Ein wirklich schöner Lauf mit viel Abwechslung im Bergischen Land – noch schöner, wenn man ihn wie heute bei bestem Wetter erwischt.
Für den Auftakt der Saison war ich auf der Suche nach einem Lauf zwischen 60 und 90 km, am besten ohne viel Reiseaufwand. Perfekt dazu passend stieß ich auf den „Lindwurm“ in Lindlar, ca. 40 km östlich von Köln. Ein Lindwurm ist übrigens ein schlangenartiger Drache, ein Thema, das sich bis in die ungewöhnliche Gestaltung der Medaillen wiederfindet. Als Strecken sind 24 (550 HM), 45 (1.00 HM), 70 (1.900 HM) und 114 km (2.850 HM)im Angebot, sowohl für Läufer als auch für Wanderer (daher sehr großzügige und für Läufer unproblematische „Cut-Off-Zeiten“), also für wirklich jeden etwas dabei.
Die verschiedenen Distanzen werden durch unterschiedliche Kombinationen von Lindlar ausgehenden Rundstrecken zusammengestellt, z.B. für die 70 km zwei Runden zu 38 bzw. 32 km, für die 114 km vier verschiedene Runden. Dies hat den Vorteil, dass man immer wieder am Start/Ziel vorbeikommt, wo sich auch die zentrale Verpflegungsstation und die Gepäcklagerung befinden. Letzteres ist extrem hilfreich, da man ohne große Vorplanung regelmäßig die Chance zum Wechsel der Ausrüstung bzw. Nachladen der Verpflegung hat. Dies ist umso wichtiger, da das Rennen weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtet ist. Es gibt lediglich auf der Hälfte der 38-km-Runde einen zusätzlichen Verpflegungsposten, bei dieser Ausgabe zusätzlich wegen des warmen Wetters eine weitere Wasserstation auf den 32 km. Damit kommt man aber auch ganz gut hin.
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Strecke nicht markiert ist. Dadurch war ich in den Wochen vor dem Lauf genötigt, mich einmal mit der Navigationsfunktion meiner Laufuhr zu beschäftigen, denn ich hatte bisher bei einigen Läufen lediglich Komoot auf dem Handy mitlaufen lassen, was zum Nachschauen aber eher mühsam ist und von der Laufzeit des Akku ggf. ein Problem darstellt. Das mit der Uhr ging aber tatsächlich Dank der zur Verfügung gestellten gpx-Tracks sehr gut – und war auch bitter nötig, da man aufgrund der Vielfalt der Streckenabschnitte und damit der Anzahl der Abzweigungen alle 2-3 Minuten prüfen musste, ob man noch auf dem richtigen Weg ist.
Ebenso musste man an manchen Stellen überprüfen, ob man überhaupt auf einem Weg ist, denn die Ausschreibung hatte nicht gelogen: „Die Wege sind offizielle Wanderwege, manche vielleicht schon länger [Anm: gefühlt seit Jahrzehnten] nicht mehr intensiv bewandert und daher auch nach den massiven Holzarbeiten nur schwer wieder zu erkennen.“ Sprich: an einigen Stellen war man eher im Unterholz oder zwischen herumliegenden Büschen und Baumstämmen unterwegs als auf einem erkennbaren Weg. Das Tolle: Es hat wunderbar geklappt.
Auch die andere Ankündigung der Veranstalter war richtig: „Der Lindwurm - Im Auge des Drachen - wird definitiv kein Kindergeburtstag. Egal für welche Distanz ihr gemeldet seid, jede Strecke hat es auf Ihre Art in sich.“ Dabei sind die Höhenmeter eine Sache. Das Klettern über Baumstämme und Büsche eine andere. Aber auch bergab konnte man teilweise nur vorsichtig laufen, da die Strecke entweder mit unebenen Natursteinen übersäht war oder von den Forstbetrieben durchpflügt worden war oder so stark mit Laub bedeckt war, dass man die darunter liegende Oberflächenbeschaffenheit nur ahnen konnte. Verletzungsgefahr daher nicht unerheblich.
Wie gesagt hatten wir großes Glück, denn statt des erwarteten Regens mit ggf. sehr schlammiger Strecke hatten wir schönsten Sonnenschein, tagsüber 15 Grad, und dank der regenarmen Tage zuvor auch eine Strecke ohne große Pfützen oder Schlamm. Ich habe noch nie einen Traillauf mit so sauberen Socken beenden können. Auf den Strecken waren rund 320 Leute unterwegs, ziemlich gleichmäßig verteilt auf die Distanzen, so dass man ab und zu einmal Jemandem begegnete, besonders denen, die eine Rundstrecke in die „falsche“ Richtung liefen, sonst war man aber eher alleine oder über weite Strecken in der Nähe der gleichen Läufer.
Von der Natur her hat man einige wirklich schöne Strecken erlebt, auch einige interessante Ruinen und schöne Bauernhäuser, natürlich aber auch ein paar nicht so interessante Dörfer, denn die Gegend ist ja recht dicht besiedelt. Die Fotos sprechen für sich. In Summe eine Strecke, bei der man merkte, dass sich die Planer gut auskannten und den Läufern ein besonderes Erlebnis ermöglichen wollten. Auf meinen 70 km war die erste Runde vermutlich die interessantere, die zweite führte ein ganzes Stück über den bergischen Panoramasteig, der auch sehr malerisch, aber dafür nach meinem Gefühl etwas weniger abwechslungsreich ist.
Für mich selber war die Strecke durchaus eine echte Herausforderung. Ich bin ja erst seit einem Jahr so richtig auf Trails unterwegs, letztes Jahr maximal bei 57 km. Ich habe gelernt, dass Trailläufe nicht linear, sondern exponentiell herausfordernder werden. Naja, und kurz vor dem Lauf war ich auch noch zwei Wochen krank und trainingsfrei.
Beim Lauf war die Versorgung mit Wasser sehr gut, auch die Verpflegung passte. Man war dabei richtig dankbar, dass es neben den eigenen Gels und Keksen und Fruchtriegeln zwischendurch auch einmal ein schönes Wurstbrot oder eine Gemüsesuppe gab. Man hat irgendwann keine Lust mehr auf Süßes und Säurehaltiges, muss aber ja trotzdem immer wieder nachfüllen, um bei Kräften zu bleiben. Meine Messungen am Morgen vor und am Morgen nach dem Lauf haben trotzdem 1,5 kg Gewichtsverlust angezeigt.
Herausfordernd war für mich auch schlicht die Länge, denn die Kraft nimmt ab, irgendwann tat dann das linke Knie weh, später dann noch der rechte Fuß etc. Geholfen hat mir auf den letzten 25 km das Buch „Run the Mile You're In“ des Marathonläufers Ryan Hall. Er schreibt, dass es wichtig ist, nicht darauf zu schauen, wie weit es noch ist und welche Herausforderungen noch bevorstehen, sondern sich voll auf den aktuellen Abschnitt zu konzentrieren.
Ich habe mir schlicht zu jeder Kilometerzahl etwas Besonderes ausgedacht, was mit dieser Zahl zu tun hat und warum es gut ist, diesen Kilometer zu schaffen, und dann immer mal wieder darüber nachgedacht. Und dann die nächste Zahl, die nächste Geschichte und der nächste Kilometer. Funktioniert, auch wenn man eigentlich nicht mehr kann und will.
Was ich auch noch gelernt habe ist der Nutzen von Gels gegen Blasen, neben den eng anliegenden und feuchtigkeitsabweisenden Socken. So ein Gel hält die Füße noch einmal trockener und minimiert die Reibung, so dass ich erstmalig völlig blasenfrei ins Ziel einlaufen konnte.
Dennoch bin ich bzgl. meiner Läuferkarriere schwer am Überlegen: Eigentlich würde ich gerne einmal die klassischen 100 Meilen, also 160 km laufen. Nach dem Lindwurm bin ich nicht mehr ganz so sicher, ob ich bei beschränkter Zeit fürs Training und begrenzter Leidensbereitschaft beim Laufen wirklich so hohe Ziele haben sollte, oder ob ich nicht auch auf Trails zwischen 20 und 70 km langfristig glücklicher sein kann.
Der Lauf ist in Summe wirklich empfehlenswert. Der Veranstalter, „Quälixfaktor“, hat auch noch einige andere lange und sehr lange Läufe in der Region im Angebot: