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Laufberichte

Verrückt nach Marathon

 

Luzern im Ausnahmezustand

 

Spätestens das sich bei km 19 vor uns aufbauende KKL signalisiert uns: Wir sind zurück. Im Herzen der Stadt. Und das heißt: Raus aus dem Outback, rein in einen Hexenkessel. Vor sechs Jahren führte uns der Kurs noch außen um das KKL herum. Das gilt heute nicht mehr. Denn seit 2012 geht es mittendurch. Durch das rückwärtige Tor des KKL tauchen wir von einem Moment zum anderen ein in eine kunstnebeldurchwaberte schwarze Höhle, diffus von farbig grellem Licht durchzuckt, erfüllt von tosendem Applaus und krachenden Beats. Von der Decke baumeln Hunderte geisterhaft schwarzlichtbeleuchteter Sportschuhe. Ein wahrlich marathonisches Gesamtkunstwerk. Und ganz profan gesagt: Der absolute Hammer! Ich komme kaum dazu, all das wirklich aufzunehmen, schon bin ich wieder draußen und finde mich mitten auf dem Europaplatz.

Und hier, wieder bei Tageslicht, geht das Spektakel unvermindert weiter. Beidseits des durch Absperrgitter begrenzten Streckenkorridors empfangen uns Zuschauer in dichtgedrängten Reihen. Es gibt wohl niemanden, den die geballten Emotionen, die einem hier entgegen fluten, kalt lassen. Wir dürfen uns fühlen wie auf einem Triumphzug der Matadore durch die Arena. Wie beflügelt lassen wir uns über den Europaplatz gen Seebrücke tragen. 

Und hier erwartet mich gleich die nächste Neuerung: Anno 2008 war das Innere der Altstadt noch tabu für uns Läufer gewesen und wir wurden via Seebrücke direkt zum Start-/Zielbereich zurück gelotst. Das ist seit letztem Jahr anders. Unmittelbar vor der Seebrücke zweigen wir nach links ab und folgen der Reuss flussaufwärts. Die Bilderbuchkulisse der Kapellbrücke mit dem Wasserturm und der Altstadt im Hintergrund begleitet uns.

Über die Reussbrücke, ausgelegt mit einem Teppich in den Schweizer Nationalfarben, dürfen wir die Flussseite wechseln. Und rein geht es in die schmalen kopfsteingepflasterten Gassen. Vorbei an den oft überbordend mit Malereien verzierten und mit prächtigen Zunftzeichen behangenen mittelalterlichen Fassaden ziehen wir von Platz zu Platz: Weinmarkt, Kornmarkt, Kapellplatz heißen die Stationen. Wunderschön ist diese Passage, nur fliegen auch hier die vielfältigen Eindrücke viel zu schnell vorüber. Ehe wir uns versehen, haben wir unseren Altstadtausflug am Schwanenplatz direkt am See schon wieder beendet.

Über den bereits wohlbekannten Schweizerhofquai und die Haldenstraße geht es direkt dem Ausgangspunkt unserer läuferischen Luzern-Reise am Verkehrshaus entgegen. Für Stimmung und Trubel entlang der Strecke sorgen jetzt nicht mehr nur die weiterhin omnipräsenten Zuschauer, sondern auch die uns auf der mit Kegeln abgetrennten Gegenspur entgegen kommenden Läufer: Es sind die schnelleren Marathonis auf dem Weg zur zweiten Runde.

 

Und alles noch einmal

 

Bei km 20,5 ist es soweit: Der gemeinsame Lauf der Halb- und Vollmarathonläufer endet hier. Mit anderen Worten: Für vier von fünf Läufern geht es geradeaus weiter zum Finish im nahen Verkehrshaus. Jeder fünfte hat sein Ziel noch nicht erreicht und muss / darf in die 21 km-Ehrenrunde.

Kurz und schmerzlos ist der Wendepunkt. Einfach mal 180 Grad gedreht und schon finde ich mich selbst auf der Spur der Schnelleren wieder, wo ich mir anschauen darf, wer, was und wie da noch hinter mir dahin trabt. Wegen der dichten Scharen, die mir entgegen kommen, ist für mich zunächst noch kaum fühlbar, dass sich das Feld auf meiner Spur kräftig ausgedünnt hat. Und so koste ich ein weiteres Mal die grandiose Stimmung auf und an der Strecke aus, die mir via Schweizerhofquai, Schwanenplatz, Seebrücke und KKL entgegen schlägt.

In meinem Bericht von 2008 hatte ich geschrieben: Die Kilometer 19 bis 23 in Luzern sind unvergleichlich und mit Sicherheit ein Grund, allein deswegen hier einmal dabei zu sein. 2014 muss ich diese Aussage korrigieren: Denn diese Kilometer sind …. noch unvergleichlicher geworden. Germanisten mögen mir diesen sprachlich unkorrekten Komparativ nachsehen. Aber wie soll ich es anders ausdrücken? Mit dem Durchlaufen des KKL und der historischen Altstadt hat es der Veranstalter tatsächlich geschafft, die Attraktivität dieses Abschnitt nochmals zu steigern. Und wie damals scheint die Innenstadt förmlich Kopf zu stehen, verwandeln die vielen Tausend Zuschauer die Strecke in einen wahren Hexenkessel. Man wird den Eindruck nicht los: Die Luzerner sind verrückt nach Marathon. Und die Läufer danken es Ihnen, indem sie in immer größeren Scharen nach Luzern strömen. Fast 11.000 auf allen angebotenen Distanzen sind es in diesem Jahr. Und das in einer Stadt mit gerade einmal 80.000 Einwohnern. 

Wie schon damals gilt aber auch heute: Die Ernüchterung kommt bei km 23. Hinter dem KKL bin ich mit meinen marathonischen Mitstreitern auf einmal allein unterwegs und es gibt auch nur noch wenige Zaungäste, die diese Einsamkeit kaschieren. Anders als auf der Runde eins bleibt uns das Gewerbegebiet hinter dem KKL erspart und wir dürfen mit einer herrlichen, herbstlich eingefärbten Allee vorliebnehmen. Nicht erspart bleiben uns allerdings die 20 + 30 Höhenmeter im Folgenden, die sich auf Runde zwei nun schon mehr als Berge denn als Hügel anfühlen. Umso mehr schätze ich auf der zweiten Runde die dichte Streckenversorgung. Etwa alle zwei Kilometer gibt es Wasser und meist auch Isotonisches, Bananen und Energieriegel, zuletzt zudem Gels, gereicht von Hundertschaften engagierter Helfer. 

Hinter Kastanienbaum ab km 30 wird die Einsamkeit noch ein wenig größer. Am See entlang höre ich außer dem leisen Getrappel der Schuhe keine anderen Geräusche mehr. Die Sicht über den See hat sich leider nach wie vor nicht gebessert, dennoch empfinde ich dieses Streckenstück, gerade auch als Kontrapunkt zu den Volksaufläufen in Luzern und Horw, als eines der schönsten und entspannendsten des Rundkurses.

In Horw werden wir schnell ins Leben zurück geholt. Gefeiert wird hier noch immer. Kein Wunder: Der Start des 5 Mile Run rückt näher. Deren Teilnehmer werden später das Feld der  verbleibenden Marathonläufer von hinten aufrollen. Ein kluger Schachzug: Denn sie sorgen dafür, dass die langsameren Marathonis auf dem Weg ins gemeinsame Ziel im Verkehrshaus nicht vereinsamen. 

Die folgenden Kilometer via Allmend und Luzerner Vorstadt sind die wohl härtesten. Primär  die Vorfreude auf die Nebelhölle im KKL hält mich im matten Trab. Dann endlich: Ich tauche ein in unwirklich intensives Blau. Wie in einem Aquarium komme ich mir vor, nur dass eben nicht mehr so viele Läufer-Fischli durchschwimmen wie auf der ersten Runde. Dennoch wirkt das KKL motivationsmäßig wie eine Energiedusche. Wer sich bis hierher durchgekämpft hat, für den sind die letzten Kilometer nur noch Formsache. Zwar harren nicht mehr ganz so viele Zuschauer entlang des Kurses wie auf der ersten Runde, aber immer noch genug, um die dahin tröpfelnden Marathonis auf den finalen Kilometern durch die Altstadt und über die lange Zielgerade gen Verkehrshaus zu treiben.   

 

Finish im Verkehrshaus

 

Unter Verkehrsmuseum stellt man sich in der Regel eine kompakte Ansammlung aller möglichen Verkehrsmittel vor, eher etwas für Mobilitätsfreaks. Nennt sich das Verkehrsmuseum dann auch noch „Verkehrshaus“, macht das die Sache nicht unbedingt spannender.

Wenn man das erste Mal dem Verkehrshaus in Luzern begegnet, ist man jedoch schnell geneigt, alle Vorurteile über Bord zu werfen. Natürlich gibt es auch hier in- wie outdoor vieles zu bestaunen, was der Fortbewegung zu Lande, zu Wasser und in der Luft dient, aber alles verpackt in eine geradezu künstlerisch anmutende Erlebniswelt. Kein Wunder, dass das Museum das meistbesuchte der Schweiz und seit 2009 das wohl einzige Museum der Welt ist, in dem ein Marathon endet.

Das nahende Ziel ist zunächst noch nicht zu sehen, aber durchaus zu hören. Ein beträchtlicher Teil der Zuschauer ist anscheinend aus dem Zentrum gen Ziel gezogen und bereit, den müden Helden der klassischen Distanz einen rauschenden Empfang zu bereiten. „Welcome“ prangt in großen Lettern über dem Tor zum weitläufigen Innenhof des Museumsgeländes. Und dann geht die Post so richtig ab. Die letzten hundert Meter sind einfach unglaublich. Ein Menschenmeer wogt beiderseits der Strecke und feuert uns, dicht an dicht über die Banden gebeugt, zum Endspurt an. Über den roten Teppich, vorbei an wehenden Fahnen und den Cheerleader-Girls, persönlich über Lautsprecher vom Zielspeaker begrüßt – so fliegen wir durch den Zielbogen. Was für ein Finale! 

Medaillen- und finishershirtdekoriert, ein kühles Zielbierchen in Händen und nun selbst Teil des Jubel-Trubels kann ich resümieren: Verrückt nach Marathon mögen die Luzerner sein. Doch wer hier gefinisht hat, der wird verrückt nach Luzern sein. Ganz unverhohlen daher mein Tipp: Save the date. Am 25.10.2015 ist es wieder soweit.

 

Siegerliste Marathon

 

Männer

1. Dietiker Reto, Hochdorf     2:30.19,6  
2. Bolt Daniel, Schiers   2:32.53,3  
3. Chiquet Jérôme, Dübendorf   2:34.47,0  

Frauen

1. Inauen Franziska, Luzern   2:55.50,8    
2. Hegner Simone, Bern        3:06.05,6   
3. Hertenstein Simone, Liestal   3:06.34,9  

1595 Finisher

12
 
 

Informationen: SwissCityMarathon Lucerne
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