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Laufberichte

Aus Versehen nach Biel

12.06.09
Autor: Joe Kelbel

Nach etwa 8 Kilometern sind wir aus der Stadt raus, es geht steil bergauf. Meine Beinmuskel schmerzen schon. Bei km 15 überholen uns die schnellen Halbmarathonläufer, die um 22:30 Uhr gestartet sind.

Immer wieder dunkle Waldstücke. Im Schein der wenigen Strinlampen tanzen die langen Schatten der Läuferbeine wie Mikadostäbchen über den holprigen Weg.

23:48 Uhr: Ich komme am Halbmarathonziel vorbei. Es ist viel los, der große Platz in Aarberg ist randvoll. Die Strecke der HM-Läufer ist nicht identisch mit unserer, denn wir haben noch einiges zu laufen bis zu Kilometer 21. Es geht durch eine Häuserunterführung. Schöne Stadt hier. Hinter Aarberg, nach der Holzbrücke gibt es eine Sprintwertung, doch ich sehe hier niemanden, der für 500 CHF einen Schritt schneller wird.

Der nächste Ort ist Lyss. Hier warten die Fahrradbegleiter, dick vermummte Gestalten, als ginge es um eine Antarktisexpedition. Suchende Blicke und Rufe, doch das Durcheinander hält sich in Grenzen. Es geht sehr steil aufwärts, auch hier warten immer noch zahlreiche Fahrradfahrer auf ihre Läufer.

Hinter der Steigung, bei km 25  gehts mir schlecht. Die Beine schmerzen und ich bin unterzuckert. So emotional so ein Nachtlauf ist, so hat er doch seine eigene Schwierigkeiten, denn der Körper hat seinen Biorythmus, und der hat jetzt keinen Extremlauf vorgesehen.

Magen und Co schlafen und ich brauche dringend neue Energie! Mir ist schweinekalt.Um 0:45 Uhr bin ich am vierten Verpflegungspunkt, greife an Nahrungsmittel was ich halten kann und laufe weiter.

Hinter Ammerzwil, unter der letzten Straßenlaterne, liegen halbverdaute Müsliriegelreste. Bei diesem Anblick landen meine Essensvorräte im Vorgarten. Ich zwinge meinen Magen zur Ruhe, bloß keine Mineralien loswerden! Mir geht es schlecht.

Nachts zu laufen, ist irgendwie so, als würdest du auf dem Laufband laufen und machst  dann die Augen zu. Unter dir läuft das Band gleichmäßig weiter. Dir wird schwindlig, du denkst du bist in einem Tunnel. Dann schreckst du auf: Lichter, Rufe und viele Menschen. In den vielen Orten sind die Wirtshäuser die ganze Nacht geöffnet und die Biertrinker gröhlen dir zu, bis du wieder die Augen zu machst und die Stille mit diesem seltsamen Tap-Tap-Tap der Füße dich umhüllt.

Samstag, 1 Uhr: der ¾ Mond schiebt sich langsam über den Horizont. In den hohen Wiesen zirpen die kleinen grünen Hüpfer, Sterne sind am Himmel sichtbar. Helle Wolkenstreifen masern den Nachthimmel, ich friere erbärmlich in den nassen Klamotten.

Seltsam sehen die vereinzelten Stirnlampen über den Kornfeldern aus: Wie außerirdische Irrlichter schweben sie, nicht ruckartig, denn ein Langläufer bewegt den Kopf nicht, eher wie schwebende Gespenster ohne Körper.Beim  Verpflegungspunkt Scheunenberg kann ich erstmals einige Brotstücke essen.

1:32 Uhr : Ein Typ kübelt mir vor die Füße, ich spüre wie warme Spritzer an meinen Beinen runter laufen. Ich will nicht meinen Senf dazugeben, unterdrücke den Würgreiz, und lausche noch meterweit seinem erbärmlichen Gewürge.

2:13 Uhr: In Oberramsern ist das Marathonziel, die Streckenführung ist nicht identisch mit unserer. Ich werde wach und registriere, daß ich über meinen Magen gesiegt habe.

Km 40: Eine Kontrollstation, es gibt einen Stempel auf die Startnummer. Das Licht macht mich entgültig  wach. Ich will laufen, doch es geht nicht. Irgendwas läuft hier nicht ! Niemand läuft, alle gehen. Es ist halb drei. Tatsächlich war dort eine Steigung, gesehen habe ich sie aber nicht.

Der Mond wirft jetzt angenehmes Licht. Links und rechts sind Kühe zu sehen. Kühe grunzen im Schlaf. Ich vermute, sie grunzen mit dem Magen, aber mit welchem ihrer 7 Mägen, das wissen wohl selbst die Kühe nicht. Solche Gedanken hat man beim Laufen. Ich vermute, ich habe dieselbe Überlegung auch bei den Schafen angestellt.

Km 45: es ist 3:02 Uhr . Ich bin zufrieden mit der Zeit . Wie ich gehofft hatte, hat mein Körper seinen Widerstand ab km 40 aufgegeben. Endlich kann ich frei laufen. Wie eine lange Reihe Friedhoflichter reihen sich die roten Rückleuchten der Fahrradbegleiter über zahlreiche Hügel bis zum Horizont. Das sieht sehr surrealistisch aus. Ich wehre mich gegen jede Gesprächsanbahnung, ich will nur meine Ruhe.

Bei Kirchberg, also Km 55, müsste irgendwo mein Gepäck mit den Ersatzklamotten und der Red Bull Dose sein. Doch es ist zuviel los hier. Viele Läufer geben hier auf. Helle Lichter und viele Menschen, Busse, voll mit Läufern.Überall offizielle Personen mit Leuchtschwertern, die irgendwie in der Luft rumfuchteln. Ich greife mir schnell ein paar Müsliriegel und haue ab.

Jeder hat wohl schon mal etwas vom Ho-Chi-Minh-Pfad von Biel gehört. Als ich den Eingang zu dem mystischen, weil extrem schwierigen Pfad erreiche, ist es schon fast hell. Doch in diesem von Gebüsch überwucherten Weg ist es stockdunkel.  Große Kieselsteine, Wurzeln und Äste machen den Lauf schwierig. Wir sind todmüde,  müssen  uns aber jetzt stark konzentrieren. Jeder Stein schmerzt an den Füßen. Jeder falsche Tritt erzeugt Schmerzensflüche. Ich bin froh, meine Stirnlampe dabei zu haben, denn so kann ich hier wesentlich schneller laufen als meine Mitstreiter.

Die Büsche und Gräser schlagen um die Beine und ins Gesicht. Die Zecken kleben glücklicherweise schon längst an den schnellen Läufern. Ich vermute, daß die Biester inzwischen ihren Lebenslauf an dieses jährliche Ereignis angepasst haben und schon rechtzeitig auf ihre Rampen geklettert sind. Wer will sich schon das Blut der Spitzenläufer entgehen lassen?

5 Uhr. Kilometer 60! Das schlimmste Stück ist geschafft. Jetzt geht es kilometerweit über den Emmendamm. Uriger Nebel gibt der Morgenszenerie den Touch eines großartigen Abenteuerfilms, es ist unglaublich, ich bin jetzt schon seit 7 Stunden nahezu ununterbrochen am Laufen, und jetzt dieser übernatürliche Anblick!

Unter der Brücke ist eine Verpflegungsstation, doch ich kann den ganzen süßen Glibberkram nicht mehr sehen! Ich möchte eine Bockwurst oder den guten Haferschleim vom Rennsteig, oder wenigstens einen Apfelsaft, aber es gibt nur trockenes Brot und Powerriegel. Der künstliche Saft ist auch nicht mehr nach meinem Geschmack, das Wasser ist abgestanden. Einzig die Orangenstücke erfreuen mich noch. Auf den Bänken hängen Gestalten und schlafen. Ich kann nicht erkennen. ob Läufer, Radbegleitung oder Zuschauer.

Es folgen verschlafene Ortschaften. Nur der Zeitungsausträger ist schon unterwegs und ein Mann kommt mit einer Brötchentüte aus dem Bäckerladen. Ein ganz normaler Morgen, wenn da nicht so ein paar Verrückte wären.

Km 70:  Das sieht nicht gut aus. Am Rennsteig war ich schneller. Appetitlosigkeit und Müdigkeit, Frustration und Nahrungsmangel machen mir zu schaffen. Aber die Morgensonne verleitet mich stehen zubleiben um Fotos zu schießen. Endlich sehen wir die schöne Landschaft.

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Informationen: Bieler Lauftage
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