"Der Marathon ist die Königsdisziplin am SwissCityMarathon – Lucerne, welche die Veranstaltung zum Highlight für Laufbegeisterte aus der ganzen Welt macht. Der SwissCityMarathon – Lucerne ist DER Stadt-Marathon der Schweiz."
Wenn ein Veranstalter sein Event mit diesen Worten lobt, wundert das einen nicht. In diesem Fall bestätige ich aber ausdrücklich jedes Wort. So wundert es nicht, dass Läuferinnen und Läufer von Marathon4you regelmäßig am Start sind und in Wort und Bild berichten. Dieses Jahr wäre die 19. Auflage gewesen. Wäre ...
Eine Veranstaltung ragt heraus: Es ist die von 2012. Hier mein Bericht.
Nein, ich habe nichts gegen die Schweizer. Nein, die Luzerner haben mir nichts Böses getan. Ich bin es leid, mich dafür zu rechtfertigen, dass ich beim Lucerne Marathon bisher nicht am Start war. Dabei ist der Grund ganz einfach: Daniel, unser Schweizer Freund, ist hier Stammgast und meist in Doppelfunktion als Pacer und Schreiber unterwegs. Wo immer es geht, vermeide ich es, ihm über den Weg zu laufen, um stattdessen von anderer Stelle zu berichten. Umso mehr freue ich mich, wenn die Ausnahme die Regel bestätigt.
Gleich als die erste Meldung über den bevorstehenden Wintereinbruch über die Nachrichtensender verbreitet wird, lasse ich mein Gefährt auf Winter umrüsten. Wohl wissend, dass mir das wenig nützt, wenn ich auf schneebedeckter Autobahn zwischen sommerbereiften Autos stecke. Aber einmal muss ja doch sein, warum nicht jetzt?
Trotz Schneefall blitzt es zweimal auf der Autobahn. Zweimal bin ich, so hoffe ich, nicht gemeint. Es lohnt sich, in der Schweiz diszipliniert zu fahren. Es drohen happige Strafen. Ich kenne jemand, der musste ein paar hundert Euros zahlen und durfte sich wegen Fahrverbots einige Monate nicht bei den Eidgenossen blicken lassen.
Mit ziemlicher Verspätung komme ich in Luzern an. Einchecken, Mails abrufen, Seite aktualisieren, dann noch schnell die Startunterlagen im Hotel Schweizer Hof abholen, Schwätzchen machen und schon dämmert es. Stadtbesichtigung? Würde sich lohnen. Ich komme aber nur bis zu einem Italiener, bei dem noch zwei Stühle frei sind. Eine Pizza oder ein Teller Nudeln kosten so viel wie bei uns ein Steak im Maredo. Aber das hatten wir schon mal. Gäbe es den Mindestkurs von 1,20 nicht, sähe es für uns Euro-Zahler noch schlimmer aus.
Luzern ist eine vergleichsweise „junge“ Stadt. Die Gründung, so schätzt man, erfolgte um 1200. Umso rasanter war die Entwicklung als Verwaltungsstadt und Stützpunkt im stark zunehmenden Verkehr über den Gotthard. Markenzeichen der am Vierwaldstädtersee zwischen Pilatus (2128 m) und Rigi (1798 m) gelegenen Stadt ist die Kapellbrücke mit dem Wasserturm, 1365 als Wehrgang gebaut, heute Touristenattraktion und Verbindung zwischen der durch die Reuss getrennte Alt- und Neustadt.
Es ist kalt und es schneit unaufhörlich. Ich nehme mir vor, die Stadtbesichtigung an Weihnachten nachzuholen. Dann scheint bestimmt die Sonne bei 20 Grad.
Am Morgen wartet ein großzügiges Frühstück-Buffet zu extra früher Stunde auf die Läufer samt Begleiter. Ich sündige mich durch das leckere Angebot, aber in kleinen Dosen. Dann pilgere ich der verschneiten Promenade am See entlang zum Startplatz beim Schweizer Verkehrshaus. Heute ist ideales Wetter, um einen Tag zwischen Autos, Schiffen und Lokomotiven im meistbesuchten Schweizer Museum zu verbringen. Aber die, die den Wallfahrtsort der Technik-Freaks heute bevölkern, zieht es gleich wieder nach draußen.
Zuvor kriege noch mit, warum Daniel sich den Luzern Marathon nicht ausreden lässt. Als Pacer genießt er Privilegien, die vielleicht einmalig sind und der noch nicht einmal unsere Katrin Dörre-Heinig widerstehen kann. Sie coacht die 1:45 Stunden-Halbmarathonis, Daniel die 4:45-Marathonis. Auf einer separaten Etage teilen sich die Pacer großzügige Räumlichkeiten und Kaffee und Gipfeli mit den staffellaufenden Parlamentariern und den Presse-Fritzen. Auch ein harter Trailer wie Daniel hat es mal gern, wenn er gepampert wird. „Wenigstens ist es orange“, tröstet er mich, als ich reklamiere, dass er mit dem offiziellen Pacer- statt mit seinem Diensthemd an den Start geht. Gleichzeitig überlässt er mir exklusiv die Reportertätigkeit.
Gute Laune vor dem Start ist bei Hobbyläufern und Breitensportlern obligatorisch. Heute scheint es, als würde das nasskalte Schneetreiben den Fun-Faktor statt zu killen eher noch zu steigern. Die etwas wetterempfindlicheren Eliteläufer sind erst gar nicht am Start. Auch das hat nichts mit dem Wetter zu tun. Denn wo keine Antritts- und/oder Siegprämien locken, laufen sie auch bei schönem Wetter nicht. Und so hat, wer als Fun-Runner, Hobbyläufer oder Breitensportler in der Lage ist, 42,195 km zwischen 2:30 und 2:40 Stunden (Mädels unter 3:00 Stunden)abzuspulen, eine echte Chance, am Ende ganz vorne zu landen.
Bewegung ist das beste Anti-Kältemittel. Ist man nicht gerade Trommler, hat man als Musiker da nur eingeschränkte Möglichkeiten. Zum Glück ist die „Uniform“ der ersten Guggemusik wintertauglich. 9.00 Uhr, es geht los
Die Haldenstraße führt direkt am See entlang. Auf dem bunten Laub der Bäume liegt dick der Schnee. Die Ausflugsschiffe haben heute außerplanmäßig einen Ruhetag. Kein Mensch hat bei diesem Wetter Lust auf eine Fahrt auf den von Bergen umgebenen, weit verzweigten Vierwaldstättersee, an den vier Kantone grenzen: Uri, Unterwalden, Schwyz und Luzern. Dem Wasser schreibt man Trinkwasserqualität zu. Im Sommer wird er bis zu 22 Grad warm, jetzt vielleicht 10. Die Luft ist kälter, es hat knappe Plusgrade.
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Wo die Reuss in den See mündet, laufen wir über die Seebrücke zum Europaplatz. Rechts sieht man auf die Kapellbrücke mit ihrem über 200 m langen, mit Blumen geschmückten, überdachten Holzsteg. Der achteckige Wasserturm musste in seiner langen Geschichte, er wurde um 1300 erbaut, schon für vieles herhalten. Als Eckpfeiler der einstigen Stadtbefestigung war er Schatzkammer, Kerker und Folterkammer. Heute findet man dort einen Souvenirladen und das Vereinslokal des Luzerner Artillerievereins.
Vorbei am Bahnhof kommen wir zum KKL, über das es später was zu sagen gibt. Zunächst fällt auf, dass hier unglaublich viele Menschen die Läuferinnen und Läufer feiern. Unglaublich deshalb, weil man sich weiß Gott was Besseres denken kann, als bei Schnee und Kälte anderen beim Sporteln zuzusehen. Dem Gekreische der Fans folgt der getragene Vortrag der Alphornbläser, der wiederum wird abgelöst von den schrägen Klängen der „Luzärner Häxe“. Die Guggemusiker haben in Marathonkreisen eine guten Namen, denn auch beim Zermatt Marathon sind sie unermüdlich im Einsatz. Der Schwung tut gut, die Straße geht jetzt nämlich deutlich spürbar aufwärts (km 5).
Die Strecke ist ein 21 km langer Rundkurs von der Stadt aus um die Halbinsel Horw, zum gleichnamigen südlichen Vorort von Luzern und zurück in die Stadt. Marathonis laufen die Strecke zweimal. 1635 Läuferinnen und Läufer sind mit dieser Absicht gestartet, nur 217 sind davon aus unterschiedlichen Gründen abgekommen. Ich lasse es auch mit einer Runde gut sein, bin allerdings bereits mit dieser Absicht losgelaufen.
Wir sind jetzt endgültig raus aus der Stadt und kommen auf den nächsten 6 bis 7 km entlang dem Seeufer nur durch ein paar kleine Ortschaften und sonst durch viel Landschaft, deren Schönheit man nur erahnen kann. Denn außer verschneiter Wiesen und Bäume und den grauen See sieht man nichts. Nichts vom Pilatus, nichts vom Rigi. Und es schneit weiter.
Brigitte Mahlburg düst an mir vorbei. Sie ist ja bekanntlich die eine Hälfte unseres 2011er Hero-Paares. Sie mag es normalerweise nicht sehr laut, eher etwas abenteuerlich und rustikal. So gesehen ist das ihr Glückstag heute. Zu Schnee und Kälte kommt jetzt auch noch der Wind.
Ist man Schalke-Fan, hat man zurzeit Oberwasser. Marcel ist so einer. Ich will ihn provozieren: „Ganz schön mutig, im Schalke-Dress zu laufen“, hört er mich sagen, nachdem er die Stöpsel aus den Ohren nimmt. „Warum?“ „Na, dreimal hintereinander verloren!“ „Gewonnen, dreimal gewonnen!“, brüllt er und hundert Läuferinnen und Läufer wissen jetzt Bescheid. Dann zeigt er mir noch stolz, dass die „04“ sogar in seiner Startnummer enthalten ist.
Wir haben die Südspitze der Halbinsel erreicht und laufen dem Ortszentrum von Horw (km 13) zu. Mann, Mann, sind die Schweizer zäh. Nie und nimmer hätte ich erwartet, dass hier so viele Zuschauer sind. Nicht nur im Ort, auch außerhalb wird musiziert und geklatscht. Klasse, Leute, ich zahl’s Euch heim. Ich komme wieder.
„Warum lachst Du?“ fragt mich eine Läuferin. „Ich freue mich!“ „Du weißt aber schon, morgen ist nicht Weihnachten“, klärt sie mich auf und weg ist sie. Das hätte sie mal Nadina mit der roten Zipfelmütze sagen sollen. Sie strahlt, als wäre gleich Bescherung.
Apropos: Sch…. öne Bescherung denke ich, als ich zum wiederholten Mal in eine tiefe Pfütze trete. Das mach ich weder mit Absicht noch aus Dusseligkeit, sondern wegen eingeschränkter Multitasking-Fähigkeit. Nach fast jeder Aufnahme muss ich das Objektiv am Fotoapparat putzen und das Display abtrocknen. Dazu ist meine Brille entweder beschlagen oder nass. Beides macht blind. Und dann soll ich ja auch noch laufen.
Ich bin fast völlig orientierungslos. Irgendwann kommen uns Läufer entgegen. „Aha, eine Wendepunkt-Passage“, denke ich noch. Ich erkenne nicht, dass wir auf dem Abschnitt sind, wen wir zu Beginn schon einmal gelaufen sind. Die Entgegenkommenden sind also die ganz Harten, die Marathonis auf der zweiten Runde. Den richtigen Durchblick habe ich dann beim KKL, dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern. Dass der multifunktionale Bau wegen seiner Akustik hochgelobt wird, kann ich jetzt auch nachvollziehen. Wir laufen nämlich mitten durch und lassen uns von gefühlten tausend Zuschauern beklatschen und bejubeln. Nicht nur weil es drinnen trocken und warm ist, würde ich gerne noch bleiben.
Nichts da, raus in den Winter, noch gut zwei Kilometer sind zu laufen. Auf der Seebrücke herrscht reger Verkehr. Zahlenmäßig deutlich überlegen sind die entgegenkommenden Läuferinnen und Läufer auf ihrer zweiten Runde. Die Stimmung ist noch immer prächtig und nicht nur am Schwanenplatz und vor dem Schweizer Hof wird musiziert. Es gibt auf der Haldenstraße weitere noble Hotels, die darauf eingerichtet sind, Zuschauer und Fans sowohl musikalisch als auch mit feinen Speisen und Getränken zu verwöhnen. Alleine die Marathonis danken für den Einsatz, für Schampus am Streckenrand ist das Wetter einfach nicht passend.
Erst überholt mich Patrick Jeanneret, er gewinnt den Marathon in 2:36 Stunden, dann kommt Daniel mit seinem 4:45-Gefolge. Auffallend Monika mit dickem Schnee auf dem Mützenschirm, aber kurzer Hose. Aufgepasst, das Mädel macht ihren ersten Marathon, widersteht der Versuchung, mit mir ins Ziel zu laufen und rennt ohne zu zögern Daniel hinterher auf die zweite Runde. Respekt.
Auf kürzestem Weg, nämlich durch’s Verkehrshaus, geht es jetzt ins Ziel. Wir rennen auf eine blaue Wand mit lauter Straßenschildern zu. Die Leute spielen verrückt, beklatschen und bejubeln die Läufer. Der rote Teppich ist mehr weiß als rot, dann endlich ein Dach über dem Kopf, noch mehr Zuschauer, Cheerleaders, eine Bombenstimmung, ein Händedruck vom OK-Chef Hansruedi Schorno, das war’s. Klasse, kann ich nur sagen.
So geht’s auch weiter. Den kostenlosen Leihchip tauscht man gegen die Medaille, dann kommt man in den Versorgungsbereich. Appetitlich wie auf dem Markt werden die Köstlichkeiten präsentiert. Und trotz Massenansturm kommt man schnell zu seinem Finisher-Shirt, denn für jede Größe gibt es einen extra Zugang. Perfekt!
Ich gelobe, ich komme wieder. Den Aufwand mit dem Schnee kann man sich dann aber sparen. 15 Grad und etwas Sonne genügen mir. Ich laufe dann auch zwei Runden und werde Letzter.
Letzter werden in Luzern geht so: Träger der Fahnen der teilnehmenden Nationen bilden ein Spalier. Die Cheerleader-Mädels geben noch einmal alles. Der Sprecher kündigt den letzten Läufer an. Gedränge an der Bande, jeder will in die erste Reihe. Applaus und Gejohle, Körpereinsatz bei Fotografen und Kameramännern. Den fast verlegen die Huldigungen entgegennehmenden Läufern folgen die Treichelschwinger. Ihr Geläut vermischt sich mit den Alphornklängen und dem tosenden Applaus. Das Läuferfest ist zu Ende.
Bei allem Lob und aller Klasse – etwas fehlt, das Tüpfelchen auf dem „i“, wie man so schön sagt. Damit meine ich, dass man von der schönen Altstadt so viel wie nichts zu sehen bekommt. Aber das muss ich dem OK-Chef Hansruedi Schorno und seinen in verantwortlichen Funktionen tätigen Söhnen Reto und Beat nicht sagen. Sie haben bereits ein neues Konzept in petto: den SwissCityMarathon Lucerne. Wäre es nur der Name, würde ich darüber nicht schreiben. Es wird aber am 27. Oktober 2013 tatsächlich durch die Altstadt gelaufen, und zwar vom KKL via Bahnhofstraße, Reussbrücke, Kapellgasse in den Schweizerhofquai.
Bravo sage ich da nur. Jetzt komme ich erst recht wieder.
Auf Wiedersehen beim SwissCityMarathon Lucerne am 31. Oktober 2021