Oslo stand schon lange auf meiner Liste, zumal wir in Helsinki, Kopenhagen und Stockholm bereits Marathons absolviert haben. Aber ich versuche immer, ein Marathonwochenende möglichst preisgünstig zu gestalten, und die norwegische Hauptstadt gilt nicht gerade als Eldorado der Schnäppchenjäger. Am Ende der Pandemie hatte ich schließlich das Glück, einen günstigen Flug zu ergattern, sodass Judith und ich das Skandinavien-Quartett nun komplettieren können.
Hatte die Kollegin im recht nahen Stockholm noch von 30 Grad am vorherigen Wochenende gesprochen, ändert sich das Wetter leider bis zum Reisebeginn. Oder positiv ausgedrückt: Am Samstag, dem Marathontag, soll es angenehme Lauftemperaturen um die 15 Grad haben.
Wir kommen freitags recht früh am Flughafen Oslo an und sind nach 25 Minuten am Hauptbahnhof. Auch die Regionalzüge verkehren über eine Neubaustrecke mit Tempo 210. Wer die Münchner Bimmelbahn-Verhältnisse gewohnt ist, kann da nur neiderfüllt staunen.
Von der Station Nationaltheater ist es ein Katzensprung zum Rathausplatz, auf dem sich die Marathonmesse sowie Start und Ziel befinden. Die Startnummer wird vor Ort gedruckt, auch der Chip gleich aufgeklebt. Der Kleiderbeutel enthält dann nur noch vier Sicherheitsnadeln. Das Adidas-Laufhemd, bedruckt unter anderem mit dem Motto „10 years of joy“ des Titelsponsors BMW, konnte man für ca. 25 € dazu buchen.
Die Messe ist sehr übersichtlich, sodass wir uns gleich auf eine kleine Sightseeing-Tour begeben können. Das königliche Schloss liegt in der Nähe, umgeben von einem schönen Park. Dann geht es weiter zum gebuchten Appartement, einen Steinwurf von Start und Ziel entfernt. Die Entscheidung für eine Wohnung war goldrichtig, denn die Preise für Hotelzimmer, aber auch für das Essen in Restaurants, sind gesalzen. Eine Pizza kostet um die 25 Euro, also kaufen wir Spaghetti und kochen selbst.
Es ist noch trocken, als wir losgehen, allerdings ist ab dem späten Vormittag Regen angesagt. Die Taschenabgabe befindet sich hinter dem Rathaus. Man legt seinen Oslo-Marathon-Kleiderbeutel (nur der ist hier zugelassen) selbst ab oder bindet ihn an die Absperrgitter. Die Ablage ist nicht überdacht und gegen Regen geschützt, da trifft es sich gut, dass wir unsere Ersatzkleidung zusätzlich in Plastiktüten gesteckt haben. Hinter dem Startblock stehen viele Toilettenhäuschen und es wird perfekt in einer Reihe angestanden. Ich bin beeindruckt. Aber erst mal freue ich mich über eine Laufgruppe aus Essen. Die Herren sind schon ziemlich aufgeregt und werden auch sehr gute Zeiten hinlegen. Super sind die Nationenflaggen auf der Startnummer, plus Vornamen natürlich. Und dann ist da noch die Anzahl der Oslo-Marathon-Teilnahmen vermerkt.
Gestartet wird in zwei Blöcken um 9:25 und um 9:30 Uhr. Über 2.500 Teilnehmende sind heute dabei. Der Startbogen besteht aus einer großen farbigen Anzeigetafel. Die Sekunden werden heruntergezählt und dann gibt es noch ein kleines Feuerwerk, auch für uns im zweiten Startblock.
Es gilt eine Halbmarathonstrecke zweimal zu durchlaufen. Sie sieht auf dem Plan der Münchner Olympia-Marathonstrecke nicht unähnlich: Mit etwas Fantasie kann man eine Art Dackel erkennen. Die Kopfpartie umfasst 12 km. Dann kommt man wieder am Start vorbei. Der hintere Teil ist 10 km lang. Was mich beunruhigt, sind die beiden Parks an den Enden, die 60 und 75 Meter hoch liegen. Also geht es mindestens viermal steil bergauf.
Sofort zu Beginn ein Anstieg. Immerhin sind wir ja fast auf Meereshöhe gestartet. Kurz nach einem Geschäftsviertel befinden wir uns schon in einem Wohngebiet mit schönen alten Häusern. Ein bisschen schmal an einigen Stellen. Da muss man aufpassen, obwohl ich ja Bernhard aus Österreich, der in seinem Chiang Mai-Marathon-Hemd unterwegs ist, noch einholen möchte. Nach einem guten Kilometer dann weiter in einem Villenviertel. Einige Botschaften liegen hier und viele Zuschauer sind auch an der Strecke, oft wird man mit Namen angefeuert. Ich erkenne schnell, dass „Andreas“ auch in Norwegen ein beliebter Vorname sein muss, da auch viele einheimische Mitstreiter so heißen. An den zahlreiche Animationspunkten gibt es hauptsächlich Musik vom Chip.
Auf einem kurzen Stück gibt es auch Gegenverkehr, dann sind wir wieder allein. An der monumentalen Torkonstruktion des Vigeland-Parks vorbei. Um die Anlage, die 212 Stein- und Bronzeskulpturen des Bildhauers Gustav Vigeland aus den Jahren 1907 bis 1942 beherbergt, laufen wir erst mal herum, um dann von hinten hineinzulaufen. Links kommt die U-Bahn aus dem Tunnel. Am Sportpark steht die Skulptur von Sonja Henie (1912-1969), der erfolgreichsten Einzelläuferin in der Geschichte des Eiskunstlaufs, die im Osloer Frogner-Stadion zu trainieren pflegte und nach dem Ende ihrer sportlichen Karriere als Filmstar in Hollywood Furore machte.
Vor uns auf dem Hügel ein weiteres, diesmal rundes Denkmal. Dort hinauf. Der Fotograf steht am Ende des steilsten Abschnitts. Das werden sicher traurige Bilder von abgekämpften Gestalten. Links von uns eine große Säule, Vigelands „Monolith“, der die verschiedenen Stadien des menschlichen Lebens vom Embryo bis zum Greisenalter zeigt.
Idyllisch über eine kleine Brücke. Im Augenwinkel sehe ich ein Schild: Trasé Grete Waiz Løpe. Da muss ich noch mal zurück für ein Foto. Die in Oslo geboren Grete Waiz war eine norwegische Langstreckenläuferin und Weltrekordlerin im Marathon in Helsinki 1983. Neun Mal gewann sie den New York Marathon zwischen 1978 und 1988.
Am nächsten Animationspunkt hat eine Künstlerin große Bilder aufgestellt. So etwas gab es auch mal beim Marathon in München. Und noch mal ein paar Meter hinauf zu einer Ausflugsgaststätte und sofort wieder runter auf die bekannte Straße.
Nun kann man es ein Stück bergab „laufen lassen“. Ein neues Viertel mit Bürohäusern wartet auf uns. Ausgelassene Stimmung beim Garmin-Fanstand. Hier befinden sich auch Kontrollsysteme für die Osloer Citymaut. Mit einer hohen Gebühr soll Autoverkehr aus der Stadt herausgehalten werden. Indische Discomusik - oder das, was ich dafür halte – auf einer Grünbrücke, und dann sind wir am der E18, Sjølystveien. Das ist jetzt recht laut hier. Dafür sind die nächsten fünf Kilometer bretteben. Wenn man aufpasst, sieht man rechts noch etwas Wasser, dann kommt die Museums-Halbinsel Bygdøy, wo das berühmte Polar-Expeditionsschiff „Fram“ aus den Jahren 1893-1912 ausgestellt ist und das Kon-Tiki-Museum Originalfahrzeuge des Forschers und Abenteurers Thor Heyerdahl zeigt.
Kurz danach kommen wir wieder an den Fjord, wo ein großes Kreuzfahrtschiff vor Anker liegt. An der Zufahrt zum Hafenbecken ein langer Stau. Kurz vor uns darf ein Bus mit der deutschen Aufschrift „Stadtrundfahrten“ queren. Bald werden die Lücken zwischen den Laufenden aber größer. Trotzdem begleiten uns nun eilige Rollkofferschieber auf ihrem Landgang. Links geht es für die Automobilisten steil hinab in den Tunnel. Der ist 4,5 km lang und unterquert die komplette Innenstadt. Wir kommen in ein Neubaugebiet am Hafen. Viele nette Kneipen, dann sind wir schon am Haupthafenbecken. Links ein Restaurant nach dem anderen. Rechts die Fähren in den Oslofjord. Über 50 Kilometer sind wir von der Nordsee entfernt.
Eine 100-m-Sprintstecke wird angekündigt. Wie bitte? Beim Marathon? Anfang und Ende markiert jeweils ein Red-Bull-Bogen. Kurz danach informiert mich eine SMS auf meiner Uhr, dass ich 38 Sekunden für die 100 Meter gebraucht habe. Judith war schneller und später lese ich, dass einige Teilnehmer die Strecke in rekordverdächtigen 12 Sekunden zurückgelegt haben, obwohl die Bodenplatten gerade hier nicht lauffreundlich glatt verlegt sind.
Die Spannung steigt, was uns nun auf der Ostrunde erwartet. Erst mal um die Festung Akershus herum. Der Saxophonspieler ist super. Die flotte Sängerin ist noch mit Schminken beschäftigt. Aber ich komme ja noch mal vorbei. Apropos: An vielen Häusern hängen Fahnen der queeren Community. Dann überqueren wir die Einkaufsstraße. Dort warten viele Leute in Shopping-Laune - es ist ja Samstag - auf den Übergang. Wieder Gegenverkehr. Die 3:45-h-Pacer kommen mit ihrem Tross vorbei. Früher hätte ich mit denen mithalten können.
Und es geht spürbar bergauf. Willkommene Unterbrechung am Verpflegungspunkt. Es gibt sehr häufig Wasser, Iso-Getränke, später Pepsi und an den großen VPs Bananen. Die Pappbecher werden von freundlichen Helfern angereicht. Drei Toilettenhäuschen stehen an jedem großen VP. Die sind vielleicht etwas knapp bemessen, wenn man bedenkt, dass hauptsächlich im Stadtgebiet gelaufen wird und auch noch mehrere Tausend Halbmarathonis auf die Strecke gehen.
Hinter zwei kurzen Abschnitten schwenken wir auf die Ullevålsveien ein. Über eine weite Strecke sieht man Laufende, die sich hinab und hinauf bewegen. Oben angekommen werden wir von einer „Avkjølingssone“, zu Deutsch „Abkühlungszone“, mit Dusche erwartet. So heiß ist es aber gerade nicht. Auf einem kurzen Video der vergangenen neun Marathons sah man allerdings einige sehr sonnige Veranstaltungen. Da haben wir heute ja Glück. Dafür sind wir am St. Hanshaugen Park, wo uns noch einmal ein Steigungsstück erwartet. Dann schlagartig das Ganze wieder hinunter. Fast bis zur Fußgängerzone geht es nun nur bergab. Super.
Wir biegen hinter der Poledance-Bar in altem Gebäude auf die Kristian IVs gate und haben einen wunderbaren Blick auf das Schloss. Links das Parlament Storting, übersetzbar mit „großes Thing“ oder „Großversammlung“. In ihm tagen 169 Abgeordnete, die das Land mit 5,5 Millionen Einwohnern vertreten. Norwegen gehört nach ablehnenden Volksabstimmungen 1972 und 1994 nicht zur EU, ist als Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aber in vielen Belangen einem EU-Land gleichgestellt. Außerdem nimmt es am Schengen-Abkommen teil, sodass keine Passkontrolle notwendig ist, und auch unser Mobilfunkprovider wendet die EU-Preisklausel an.
Wir umrunden das Parlament und sind dann schon auf dem Weg Richtung Zielbereich. Ich freue mich darüber, dass uns die Führenden nicht eingeholt haben. Die meisten Fans warten aber schon auf der anderen Seite des Platzes auf die Ankunft der Spitzengruppe.
Judith und ich erfrischen uns am VP und weiter geht´s. Das Schöne an Zwei-Runden-Kursen ist die Möglichkeit, sich noch mal einen besseren Überblick zu verschaffen. Gerade hier am Anfang hat man nun nicht mehr das Getümmel. Für mich ist es an der Zeit, mein Ding durchzuziehen. Vorsichtig suche ich ein gutes Lauftempo. Wir haben Glück mit dem Wetter, denn bis auf ein paar vereinzelte Tropfen bleibt der angekündigte Regen aus.
Schnell bin ich wieder am Hafen. Beim Kreuzfahrtschiff hat sich der Stau aufgelöst. Einige wenige Radler verirren sich auf unseren Laufweg, der ansonsten absolut auto-, scooter- und radlfrei ist. Sehr gut markiert ist die Strecke. Die Kilometermarkierungen stimmen gut mit meiner Uhr überein.
In den Restaurants am Hafen ist jetzt die Hölle los. Ich bin inzwischen im Wettkampfmodus. Gut, dass ich nicht mehr so viel fotografieren muss. Der VP vor dem langen Anstieg wird noch einmal genutzt, dann gehe ich es an. Mein Herz klopft. Eine Geigenspielerin am Streckenrand sorgt für gute Laune. Dann wird es flacher. Weiterlaufen. Am Park stehen einige Zuschauer. In meiner Leistungsklasse ist hier Gehen angesagt. Die Fernsehübertragung vom Halbmarathon wird später zeigen, dass auch die Schnellsten hier sehr zu kämpfen hatten. Der höchste Punkt kommt schnell, dann zügig hinunter. Beeindruckend, was ich hier noch rausholen kann. Jede Kilometerhochrechnung ist besser als erwartet. Wie schön.
In der Fußgängerzone kommt es fast zu einem Zusammenstoß mit einem telefonierenden Herrn. Eine Ordnerin kann ihn gerade noch zurück reißen. Vielen Dank. Der junge Mann schaut total erschrocken.
Kurz vor Kilometer 42 dann im Zielsprint bergab. Unter dem Jubel der Zuschauer beende ich den Lauf. Viele glückliche Marathonis treffen ein. Judith freut sich über eine Saisonbestzeit und dann kommt sogar die Sonne heraus.
Die Medaille besteht aus recyceltem Plastik. Als Zielverpflegung bekommen wir einen Müsliriegel, Wasser, Bananen und eine Tüte mit Nüssen. Wir holen unsere Kleidersäcke, die gut verknotet am Absperrgitter auf uns warten. Helferinnen kontrollieren am Ausgang, ob die Nummer auf dem Beutel zu unserer Startnummer passt. Im Zielbereich kann man sich massieren lassen.
Dann genießen wir noch einen kostenlosen Kaffee und schauen dem Zieleinlauf des Halbmarathons zu. Zusätzlich gibt es eine 72,3-km-Wertung. Dabei läuft man zuerst den Marathon, startet dann beim HM und anschließend beim 10-km-Lauf. Sofern man rechtzeitig zum Beginn des jeweils nachfolgenden Laufs im Ziel ist.
Wir schauen noch zur Sprintstrecke und sehen viele 10-km-LäuferInnen mit einem Eis in der Hand. Diese Art der Erfrischung gab es bei uns noch nicht. Ein Tipp zur Entspannung wären die Saunaflöße am Hafen bei der Oper. Nach dem Saunagang geht es zum Abkühlen in die 17 Grad warme Nordsee.
Wir bleiben noch zwei Tage. Am Samstag fahren wir mit der U-Bahn über eine kurvige Bergstrecke hinauf zum Holmenkollen mit der berühmten Skisprungschanze. Unterhalb frönt man mangels Schnee dem Sommerlanglauf auf Rollen. Dann mit der Trambahn quer durch die Stadt zu trendigen Vierteln wie Grünerløkka mit seinen zahlreichen Cafés und Restaurants. Und dann noch mit der Fähre zum Inselhopping im Oslofjord. Das 24-Stunden-Ticket des öffentlichen Nahverkehrs macht´s möglich. Den wie angekündigt kalten und verregneten Montag nutzen wir für Museumsbesuche.
Oslo hat uns sehr gut gefallen. Die Stadt hat landschaftlich und kulturell einiges zu bieten und vieles erschien uns exotisch. Die Norwegische Krone mit einem Wechselkurs von 10:1 ist in Zeiten des Euro gewöhnungsbedürftig. Englisch wird überall gesprochen, aber bei vielen Infotafeln beschränkt man sich auf eine der einheimischen Sprachen Nynorsk oder Bokmal. Der Nahverkehr liegt preislich auf deutschem Niveau, ebenso Kaffee im Lokal. Alles andere ist schon sehr hochpreisig.
Die Marathonteilnahme ist nicht teuer, das Adidas-Hemd sogar sehr günstig. Die Organisation ist sehr gut; man merkt, dass ein großzügiges Budget zur Verfügung steht. Die Internetseite ist auch auf Englisch verfügbar. Die Ansagen erfolgen meist nur auf Norwegisch. Obwohl die beiden Runden zusammen auf 370 Höhenmeter kommen, werden hier gute Zeiten gelaufen. Die Norwegerinnen und Norweger scheinen allesamt Sportskanonen zu sein. Dafür spricht auch, dass ich in vier Tagen Oslo trotz etlicher Hügel kein einziges e-Bike gesehen habe. Hier setzt man anscheinend noch ganz auf die Kraft des eigenen Körpers und strampelt.
Siegerinnen
1 Kristin Waaktaar Opland NOR 2:44:20
2 Melissah Gibson GBR 2:46:49
3 Siri Schøne Ness NOR 2:49:43
Sieger
1 Tage Morken Augustson NOR 2:25:44
2 Stian Christoffersen NOR 2:26:10
3 Piera Tobiassen NOR 2:26:59
Siegerinnen Triple (Marathon, Halbmarathon, 10K)
1 Frida Bustad NOR 5:28:42
2 Ida Slorafoss NOR 5:36:27
3 Anja Lindanger NOR 5:58:47
Sieger Triple (Marathon, Halbmarathon, 10K)
Sebastian Conrad Håkansson NOR 4:27:35
Jonas Tofte Røhne NOR 4:44:14
Trym Tangen Solsvik NOR 4:59:08
Finisher
Marathon: 2.546, davon 60 Deutsche, 8 ÖsterreicherInnen, 10 Schweizer
Halbmarathon: 8.695
10K: 5.153