Zurück zu den Anfängen führt mich der Weg ein weiteres Mal nach Münster. Als eine der Marathonveranstaltungen, die Anfang der 2000er Jahre wie Pilze aus dem Boden schossen, präsentiert sich der beliebteste Marathon in Westfalen heute stärker denn je. Mit insgesamt über 12.000 Teilnehmern verzeichnet er erneut eine Rekordbeteiligung und stößt an seine Grenzen. Ausgebucht sind die angebotenen Strecken über 28 Kilometer, Charity-Lauf, Gesundheitslauf und Kidsrun. Dazu die Staffeln, bei der sich 4 Läuferinnen und Läufer den Marathon teilen. Nur die Königsdisziplin hatte zuletzt etwas geschwächelt. Doch auch hier kann man mit über 4.000 gemeldeten Marathonis an die erfolgreichen Anfangsjahre anknüpfen.
Aufgrund der Kommunalwahl in NRW ist der angestammte Termin diesmal eine Woche nach hinten gerutscht. Passend zum Ende des Sommers sind noch einmal warme sonnige Tage, zumindest bis Samstag angekündigt, weshalb wir gemütlich am Samstag anreisen. Nachdem wir eingecheckt haben geht es zur bewährten Startnummernausgabe im Gymnasium Paulinum. Trotz der Rekordbeteiligung geht es ruhig zu, weshalb ich meiner Nummer schnell in der Hand habe. Ich treffe auf Klaus, der bei der diesjährigen Ausgabe erneut als Pacemaker dabei ist. 2017 haben wir beide in Münster unseren 100 Marathon vollendet. Seine Zielzeit dieses Jahr liegt bei 4:45 Stunden. Mit der kann ich mich anfreunden, weshalb ich mich schon darauf freue, gemeinsam mit ihm auf die Strecke zu gehen.
Anschließend bleibt noch genügend Zeit, die westfälische Metropole zu genießen und letzte Kräfte für den Sonntag zu tanken. Der Marathonsonntag beginnt, wie vorausgesagt, deutlich kühler. 20 Grad sollen nicht erreicht werden, dafür bleibt der befürchtete Regen aus. Temperaturmäßig ein idealer Lauftag. Auf dem Schlossplatz finden sich die Pacemaker ein. Klaus wird heute für seine Gruppe von Petra unterstützt, mit der ich vor 2 Jahren in Wilhelmshaven zum ersten Mal gemeinsam unterwegs war. Pünktlich werden wir auf die Strecke gelassen.
Im hinteren Feld geht der Startschuss fasst unter. Gemächlich nähern wir uns der Startlinie. Rechtzeitig können wir in einen Laufschritt übergehen und befinden uns schon auf der Strecke. Rechts und links säumen zahlreiche Zuschauer die Straße. Lautstark werden wir angetrieben. Die ersten Meter nach Süden, vorbei am Paulinum mit der Startnummernausgabe. Nach dem Lauf bestehen hier Möglichkeiten zum Duschen und seine Medaille gravieren zu lassen.
Kurz darauf biegen wir am Aegiditor links ab und laufen Richtung Innenstadt. Der erste Kilometer gibt hier bereits einen Vorgeschmack auf den letzten, denn in diesem Bereich sind sie identisch. Doch davon trennen mich noch 40 Kilometer. Erst einmal biege ich nach links ab. Hier nähern wir uns wieder dem Schlossplatz. Hier applaudieren uns die Zuschauer ein zweites Mal. Rechts vor mir läuft ein Finisher des Hermannslaufes. Als mehrfachem Teilnehmer weckt dies natürlich mein Interesse, weshalb ich Michael und seiner derzeitigen Begleitung ein wenig lausche. Da wir alle Drei aus Ostwestfalen stammen, wird es sehr unterhaltsam auf den kommenden Kilometern. Die Überwasserkirche haben wir nach knapp zwei Kilometern voraus im Blick, dafür das für die Wilsberg-Verfilmungen genutzte Antiquariat Sölder nicht. Links entschwindet der Kiepenkerl und schon führt uns die Neubrückenstraße zum ersten Mal in Richtung Promenade, dem ehemaligen Festungsring, dem wir nach Westen folgen. Heute wird die Promenade hauptsächlich als Fahrradstraße genutzt, bleibt während des Marathons aber uns Läufern vorbehalten.
Nach einem kurzen ersten Eindruck von der Promenade biegen wir nach Norden ab. Auf den folgenden Kilometern durchlaufen wir das Kreuzviertel. Dieses gründerzeitliche Wohnviertel mit seinen zahlreichen Gebäuden im Jugendstil schmeichelt dem Auge. Die zahlreichen Bäume sorgen für ein angenehmes Klima, auch heute beim Laufen. Wegen der zahlreichen Cafes, Boutiquen und Restaurants verwundert seine Beliebtheit nicht. Die Zuschauermenge reißt auch nicht ab und kurz vor KM 5 wartet die erste von insgesamt 15 Verpflegungsstation. Vorerst genügt das gereichte Wasser, das bereits hier zahlreiche Mägen füllt.
Jetzt dauert es nicht mehr lange und das Kreuzviertel liegt hinter uns. Bei etwa KM 6,5 sind wir zurück auf der Promenade, die uns hier nach Süden führt. Die dicht belaubte Allee hat bei früheren Auflagen häufig vor den heißen Sonnenstrahlen geschützt. Bisher vermisse ich sie heute. So folgen wir der Promenade dicht beschattet bis zu deren Ende am Ludgeriplatz. Rechts abbiegend kommt die gleichnamige Kirche, einer der ältesten Sakralbauten Münsters, in den Blick.
Parallel zur Promenade durchlaufen wir die Klosterstraße. Vorbei geht es an der Synagoge, die heute wieder von der Polizei geschützt wird. An der Salzstraße biegen wir links ab. Würden wir der ältesten Handelsstraße Münsters bis zu ihrem Ende folgen, wären wir schnell im Ziel. Doch dann würden entscheidende Kilometer fehlen. Lieber folgen wir der Strecke und erreichen den Stadthausturm. Errichtet Anfang des 20. Jahrhunderts, ist er eines der wenigen Gebäude in der Altstadt, das die Bombenangriffe im 2. Weltkrieg fast unbeschadet überstanden hat. An ihm vorbei dürfen wir nach rechts einen ersten Blick auf den späteren Zieleinlauf werfen.
10 KM liegen hinter uns, als wir der Aegidistraße nach Süden folgen. Am gleichnamigen Tor wartet die erste Staffelablösung. Zahlreich sind wir von den ersten Startern bereits überholt worden. Erkennbar an den Staffelschildern auf dem Rücken.
Von den frisch auf die Strecke gehenden Läuferinnen und Läufern lassen wir uns nicht irritieren. Auch weil wir weiter im Gespräch vertieft bleiben. Rechts grüßt der Aasee. Leicht ansteigend führen die nächsten Meter zum Kardinal-Von-Galen-Ring. Als Löwe von Münster bekannt, war der beliebte Bischof einer der Wenigen, der sich in seinen kritischen Predigten ungestraft den Nationalsozialisten entgegenstellte.
Auf dem Ring überqueren wir den Aasee, um ihn kurz darauf in Richtung Nordosten hinter uns zu lassen. Einfach geradeaus laufend erreichen wir die Himmelsreichallee. Ein Drittel des Marathons sind gemeistert und das Tempo scheint auch okay. Petra und Klaus habe ich immer noch im Blick. Dafür verliere ich Michael an einer der Verpflegungsstationen.
Die folgenden Kilometer führen in Richtung Nordwesten durch Gievenbeck nach Nienberge. Über den äußeren Ring laufe ich zum Naturwissenschaftlichen Zentrum Münsters. Das Verlassen des Ringes markieren 3 Trecker mit Anhänger, geschuldet einem verschärften Sicherheitskonzept. Dabei fühle ich mich den ganzen Marathon über sehr sicher.
Kurz nach einer Unterführung biege ich links ab. Früher war es hier sehr hell. Doch die im Boden eingelassene umgekehrte Pyramide musste einem Erweiterungsbau der medizinischen Fakultät weichen und der Abschnitt wirkt wie eine Straßenschlucht. Doch nur kurz, denn dann werden die Straßen deutlich breiter. Ich erkenne den bunten Besenbus und hoffe, ihm nicht noch einmal zu begegnen. Im Norden von Gievenbeck wartet ein aufgelockertes Wohngebiet, bevor ich über Land zur Halbmarathonmarke nach Nienberge geführt werde. Wie immer sind hier viele Bewohner an der Strecke und feiern „ihren“ Marathon. Die Stimmung, für die der Münster Marathon bekannt ist, ist wieder überwältigend.
Ich bin in Richtung Nienberge unterwegs, als die Sonne die Wolken verdrängt. Damit hatte ich heute nicht mehr gerechnet. Dazu weht ein kräftiger Wind, der hörbar an meiner Startnummer zerrt. Immer wieder böig auffrischend wird er mich bis ins Ziel begleiten. Locker ausschreitend erreiche ich die Halbmarathonmarke. Von fetzigen Trommelrhythmen begleitet, laufe ich unermüdlich voran. Hier am Anfang von Nienberge warten erst die nächsten Staffelläufer und dann wieder zahlreiche Zuschauer, die mich durch den Ort treiben. Es kommt mir vor, als gäbe einen Wettstreit, welcher Vorort am meisten Zuschauer und Stimmung an die Strecke bringt.
Schon liegen 23 Kilometer hinter mir und es erwarten mich die nach Süden in Richtung Roxel führenden Kilometer. Zahlreiche Bäume spenden immer wieder Schatten. Zuschauer warten und unterstützen an den verschiedenen Kreuzungen. Die meisten von ihnen sind, wie im Münsterland üblich, mit dem Rad unterwegs. Immer wieder treiben mich Trommlergruppen an und auch für die nötige Stärkung wie mit dem Verpflegungspunkt am Haus Vögeding ist gesorgt. Der Abschnitt bleibt so die ganze Zeit kurzweilig und so ist bei KM 28 Roxel schnell erreicht.
Im Gegensatz zu Nienberge ist Roxel seit Beginn des Münster Marathons in die Strecke eingebunden. Die Zuschauer hier haben also reichlich Erfahrung im Anfeuern und zeigen dies auch. Kurz bevor ich den Ort verlasse, passiere ich KM 30. Immer noch bin ich mit Petra und Klaus unterwegs und fühle mich dabei nicht schlecht. Beste Voraussetzungen für das letzte Viertel, zumal die folgenden Kilometer auf der Roxeler Straße einiges an mentaler Stärke erfordern.
Nachdem der letzte Staffelwechsel noch einmal für Abwechslung sorgt, geht der Blick weit voraus, denn bis Gievenbeck bei KM 33 geht es fast nur geradeaus. Da ist die Anwesenheit der Pacer doppelt hilfreich. Über der Straße hängen an einer Leine zahlreiche Finisher-Shirts, für alle Jahrgänge ist sie mittlerweile nicht lang genug. Die Spinning-Gruppe tritt kräftig in die Pedale, kommt aber die jedes Jahr nicht vom Fleck. Dann werde ich auf dem Walk of Fame begrüßt, die Anwohner unterstützen füttern uns mit Traubenzucker, zur Erfrischung sind diverse Gartenduschen aktiv.
Dann liegt KM 35 hinter mir. Mitten in Gievenbeck fällt mir das Laufen wie immer schon schwer, weshalb ich Klaus und Petra endgültig ziehen lasse. Ich orientiere mich an vereinzelten Mitläufern, die auch schon in den Gehen-Laufen-Wechselmodus übergegangen sind. Aus Gievenbeck heraus wartet noch einmal eine Steigung. Ein Marathonneuling macht einen verzweifelten Eindruck. Ich kann ihn ermutigen, dran zu bleiben. Wer es bis hierhin schafft, schafft es auch ins Ziel. Insgesamt geben die Veranstalter den Marathonis 6 Stunden Zeit. Aber so lange wollen wir nicht unterwegs sein.
Auf den letzten Kilometern strahlt die Sonne mit den Läufern und Zuschauern um die Wette. Cheerleader feuern uns an. Bevor der bunte Drache Feuer spuckt, habe ich ihn passiert. Wer mag, kann sich bei afrikanischen Rhythmen mit einem Schoppen Wein auf das Finish einstimmen. Die Aegidistraße bringt uns zurück in die Innenstadt und zum Ziel auf dem Prinzipalmarkt. Ich lasse mir Zeit und genieße die einmalige Atmosphäre und den Applaus der vielen Zuschauer. Dann lasse ich mir die wohlverdiente Medaille umhängen.
Auch in diesem Jahr war der Münster Marathon einer der läuferischen Höhepunkte für mich. Keine Frage, ich bin auch 2026 wieder am Start ….