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Laufberichte

Trail Via degli Dei: Der Weg der Götter

06.05.23 Special Event
 

Für alle, die im Sommer in den Alpen auf harten Trails unterwegs sein wollen, stellt sich spätestens im Frühjahr die Frage, wo und wie man am besten seine Trainingskilometer sammelt.

Auf der Suche nach einem langen, aber nicht allzu schweren Lauf bin ich in Italien auf den Trail Via degli Dei gestoßen. Auf 125 Kilometer windet sich die alte Heerstraße von den Hügeln Bolognas durch vier Gebiete des toskanisch-emilianischen Apennins bis nach Fiesole, einem hübschen Vorort von Florenz.

Die historische Militärstraße diente als wichtige Verbindung zwischen den beiden Zentren des römischen Imperiums, Bologna und Florenz. Sie wurde erst in den Siebzigern wiederentdeckt und teilweise freigelegt. Heute dienen deren Reste als Wanderweg Via degli Dei (Weg der Götter), der auf den Spuren blühender römischer Kultur die Zeugen einer ereignisreichen Geschichte miteinander verbindet. Der klangvolle Name erinnert an Adonis, Venus und Juno, die sich dort in den Bergen am Monte Adone und Monte Venere verstecken. Bei Fierenzuola ist es der Monte Luario, der an die Göttin Lua erinnert, die von den Römern im Krieg bemüht wurde. Die gut erhaltenen Reste der Via Flamina und der Flamina Minore dienen als Richtschnur durch diese geschichtsträchtige Landschaft. Für ordentlich Höhenmeter sorgen dabei die Apenninen, die als 1500 Kilometer lange Wirbelsäule das Rückgrat des Stiefels bilden.

Die ausgeschriebene Pflichtausrüstung erinnert daran, dass wir uns in der Mitte Italiens durchaus in rauhen Gefilden bewegen. Der Wettergott hat es in der vergangenen Woche nicht gut gemeint. Große Teile in der Gegend um Bologna wurden überschwemmt und es gab sogar Personenschäden. Für die Veranstaltung hat er aber gutes Wetter versprochen und so hoffen wir, dass er uns diesmal mit seinen Launen verschont und die üppige Ausrüstung im Rucksack bleiben kann. Den zögerlichen, nassen und kalten Frühling in der Heimat wollen wir hinter uns lassen und in Italien etwas Dolce Vita tanken. Dazu zählt auch die ausgesprochen gute Verpflegung, von der unsere italienischen Lauffreunde geschwärmt haben.

Endlich Frühling

So reisen wir voller Vorfreude in die südlichen Gefilde. Durch die Schweiz geht es über den St. Gotthard immer gen Süden. Italien empfängt uns mit der Wärme, die uns solange gefehlt hat und am Donnerstagabend erreichen wir den Zielort unseres Rennens, Fiesole, wo wir ein kleines Apartment in der Nähe der Ziellinie gebucht haben. Wir sind diesmal zu fünft. Marc und Mike freuen sich auf die 55km Strecke. Burkhard, Astrid und ich sind auf der langen unterwegs.

Wir schlendern am Abend durch den Ort und genießen die Aussicht. Zu unseren Füßen liegt Florenz mit seinen Sehenswürdigkeiten. Wir stehen praktisch auf dem Balkon. Unter uns das Lichtermeer der Großstadt. Leckeres Essen rundet den Abend ab und wir gehen früh ins Bett, um möglichst viel Schlaf zu finden.

 

 

Marc und Mike starten am nächsten Morgen nach dem Frühstück gleich zu einem Ausflug nach Florenz, wobei wir es bei leckerem Essen und möglichst viel Ruhe belassen. Am Nachmittag geht es dann zum Bahnhof. Eine ungemütliche Busfahrt mit einem 40 Euro Ticket wegen Schwarzfahren – ich hatte vergessen das Ticket am nicht vorhandenen Automaten abzustempeln – bringt uns in die überfüllte Stadt. Wir nehmen den Schnellzug nach Bologna und nach einer Hochgeschwindigkeitsfahrt durch viele Tunnel und wenig Aussicht erreichen wir in 39 Minuten Bologna. 39 Minuten. Absurd. So viel Zeit brauche ich gewöhnlich an der ersten Verpflegungsstelle.

Wir schlendern durch einen Park zur historischen Sporthalle, wo es die Startnummer und alles andere gibt. Nach dem Check unserer Pflichtausrüstung und Abgabe unseres Dropbags gehen wir in die Stadt und kaufen uns Wasser. Das Leitungswasser ist so stark gechlort, dass man sich nach dem Händewaschen die Desinfektion sparen kann.


Herzliche Stimmung alla Bolognese


Wir gammeln in der historischen Halle noch bis zum Briefing herum. Mal ein Espresso und noch ein kleiner Snack. Zum Schlafen ist es in der Halle zu laut. Das Briefing gibt es dann auf Italienisch und Englisch, wobei ich nichts davon verstehe. Ein freundlicher Läufer übersetzt zum Glück für mich. Die Strecke musste wegen der verheerenden Überschwemmungen der letzten Tage umgelegt werden. Nach dem ersten Anstieg bleiben wir in den Hügeln südlich von Bologna, weil die Wege im Tal unpassierbar geworden sind oder noch unter Wasser stehen. Da wir das Gebiet weiträumig umgehen, gibt es 5km und 390 Höhenmeter extra dazu. Die Cutoff Zeiten werden dadurch ebenfalls um eine Stunde verlängert. Außerdem soll es sehr matschig und somit auch rutschig auf weiten Teilen der Strecke zugehen. Okay, das habe ich gerade in Belgien geübt. Wir sind froh, als es endlich losgeht.

Wir starten mitten in der Stadt. Recht unspektakulär wird heruntergezählt und Punkt elf Uhr geht es los. Ein Motorradcorso der Polizei begleitet uns mit Blaulicht bis zur ersten Fußgängerzone. Die Nachtschwärmer geizen nicht mit Beifall und Anfeuerungsrufen. Die Läuferinnen und Läufer bedanken sich dafür ebenfalls mit Applaus und Zurufen. Eine herzliche Stimmung, die bei Veranstaltungen in Deutschland leider nur rudimentär vorkommt. Wir machen eine Sightseeing Tour durch die Stadt und  laufen dabbei  immer auf der Straße, die für uns von zahlreichen Helferinnen und Helfern gesperrt ist. An den Ampeln überall Polizei. Kein Gemotze, sondern Anfeuerungsrufe aus den wartenden Autos und Applaus.  So kann das also auch gehen. Nach ein paar innerstädtischen Highlights kommen wir zu den Arkaden, die uns bis zum Kloster von San Luca, unserem ersten Gipfel, führen. Noch ein letzter Blick auf die Lichter der Großstadt unter uns, dann wechseln wir auf die andere Bergseite.

 

 

Vollmond über den Hügeln

 

Statt wieder abzusteigen, bleiben wir zur Umgehung des Überschwemmungsgebietes in etwa auf der gleichen Höhe und laufen auf kleinen Verbindungsstraßen durch die hügelige Landschaft. Ab und zu ein malerischer, kleiner Ort oder prächtige, einsame Villen, die allesamt im Tiefschlaf liegen. Zum Einlaufen eigentlich optimal, auch wenn ich Asphalt nicht so mag. Irgendwie wirkt die Szenerie sehr beruhigend auf mich und die Mitlaufenden. Vielleicht ist es auch ehrfürchtiges Schweigen, ob der 130 Kilometer langen Strecke. Ich genieße es sehr. Viele Gedanken bekommen Platz in der lauen Nachtluft. Der Vollmond taucht alles in ein fahles Licht. Die umgebenden sanften Berge erscheinen in grauen Schattierungen. Keine störenden  Geräusche der Zivilisation. Nur das leise Getrappel der Laufschuhe und gelegentliches, überraschendes Vogelgezwitscher. Die Vogelwelt ist wohl etwas irritiert durch das Licht des Vollmondes und unterbricht ab und an das sonst übliche, nächtliche Schweigen. Die ersten zwanzig Kilometer vergehen wie im Flug. Dann geht es nach einem längeren Downhill auf den ersten Trail. Der erste längere Anstieg erwartet uns. Auf gut zu laufendem Weg erreichen wir den Verpflegungspunkt in Sasso Marconi bei Kilometer 24.

Das Angebot ist sehr üppig und obwohl ich in der Nacht eigentlich nichts essen wollte, um Magenproblemen vorzubeugen, kann ich bei der Mortadella und dem Parmesankäse nicht widerstehen. Eine Flasche wird mit Wasser aufgefüllt, in die andere kommt Tee und schon geht es weiter. Schnell erreichen wir den ersten namensgebenden Gipfel, den Monte Adone. Astrid ist schon ein Stück vor uns und wir werden sie erst in Fiesole wiedersehen. Wir beiden alten Männer lassen es gemütlich angehen.

Ein gut laufbarer Downhill bringt uns wieder ins Tal. An der Wasserstation fülle ich nach, merke aber schon beim Eingießen, dass es Leitungswasser ist. Damit ist die Flasche verseucht. Der Chlorgeschmack erzeugt bei mir heftiges Würgen. Naja, ein halber Liter wird bis zur nächsten Verpflegung reichen. Es ist recht frisch im Tal. Ich ziehe die Ärmlinge hoch und einen Schal über. Das muss reichen. Die Wege werden jetzt ausgespült. Unschwer erkennt man noch die Folgen des Unwetters, das hier getobt hat. Als wir zu einem Fluss kommen, laufen wir über große Flächen von Sand, der aus dem Berg gespült wurde. In vielen Rinnsalen läuft das restliche Wasser zum Fluss, der uns eine Zeitlang mit seinem Rauschen begleitet.

 

Esspresso doppio, per favore

 

Es wird jetzt hell. Zum Glück, denn ich bin hundemüde. Es geht wieder in die Höhe und ich begrüße die ersten Sonnenstrahlen. Nach dem längeren Anstieg erwartet uns eine private Verpflegungsstation mit einem Becher Bier, den ich dankbar annehme. Mein halber Liter Wasser ist schon verbraucht und die andere Flasche ist ungenießbar. Am zweiten Checkpoint wird die Flasche mit Cola ausgespült, um den Chlorgeschmack zu eliminieren. In der Bar gegenüber nehme ich einen doppelten Espresso und zum Frühstück wieder Mortadella, Brot und Parmesankäse. 

 

 

Auf guten Pfaden geht es jetzt hoch hinaus. Unter uns die typischen schönen Landschaften der Emilia Romagna. Schleierwolken schützen uns vor allzu großer Hitze und in der Höhe weht immer ein laues erfrischendes Lüftchen. Wir genießen die Strecke sehr. Wir sind weit vor dem Cutoff und müssen uns keine Sorgen machen. Mal sind wir im frischen Grün des Waldes, dann wieder freie Sicht über blühende Felder. Wir passieren Monte Venere und den Monte del Galetto. An der nächsten Verpflegung gibt es gekochte Kartoffeln. Ich tunke sie in Salz und spüle einige davon mit einer Dose Bier herunter. Sehr lecker. In die Flasche kommt nun Wasser mit einem Schuss Cola. Dazu drücke ich den Saft von ein paar Zitronenschnitten, damit auch der letzte Chlorgeschmack verschwindet.
Dann geht es weiter zum Banditacce,  mit 1.196m der höchste Punkt der Strecke. Vorher passieren wir noch zwei Zwischengipfel.

Wir überschreiten die Grenze von Emiglia Romana zur Toskana. Die alte Heerstraße ist jetzt deutlich zu erkennen und Hinweisschilder erinnern an den historischen Bezug. Der Himmel ist strahlendblau und es ist richtig warm.

 

 

Neue Schuhe, frische Beine


Bei km 75 erreichen wir unsere Dropbags. An der Verpflegungsstelle ist ein großes Zelt aufgebaut. Hier sind heute Morgen Mike und Marc auf die 55 km Strecke gestartet. Zuerst nehme ich eine Portion Pasta. Bier gibt es leider nicht. Dann wasche ich mich und ziehe mir frische Kleidung an. Die neuen Schuhe sind eine Wohltat. Wir lassen uns Zeit. Wir sind dreieinhalb Stunden vor dem Cutoff und außer meiner Müdigkeit, die irgendwie nicht verschwinden will, ist alles noch sehr frisch. Bukis Füße haben ziemlich gelitten. Aber dass es kein Spaziergang wird, war uns ja klar. Meine Nadel zum Aufstechen der vermuteten Blase braucht er jedenfalls nicht. Alles schon offen. Also schnell neue Socken und Schuhe und weiter geht es in den Anstieg zum Monte Gazzarro.

Im folgenden, ewig langen Abstieg sind auch die Holztreppen, vor denen im Briefing gewarnt wurde. Aber die Strecke ist jetzt gut abgetrocknet und bis auf wenige schlammige Abschnitte ist alles gut laufbar. Die Trails sind ab der Grenze zur Toskana etwas rauher geworden. Mehr Geröll und Steine. Oft laufen wir auch auf Fahrwegen. Schade, dass es so diesig ist. Bei klarem Himmel kann man vermutlich das Meer in der Ferne sehen.

An der nächsten Verpflegung esse ich ein köstliches warmes Sandwich mit Schinken und Käse. Im Supermarkt gegenüber gehen zwei Flaschen sardisches Bier über die Theke. Ich muss für 10 Minuten die Augen zu machen. Der anschließende Kaffee weckt wieder alle Lebensgeister und so geht es in neuer Frische weiter in Richtung Süden. Es sind immer noch Läuferinnen und Läufer auf der Strecke und bis zur nächsten Verpflegung haben wir einige überholt. Es ist schon Abend und wir machen uns fertig für den letzten Abschnitt. Es gibt wieder die leckeren Kartoffeln und so geht es gut gestärkt in den letzten großen Anstieg zum Monte Senario.

 

 

Zu müde zum Stehenbleiben

 

Die Wasserstation am Einstieg verpassen wir. Das waren die Wasserflaschen an der Bushaltestelle, die wir von der anderen Straßenseite erst realisiert hatten, als wir schon vorbei waren. Je höher wir kommen, umso wärmer wird es wieder, obwohl die Sonne schon verschwunden ist. An einer kleinen Erfrischungsstation für Wanderer nehme ich eine Flasche Wasser. Das langsame Steigen fördert wieder meine Müdigkeit zutage. Sobald es etwas flacher wird und wir rennen können, werde ich wieder wach, aber auf den langsamen Abschnitten laufe ich wie ein Zombie. Ich habe große Probleme, mich zu konzentrieren und versuche es mit Konversation, aber auch dazu bin ich nicht mehr in der Lage. Ich kann nur noch lallen. Ich bin froh, als die Strecke etwas schwieriger wird. Das hält mich wach. Monotones, einfaches Steigen lässt mich im Gehen einschlafen. Ich bin erleichtert, als wir das Kloster am Monte Senario erreichen, setze mich auf einen Stuhl und döse ein paar Minuten. Eine Cola und ein Koffeingel sollen Besserung bringen und es funktioniert auch einigermaßen.

 

Endspurt mit Tücken



Ab hier sind es noch etwa 17 Kilometer,  wir haben unseren Vorsprung auf das Cutoff halten können. Wieder etwas frischer geht es also in den Abstieg. Matsch und Geröll sind eine willkommene Abwechslung. Die Müdigkeit hält sich damit in Grenzen. Ein kurzer Gegenanstieg und schon geht es in den letzten Downhill. Der Weg ist jetzt voller Geröll und Schlamm. Zu allem Elend wird auch die Markierung immer spärlicher und wir müssen höllisch aufpassen, uns nicht zu verlaufen. Wir müssen unter einem Baumstamm hindurchkriechen, was meiner geschundenen Muskulatur alles abverlangt.

Auf den letzten 5 Kilometern werden alle Schwierigkeiten des Laufes nochmal zusammengefasst. Steile Rampen, Geröll und Matsch ziehen mir den Stecker. Dann nur noch Geröll und die Reste eines Fahrweges immer weiter runter. Der auf dem Höhenprofil dargestellte, kurze Gegenanstieg, wieder in umgekehrter Richtung, hoch nach Fiesole, will nicht mehr enden.

Ich bin froh, als ich die ersten Häuser sehe. Wir biegen allerdings wieder ab und weiter geht es in die Höhe. Es macht sich Frust bei uns breit. Aber wir haben aufgehört, uns zu beschweren. Schlechte Laune ist kein guter Begleiter. Stoisch stapfen wir die letzten Höhenmeter bis zu dem Park oberhalb von Fiesole. Immerhin erwartet uns ein fantastischer Blick hinunter ins Lichtermeer von Florenz, bevor wir den ersten Asphalt unter der Sohle haben. Wir haben deutlich länger gebraucht als erwartet und sind froh, endlich den Zielbogen auf dem Marktplatz zu erreichen.

 

 

133 Kilometer stehen auf meiner Uhr. Ziemlich genau 30 Stunden haben wir dafür gebraucht. Das Finisherbier schaffe ich nicht mehr. Ich will jetzt nur noch unter die Dusche. Geschlafen wird dann auf der Heimfahrt, die wir unmittelbar danach antreten. Wir halten noch an der Turnhalle, um unsere Dropbags abzuholen. Astrid war zwei Stunden vor uns im Ziel. Mike und Marc konnten gestern in einer fabelhaften Zeit ihr Rennen beenden. Am Ortsschild von Fiesole bin ich schon im Tiefschlaf und träume von Mortadella, Parmesankäse und warmen Kartoffeln.

 

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Fazit

Der Trail Via Degli Dei ist ein Lauf durch die Geschichte. Malerische Dörfer, wunderschöne Landschaften, gutes Essen, Kunst und Kultur machen den Lauf zu einem besonderen Erlebnis. In den 70er Jahren wiederentdeckt, ist der Weg der Götter heute ein beliebter Weitwanderweg. Technisch einfach zu laufen, gut markiert und mit guter Verpflegung macht die Strecke einfach Spaß. Die Schwierigkeiten halten sich in Grenzen und mit einem üppigen Zeitlimit ist die Strecke auch für langsamere Läuferinnen und Läufer gut machbar.

 

Die Strecken

Ultra Trail Via Degli Dei                                 125 km – 5100 Hm

Flamina Militare Trail                                     55 km – 2000 Hm

Celtic Trail                                                          36 km - 1700 Hm

Monte Scenario Trail                                     32 km – 1500 Hm

 

 


 
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