im urbanen Gebiet berichten.

Nach zweieinhalb Kilometern, einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt, dreht die Innenstadt-Schlaufe und führt in die Bahnhofstrasse hinein. Nach diesen gemäß Streckenplan wohl engsten Kurven liegt rechts eine kleine Grünanlage. Wie viele der Vorbeilaufenden wissen oder ahnen wohl, dass die friedliche Pestalozziwiese bis 1860 Hinrichtungsstätte für verurteilte Mörder war? Das 1899 errichtete Pestalozzi-Denkmal gehört zwar zu den viel fotografierten Objekten der Stadt, ich müsste die Strecke aber gar weit verlassen, um es noch besser vor die Linse zu bekommen.

Wenige Meter weiter gestattet eine links weggehende Straße einen Blick auf die Kirche St. Peter, den ersten protestantischen Sakralbau in der Stadt Zürich nach der Reformation. Der Turm hatte schon früh große Bedeutung für die Stadt durch die Feuerwächter, die ihre Aufgabe von der Turmstube aus wahrnahmen. Daher rühren auch die besonderen Besitzverhältnisse dieses Bauwerks. Während Kirchenschiff und Glockenstuhl der Kirche gehören, ist die Stadt Eigentümerin des Turms. Eine weitere Besonderheit ist die Turmuhr, nach der sich alle öffentlichen Uhren zu richten hatten und deren Zifferblatt mit einem Außendurchmesser von 8,64 Metern das größte Europas ist.

Nur den Kopf nach rechts drehen muss ich zwei Querstraßen später, und schon habe ich einen guten Ausblick auf  die Skulptur „Pavillon“ von Max Bill. „In allen drei Schaffensfeldern – Architektur, Kunst und Gestaltung – zeichnet sich Bills Oeuvre durch die strenge Reduziertheit der angewandten Mittel einerseits und die kompositorische Leichtigkeit ihrer systematischen Ordnung andererseits aus“, schreibt Britta Schröder, Wissenschaftliche Assistentin von Haus Konstruktiv, Zürich, der Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst. In diesem Sinne steht die Skulptur in der engeren Heimat Bills stellvertretend für sein Wirken, das im Bauhaus in Dessau eine wichtige Prägung erhalten hat.

Wenige Schritte später, bei Kilometer 3, ist durch eine andere Querstraße links die Augustinerkirche zu sehen. Im Zuge der Reformation wurde die Kirche der Augustiner-Eremiten weltlicher Nutzung zugeführt, 1841 dann Zürichs Katholiken zur Nutzung überlassen. Als die Mehrheit der Gemeinde die Beschlüsse des Konzils 1870 ablehnte und sie deshalb aus der katholischen Kirche ausgeschlossen wurde, nannte sie sich fortan Christkatholische Gemeinde und hat als solche heute noch ihr Zuhause in diesem gotischen Bau.

Kaum ein paar Meter weiter befinden wir uns schon auf dem prestigeträchtigsten Pflaster der Schweiz. Jedes Kind strebt beim Monopoly den Besitz von Zürich Paradeplatz an, dem Sahnestück der teuren Meile in der Schweizer Ausgabe des Spiels. Weniger mondän war seine frühere Bestimmung, welche in seiner damaligen Benennung „Säumarkt“ ihren Ausdruck fand. Heute finden zahlreiche Zeitgenossen, dass sich die Teppichetagen der umliegenden Geldinstitute dem damaligen Zustand schon wieder sehr fest angenähert haben und dieser Augiasstall ausgemistet gehört. Deshalb kommt demnächst eine Volksinitiative gegen Abzockerei zur Abstimmung, gestartet von einem Kleinunternehmer aus meinem Wohnort. Ja, sowas gibt es in der Schweiz.

Den Banken gegenüber sind gewissermaßen als Kontrapunkt weitere Kirchtürme auszumachen. Im Hintergrund die Doppeltürme des Großmünsters, davor die grüne Kirchturmnadel des Fraumünsters, welches als künstlerischen Anziehungspunkt die Chagall-Fenster sein eigen nennt.

Wer so viel geballte Information zu meinem Stadtrundgang runterspülen muss, kann dies gleich tun. Nach dreieinhalb Kilometern stehen die ersten Tische, an welchen wir uns ein Fläschchen Wasser mit auf den Weg nehmen können. Dieser führt uns umgehend wieder an den Bürkliplatz und auf der Quai-Brücke über den Abfluss des Zürichsees.

An dieser Stelle kann ich, so gut das hinter dem Zuschauerspalier zwischen den beiden Fahrbahnen möglich ist, regen läuferischen Gegenverkehr beobachten. Da haben sich einige für heute etwas vorgenommen…

Beim Kilometer 4 sind wir am Bellevue und damit ganz in der Nähe einer gastronomischen Kunstinstitution Zürichs, der Kronenhalle. Wer mit großer Börse ausgestattet ist und beim edlen Essen gerne ein Auge auf teure Werke bekannter Künstler wirft, kann sich dort den Kohlehydratspeicher auf luxuriöse Art auffüllen.

Zwischen Bellevue und Opernhaus liegt der Sechseläuteplatz, ein noch unscheinbarer Platz, mehr Brache als Repräsentationsort, aber eben das Herzstück des Sechseläutens.

 
 

Informationen: Zürich Marathon
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