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Laufberichte

Wroclaw Marathon (Breslau): Endlich wieder ein großer Stadtlauf

09.09.18 Special Event
 

Nach meinen Teilnahmen an mehreren kleineren Marathons im August im benachbarten Ausland fast nur auf trailigem Untergrund mit vielen Höhenmetern freue ich mich auf die 36. Ausgabe des Klassikers in Breslau, eine Stadt an der Oder im Westen Polens gelegen und mit ca. 640.000 Einwohnern die viertgrößte des Landes.

Ich bin hier auch 2017 beim 35. Jubiläum dabei gewesen und habe über die Vorzüge dieses flachen Stadtmarathons, der in einem großen Rundkurs wieder zum Ausgangspunkt im Olympiastadion führt, auf M4Y berichtet. Registrieren konnte man sich wieder über die Veranstalterwebsite, die allerdings heuer abgesehen von den „Regulamin“ auf Deutsch und Englisch nur auf Polnisch angeboten wurde. Aber auch über die meisten anderen Läufe in den ehemaligen Oststaaten muss man sich einer Übersetzungshilfe bedienen, um das Procedere bei der Registrierung in den Griff zu bekommen.

Das Startgeld in der letzten Tranche hat 160 Zloty (1 Euro = 4,3 PLN) betragen, aber aufgepasst: Wer über 60 Jahre alt ist, zahlt nur symbolisch einen Zloty (23 Cent).  Die mir zugewiesene Startnummer 54 rekurriert auf meinem Geburtsjahr. Voriges Jahr bekam ich die 35, ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nämlich 34 Marathons im Kalenderjahr absolviert.

Während man von Wien aus etwa mit dem Zug über Katowice an die 8 Stunden unterwegs ist, sind die 270 km von Dresden in einem Drittel der Zeit zu schaffen. Dies erklärt auch, warum ich am Anreisetag am Bahnhof von vielen deutschsprachigen Touristen umgeben bin. Wroclaw hat eine wechselvolle Geschichte, als Hauptstadt der historischen Region Schlesien gehörte es zu Böhmen,  Ungarn, Österreich und Preußen. Schließlich wurde Breslau gemäß dem Potsdamer Abkommen im Jahre 1945 unter polnische Verwaltung gestellt. Mit seinen historischen Bauten, Parkanlagen und Plätzen ist die Stadt, besonders die Stare miasto (Altstadt) heute ein Anziehungspunkt für viele Besucher aus aller Welt. Mit zahlreichen Hochschulen, Forschungsinstituten, Theatern und Museen bildet Breslau das wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zentrum Niederschlesiens. Breslau war 2016 Kulturhauptstadt Europas und Verleihungsort des Europäischen Filmpreises. Bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 wurden im dafür 2011 eigens erbauten Stadion Miejski, das wir auf der Laufstrecke bei Kilometer 25 zu Gesicht bekommen werden, Bewerbe ausgetragen.

Am Samstag am späten Nachmittag ist der Andrang relativ gering, meine Startunterlagen sind abholbereit – das Formblatt für die Einwilligung zur Verarbeitung meiner personenbezogenen Daten einschließlich der Verzichtserklärung auf Schadensansprüche, die auf der Marathonteilnahme resultieren würden, habe ich auf Deutsch ausgedruckt und unterschrieben mitgebracht. Das Funktionsshirt, dieses Jahr ganz in Weiß und von der Bank Polski gesponsert, wird auch all jenen ausgehändigt, die wie ich als +Sechzigjährige kein Startgeld zahlen. Obwohl es wie angegossen passt, habe ich vor, beim Lauf morgen mein M4Y-„Arbeitsshirt“ zu tragen.

 

 

Außerhalb des Olympiastadions bekommen die Läufer sowohl am Vor- wie auch am Renntag eine Portion Nudel wahlweise mit Fleischsauce, Schmelzkäse oder Hühnerfleisch. Als ich gegen 17 Uhr dort eintreffe, rund 300 m von der insgesamt gesehen eher kleinen Expo mit einer Handvoll Ständen, sind gerade Hunderte Walker zugegen, die für ihren Marsch im Bereich der Innenstadt auch mit einer Medaille und einem Teller Kohlehydrate belohnt werden.

Vom Stadion sind es bis zur Haltestelle der Tram Nr. 9 an die 500 m – es ist auch jene Strecke, auf der wir morgen nach dem Start Richtung Stadt und dann ab Kilometer 41 wieder zurücklaufen werden.

Gestärkt mache ich mich zu einem Spaziergang in die Altstadt auf. Die 1888 bis 1890 erbaute Dombrücke verbindet Dom- und Sandinsel miteinander. Touristenströme kommen mir entgegen. Man merkt, dass Anfang September die Tage schon wieder kürzer geworden sind. Die Sonne steht tiefer und macht meiner Kamera zu schaffen. Dabei gäbe es hier in der Altstadt um den Ring viele Bauwerke zu besichtigen und zu fotografieren: revitalisierte Bürgerhäuser aus dem späten Mittelalter, viele sakrale Bauwerke wie z.B. die gotische katholische Adalbertkirche (13.-15. Jh.), die backsteingotische Elisabethkirche, von 1525 bis 1946 die evangelische Hauptkirche von Breslau, ferner die Bernhardinerkirche (ebenfalls gotisch, 1463-1502), die St.-Corpus-Christi-Kirche und die Christophorikirche, beide aus dem 15. Jh. Der Besucher trifft hier auf das Alte Rathaus (1471-1504) und den Erweiterungsbau (1860-1864) am Ring. Zu erwähnen auch das  ehemalige Königsschloss aus dem 18. Jh., die Breslauer Markthalle, eine Stahlbetonkonstruktion mit historischen Fassaden und das Nationalmuseum. Aber um den schnellen Marathonkurs nicht zu beeinträchtigen und wohl auch aus touristischen Gründen führt die Strecke nicht durch die Altstadt, sondern nahe an den Sightseeing-Plätzen vorbei, wenngleich sich der interessierte Besucher am Tag nach dem Marathon durchaus die Zeit nehmen könnte, ja müsste, diese nochmals aufzusuchen.

 

Mein Rennverlauf

 

Das Hotel Europejski bietet am Sonntag schon um 6 Uhr 30 das Frühstück an. Aber die Vorfreude auf ein Honigbrot ist verfrüht, ich muss mich mit Marmelade begnügen. Wer’s genau wissen will oder sich eh denken kann: vor dem Frühstück ist bei mir nach dem Frühstück – ich habe schon davor mit dem Wasserkocher im Zimmer  zwei 4-Minuteneier zubereitet, eine gutgefüllte Topfengolatsche mit einem Vanilletrinkjoghurt runtergespült und zum Nachtisch aus Wien mitgebrachte reife Zwetschen zur Verdauungsanregung gegessen. Aber allein das Gefühl, wieder einmal vor einem Marathon im Frühstücksraum mit ein paar anderen Läufern zu sitzen, ist erbaulich.

Wie zu erwarten ist dann um 7 Uhr 30 die 9er-Tram gestopft voll mit Läufern, die alle zum Startbereich fahren. Ich stehe in der Bim ins Eck gedrängt und komme fast ins Schwitzen, so eng ist es hier. Bei der Abgabe des Kleiderbeutels treffe ich den tschechischen Ultraläufer Tomáš Ulma, den ich seit Jahren kenne.

 

 

Die Aufstellung beim Start ist nach der Farbe der Startnummer geordnet. Ich dränge mich zunächst nach vorne, um von den vorderen Läufern ein paar Schnappschüsse zu machen. Die Aufstellung wird allerdings nicht kontrolliert, so stehen auch vermeintlich Langsame im roten Starterfeld. Bis es für mich losgeht, sind fast drei Minuten vergangen, all jene, die ganz hinten stehen, haben ein Handicap von gut 6 Minuten auf die Erststarter.

Der Kurs verläuft nach dem Start durch den Park auf eine Brücke über einen Nebenarm der Oder zum Plac Grunwaldzki, ein Einkaufs- und Freizeitzentrum und gleichzeitig Verkehrsarm in Wrocław – unweit davon zur unserer Linken befindet sich die 1910 gegründete Technische Universität Breslau. Mein Anfangstempo bedeutet, dass mich auf den ersten 2,5 km Hunderte überholen. Aber an dem polnischen Barfußläufer Paweł Mej, den ich seit Jahren bei Läufen in Polen angetroffen habe, gleite ich dann locker vorbei. Es geht über die  Grunwaldzki-Brücke und nach einem Schwenk nach Norden ein zweites Mal über die Oder.

Wir laufen am Erzdiözesanmuseum zu unserer Linken und dem groß angelegten Botanischen Garten der Universität Breslau vorbei, bei der darauffolgenden 5 km-Anzeige befindet sich auch eine Versorgungsstation. Angeboten werden Mineralwasser und Iso in Bechern sowie Bananenstücke.

Der Marathonkurs dreht erneut, wir laufen über eine Brücke nach Süden. Mehr als ein Dutzend Brücken führen über die Oder, man nimmt es gar nicht mehr wahr, weil die Anstiege kaum spürbar sind. Die Universität Wroclaw, 1702 als Jesuitenkolleg gegründet, nach dem II. Weltkrieg aufgelöst und 1946 als polnische Uni neu eingerichtet, befindet sich neben der Laufstrecke. Auch das Puppentheater Lalek mit mehreren Bühnen ist erwähnenswert, das sich in einem prachtvollen neubarocken Gebäude befindet. Hier werden u.a. „Die Zwerge von Wrocław“ aufgeführt – die Zwerge sind inzwischen zu einer Touristenattraktion geworden, hervorgegangen aus einem Projekt von Studenten der Kunsthochschule im Jahre 2001. Gegenwärtig sind mehr als 600 Zwerge, die aus Bronze gegossen werden und eine Größe von ca. 30 cm haben, überall in der Stadt, so auch im Olympischen Stadion, aufgestellt. Es gib dazu einen Guide im Web, der genau angibt, wo sie zu finden sind – manche hängen auch auf Stiegen oder Bäumen. Auch die Oper von Breslau, die aus dem 1841 errichteten Stadttheater entstammt, ist entlang der Laufstrecke zu sehen – sie befindet sich im Stadtteil Stare Miasto.

Der Marathonkurs führt weiter nach Süden. Kilometerpunkt 10 wird erreicht, das Gedränge an der Labestelle ist groß. Ich ahne, dass es im Laufe des Rennens noch warm werden wird – laut Wettervorhersage an die 25 Grad C. In unmittelbarer Nähe befindet sich hier die 1947 errichtete Wirtschaftsuniversität. Die vermeintliche Cut-off-Zeit ist gnädig: um 10 Uhr 56, fast zwei Stunden nach dem Start, sollte hier jeder (nach 10 km) durchgekommen sein.

Ab und zu stehen ein paar Zuseher am Rande der Laufstrecke und applaudieren – allerdings ist große Begeisterung nicht zu erkennen, wohl aber bei den Läufern, die sind mit Freude unterwegs. Bald sind die 15 km erreicht, bei einigen Zwischenversorgungsstellen gibt es Zucker und Trinkwasser. Da es immer wärmer wird, stehen die Läufer auch hier Schlange.

Inzwischen sind wir fernab der Breslauer Innenstadt. Ich komme an einer Läuferin vorbei, die ein Leibchen des im Juni durchgeführten Färöer Marathons trägt. Für 2019 habe ich mir vorgenommen, den Färöer Marathon in Angriff zu nehmen.

 

 

Der Marathonkurs führt nun vorbei am großen Park Zachodni weiter nach Nordwesten, die Halbdistanz ist mit einem luftgefüllten Bogen kenntlich gemacht – mit 2:25 brutto liege ich an der Kippe zu einer sub 5er-Finisherzeit. Aber wenn ich mich umdrehe, so kommen Hunderte hinter mir nach – ein Eindruck, der sonst bei kleineren Läufen selten entsteht, weil ich mich leider zu oft am Ende des Feldes bewege.

Die 25 km Anzeige ist in der Ferne zu sehen. Zu unserer Rechten befindet sich das Stadion Miejski mit 42.771 Sitzplätzen, es ist ein UEFA-Stadion der Kategorie 4, der höchsten Klassifikation des Europäischen Fußballverbandes. Seit der Fußballeuropameisterschaft 2012 wird es vorwiegend vom Fußballverein Śląsk Wrocław genutzt – das Vereinslogo prangt am Eingang. Der Läufer vor mir, der mich schon mehrfach überholt hat und dann bei den Versorgungstellen immer  wieder länger verweilt, schüttet sich erneut Wasser auf den Kopf. Ja, die Hitze – aber was habe ich heuer im Sommer in unseren Breiten bei einigen Marathons geschwitzt, so gesehen sind die angezeigten 25 Grad schon wieder als angenehm zu sehen.

Die Strecke dreht nun nach Südosten, immer wieder gibt es klitzekleine Anstiege, die man bei einem Stadtmarathon mitbekommt – im Gelände bei Trails eher nicht, weil man damit andauernd konfrontiert wird. Laut Plan laufen wir vom Kilometerpunkt 20 bis zur nun noch anstehenden 30 km-Anzeige in einer 180 Grad-Schleife. Wären nicht verschiedene Gebäude und die Parklandschaft dazwischen, hätte man die Vor- und Nachhut abschnittsweise sogar in der nahen Ferne erkennen können.

Bei Kilometer 32 überqueren wir wieder die Oder, nun führt der Kurs nach Norden weiter. Erneut geht es nach 34 km über die Oder, genauer über einen Nebenarm. Meine 4:08 auf der GPS-Uhr bei km 35 könnten für sub 5 wieder einmal zu knapp werden. Aber ich kann heute nicht zulegen, wenngleich ich nun wieder viele einhole. Die Strecke ist AIMS-vermessen, wieder einmal zeigt meine Uhr 500 m zu viel an.

In einer langen Schleife geht es wieder zurück zum Ausgangspunkt – zwar sind wir nach 37.5 km bei der Zwischenlabe noch ein gutes Stück vom Ziel entfernt, aber spätestens als wir wieder zwei Nebenarme der Oder überqueren und auf der Brücke vor der 40 km-Anzeige uns zwei Helfer mit Tafeln anfeuern wollen („you can do it“), ist der Weg sichtlich nicht mehr weit. Bald darauf kommen uns nach der Abbiegung auch Dutzende Läufer entgegen, die ihre Finishermedaille umgehängt haben.

Eine Läuferin hat es auf mich abgesehen, ebenso ein sympathisch aussehender junger Mann, der von seiner Freundin am Fahrrad auf den letzten Kilometern begleitet wird. Sie wollen mit allen Mittel an mir vorbei kommen. Die 41 km sind erreicht – meine Uhr zeigt inzwischen Brutto 4:59 an, die erhofften sub 5 h sind weg, aber die beiden Kontrahenten nur knapp vor mir. Als ich meinen Einlauf knipsen will, ist der Akku leer. So habe ich nun Zeit, meinen „Gegnern“ auf den letzten 500 m Paroli zu bieten. Mit meinen 5:05 muss ich zufrieden sein – Hunderte sind noch hinter mir eingelaufen.

Der Akku hat sich etwas erholt – ein Zielfoto geht sich aus. Die schön designte Medaille ist diesmal den Breslauer Zwergen gewidmet. Ich nutze die Duschgelegenheit und lege mich danach auf der Wärmefolie ins Gras – ein Sonnenbad nach dem Marathon mit einer Dose Bier, die Welt ist schön („świat jest piękny“).

Warum soll man nach Breslau fahren, um dort einen Marathon zu laufen?

Wer eine schnelle Finisherzeit anstrebt, für den ist der Kurs in Breslau bestens geeignet. Die Strecke weist trotz zahlreicher Brückenüberquerungen nur moderate Anstiege auf, die nicht wehtun. Die Versorgung an den acht Verpflegungsstellen und den sieben Zwischenerfrischungslaben ist ausgezeichnet. Auf dem ersten Teil der Strecke läuft man an vielen beeindruckenden kulturhistorischen Bauten vorbei. Um diese allerdings partiell aufzusuchen, ist zumindest ein weiterer Aufenthaltstag vor oder nach dem Renn nötig.

 

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Was das Preis-/Leistungsverhältnis betrifft (gestaffelt von 120-160 PLN: über 60-Jährige zahlen symbolisch nur eine Zloty), so ist dieses als ausgezeichnet zu bewerten. Neben einem schönen Funktionsshirt und der jedes Jahr neu designten Medaille kann man auch bei der Pasta-Party an beiden Tagen nachfassen

Auf die Kommunikation mit den Teilnehmern wird seitens der Organisation großer Wert gelegt. Schriftliche Anfragen werden prompt beantwortet. Der Zuspruch des polnischen und internationalen Läuferpublikums ist demnach  ̶  wenn man auf den Foren nachliest – groß. Alles lief perfekt ab, die Kleideraufbewahrung in der Sportlerhalle in verschlossenen Zusatzsäcken, die Hygieneeinrichtungen beim Duschen nach dem Lauf, die vorbildlichen Straßensperren während des Marathons. Die vielleicht fehlenden Zuschauer entlang des Kurses mögen manche Läufer bedauert haben, mich hat dies nicht gestört.

Wer im Osten Deutschlands wohnt, für den ist der Abstecher nach Breslau – mit speziellen Zügen und Bussen rasch erreichbar – ein Klacks. Leider kann man auf Datasport.pl nicht die ausländischen Teilnehmer herausfiltern, aber nach meinen Eindrücken auf der Strecke sollten auch heuer wieder zahlreiche Deutsche an einem der beliebtesten und großen Marathons in Polen teilgenommen haben.

Organisation, Durchführung, Extras und Zuspruch beim Wroclaw Marathon sind kaum zu toppen!

Siegerliste Männer:
1. Barnabas Kipyego BOR (KEN) – 02:17:47
2. Hoea Kiplagat TUEI (KEN) – 02:19:40
3. Abel Kibet ROP (KEN) – 02:19:44

Ranking bei den Frauen:
1. Ruth Chemisto MATEBO (KEN) – 02:43:55
2. Hellen Jepkosgei KIMUTAI (KEN) – 02:44:57
3. Tünde SZABÓ (HUN) – 02:48:14

3560 Finisher (davon 639 Frauen)

 

 

 


 
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