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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (71)

 
Autor: Klaus Duwe

Bereits im Sommer wurde der Dresden Marathon 2020 abgesagt. Vielleicht hätte man für die Läuferinnen und Läufer ein Hygienekonzept gemäß den geltenden Vorschriften hinbekommen. Aber zu einem Citymarathon gehören viele tausend Zuschauer, die man weder ausschließen noch kontrollieren kann, Daran sind zuvor schon die allermeisten  Veranstaltungen gescheitert.

Ich erinnere mich an 2007. Das Wetter war zum Vergessen, die Erlebnisse und Eindrücke bleiben unvergessen:

 

 

 

Aber schön war es doch (2007)

 

Trotz des überdurchschnittlich schlechten Wetters in diesem Jahr war es an den  Wochenenden meistens schön. Einmal musste sich das ja ändern. Mich hat es in Dresden erwischt. Und das nenne ich Glück, denn es hätte ja auch eine Woche früher sein können. Da wäre der Brocken dann für Ski und Rodel gut gewesen.

 

 

Am Freitag und Samstag ging es mit dem Wetter ja noch. Es war kalt, aber die Sonne ließ sich mal blicken und die Vorhersage war, dass es auch am Sonntag so wird. Aber die lag voll daneben. Bereits in der Nacht regnete es so sehr, dass das schon wieder Hoffnung machte. Tatsächlich ließ es nach, aber länger wie 30 Minuten hörte es nie auf. Ich will nicht drum rum reden: So was nennt man ein Scheißwetter und freiwillig geht man nicht vor die Tür.

Aber wer ist „man“? Läufer gehören nicht dazu, denn 7505 (davon etliche in letzter Minute) haben sich für den Marathon, Halbmarathon und für den 10 km-Lauf angemeldet. Auch die unzähligen Helferinnen und Helfer, die freundlich, engagiert und gut gelaunt ihre Arbeit machen, fallen nicht darunter. Bleiben nur die Fans. Ja, genau, die sind’s. Zuschauer sind nämlich nicht so viele an der Strecke.

 

 

Aber der Reihe nach. Schon am Freitag gibt es im Congress-Center des Maritim Hotels die Startunterlagen. Parkplätze befinden sich in unmittelbarer Nähe oder man geht zu Fuß, denn in wenigen Minuten ist man von der Innenstadt aus dort. Die Räumlichkeiten sind perfekt und die Marathonmesse überraschend groß. Am Samstag gibt es sogar Livemusik, die Pasta wird im Maritim zubereitet, ein Kommentar zur Qualität erübrigt sich.

Wer nach Dresden nur wegen des Marathons kommt, verpasst was. Wer ein paar Tage bleibt, sieht ein wenig und bekommt Appetit auf mehr. So geht es mir. Ich versuche erst gar nicht, die Sehenswürdigkeiten hier aufzuzählen, geschweige denn sie vorzustellen. Ich beschränke mich auf das, was an der Strecke liegt.

 

 

Und auf das, was auf dem Teller liegt. Zum Frühstück genehmige ich mir ein Stückchen Stollen, der zu meiner Lieblingsleckerei in der Adventszeit gehört und verantwortlich ist für so manches Kilo, das ich dann im Frühjahr zuviel mit mir rum schleppe. Dabei war der Stollen einmal als sehr mageres Fastengebäck konzipiert, Butter und Milch verboten. Die jetzige Form hatte der Stollen allerdings von jeher. Sie soll an das gewickelte Jesuskind erinnern.

Ok, irgendwann ging den Regierenden der fade Geschmack auf den Zeiger und sie baten den Papst, für den Stollen das Butterverbot aufzuheben – vergeblich. Die Sachsen waren aber schon damals sehr hartnäckig und machten beim nächsten Papst  Innozenz VIII. einen erneuten Vorstoß. Der hatte ein Einsehen und erlaubte 1491 in einem Brief die Verwendung von Butter. Dass er sich seinen „Butterbrief“ teuer bezahlen ließ, sei nur nebenbei erwähnt.

 

 

Am Sonntag dominiert die Farbe gelb beim sonst bunten Läufervolk. In dieser Farbe sind die Folien, die der Veranstalter in weiser Voraussicht den Startunterlagen beigelegt hat. Trotz Regen und Kälte, die Stimmung ist gut - zumindest unter den Breitensportlern und Hobbyläufern. Die eingeflogenen Kenianer frieren in ihren dünnen Hemdchen vor sich hin. Die Elite-Läuferinnen und -Läufer aus Litauen, der Ukraine, Polen, Russland und auch aus Deutschland kommen da schon etwas robuster daher.

Gestartet wird in der Ostra-Allee, unweit des Congress Center, wo der Zieleinlauf ist. Dort in der Tiefgarage ist das Kleiderdepot. Pünktlich um 10.00 Uhr fällt der Startschuss. Die vielen Zuschauer und Trommler sorgen für eine prächtige Stimmung und lassen den Regen vergessen.

 

 

Sofort fällt ein Gebäude mit großer Kuppel und Minaretten auf. Was wie eine Moschee aussieht, ist die ehemalige Zigarettenfabrik Yenidze. Firmenchef  Hugo Zietz importierte Tabak aus eben diesem Yenidze (heute Griechenland), das damals unter osmanisch-türkischer  Verwaltung stand. Aus Werbegründen wurde 1908 das neue Fabrikgebäude im Stile einer Moschee errichtet, die Mineratte dienten dabei als Schornsteine. Den Dresdnern gefiel das zunächst überhaupt nicht. Der rührige Marketingmensch aber hatte ein Ziel schon erreicht: seine Fabrik war in aller Munde. Heute dient sie verschiedenen Firmen als Bürogebäude.

Über die Marienbrücke kommen wir in die Neustadt zum Palaisplatz (km 2) und in die Große Meißner Straße. Die Trommler, die glücklicherweise einen überdachten Standort gefunden haben, ziehen die ganze Aufmerksamkeit auf sich, sodass der Goldene Reiter links fast übersehen wird. Das überdimensionale Standbild zeigt August den Starken, sächsischer Kurfürst und polnischer König, wie er in Richtung Polen reitet.

Vom Neustädter Markt laufen wir über die Augustusbrücke und werden mit einem unvergleichlichen Blick auf die gesammelten Dresdner Sehenswürdigkeiten am Schloss- und Theaterplatz überrascht. Wollte ich euch jetzt die Geschichte vom Schloss, Georgenbau, der Katholischen Hofkirche, dem Zwinger und der Semperoper erzählen, würde dieser Bericht niemals fertig.

 

 

Wir rennen auf dem nassen Pflaster über den Theaterplatz. Sehr viele Zuschauer sind hier, sie sind wohl vom Startplatz schnell hier her gekommen. Beim Italienischen Dörfchen machen wir einen Rechtsschwenk zum Terrassenufer. Für den Bau der Katholischen Kirche hatte man Architekten aus Italien engagiert. Die wiederum brachten Künstler und Facharbeiter mit an die Elbe, für die in der Nähe der Baustelle kleine Häuschen errichtet wurden. Die Dresdner nannten diese Siedlung bald Italienisches Dörfchen.

Rechts sehen wir die Kathedrale, dann die Staatliche Kunsthochschule mit der Fama -Figur auf der Kuppel. Die Fama, das muss ich erzählen, ist in der römischen Mythologie die Frau, die niemals schläft, immer die Augen offen hat und alles schnell hinaus posaunt. Deshalb wird sie meist mit Flügeln und Trompete dargestellt. Sie ist die Personifizierung der Gerüchte und des Klatsches, Botin der nicht unterscheidbaren Wahrheit und Lüge – die Mutter aller Tratschweiber also.

 

 

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Impressionen (2016)

 

 

 

 

 

Links auf der Elbe liegen Fahrgast- und Hotelschiffe, dahinter sieht man den Regierungssitz und das Finanzministerium. Wir kommen zum Käthe-Kollwitz-Ufer (km 5), wo man in den inzwischen sanierten großen Wohnhäusern rechts der Elbwiesen sehr schön wohnt.

Inzwischen macht mir der Regen nichts mehr aus. Ich kann ihn sowieso nicht abstellen. Lästig sind mir aber die klatschnassen und deshalb kalten Füße, die ich mir in zwei knöcheltiefen Pfützen geholt habe. Jetzt, wo es zu spät ist, passe ich auf und laufe manchmal Slalom.

 

 

Wir erreichen den Großen Garten begrenzen. Seit 1813 ist der im 17. Jahrhundert als barocker Lustgarten nach französischem Vorbild errichtete, ca 2 qkm große Park der Öffentlichkeit zugänglich. Mitten drin steht das Palais Prinz Georg, 1676 der erste barocke Bau in Dresden. Um die andauernde Restaurierung kümmert sich ein Förderverein.

Kaum sind wir von der Hauptallee in der Lennéstraße (links sehen wir die Masten des Rudolf-Harbig-Stadions), kommen wir zu einer Attraktion aus neuester Zeit, der Gläsernen Manufaktur von VW. Hier wird Qualität groß geschrieben, 26 Meter genau. So groß ist das Q an der Außenfassade. Genau wie damals die Zigarettenfabrik von Hugo Zietz stießen die Pläne von VW auf großen Widerstand in der Bevölkerung. Und genau wie damals sorgte das für eine Riesen-Publicity, diesmal für das ehrgeizige Vorhaben von Ferdinand Piech, endlich eine Nobelkarosse mit dem VW-Zeichen auf den Markt zu bringen. Genützt hat das dem Phaeton genannten Automobil allerdings wenig. Er flopt so vor sich hin und die Kapazitäten werden inzwischen auch für die Montage anderer Modelle genutzt. Ansehen sollte man sich die Manufaktur aber auf jeden Fall, man muss ja nichts kaufen.

Die Trommler am Comeniusplatz  erreichen wir  jetzt von der anderen Seite und laufen links in die schon bekannte Fetscherstraße, wo auf der Gegenbahn schon wieder der führende Russe zu sehen ist. Aber wo sind die Kenianer?

 

 

Bei km 16 sind wir wieder an einer der zahlreichen und gut sortierten Verpflegungsstellen. Tee, Wasser, Iso, Cola, Bananen, Brot mit und ohne Rosinen, stehen zur Auswahl. Einen Kilometer weiter erwarten uns die nächsten Trommler und weisen uns rechts über die Carolabrücke Richtung Staatskanzlei. Dreimal rechts und wir sind am Königsufer unterhalb des Regierungssitzes. Ich behaupte mal, einen schöneren Arbeitsplatz gibt es nicht. Von hier hat man nämlich den berühmten Blick auf die barocke Silhouette Dresdens, die seit 2005 mit der wieder aufgebauten Frauenkirche vervollständigt ist.  Bilder sagen mehr als Worte …

 

 

Vor der Semperoper wird die Spreu vom Weizen getrennt, die Halben laufen nach ungefähr 500 Metern ins Ziel, die Marathonis gehen rechts zum Terrassenufer auf die zweite Runde. Trotz Regen und Kälte, ich habe keine Lust, auf den „Halben“ umzusteigen. Auch dass es jetzt ruhiger wird auf der Strecke, kann mich nicht schrecken - getreu meinem Grundsatz: „Lieber zweimal eine schöne Strecke laufen, als einmal eine unattraktive“. Und die Dresdner Strecke ist schön, das Wetter halt nicht. Aber das hatten wir schon.

 

 

Ganz gleich ist die Strecke nicht.  Wir laufen jetzt eine ungefähr 3,5 Kilometer lange Zusatzschleife entlang dem Elbufer, die sich wirklich lohnt. Wir schauen auf die bunt gefärbte Wald- und Rebhänge und entdecken bald die berühmten drei Elbschlösser am Loschwitzhang: Albrechtsberg, Lingner Schloss und Eckberg. „Mundgeruch macht einsam“ - stimmt doch heute noch, oder? August Lingner machte ein Geschäft daraus. Er erfand die Marke Odol und konnte sich schon 1906 davon ein solches Schloss leisten. Heute steht es leer, die Marke ist an einen britischen Pharmakonzern (gsk) verkauft und hat einen Marktanteil von 70 %.

Wir wenden und kommen in die Goethestraße. Die Häuser hier sind noch größer und noch prachtvoller als zuvor in der Parallelstraße, die Gärten parkähnlich und der Baumbestand teilweise uralt. Rechtanwälte, Ärzte und Institutionen haben hier ihr Domizil.

Knapp 16 Kilometer sind noch zu laufen, als wir wieder in die Fletscherstraße kommen. An der Verpflegungsstelle bietet die eine Hälfte der Helfer unermüdlich Getränke und Snacks an, die andere ist schon mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Ausdauer beweisen die Trommler, die unentwegt ihre Keulen schwingen und dabei gute Miene zum lauten Spiel machen. Nur die Liveband am Eingang zum Großen Garten hat gerade Pause, überbrückt die aber mit Musik aus der Konserve. Super drauf sind die Trommler an der Gläsernen Manufaktur, sie haben für jeden Läufer einen Tusch.

Ich bin auf der zweiten Hälfte nur am Überholen. Meine Halbmarathonzeit hat mir einen Schock versetzt, ich gebe Gas. Nur eine junge Frau überholt mich. Sie läuft so locker und wirkt so frisch, dass ich den Verdacht habe, sie macht bei einem inoffiziellen Staffellauf mit. Bei ihrem Tempo müsste sie nämlich glatt eine 3:30 laufen.

 

 

Ein Läufer fällt mir wegen seines Shirts auf. Er gibt nämlich nicht mit einem Marathon irgendwo auf der Welt an, sondern mit der Boygroup Nr. 1 aus den 60ern, den Rolling Stones. „It’s only marathon, but I like it“, singe ich beim Überholen und bin natürlich sofort im Gespräch. Klaus-Dieter heißt der Altrocker. Seit er sich 1967 bei seinem Vater mit der neuen Haarmode durchgesetzt hat, trägt er seine Locken lang. Als er vor 30 Jahren irgendwo gelesen hat, dass sich Mick Jagger mit Joggen fit hält, fing auch er mit dem Laufen an. Wir tauschen Anekdoten aus, über die man heute nur noch schmunzeln kann. „Aber schön war es doch“, so bringen wir unsere Erinnerungen auf einen Nenner.

 

 

Dann erreichen wir erneut den Theaterplatz, werden diesmal geradeaus geleitet und wenig später vor dem Congress Center von erstaunlich vielen Zuschauern empfangen. Die Medaillen und Wärmefolien werden traditionell von einer viatnamesischen Familie überreicht. Die Zielverpflegung ist üppig und zum Kleiderdepot in der Tiefgarage ist es ein Katzensprung.

Auf dem Weg zum Hotel erlebe ich, wie die Letzten ins Ziel geleitet werden. Ein Fahrzeug fährt hinter ihnen her, über Lautsprecher wird ihre Leistung gewürdigt und von der Historie des Rennens berichtet. Dann erklingt „We are the champions“, sie sind im Ziel.

 

Auf Wiedersehen beim Dresden Marathon am 17. Oktober 2021

 

Informationen: Dresden Marathon
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