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Laufberichte

Das Geheimnis des Erfolgs

31.10.10

Die nächste erwartet uns ungefähr dreieinhalb Kilometer vor dem Wendepunkt. Zurück auf der  Begegnungsstrecke, bekomme ich einen Eindruck, mit welcher Geschwindigkeit die unterwegs sind, welche schon sieben Kilometer Vorsprung auf mich haben. Auch Körper- und Gesichtsausdruck zu beobachten,  ist wirklich interessant. Bis zum Wendepunkt und zurück widme ich mich in erster Linie der Studie der Entgegenkommenden und dem Versuch, Bekannte darunter zu erkennen.

Langeweile kommt nicht auf.

Jetzt, nach dem erneuten Passieren des KKL und dem Verlassen der Begegnungsstrecke, dürfen wir nun auf der zweiten Runde unter dem bunten Blätterdach des Alpenquais laufen. Nicht, dass ich wieder die Schulbank drücken möchte, doch die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule am Alpenquai beneide ich ein wenig. Die Lage dieses Gymnasiums ist so traumhaft, dass ein Fensterplatz in dieser Bildungsinstitution wenigstens nicht nur Nachteile mit sich bringt…

Wir werden wieder vom See weggeführt, an verschiedenen Sportstätten vorbei. Leichtathletikbahn, Hartplätze, Sporthalle und Eishockeyarena, es gibt da eine richtige Massierung von Sporteinrichtungen, doch das Hauptereignis findet auf der Straße statt und entsprechende Beachtung. Die Reihen haben sich zwar auf der zweiten Runde stark gelichtet, trotzdem halten uns viele Zuschauer die Treue. Wie es dann etwas ruhiger wird, befinden wir uns schon in den oberen Zwanzigern und wissen, dass in wenigen Kilometern nochmals Hochstimmung herrschen wird.

Die Kilometer fliegen nur so vorbei.

Bekanntlich laufe ich seit geraumer Zeit nur noch mit Trümmerteilen einer Kamera. Solange diese Teile aber immer noch zusammenspielen, hindert mich nichts daran, für unsere Leser damit Bilder einzufangen, mit denen ich  ausdrücken kann, was ich zu beschreiben versuche. Dass der Objektivverschluss  meist nicht mehr schließt und beim Öffnen manuelle Unterstützung braucht, ist eine der kleinen Macken, mit denen ich leben kann. Ich sehe jedoch, dass auf der Linse ein dicker Fingerabdruck prangt, habe aber kein trockenes Stückchen Stoff an und auf mir, mit welchem ich diesen ungewollten Weichzeichner entfernen könnte.

Guter Rat ist teuer. Ich steure auf die nächste Zuschauergruppe zu, peile den Herrn im Baumwollhemd an und frage ihn, ob er mit seinem Hemdärmel das Objektiv reinigen und mir damit aus der Patsche helfen könne. Ohne Angst, in die Falle einer versteckten Kamera treten zu können, poliert er das Glas und ermöglicht mir, meinem Auftrag für die Leserschaft weiter nachzugehen.
Mit selbstverständlicher Hilfsbereitschaft.

Irgendwo auf dieser Seite der Horwer Halbinsel schließe ich zu einem unübersehbaren Teilnehmer auf, den ich schon im Startbereich getroffen habe. Robert Bishton reiste aus Fort Myers Beach im US-Bundesstaat Florida in die Zentralschweiz. Obwohl er erst seit sechs Jahren so richtig läuft, bestreitet er heute seinen 159. Marathon. Weil der 60-Jährige seine Wettkämpfe in Cowboy-Montur bestreitet – heute mindestens mit Cowboy-Hut und Halstuch- ist er als „Cowboy-Jeff“ in den Staaten bereits eine Legende. Bishton ist Co-Direktor des Madison-Marathons in Montana, des auf 2800-3000 Meter höchst gelegenen US-Marathons. Von dieser Veranstaltung habe ich erst heute erfahren. Robert wusste schon vorher vom Lucerne Marathon.

Das nennt man weltweite Ausstrahlung.

Kurz nach Kilometer 30 trübt ein plötzlich auftretender stechender Schmerz im untern linken Schienbein meine Euphorie. Keine Ahnung, was das ist. Es gab keine Vorwarnung und das ganze Jahr über keine einschlägigen Anzeichen.
Ablenkung verschafft mir, dass ich eine Läuferin einhole und mit ihr ins Gespräch komme, die ich aufgrund ihres Shirts als Mitglied eines Fünferteams erkenne, welches für die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft läuft. Eine Laufschuh-Firma hat fünf Läuferinnen ausgesucht und ihnen einen Coach zur Seite gestellt, um sie auf ihren ersten Marathon vorzubereiten. In der ganzen Vorbereitung wurden schon Spenden gesammelt und für ihren Einsatz am Lucerne Marathon haben sie auch ihre Sponsoren. Eine diese Damen, Brigitte, habe ich mit ihrem Mann zufällig bei der Startnummernausgabe getroffen. Das erste Mal wieder seit über 25 Jahren kreuzen sich unsere Wege wieder…  Jetzt treffe ich auf Conny, welche als von der Krankheit Betroffene dabei ist. Ihr Wille, sich mit ihrer Krankheit so zu arrangieren und diese Herausforderung anzunehmen, fasziniert mich. Warum für dieses Unterfangen gerade der Lucerne Marathon ausgesucht wurde, vergesse ich zu fragen.

Sie hatten wohl ihre guten Gründe.

Im Zentrum von Horw ist immer noch gute Stimmung, die Zuschauer sind immer noch voll Engagement entlang der Straßen aufgereiht oder feuern uns von Straßencafés aus an. Der Gemeinde Horw und ihren Bewohnern gebührt ein besonderes Lob. Alle sprechen vom Lucerne Marathon, von Horw erfährt man erst, wenn man sich eingehender informiert; und doch wage ich zu behaupten, dass dieser Anlass nicht die gleiche Resonanz finden würde, wenn es Horw mit seinen Aktivitäten und der guten Stimmung nicht gäbe. Auch das macht diesen Marathon so erfolgreich:

Treue Verbündete.

„Mist“, denke ich immer wieder, „dass mich nach einer Saison ohne Verletzung ausgerechnet heute das Pech ereilt. Ich bin in gleichmäßigem Tempo ziemlich flott unterwegs, sogar im Bereich einer persönlichen Jahresbestleitung, und jetzt das…“

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder gebe ich dem Unbill nach oder sage mir: „Jetzt erst recht!“

Es gab bisher genügend Gründe und  es werden nochmals ähnlich gelagerte folgen, um mich in diesem Moment für die zweite Variante zu entscheiden. Ob klug oder nicht, ich höre nicht mehr auf die Schmerzen, sondern auf die Aufmunterungen der Zuschauer und meine bescheidenen mathematischen Fähigkeiten, welche mir die Möglichkeit einer diesjährigen Rekordzeit in Aussicht stellen. Ich habe mich ohne körperliche Beschwerden schon bedeutend mühsamer über die letzten Kilometer geschleppt als jetzt. Mir läuft es mental so gut, dass es auch sonst einfach läuft. Den Zieleinlauf durch das Eingangsgebäude des Verkehrshauses, hinein in den Hof, unter dem mit Olivenzweigen bekränzten Torbogen hindurch auf den roten Teppich der letzten Meter, fotografiere ich nicht mehr, denn ich fliege nur noch. „Das Gefühl und die Stimmung in diesem Bereich kann sowieso kein Bild exakt wiedergeben“, sage ich mir, um kein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen, dass ich für einen kurzen Moment die persönlichen Ambitionen ernster nehme als den Reporterauftrag. Dafür beweist nach dem Überqueren der Ziellinie eine neue persönliche Jahresbestleistung:

Luzern beflügelt einfach.

Wer bei der Anmeldung eine kleine Zusatzgebühr berappt hat, hat auf der Startnummer ein Symbol aufgedruckt, an welchem die jungen Ehrendamen erkennen, wem sie eine Medaille um den Hals hängen dürfen. Danach gibt es eine große, mit isotonischem Getränk gefüllte Trinkflasche. Trotz Endspurt fühle ich mich aber nicht ausgetrocknet, dafür schnappe ich mir gleich noch einen knackigen Apfel, bevor ich die Treppe über den Zieleinlauf erklimme, um auf der anderen Seite den Gutschein für das Finisher-Präsent, einen Laufrucksack, einzulösen. Den Bon für das lokale Bleifreie könnte ich heute zu meiner eigenen Überraschung verschenken. Bin ich immer noch in Trance?

Humpelnd gehe ich zur Garderobe und lasse mir Zeit dazu. Beeilen muss ich mich nicht, denn mit dem eingerichteten Duschzelt besteht Gewähr, dass nicht nur die Schnellen heißes Wasser haben.

Für Warmduscher ist gesorgt.

Zurück im Zielbereich komme ich gerade rechtzeitig, um Didi beim Zieleinlauf Beifall zu spenden. Mit Martin, der ihm schon beim Napf-Marathon als Guide zur Seite stand, hat er eben seinen hundertsten Marathon bestritten (und die rund fünfzig Ultras, die er auch schon hat, nebenbei erwähnt).

Luzern, ein Ort für Kenner.

Bei einer Tasse Kaffee unterhalte ich mich noch mit einigen Pacemakern und erhalte auch von ihnen die Bestätigung meines Eindrucks. Ein Anlass wie der Lucerne Marathon kann nur so beliebt und erfolgreich sein, wenn das OK gut vernetzt ist und mit einer offenen und für Kritik empfänglichen Art allen Schnittstellen und dem Zielpublikum gegenüber auftritt. Bei meinen Kontakten mit Mitgliedern des OK und der Geschäftsleitung habe ich immer einen ansteckenden Enthusiasmus und eine bodenständige Ehrlichkeit gespürt, welche auf alle Ebenen der Organisation ausstrahlen. Kein Wunder, sind jeweils auch so viele motivierte, freundliche Helfer im Einsatz. 

Mit wem ich mich auch sonst noch unterhalte, ich höre nur lobende Worte über die Stimmung, die Organisation, die Strecke, die Zuschauer, die Musiker – und das Wetter. Am Herd des Lucerne Marathons steht ein Klon von Kojak. Wie sonst kann es sein, dass in dieser Suppe kein Haar zu finden ist?

P.S. Der durchschnittliche Marathonläufer ist in einem Alter, in welchem Kojak ein Begriff ist. Für die Jüngeren gibt es Suchmaschinen…
 

Marathonsieger

Männer

1. Müller Stefan,  Luzern                     2:35.47,6    
2. Gisler Steve,  Erstfeld                    2:36.59,7  
3. Nilsson Hans Daugaard,  D-Roth             2:38.28,9

Frauen

1. Wagner Julia,  D-Freiburg                  2:47.36,0 
2. Amiet Tanja,  Zuchwil                      2:56.35,6  
3. Wyss Sandra,  Olten                        2:56.39,9 

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Informationen: SwissCityMarathon Lucerne
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