Etwas düster wirkt derzeit noch die Promenade. Die Sonne, die sich zu Beginn des Laufes zeigte, hat sich hinter Wolken verzogen und das dichte Blattwerk läßt kaum Licht durch. Für die gute Laune sorgt da eher das Publikum, das uns bei der Unterführung bei KM 7 mit einer La Ola begrüßt. Bis etwa KM 8 kann ich anschließend noch die Promenade genießen, ehe ich über den Ludgerikreisel den Marienplatz erreiche.
Den Platz beherrscht ein Flaschentrockner mit 50 Armen. Das Kunstwerk wurde im Rahmen der Skulptur.Pojekte 1997 durch Huang Yong Ping geschaffen, der sich dabei vom Kreuz in der dahinterliegenden Ludgerikirche inspirieren ließ. Wobei die Christusfigur dieses Kreuzes aufgrund von Schäden im 2. Weltkrieg keine Arme mehr hat. Besichtigen kann ich auch das jetzt nicht, denn beim Marathon bin ich immer in Bewegung und kann dabei nur die Eindrücke sammeln, die mir direkt vor die Augen kommen. So bleibt mir auch die nachfolgende Läuferschar verborgen, denn obwohl die Strecke parallel zur Promenade zur Salzstraße führt, trennt mich die Wohnbebauung von ihr.
Erst als ich nach links in die Salzstraße einbiege bietet ein kurzer Blick nach rechts Orientierung. Der Name der Straße zeugt von dem, was früher hier gehandelt wurde. Im Mittelalter war Salz sehr begehrt. Da war es natürlich förderlich, wenn man in einer großen Handelsgesellschaft vertreten war. Wie viele andere Städte war Münster deshalb auch Mitglied der Hanse, wovon die zahlreichen hier im Pflaster eingelassenen Steine zeugen. Sie kamen zum Hansetag 1993 anläßlich der 1.200 jährigen Geschichte Münster aus vielen Städten der ehemaligen Hanse in die Stadt.
Die Gedanken an das Salz machen mich jetzt aber durstig, da kommt die nächste Getränkestelle gerade recht. Sie besticht durch ihre beeindruckende Kulisse, dem Erbdrostenhof. Der Erbdroste war im Mittelalter der Verwalter der jeweiligen Landesherren, in diesem Fall des Fürstbischofs von Münster. Muß ganz schön was abgeworfen haben, wenn sich die Drosten solche stattlichen Häuser davon leisten konnten. Nur nicht zu sehr beeindrucken lassen, sonst bleibe ich noch vor Ehrfurcht stehen. Lieber drehe ich mich um und setze mich wieder in Bewegung. Kurz vor KM 10 erwartet mich erstmals der Prinzipalmarkt. Der Turm von St. Lamberti grüßt von weitem. Zeit für den Einlauf ist es noch nicht, so wende ich mich nach links. Die 10 KM-Marke mit ihrer Zeitmeßanlage bestätigt mir, daß ich voll im Soll liege.
Über die Aegidistraße führt die Strecke jetzt Richtung Aasee. Am Aegiditor warten bereits die Staffelläufer zur ersten Übergabe. Ich lasse mich nicht irritieren, schließlich werde ich vorbildlich rechts an der Wechselzone vorbeigeleitet. Den Weg kenne ich noch von heute Morgen, führt er mich doch direkt zur Jugendherberge. Bevor ich sie erreiche, führt mich eine schmale Gasse bei KM 11 links ab in Richtung Scharnhorststraße. Unter den Anfeuerungsrufen vonSilke und Nikita biege ich ein. Das Läuferfeld ist mittlerweile so weit auseinandergezogen, daß dieses kleine Nadelöhr trotz mittlerweile überholenden Staffelläufern keinen Stau verursacht.
Wie war das nochmal mit dem Blick? Den Aasee verliere ich hier für ein paar hundert Meter aus den Augen. Dafür fällt mir ein Stand für Diabetiker auf, der bei diesem Marathon betroffenen Läuferinnen und Läufern die Gelegenheit zur Überprüfung ihres Blutzuckerspiegels bietet. Vorbidlicher Service, auf den ich glücklicherweise nicht angewiesen bin. Ich kann mein gleichmäßiges Tempo ohne Unterbrechung fortsetzen und überquere bei KM 12 bereits den Aasee. Über die Wasserfläche grüßt von Norden die Überwasserkirche.
Das Ufer des Sees ist als Park angelegt, der auch viel von den hiesigen Joggern genutzt wird. Auch heute falle ich mit meiner goldenen Startnummer auf, die mich als fleißigen Münsteraner Marathonläufer ausweist. Ich bin dankbar für meine regelmäßigen Teilnahmen und weiß es richtig einzuschätzen, denn nicht jedem ist es vergönnt, über einen Zeitraum von 14 Jahren oder länger fit für einen regelmäßigen Marathon zu bleiben. Ein leichter Sprühregen reißt mich aus meinen Gedanken. Sollte es jetzt doch noch nass auf der Strecke werden? Meine Befürchtungen verflüchtigen sich schnell, denn als ich bei KM 13 vorläufig das Ende des Aasees erreiche, ist das Regenintermezzo bereits Geschichte.
Auf den folgenden Kilometern passiere ich das LBS-Gebäude. Hier starten später die Kids zu ihrem Zieleinlauf. Einige warten bereits aufgeregt. Kurz darauf treiben mich die Rhythmen einer mir seit Jahren bekannten Trommlergruppe an. Sie trauen dem Wetter noch nicht so richtig und haben es sich unter einem Zeltdach eingerichtet. Auch wenn ich mich bereits deutlich von der Kernstadt entferne, ist der Zuspruch der Zuschauer immer noch groß. Als ich nach rechts auf den äußeren Ring einbiege, brandet mir ein richtiger Jubelsturm entgegen.
Die folgenden Kilometer führen mich noch über das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Überwasser, die 1875 nach Münster eingemeindet wurde. Und ja, die Überwasserkirche gehörte dazu, auch wenn sie nie auf dem Gemeindegebiet lag. Dafür gab es hier viele Wiesen und Felder. Heute allerdings nicht mehr, denn der Platz wurde unter anderem für notwendige Uni-Erweiterungen genutzt. So passiere ich bei etwa KM 16 das naturwissenschaftliche Zentrum. Links glänzt das Kunstwerk „Square Depression“ in der Sonne. Aufdringlich wirkt es aber nicht, da es wie eine auf dem Kopf stehende Pyramide in den Boden gebaut ist. Auch dieses wurde im Rahmen des Kulturprojektes skulpturen errichtet. Dieses alle 10 Jahre in Münster stattfindende Event gibt Künstlern die Gelegenheit, den öffentlichen Raum zu gestalten. Einige bleiben dann dauerhaft erhalten und bereichern das Stadtbild.
Und wieder bin ich aufgefallen. Schon zum zweiten Mal wird mir angeboten, mich fotografieren zu lassen. Diesmal von Daniel, der auch seinen Einstand auf der Marathonstrecke gibt. Da wir derzeit gleich schnell unterwegs sind, nutze ich die Gelegenheit zu einem angenehmen Plausch. Bei so angenehmer Unterhaltung merke ich die nächsten Kilometer kaum. Auch die Brücke kurz vor KM 20 spüre ich kaum. Trotzdem kommt mir die anschließende Verpflegungsstation sehr gelegen. Ich nutze die Flüssigkeitsaufnahme, um ein paar Meter gehend zu entspannen.
Kurz hinter der Halbmarathonmarke erreiche ich Nienberge. Am Ortseingang findet bereits der zweite Staffelwechsel statt. Den frischen Läufern hat sich Daniel wohl angeschlossen, denn seit der letzten Verpflegungsstation habe ich ihn nicht mehr gesehen. Wie ich hinterher erfahre, ist er auf der zweiten Hälfte tatsächlich deutlich schneller unterwegs gewesen. Bei seinem Debüt hat er damit gleich einen negativen Split erreicht. Ich brauchte dafür einige Marathonläufe mehr und gratuliere zur perfekten Renneinteilung. Mir klingt derweil Helene mit ihrem „Atemlos“ entgegen. Die Zuschauer wiegen sich dazu im Takt. Ich schließe mich nicht an, sondern konzentriere mich auf das Laufen. Noch liegen 20 Kilometer vor mir und ich will meine Lieben nicht zu lange warten lassen.
KM 23, ich verlasse Nienberge. Die nächsten 4,5 Kilometer führen durch Feld und Flur nach Roxel. Werden wir Läufer jetzt uns selbst überlassen? Nein, denn auch hier bilden sich an jeder Kurve und jeder Straßenüberquerung Zuschauer- und Stimmungsnester. Für Abwechslung ist also weiter gesorgt.
Kulturelle Highlights gibt es auf diesem Abschnitt natürlich wenig. Nur Haus Vögeding bildet da eine Ausnahme. Bei KM 25 ist es erreicht. Ursprünglich lag diese Anlage auf einigen Inseln. Davon ist heute allerdings nicht mehr viel zu erkennen, nachdem in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die Gräfte zum größten Teil verfüllt wurden. Das übrig gebliebene Nass interessiert mich wenig, denn zum Trinken eignet es sich nicht, schon eher das Angebot der hier eingerichteten Verpflegungsstation. Das gibt neue Kräfte für die folgenden Kilometer und die brauche ich auch, denn über das flache Land bläst mir jetzt ein kräftiger Wind entgegen.
Nicht nur mich bremst der Wind aus, sondern auch die Topläufer, wie ich nachher erfahre. Für einen neuen Streckenrekord reicht es in diesem Jahr erneut nicht. Auch wenn das Tempo bei mir nicht die entscheidende Rolle spielt, bin ich froh, bei etwa KM 28,5 Roxel zu erreichen. Die Bebauung gibt ein wenig Windschatten und das Laufen fällt wieder leichter. Der nächste Powerpoint wartet bereits. Getragen von einer Welle der Euphorie biege ich nach links ab. Über die Straße ist eine Leine gespannt mit den mir bekannten Finisher-Shirts aus Münster. Auch die Kleinsten lassen es sich nicht nehmen, die Teilnehmer zu versorgen. „Du schaffst es“ wird mir zigfach zugerufen. Das glaube ich auch.
KM 30 ist nach 2:45 Stunden erreicht. Heute müßte es doch mal wieder für eine Endzeit unter 4 Stunden reichen. Motiviert mache ich mich auf die letzten Meter durch Roxel. Den hier angebotenen Massageservice schenke ich mir, denn noch fühle ich mich fit. Kurz darauf passiere ich den letzten Staffelwechsel. Die Wechselzone ist noch gut gefüllt. Hinter dem Absperrzaun wirken die Staffelteilnehmer wie Rennpferde, die bereits mit ihren Hufen scharren. Dies merke ich bereits kurz nach der Wechselzone. Links und rechts überholen mich Staffelläufer mit frischen Kräften. Links läuft Dieter Baumann. Daß ich den einmal auf der Strecke erwische, hätte ich nicht gedacht. Das ist mir einen kleinen Zwischenspurt wert. Als er sieht, dass ich Marathon laufe, rät er mir aber, etwas langsamer zu machen. Das hatte ich sowieso vor, denn mit ihm mithalten kann ich heute sowieso nicht.
Gemütlich biege ich nach links ab, um Gievenbeck noch einmal zu durchlaufen. Wie bereits im Kreuzviertel erwartet mich gefällige Architektur, nur deutlich moderner. Gievenbeck ist gerade in den letzten Jahren ein beliebter Wohnort für junge Familien geworden. Davon zeugt der grüne Neubau des Steingymnasiums. Früher war es in der Nähe des Schloßplatzes und bei den ersten Marathonläufen in Münster Ort der Startnummernausgabe. Das dynamische junge Publikum hält mich in Schwung.
Habe ich tatächlich bereits 33 KM hinter mir? Meine Beine beantworten mir diese Frage eindeutig mit ja. Vielleicht doch schon übersäuert? Aber für einen 6er Schnitt wird es wohl noch reichen. Obwohl, zahlreiche Grills am Streckenrand sind mittlerweile am Glühen. Ob ich anhalte und nach einem Würstchen frage? Beinahe gebe ich den Gelüsten nach. Dann erwarten mich Engel und verleihen mir Flügel. Gleich werden meine Schritte wieder etwas leichter, auch wenn das Tempo nicht mehr schneller wird. Hauptsache im Tritt bleiben. KM 36,5 liegt hinter mir. Der Powerpoint Gievenbeck sorgt für Stimmung und trägt mich weiter. KM 37 ist erreicht, an der Kaserne verlasse ich Gievenbeck. Aber stimmt es, daß ich für den letzten KM 7 Minuten gebraucht habe? Die geplante Endzeit im Kopf, rechne ich nach. Für sub 4 wird es wohl immer noch reichen. Selbst ein paar Gehschritte sind noch drin. Ein Mitläufer muntert mich auf: Komm mit, ist nicht mehr weit. Weiß ich ja und beginne erneut zu traben.
KM 41 ist geschafft. Die Umrundung des Aasees habe ich jetzt vollendet. Bereits hier ist für die Zuschauer abgesperrt. Es sind tausende, ich habe freie Bahn. Macht Platz möchte ich rufen, um zu überholen. Aber die Beine machen nicht mit. Dann lieber weiter im gewohnten Trott. Ist auch viel angenehmer. Hinein durch das Aegiditor in die Innenstadt. Die Stimmung ist der helle Wahnsinn. Das macht Münster keiner nach. Letzte Trommler treiben mich voran. Nur noch nach rechts einbiegen in Richtung Prinzipalmarkt. Da wartet schon Nikita auf mich, um mich ins Ziel zu schleppen. Klappt nur bedingt. Trotzdem lege ich noch etwas Tempo zu. Erst kommen die Wimpel in Sicht und dann endlich das Ziel. Der Geräuschpegel steigt noch einmal an. Ich bin nur am Genießen. Bilder mache keine, das ist heute Chefsache.
Ich hab’s geschafft. Die Uhr halte ich bei 3:57:05 Stunden an. Perfektes Timing. Die Anspannung schlägt um in Freude. Hat aber wieder ganz schön Kraft gekostet. Aber es war herrlich. Ich lasse ich mir gerne von Nikita die Getränke reichen und freue mich auf die Dusche, die schön heiß die ersten müden Geister wieder vertreiben.
Münster war wieder ein Erlebnis, der Start im nächsten Jahr ist fest eingeplant.
Ergebnisse:
Männer:
1. Josphat Kiprono, 2:12:16
2. Weldon Kirui, 2:12:34
3. Mekuant Ayenew Gebre, 2:12:53
Frauen:
1. Nancy Koech, 2:30:23
2. Abiyote Eshetu Deme, 2:37:31
3. Jana Groß-Hardt, 2:40:59
Streckenbeschreibung:
Kurs über eine Runde.
Zeitnahme:
Champion-Chip
Weitere Veranstaltungen:
Staffelmarathon und Kids-Marathon
Startgeld:
Marathon: 45 - 50 – 60 €, je nach Anmeldezeitpunkt
Auszeichnungen:
Medaille, Urkunde im Internet, Finisher-Shirt, Veranstaltungsfilm zum download
Verpflegung:
17 Verpflegungs- und Erfrischungspunkte an der Strecke und Verpflegung im Ziel. Gereicht werden Powerrade, Wasser und Cola. Dazu Bananen- und Apfelsinenstücke. An den Erfrischungspunkten nur Wasser.
Zuschauer:
zigtausend an der gesamten Strecke, besonders geballt zudem an den Powerpoints und im Ziel.