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Laufberichte

Aus Versehen nach Biel

12.06.09
Autor: Joe Kelbel

Vor Km 80 kommt der Anstieg von Bibern. Wie der Name schon sagt, kein Läufer freut sich auf diesen Anstieg. Es ist 7:05 Uhr, wie die Zeittafel an der Verpflegungsstation sagt. Im offenen Stall sieht man Kühe vor riesigen Grünfutterbergen. Anlaß für mich, wiederum über unsere langweilige Verpflegung nachzudenken. Ich will nicht mehr, es macht keinen Spaß! Eine warme Erbsensuppe oder wenigstens ein starker Kaffee würde mir helfen, aber doch nicht diese schale Kunstbrühe!

Wir sind am Arch der Welt -  ja so heißt dieser Ort. Eine wunderschöne Streckenführung entlang der Aare beginnt. Es ist kurz nach 8 Uhr. Luxusboote liegen im Schilf. Schwäne dümpeln auf dem spiegelglatten Wasser, die Sonne wärmt, doch es läuft mir fröstelnd den Rücken runter.

Ich genieße die schöne Strecke und begehe einen schwerwiegenden Fehler: Ich träume von dem 99 km-Schild, welches ich bald fotografieren werde, von meinem Zieleinlauf mit 11 Stunden 30 und dem Finishershirt und einigen Glückstränen, die ich in weniger als 1,5 Stunden vergießen werde. Da schnürt sich augenblicklich mein Hals zu, und ich fange an zu heulen. Schluchzend  schüttele ich mich. Tränen rinnen, ich muss stehen bleiben. Nach Luft schnappend laufe ich langssam weiter und zwinge mich zur Ruhe.

Das 90-Kilometer Schild will nicht kommen. Die Zeit rennt schneller als ich. An der Verpflegungsstation steht Kilometer 86,5. Das kann doch nicht Wahr sein! Demnach sind noch nicht mal die 12 Stunden mehr haltbar. Wenigstens gibt es so keine Heulerei mehr.

Es sind wirklich schlimme Kilometer.  In Büren gibt es diese wunderschöne Holzbrücke. Zeit für Fotos und ein Armbad im Brunnen muss sein. Viele Leute sitzen an Kaffeetischen, genießen die für sie angenehme Sonne und sehen unserem absurden Kampf ungläubig zu.

Immer wieder gibt es kleine Steigungen, Brücken über die Kanäle rund um die Aare, Unterführungen oder Hügel. Um doch noch die 12 Stunden zu halten, kämpfe ich wie besessen, ich kann mir nicht leisten zu Gehen. Ich lasse die letzten 3 Verpflegungsstationen aus, ohnehin habe ich keinen Appetit.

Es ist ein äußerst schmerzhafter Kampf, dann sehe ich das 95-Kilometer Schild. Ich habe noch 35 Minuten Zeit um unter 12 Stunden zu bleiben. Ich weiß, daß unter normalen Umständen dies locker drin ist, doch es geht nix mehr. Immer öfter  kritisieren die Zuschauer offen meinen zombihaften Laufstil. Ein schwachköpfiger Mann erklärt sogar arrogant seiner blonden Begleitung seine eigene, elegante Laufhaltung.

Ab jetzt sind die Kilometer einzeln ausgewiesen. Ich rechne, kämpfe und stöhne. Die weitausladenden Schritte schmerzen höllisch, jede Armbewegung zieht ins Rückenmark. Die Lungen schmerzen, das hatte ich noch nie. Vorbei ist die Endspurt-Herrlichkeit vom Rennsteig, hier regiert der blanke Schmerz, die völlige Unlust.

Die Uhr über dem Zielbogen zeigt Sekunden über 12  an. Ich habe es geschafft! Die Nettozeit beträgt 11:59:10 Stunden.  Ich bin die ganze Nacht gelaufen und habe 100 Kilometer hinter mir, ich habe alles gegeben, für Tränen ist keine Kraft mehr.

Nein, ich bin nicht glücklich, Ich wäre glücklich, gäbe es da nicht noch einige Läufe jenseits der 100 …

 

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Informationen: Bieler Lauftage
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