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Laufberichte

Obermain-Marathon 2005: Siegen ist schön. Ankommen auch.

10.04.05

Eine ungewöhnliche Reportage

 

Als Rudolf Paulus morgens aus dem Fenster sieht, fröstelt ihn. Es schneit in dünnen Flocken. . Ziemlich kühles Wetter für einen Marathon. Nun gut! Er schlüpft in die Laufklamotten, zieht einen warmen Trainingsanzug an, frühstückt eher kärglich. Müsli, Mineralwasser, Kaffee. Paulus mixt einen kalorienhaltigen Drink in ein kleines handliches Fläschchen und macht sich zusammen mit seiner aparten Frau – ebenfalls Läuferin – auf den Weg nach Staffelstein.

 

Er kennt ja die Straßen der Region. Der Man vom BGS in Bonn ist schließlich in Lichtenfels aufgewachsen. Hat bis zur zehnten Klasse das Meranier-Gymnasium besucht, ist dann zum Bundesgrenzschutz nach Coburg gewechselt. Später hat es ihn nach Bonn verschlagen. „Doch der Kontakt nach Oberfranken ist nie abgebrochen. Alle vier Monate komme ich hierher, treffe Freunde – und natürlich trainiere ich dann auch hier.“ Und so verwundert es nicht, dass Paulus früh vom Projekt „Obermain-Marathon“ erfahren hat. Damals stand Chef-Organisator Karl-Heinz Drossel mit seinem Team noch in den Anfängen. Vielleicht, so träumten sie, würden sie im April 2005 so 500 oder gar 600 Lauf-Freaks nach Bad Staffelstein locken können. Das wäre schon ein Riesenerfolg.

 

Nun haben wir April 2005. Sonntag, der 10. des Monats, ein wichtiger Tag für den Regionalsport. 1400 Aktive versammeln sich vorm Staffelsteiner Rathaus. 1400! Was für ein Erfolg.

 

Break

Wir „Marathonis“ starten um fünf nach neun. Zuvor werden die Läufer über die Halbdistanz (21 Km) von der Leine gelassen. Landrat Leutner erklärt noch, dass seine Bestzeit vom Friedhof auf den Staffelberg rund eine Stunde betrage, er also hochgerechnet die Marathondistanz vielleicht in eineinhalb Tagen anständig zu Ende bringen könne. Dann schießt Bürgermeister Müller in den Himmel, und das Feld setzt sich in Trab. Freundlich applaudierende Zu- schauer, geschwätziges Treiben im Feld. So ist das nun mal auf den ersten Kilometern im hinteren Teil eines Marathons. Die Frauen und Männer tauschen sich aus, sie lernen sich kennen, sie reden sich die Nervosität aus dem Körper.

 

Nach der Bahnunterführung haben sich die Läufer sortiert. Locker traben sie auf Unnersdorf zu. Rechts, in Richtung Schönbrunn, verschwinden auf den Mainwiesen die Letzten des Halb- marathons, in Staffelstein ertönt wieder ein Schuss: Jetzt geht’s auch für die Nordic-Walker los.


Und ganz vorne, schon auf der Brücke von Unnersdorf, ist ein Grüppchen von Läufern auszu- machen, das sich schon ein wenig vom Feld abgesetzt hat. Herrgottnochmal, was die für ein Tempo anschlagen!

 

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Rudolf Paulus hat keine andere Wahl. Er muss den drei Läufern folgen, die gleich nach dem Startschuss in die Vollen gehen. Der Bonner ist nach Staffelstein gekommen und rechnet sich ganz gute Chancen aus, um den Sieg mitzumischen. Bei 2:45 bis 2:55 Stunden dürfte wohl die Uhr für den stehen bleiben, der das Rennen für sich entscheidet. Das hat Paulus in den Beinen, er weiss es. Dass nun die Sportkameraden an der Spitze sofort derart lospreschen, ist nicht gerade angenehm – aber wenn es denn sein muss.

 

Paulus setzt sich in der Spitzengruppe fest. Aus einem kleinen Häuflein werden vier Läufer, die vornweg sind. Nach Unnersdorf hetzen sie den ersten kleinen Anstieg hoch als hätten sie nur mehr ein paar Kilometer vor sich. Sie biegen ab in Richtung Kloster Banz, dann zum Forsthaus, noch 200 Meter und die Strecke knickt nach rechts. Sie hetzen bergauf durch den Banzer Wald. „Verdammt schnell“, denkt Paulus. Er lässt ein klein wenig abreissen. „Am Gummiseil laufen“, nennen das die Athleten: Man ist nicht mehr an der Spitze, aber man ist auch nie so weit von der Ersten entfernt, dass es bedenklich wäre.

 

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Im Anstieg nach Banz lernen auch die Unerfahrenen, was das heisst: Landschaftsmarathon. Die Strecke führt nicht 42 Kilometer weit durch flache Straßen in Häuserschluchten. Beim Landschaftsmarathon müht sich der Teilnehmer über eine Achterbahn der Gefühle und Eindrücke. Auf und ab muss er hier rund um Staffelstein rennen, traben, joggen, gehen. Schon im Banzer Wald marschieren die Ersten. Das sind Frauen und Männer, denen es nicht um eine tolle Zeit geht, sondern solche, die sich darum sorgen, ob sie überhaupt im Ziel ankommen.

 

Erstes Hochgefühl an der Getränkestation vor Schloss Banz. War ja gar nicht so schlimm, dieses Teilstück. Hinunter führt der Weg nach Hausen. An einigen Stellen ist der Blick übers Obermaintal frei. Wer gute Augen hat, kann auf der anderen Seite des Tals ein paar kleine Punkte erkennen, die sich zügig in Richtung Vierzehnheiligen bewegen. Dort sind sie also schon, die Führenden.

 

Break

Manchmal fällt die Vorentscheidung eines Rennens schon in der Anfangsphase. Auch bei der Premiere des Obermain-Marathons ist das der Fall. Nachdem Rudolf Paulus „am Gummiseil“ hinter dem Spitzentrio seinen Schritt gefunden hat, bemerkt er, dass auf der Banzer Höhe und beim Bergab-Lauf nach Hausen zwei Konkurrenten ein wenig nachlassen. Er schließt zu ihnen auf, holt schließlich den Führenden ein und lässt ihn hinter sich. Er bewegt sich nun durchs Maintal, fühlt sich gut und weiss: Das Heil liegt in der Flucht nach vorn. Nur nicht umsehen. Noch 32 Kilometer harte Arbeit.

 

Locker rennt er an Vierzehnheiligen vorbei. Paulus folgt den Pfeilen nach rechts auf den Höhen- weg. Sein Schritt ist lang, die Arme schwingen locker. Er spürt die nasse Kälte nicht. Hat keinen Blick für das graue Panorama. Ein gutes Gefühl hat er. Doch er weiss, dass er jetzt konzentriert bei der Sache bleiben muss. Noch 27 Kilometer. Marathon ist Akkrodarbeit für den Erfolg.

 

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Nein, flach ist der Weg zum Staffelberg nicht. Für die Hinterfeldler erst recht nicht. Die spüren jede noch so sachte Steigung. Kurz vor dem Wegkreuz und der Abzweigung nach Ützing zum Beispiel müssen sie ein paar Höhenmeter machen. Das tut weh, da kommt Sand ins Getriebe. Aber noch laufen sie. Es war schon beklemmend genug, vor der Basilika wandern zu müssen. Ein Marathonläufer muss laufen, so lautet der Ehrenkodex.

 

Also laufen sie. Stilistisch sehr sauber ist das nicht mehr, aber was soll’s. Nur eines frustriert wirklich: Hier, auf dem Weg zum Staffelberg, herrscht Gegenverkehr. Die Frauen und Männer, die entgegen kommen, haben schon sechs, sieben, acht Kilometer mehr in den Beinen. Und sie laufen so viel schöner. Mist!

 

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Rudolf Paulus hat den Staffelberg schon weit hinter sich gelassen. Als er übers Plateau hetzte, konnte er die Verfolger zum ersten Mal kontrollieren. Die ersten tauchten auf, als er schon die Hälfte der Runde hinter sich hatte. Das waren mindestens 200 Meter Vor- sprung, ein ganz beruhigendes Polster. Er jagte das Steilstück hinter der Klause bergab, rannte locker auf dem Höhenweg dahin, federte vier Kilometer weiter über den Forstweg nach Ützing. Kein Verfolger im Nacken zu spüren. Der MP-3-Player dröhnte ihm Musik – von Johnny Cash bis Judas Priest – in den Kopf. Ützing. Stublang. Loffeld. Horsdorf. Raus aus dem Lautertal, rein in den Endspurt.

 

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Ützing. Stublang. Loffeld. Horsdorf. Eineinhalb Stunden später. Wir schleppen uns dahin. Rechts dieser verteufelte Staffelberg, auf den einer rauf muss, der den Marathon bestehen will. Vor uns der Ausblick ins Obermaintal. Und die Aussicht auf ein fieses Finale. Noch zehn Kilometer.

 

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Nur noch rennen. Wenn Du an der Spitze bist, spürst Du eine Euphorie, die die Schmerzen wegdrängt. Aber natürlich sind sie da, die Schmerzen. Rudolf Paulus hastet durch die Auwald- siedlung. Mit Missmut registriert er, dass ein paar hundert Meter weiter die Teerstraße auf eine matschigen Weg rund um die Baggerseen mündet. „Könnten die nicht den letzten Teil ein bißchen angenehmer machen“, schießt es ihm durch den Kopf. So ein schöner Marathon. Perfekt organisiert – und nun noch ein Kilometer durch den Dreck.

 

Doch dann hat er den See hinter sich. Er kurvt durch den Kurpark, unterquert die Bahntrasse, eilt an einem Parkplatz vorbei und biegt ins Stadion ein. Die Bahn ist weich und rot und willkommen. Rudolf Paulus ist weit und breit der einzige rennende Mensch. Gewonnen. In 2:43 Stunden. Erst eineinhalb Minuten nach ihm kommt der Zweite ein. Die Glocke der Staffelsteiner Kirche schlägt dreiviertel zwölf. Paulus sieht schon wieder ziemlich erholt aus. Und er strahlt. „Ein gutes Gefühl“, sagt er. „Ich bin erleichtert, stolz, glücklich, weiß nicht, wohin mit dem Adrenalin.“ Siegen ist schön.

 

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Um zwei Uhr nachmittags trudeln wir Nachzügler ein. Die Schritte schleppen sich so dahin, die Gesichter sind müde. Am Baggersee jedenfalls und am Hallenbad und in der Kuranlage auch noch. Dann noch durch die Unterführung – runter und quälend wieder rauf – und über den Parkplatz.

 

Und dann biegen wir ins Stadion ein. Plötzlich bewegen sich die Beine wieder. Scheinbar mühelos. Was für ein herrlich weicher Belag, was für ein tolles Rot. Noch eine Kurve, noch ein letzter Sprint. Unter der Zielbanderole durch. Ein nettes Mädchen hängt uns eine Medaille um den Hals. Geschafft. Erleichtert. Stolz. Glücklich. Ankommen ist auch schön.

 

Informationen: Obermain-Marathon
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