Endlich Dresden. Nach sechs Stunden Autofahrt ab München - diesmal gab es leider keine günstigen Bahnangebote - stehen wir an einem wunderschön warmen Oktoberabend am Altmarkt. Die Freischankplätze der Restaurants und Cafés sind voll besetzt. Ob das alles Touristen sind? Auf jeden Fall erstrahlt hier vieles in neuem Glanz. Sogar der Kulturpalast ist renoviert und wurde 2017 wieder eröffnet. Davor lässt eine Ausstellung im Container das Leben in der sächsischen Hauptstadt kurz vor der Wende wieder auferstehen. So ähnlich hat etwas früher auch das Inventar westlicher Haushalte ausgesehen - bis auf das blaue FDJ-Hemd natürlich.
Gleich nach unserer Ankunft haben wir unsere Unterlagen im Kongresszentrum an der Elbe abgeholt. Ein futuristisches Gebäude, in dem man sich erst einmal zurecht finden muss. Zusätzlich zur Startnummer gibt es eine große Plastiktüte, eine Sportler-Mini-Salami, die in bester Startup-Manier von drei jungen Metzgern in Omas Garage kreiert wurde, ein Pulver für einen Xenofit Mineraldrink, sowie ein kleines Sebamed-Duschgel. Und natürlich einige Infozettel und Gutscheine. Als nächstes zur Chipkontrolle. Hier können wir mal wieder unseren eigenen Champion-Chip verwenden, was unter Umweltgesichtspunkten sicher eine gute Idee ist.
Dann noch ein bisschen auf der kleinen Marathonmesse umgesehen und auf geht’s zum Stand der Pastaparty, ausgerichtet vom Maritim Hotel, das gleich nebenan im alten Speichergebäude untergebracht ist.
Wir treffen uns mit Volker, der vom Bodensee angereist ist und morgen mal nicht als Pacer unterwegs sein wird, sondern Vollgas laufen möchte. Ohne großen Zeitdruck geht‘s ins Hotel, da in dieser Nacht die Sommerzeit endet und der Start am Sonntag gefühlt erst für 11:30 Uhr angesetzt ist.
Schon um 9 Uhr finden wir uns am Startgelände beim Heinz-Steyer-Stadion ein. Hier wurden vor einem halben Jahrhundert viele Leichtathletikweltrekorde aufgestellt. Heinz Steyer war Fußballer bei Rotweiß Rotsport Dresden und Pazifist, wurde im 2. Weltkrieg zu einer Strafkompanie nach Griechenland versetzt und 1944 dort hingerichtet, weil er griechische Partisanen unterstützt hatte.
In der Tiefgarage des Kongresszentrums kann man den Starterbeutel abgeben. Neben dem Gebäude liegt auch das Ziel. Die Duschen, die man nach dem Lauf nutzen kann, befinden sich am Stadion. Um 10 Uhr erfolgt der Start des Zehn-Kilometer-Laufs. Danach werden wir von Moderator Artur Schmidt unterhalten, der die Pacer vorstellt und Lokalmatador Hagen Melzer, Europameister 1986 über 3000 m Hindernis, interviewt.
Mehr als 3.500 Halbarathonis und 1.300 Marathonis warten auf ihren Einsatz. Hinten gibt es keine Lautsprecher, sodass Judith und ich den Startschuss nur erahnen können. Bald sind wir auf der Strecke. Links hat das Herbstfest geöffnet, aber der Blick fällt eher auf das große moscheeartige Gebäude vor uns. Die ehemalige Zigarettenfabrik Yenidze, errichtet zwischen 1909 und 1912 als weltweit erster Stahlbeton-Skelettbau und optisch der Grabstätte des Emirs Khair Bak in Kairo nachempfunden, beherbergt heute Büros und Geschäfte sowie unter der Kuppel ein Restaurant mit großartiger Aussicht über die Stadt.
Hier am Elbufer kann man die nach der Jahrtausendflut von 2002 gebauten Dämme und Tore erkennen. Wir überqueren die Elbe über die Marienbrücke. Der Blick nach rechts auf die Türme der Altstadt ist sehr schön. Allerdings muss man auch auf die anderen Läufer achten. Samba-Band am Eingang zur Dresdner Neustadt. Die Straßenbahnhaltestelle mit ihrer hohen Aufpflasterung verlangt nach Vorsicht. Links der schöne Neustädter Bahnhof. Auf fünf Kilometern Länge werden wir uns nun diesen Teil Dresdens ansehen. Die Innere Neustadt wurde ab 1732 angelegt und befand sich innerhalb des Festungsgürtels. Viele Straßen laufen auf den zentralen Albertplatz zu. Auffällig erst einmal das 1929 gebaute Hochhaus, ehemals Sitz der sächsischen Landesbank. Rechts das Erich-Kästner-Museum, ein mobiles, interaktives Mikromuseum, das seit dem Jahr 2000 in der „Villa Augustin“ untergebracht ist. Hier lebte Kästners Onkel, den der in Dresden geborene Schriftsteller oft besuchte.
Erneut eine Sambagruppe. Zwei Läuferinnen überlegen, wie sie dem angekündigten Kopfsteinpflaster entgehen können. Man soll ja laut Ausschreibung nicht auf Fußwegen laufen. Ich kann über so ein Kopfsteinpflaster auf den ersten Kilometern nur müde lächeln. Lediglich beim Fotografieren muss man doppelt aufpassen. Die Königsstraße wurde 1732 im Dresdner Barock einheitlich, aber mit unterschiedlichen Fassaden errichtet. Zu DDR-Zeiten wurde sie Friedrich-Engels-Straße genannt und entgegen anderer Planung nicht abgerissen, da sie nahezu unbeschadet die Bombardierung von 1945 überstanden hatte. Kurz danach sind wir schon wieder am Albertplatz mit großen Brunnen, die aber anscheinend schon winterfest eingemottet sind. Leider ziehen Wolken auf. Immerhin herrschen noch Temperaturen von mehr als 20 Grad.
In der Bautzener und dann gleich danach in der Rothenburger Straße gibt es Stadtmarathon vom Feinsten. Hier befindet sich das Szene-Ausgehviertel Dresdens. Kneipe reiht sich an Restaurant, Spät- und Frühkauf und was man sonst noch braucht. Wir haben bereits festgestellt, dass es in Sachsen noch Raucherlokale gibt und hier besonders viele. Irgendwo begegnet uns der sinnige Spruch „Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin. Aber ohne Schnaps und Rauch stirbt die andere Hälfte auch.“
Szeneviertel heißt wohl auch, dass viele der zuschauenden Väter rauschebärtige Hipster sind. Und der Ausruf „Schön habt ihr`s hier“ stößt auf taube Ohren. Dafür halten viele Kinder ihre Hände zum Abklatschen hin. Die Luisenstraße erfreut uns mit einem Kopfsteinpflaster, wie es früher einmal war. Und noch mehr Dönerläden. Auch nordindische Spezialitäten kann man hier in einigen Restaurants zu günstigen Preisen bekommen. Am Herbert-Wehner-Bildungszentrum vorbei. Der SPD-Politiker, geboren am 11. Juli 1906 in Dresden, war bekannt für seine deftigen Sprüche im Bundestag. Auf seine Initiative wurde der „Tag der deutschen Einheit“ am 17.6. ein Feiertag in der Bundesrepublik.
Ab Kilometer 5 beruhigt sich die Szenerie und die Zuschauer werden weiniger. Kurz bergan sehen wir viele schicke Neubauten, rechts geht es an allerlei Gerichtsgebäuden vorbei. Ein architektonisches Highlight lugt vor uns aus den Bäumen hervor. Das 2011 nach siebenjähriger Umbauzeit wieder eröffnete Militärhistorische Museum der Bundeswehr ist eines der größten militärhistorischen Museen Europas und neben dem Haus der Geschichte in Bonn, dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin eines der vier großen Geschichtsmuseen in Deutschland. Das ehemalige Arsenalgebäude aus dem Jahr 1877 wurde durch einen dekonstruktivistischen keilförmigen Einbau ergänzt und gespalten. Nach den Plänen von Daniel Libeskind wurde der Keil gewählt, da die Bombereinheiten 1945 in einer Keilformation Richtung Dresden geflogen sind. Die Spitze des Keils zeigt auf das Heinz-Steyer-Stadion, also unserer Startgelände, wo die Zielmarkierung für das Bombardement gesetzt wurde.
Die breite Stauffenbergallee führt uns an der auffälligen Garnisonskirche vorbei. Über die grüne Prießnitz und an schönen Villen entlang geht es weiter, bevor wir bei einer Polizeistreife in den Untergrund geschickt werden.
Ich fühle mich irgendwie in eine Endzeitstimmung versetzt. Es stampft und dröhnt in einer schmerzhaft lauten Art und Weise im Hades. Schon sehe ich uns von einer Teufelsmaschine in kleine Stücke zerrissen, da endet die Kurve und am Ausgang des Tunnels erscheint eine Sambatruppe, die nicht ahnt, welchen Schrecken sie uns eingejagt hat. Draußen erwartet uns der blaugraue Himmel. Über die Waldschlösschenbrücke queren wir die Elbe. Hinter uns lassen wir das Bräuhaus am Waldschlösschen mit seinem netten kleinen Biergarten im Viertel Radeberg. Wer jetzt an die Semperoper denkt, hat zu viel Werbung im Fernsehen gesehen.
Es wird vor tieffliegenden „Kleinen Hufeisennasen“ gewarnt. Die seltene Fledermausart spielte eine wichtige Rolle bei der Diskussion für und wider den Bau der Brücke, der die Elbauen um den Titel eines UNESCO-Welterbes brachte. Flussabwärts sieht man nun die Türme der Altstadt und etliche moderne Hochhäuser von der anderen Seite. Geschlagene drei Kilometer geht es jetzt über die Fletscherstraße. Viele Zuschauer stehen auch hier. Ein Abschnitt wird sogar in beiden Richtungen belaufen. Dem Hobby-Städteplaner in mir fällt ein schönes Gebäude aus den 1950er Jahren auf. Die 6. Grundschule am Großen Garten wurde 1959 erbaut. Davor Fans mit einer großen Fahne vom Lauftreff Birkesdorf.
Vor uns scheint ein Gebäude das Ende der Fahnenstange, äh Straße, anzuzeigen. Der Große Garten wurde 1676 auf Geheiß des Kurfürsten Johann Georg III. angelegt. Lediglich 1.900 Meter lang und 950 Meter breit, wirkt er auf Marathonis erst einmal harmlos. Aber wir müssen da jetzt herum und hinein, da kommen doch etliche Kilometer zusammen. Völlig unerwartet bleiben wir erst mal am Rand des Gartens auf der Straße.
Natürlich hat so ein Park auch einen See. Und vor der Fontäne im Gewässer spielt eine flotte Band für uns. Dann geht´s in den Park hinein, auf einem breiten Teerweg direkt auf das Palais zu. Das Lustschloss, der erste bedeutende Profanbau in Sachsen, der nach dem Dreißigjährigen Krieg errichtet wurde, gilt stilistisch als „Auftakt“ zum Dresdner Barock und diente jahrzehntelang als Schauplatz wilder Partys, früher Hoffeste genannt. Dann zog die Feier-Karawane ins Zentrum weiter, so wie wir auch bald. Mir gefällt es hier wirklich sehr gut. Das macht was her.
Allerlei Skulpturen gibt es zu sehen: „Die Zeit raubt Wahrheit“, „Die Zeit entführt die Schönheit“, was soll das einem der Zeit hinterherlaufenden Marathoni wohl sagen? Außerdem gibt es hier viele Frauen, die mit Zentauren kämpfen. Ich sehe schon, klassische Bildung kann man durch Laufen nie und nimmer nachholen. Fußballfreunden fallen nun vielleicht die Trainingsplätze von Dynamo Dresden ins Auge, dahinter das Rudolf-Harbig-Stadion. Ich sehe ausgelassene Mädels am Diskomobil.
VP bei Kilometer 16: Wasser, Iso, Tee, Bananen. Die Standbesatzung lächelt, als ich mir „wunderbaren Dresdner Stollen“ in den Mund schiebe, wohl wissend, dass es „nur“ Rosinenbrot ist. Lecker. Später gibt es auch Riegel und Iso-Gel.
Gegenverkehr, dann wieder bis zum Fetscherplatz. Dort herrscht natürlich Stimmung pur. Perfekte location mit all dem Hin und Her. Noch drei Kilometer, bis wir die Halbmarathonis verabschieden. An der breiten Striesener Straße wurde anno 1957 erstmalig in der DDR die Großblockbauweise angewandt, liebevoll auch „Plattenbau“ genannt.
Schöner ist nur der Blick auf die Kuppel der Frauenkirche. Das Bauwerk, im 18. Jahrhundert errichtet und im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde unter weitgehender Verwendung des ursprünglichen Materials in den Jahren 1993 bis 2005 wieder aufgebaut. Ich bin wirklich gespannt, was wir noch zu sehen bekommen. Vorher geht es geschickt an die Elbe hinunter. Das zwölfgeschossige Hochhaus-Hotel "Dresden-Tourist" wurde 1964 fertiggestellt. Dann unter der breiten Carolabrücke hindurch, so behindern wir fast niemanden. Wir sind auf dem Terrassenufer.
Über die Elbe hinweg sieht man einige große Gebäude und ganz klein viele Läufer in bunten Trikots. Links oberhalb thront die Hochschule für bildende Künste. Unter der Augustusbrücke hindurch geht es nun leicht hinauf, oben dann die Trennung von den Halbmarathonis. Wir laufen auf die Semperoper zu, deren erste Version 1838 bis 1841 von Gottfried Semper als Rundbau im Stil der italienischen Frührenaissance konzipiert und die nach Bränden und Kriegsschäden mehrmals wiederaufgebaut und erweitert wurde. Es gibt ja Marathonis, die Laufreisen auch mit musikalischen Höhepunkten verbinden. Ältere unter uns werden sich noch an die Westnachrichten vom 13.2.1985 erinnern. Dort wurde die Wiedereröffnung der Semperoper nach erfolgtem Wiederaufbau ausführlich gewürdigt.
Hinter der Oper liegt der Zwinger, ein Gebäudekomplex, der ab 1709 als Orangerie und Garten sowie als repräsentatives Festareal entstand. Das unter Leitung des Architekten Matthäus Daniel Pöppelmann und des Bildhauers Balthasar Permoser errichtete Gesamtkunstwerk aus Architektur, Plastik und Malerei gehört zu den bedeutenden Bauwerken des Barocks und zeugt von der Prachtentfaltung während der Regentschaft des Kurfürsten Friedrich August I, bekannt als „August der Starke“. Nach den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau in den 1950er und 1960er Jahren beherbergt der Zwinger heute die Gemäldegalerie Alte Meister, den Mathematisch-Physikalischen Salon und die Porzellansammlung.
Beim Jahrtausendhochwasser reichte die Flut bis hierher, 9,40 Meter über dem normalen Wasserstand. Auch Florenz wurde von einem furchtbaren Hochwasser im Jahre 1966 heimgesucht. Der Begriff „Elbflorenz“ bezieht sich allerdings nicht auf diese Parallele, sondern auf Kunstschätze und Architektur der sächsischen Hauptstadt und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt. Natürlich gibt es auch eine Städtepartnerschaft zwischen beiden Gemeinden und die Touristensteuer ist an der Elbe fast so hoch wie am Arno.
Judith fragt mich, ob ich die Sixtinische Madonna kenne, 1512/1513 geschaffen von Raffaello Santi, der auch in Florenz tätig war. Eher eine rhetorische Frage. Wobei ein Detail des von König August III erworbenen und heute in der Gemäldegalerie Alte Meister ausgestellten Kunstwerks sogar meinen indischen Kollegen ein Begriff ist: Die zwei kleinen Engel am unteren Bildrand sind weltberühmt und wahrscheinlich noch bekannter als die Venus von Botticelli in den Florentiner Uffizien.
Der große Verpflegungsstand liegt zwischen Semperoper und Katholischer Hofkirche, die der heiligsten Dreifaltigkeit geweiht ist und unter Kurfürst Friedrich August II durch Gaetano Chiaveri von 1739 bis 1755 im Stil des Barocks errichtet wurde. Hinten rechts sieht man den „Fürstenzug“, das mit 102 Metern Länge größte Porzellanwandbild der Welt. Es stellt die zwischen 1127 und 1873 in Sachsen herrschenden 34 Markgrafen, Herzöge, Kurfürsten und Könige aus dem Geschlecht des Fürstenhauses Wettin dar, mit teilweise recht lustigen Beinamen wie „Friedrich der Gebissene“. Verwendet wurden rund 23.000 Fliesen aus Meißener Porzellan.
Ich sehe die Fahnen der 4:15-Pacer und stelle fest, dass ich schon zu lange verweile. Ein kurzer Gruß an Judith und ich spurte los.
Die Augustusbrücke wird zurzeit saniert. Zukünftig soll sie nur der Straßenbahn, Radlern und Fußgängern vorbehalten sein. Auch wenn sie nicht so alt ist, kann man sie sicher mit der Regensburger Steinernen Brücke oder der Karlsbrücke in Prag vergleichen. Für uns Läufer ist aber auch heute genug Platz. Ein Blick zurück, dann weiter. Es empfängt uns die Rückseite des „Goldenen Reiters“. Das Standbild zeigt August den Starken hoch zu Ross und gilt als eine der bedeutendsten Skulpturen des Dresdner Barock. Wir umrunden das Westin Bellevue und das Japanische Palais, bevor es unter hübschen Zierbäumen dahin geht. Ein Foto des Canaletto-Blicks. Der Maler Bernardo Bellotto alias Canaletto hat im 18. Jahrhundert viele schöne Veduten europäischer Städte angelegt. Besonders gefallen mir die sehr detailverliebten Bilder Venedigs. Aber auch in Dresden hat er viele Panoramen gemalt. Der Canaletto-Blick von 1748 zeigt „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“.
Hinunter auf den Elbradweg. Langsam pirsche ich mich an das 4:15-Grüppchen heran. Unzählige Ministerien liegen links von uns. Nicht weniger als drei Sambabands auf einem guten Kilometer. Hinter Kilometer 24 gibt es eine Fähre zwischen Neustadt und Johannstadt auf der anderen Seite. Dann muss ich doch mal pausieren, um zwei Steinchen aus einem Schuh zu holen.18 Kilometer mit dem Stein unter der Ferse möchte ich nicht riskieren. Die 4:15-Gruppe zieht mit aufmunternden Worten vorbei.
In Waldschlösschen eine Wechselstelle für Staffeln. Dieser Wettbewerb mit vier ziemlich unterschiedlichen Längen wurde neu ins Programm aufgenommen und verbuchte auf Anhieb Meldungen von 72 Teams. Nochmals über die Brücke. Besonders interessant finde ich die Treppenstufen auf den beiden großen Bögen über den Fluss, über welche Fußgänger von den Elbwiesen hier hinauf kommen können.
Wir biegen nach Blasewitz ab, bei einem VP für uns und den Gegenverkehr. Es erwarten uns vier Kilometer durch feinstes Wohngebiet. Schöne, alte Villen gibt es zu sehen. Die Dresdnerin neben mir erklärt, dass es hier noch schöner ist als auf der anderen Seite in den Hängen hinter dem „Blauen Wunder“, einer alten Stahlbrücke, die wir Läufer leider nicht sehen.
Wir kommen wieder an die Elbe und könnten die fantastischen Ausblicke auf die Schlösser Eckberg, Lingnerschloss und Albrechtsberg genießen. Zumindest theoretisch, denn der für den Nachmittag vorhergesagte Wetterumschwung hat uns nun schon voll erwischt. Um zehn Grad fällt die Temperatur, Wind und Nieselregen verstärken den ungemütlichen Gesamteindruck. Außerdem habe ich meine Schönwetterkamera dabei.
Bei Kilometer 30 sind wir wieder auf der Fetscherstraße. Es folgt nun ein größtenteils schon bekannter Streckenabschnitt. Leider hat das Regenwetter viele Zuschauer vertrieben. Die Musikgruppen sind aber immer noch aktiv. Bei km 32 sehe ich Volker ein Stück vor den 3:29-Stunden-Pacern. Er hat schon 39 Kilometer hinter sich.
Ich laufe locker dahin und freue mich über meine konstante Geschwindigkeit. Ich habe wohl einen sehr guten Tag erwischt. Die Runde um den Großen Garten steht erneut an. An der Hauptallee zwei Statuen. Links erschlägt Herkules gerade den Busiris mit einer Keule. Schnell weiter, heute gibt’s keinen Hammer- und auch keinen Keulenmann für mich. Wir biegen in den Garten ein. Vor dem Palais steht immer noch die ältere Dame und applaudiert. Wahnsinn. Ich unterhalte mich mit einem Läufer aus Schleswig-Holstein. Wir sind wohl beide Genießer. Das Schönste am Marathonende sind doch die vielen Mitstreiter, die man noch überholen kann. Wenn man sich die Kräfte gut eingeteilt hat. Es geht über die Gleise der Parkeisenbahn, eine weitgehend von Kindern und Jugendlichen betriebene Eisenbahn auf der Liliputspurweite von 381 Millimetern. Außer Akku-Loks sind auch noch drei Dampflokomotiven im Einsatz. Die ehemaligen Pioniereisenbahnen waren und sind wohl eine Spezialität der ostdeutschen Nachbarn.
Der Hauptbahnhof liegt hinter der Gläsernen Manufaktur der Volkswagen Sachsen GmbH. Aber vorher gibt es noch den VP bei 37,5 km. Ich muss kurz nachfassen. Iso und Cola. Am Boden liegt noch eine Tube Gel. Mein Mitstreiter aus dem Norden hat sich schon abgesetzt. Die Gläserne Manufaktur wurde 2002 in Betrieb genommen und produzierte bis 2016 das Modell „Phaeton“. Seit 2017 stellen 380 Mitarbeiter im Zwei-Schicht-Betrieb 72 e-Golfs am Tag her. Der Transport erfolgt mit der CarGo Tram, einer Gütertram, die drei LKW-Ladungen aufnehmen kann. Rechts unter dem Werk kann man den Bahnhof dazu sehen. Die Tram Dresden haben wir heute gelegentlich schon in Aktion gesehen. 134 km ist das Netz lang und spaßeshalber habe ich Judith darauf hingewiesen, dass mir die Querung der Gleise hier Probleme bereitet, da die Spurweite 1450 mm beträgt, während alle anderen Trambetriebe die Normspurweite von 1435 mm nutzen. 15 mm können einen Marathoni schon aus dem Tritt bringen. Vor uns auch eine Trambahnweiche. Manchmal wird man früher oder erst ein Stück weiter hinten über die Gleise geleitet. Gibt es ja bei vielen anderen Marathons auch.
Inzwischen bin ich mir sicher, dass ein Ergebnis unter 4:10 locker möglich ist. Am VP 40 laufe ich vorbei. Der Gegenwind der ersten Runde hat nachgelassen. Ich freue mich auf den Weg hinunter zur Elbe. Auch hier stehen noch Zuschauer von der ersten Runde. Wir winken uns zu. In einem fanatischen Sprint jage ich den kleinen Anstieg nach oben, hinter der Semperoper vorbei. Viele Zuschauer sind noch hier. Moderator Artur erzählt gerade, dass heute ein neuer Rekord gelaufen wurde. Auch wenn er den Streckenrekord von Ezekiel Koech mit 2:10 meint, beziehe ich das gern auf mich, denn ich fliege nach 4:06:44 h ins Ziel.
Es ist sehr kalt, eine Folie wärmt ein bisschen. Ich warte auf Judith und versuche im Zielraum zu fotografieren, doch meine Finger sind nahezu erfroren. Habe ich gestern Abend wirklich noch Leute in kurzer Hose gesehen?
Ich genehmige mir ein Stück Dresdner Stollen alias Rosinenbrot und ein alkoholfreies Erdinger in Sichtweite der Semperoper. Dann versagen die klammen Finger. Mit Judith mache ich mich schnell auf den Weg ins Hotel. Kurzentschlossen bleiben wir noch eine Nacht. Bei einem günstigen Preis freuen wir uns über Sauna und Pool.
Der Dresden Marathon ist wirklich schnell, abwechslungsreich, bietet viel musikalische Unterhaltung und besonders auf dem ersten Teil auch viele Zuschauer. Der Median bei den Herren lag bei 3:50 h. Auch in höheren Altersklassen gab es sehr gute Ergebnisse. Ich werde sicher wieder kommen.
Siegerinnen Marathon
1 Klotz, Jasmin (GER) 02:58:48
2 Schlender-Kamp, Angelika (GER) 03:06:17
3 Elfers, Margrit (GER) 03:10:39
Sieger Mararthon
1 Koech, Ezekiel (KEN) 02:10:02
2 Kosgei, Edwin (KEN) 02:11:26
3 Ereng, Patrick (KEN) 02:22:29
Finisher
Marathon 1.273 (darunter 8 AUT, 6 SUI, 63 POL, 77 CZE)
Halbmararthon 3.497
10 km 2.026