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Laufberichte

Treviso Marathon: Joe beim Kuhlauf

25.03.18 Special Event
 
Autor: Joe Kelbel

Treviso liegt 30 Kilometer nördlich von Venedig, ist aber bedeutend älter als die Lagunenstadt. Nach den Römern kamen die Goten, die Langobarden, die Karolinger, die Ungarn und Barbarossa. Es ging hin und her zwischen all den Herrschern, bis sich Treviso denjenigen von Venedig anschloss. Dann kamen die Österreicher und ab 1866 kam es zu Italien. Trotz den vielen Wechseln wurde die Stadt reich, sehr reich. An der mythischen Via Claudia Augusta gelegen, die über die Alpen führt, erwarb die Stadt Wohlstand.

Treviso wird Stadt der Gewässer genannt. Die Flüsse Sile und Bettenigia und viele Kanäle machen einen Vergleich mit Venedig möglich, doch diese Kanäle sind glasklar und voller Regenbogenforellen.

Von Flughafen (35 Euro Hin/Rück ab Frankfurt international) sind es drei Kilometer bis in die Stadt, der Weg ist mit „TV“ ausgeschildert. Man kommt automatisch zum Piazza Borsa (Börsenplatz), wo die Startnummernausgabe ist.

 

 


Sonntag, Lauftag


38mal habe ich jetzt die Umstellung auf die Sommerzeit mitgemacht, doch dem Handy traue ich nicht, stelle es manuell eine Stunde vor. In der Nacht stellt es sich dann zusätzlich automatisch nochmals eine Stunde vor und reißt mich viel zu früh aus einem seltsamen Traum: Mein Deutschlehrer veranstaltet einen Monstertrail. An der Startlinie sagt er mir, dass ich Favorit bei diesem Trail wäre und im Übrigen sei ich sein bester Schüler gewesen. Wie ich mich noch aufrege, warum er mir das nicht vor 35 Jahren gesagt hat, sehe ich, wie meine Klassenkameraden schon über die Hügel fegen und fliege hinterher.  Das kann mir heute nicht passieren, ich bin ja rechtzeitig geweckt worden.

 

 

Vor der Stadtmauer, vor der Porta San Tomaso ist der Startbogen. Links der Zielbereich, hermetisch abgeriegelt. Das ausgiebige  Posing der Italiener vor dem Start ist mir nicht neu, neu sind diese lächerlichen Kuhkostüme. Die meisten Läufer tragen zusätzlich lila Shirts, da steht „Moorhuhn“ drauf. Nein, es heißt „Moohrun“, also Muh-Lauf. Wie Kühe sehen die auch aus, aber wo sind die  wahren Läufer? Heute wird doch die italienische Meisterschaft ausgetragen! Um 9:30 kein Startschuss, ich gehe nach vorne, doch dort sind die Rollstühle der handycaped people aufgereiht. Keine potentiellen Marathonmeister zu sehen, niemand mit Chip am Schuh.

Das frühe Aufstehen tut mir nicht gut.  Zu spät raffe ich, dass ich am falschen Start stehe. Ich bin bei einem Kuhlauf! Das ist doch der Albtraum eines jeden Läufers!
Da die Laufstrecke nach Norden führt, rase ich augenblicklich nach Norden. Und tatsächlich, 15 Minuten später laufe ich über die Zeitmess-Matte: „Piep,piep“. Geschafft, Joe ist gestartet!

Die  wenigen verbliebenen Zuschauer kriegen sich nicht ein: „Avanti, bravo!“ Der ganze Applaus, nur für mich. Genau bei Kilometer 2 überhole ich den Besenwagen, davor ist der Besenwanderer, der wohl noch nie in seinem Leben überholt wurde und dementsprechend erschrocken hinter mir her brüllt:  „Bravissimo!“  

 

 

Immer mehr Wanderer hole ich ein. Einer fällt mir besonders auf: Er ist zwar schnell, muss aber alle 500 Meter an einen Baum. Der bräuchte mal eine Voruntersuchung. Bei Kilometer 5 wäre eine Gelegenheit, die Helfer am Verpflegungspunkt tragen Latexhandschuhe. Mir ist nicht wohl zwischen diesen langsamen Läufern und gebe Gas.  Im Ort Villorba, in der Villa Giovannina werden Gemälde Venetianischer Künstler aus dem 16.Jahrhundert ausgestellt. Auch der angrenzende Park wäre eine Besichtigung wert, aber ehrlich gesagt, die Strecke ist zunächst langweilig.

Richtig interessant wird es auf den letzten Kilometern werden, wenn wir über uralte Brücken den Fluss Sile mehrfach überqueren werden. „Sile“ kommt von lat. silentium, denn egal wie viel es regnet, der Wasserstand bleibt konstant, der Fluss ruhig, denn er speist sich nur aus Grundwasseraustritten (Risorgive), die vom Schnee des Monte Grappa gespeist werden. Tatsächlich wurde der Tresterschnaps nach diesem Berg benannt, denn als Erwin Rommel 1917 die Italiener in den Dolomiten aufrieb, erhielten die italienischen Soldaten täglich eine „razione di Grappa“.

Das Museo Etnografico Case Piavone ist ein ländlicher Komplex aus dem 17.Jahrhundert, dessen Museumsmitarbeiter sich um den Schutz der örtlichen Volkskultur kümmern. Interessanter sind da diese Risorgive. Dies sind rundliche Grundwasseraustrittsstellen. Auf ihrem Grund kann man kleine Sandkegel sehen, die zu 'kochen' scheinen, weil die Sandkörner vom aus der Erde empor quellenden Wasser aufgewühlt werden.

Bei Km 10 kommen wir nach Pezzan di Carbonera, dessen Internetseite folgendermaßen übersetzt wird: „Es gibt dreihundertundachtzig Singles ( zweihundertvier Männchen und einhundertneunundsiebzig Weibchen )“.
Im Ort Carbonera gibt es für uns keine Carbonara, wir laufen am Fabrikgebäude des weltgrößten Rattengiftherstellers vorbei. Es ist die Firma Mayer Braun, die aber keine einfachen Giftkrümel herstellen, sondern länderspezifische Köder: für New York gibt’s popcorn, für Marokko Couscous und für Italien halt Carbonara. Kein Scherz!

Alle 5 Kilometer wird die Zwischenzeit gemessen. Wettkampfrichter notieren meine Startnummer, Kameras verfolgen mich. Sicherlich rechnet man damit, dass ich Italienischer Meister werde, so schnell, wie ich unterwegs bin. Hohe Weinreben links und rechts, hier wird Prosecco hergestellt.

Kirchgänger winken mit Olivenzweigen, es ist Palmsonntag, man feiert wohl meinen grandiosen Lauf durch die Dörfer.  Km 20, auf der Brücke über den Sile ist die  Statua di San Geovanni Nepomuceno (1760), des Schutzheiligen von Böhmen, der in Prag in Ketten gelegt und in die Donau geworfen wurde. Die Statue des Johannes von Nepumuk belegt die damalige Regentschaft der Habsburger in Treviso.

Der Porto di San Élena ist von zahlreichen herrschaftlichen Villen eingerahmt. Am Hafen dümpeln weiße Bötchen. Die Villa da Riba (1650) besticht mit einem wunderschönen Garten. Ein Schild weist zu einer Musikschule. Leider war die Sängerin der Band dort nie gewesen, ihre schrillen Schreie verfolgen mich noch lange.

 

 

Ab dem VP bei km 25 gibt es feste Nahrung: Kekse und Kuchen, Bananen und Organgenschnitzel. Endlich auch Iso (Sali) anstatt Wasser. Ich werde langsamer.
In Casale Sul Sile verläuft die Grenze zur Provinz Venedig . Dort steht der „Turm der Carraresi“. Es ist der Rest des mittelalterlichen Schlosses der Adelsfamilie Da Camino, das beim Krieg gegen die Venezianer zerstört wurde. Sehr schön ist die Uferpromenade. Man kann hier Hausboote mieten und nach Venedig schippern ( 17 km).

Km 30: Im Hafen von Casier hat man Funde aus der Bronzezeit gemacht, die belegen, dass schon frühzeitig  Handel in diesem Hafen stattgefunden hat. Die Wohnburgen entlang des Sile wurden von den Herren Casier (de Casiero) zur Kontrolle des Handels im 11. Jahrhundert erbaut. Das Kloster stammt aus dem 8. Jahrhundert. Casier ist wunderschön.  Die Band, die mir einheizen sollte, heizt sich nun selber in der Dorfkneipe  ein.

Die Laufstrecke entlang dem Sile ist frühlingshaft und betörend. In der Frühlingssonne leuchten die Schwäne über dem glasklaren Wasser, aus dem winzige rote Blüten emporwachsen. Spaziergänger blockieren den Uferweg oder sammeln die Hinterlassenschaften ihrer Lieblinge ein, da muss ich jedes Mal die Lippen schließen und die Luft anhalten.

Bei Kilometer 35 werden wir auf lange Holzstege geführt, die über einen Altarm des Sile führen. Hier ist ein uralter Hafen, der schon in prähistorischer Zeit genutzt für den Transport von Waren ins Hinterland genutzt. Vor drei Jahren wurden 19 alte Flachwasser-Lastkähne (Burci) ausgegraben. Man nennt es jetzt Cimitero die Burci. Urig, wie die Rippen der alten Kähne aus dem Flachwasser ragen, dahinter die hohen Speicherburgen.

Hinter den langen Holzstegen ist der nächste VP, danach beginnt ein Spießrutenlauf durch leuchtende Aparol-Spritz-Gläser, die mir gereicht werden. Ich denke, ich bin noch spritzig unterwegs und rechne mir eine wunderbare Zielzeit aus, doch meine Uhr am Rucksack steht noch auf Winterzeit.

Der Lauf entlang des Sile hinein in die Stadt ist atemraubend schön. Ponte dea Gobba (Buckelbrücke), dann der berühmte Ponte Dante und immer wieder der Blick auf die Häuser, die auf steinernen Pfeilern über dem Wasser balancieren.
Bei Km 40 biegen wir ab in die Stadt, kommen über den Börsenplatz und laufen hinauf zum Piazza die Signori, der vom Torre Civica überragt wird. Heute Abend wird dieser Platz mit Proseccotrinkern bevölkert sein.  Unbedingt sollte man in eine Trattoria der Altstadt gehen: Prosecco, Prosciutto und Polenta sind angesagt.

 

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Durch schmale Gassen  und über schmerzendes Kopfsteinpflaster geht es am  Dom San Giovanni Battista (Johannes der Täufer,  1222)entlang. Auf der linken Seite ist das Baptisterium (Taufkapelle) aus dem 10. Jahrh. Rechts  die Piazza Rinaldi mit den drei Paläste  der Adelsfamilie Rinaldi, die Kirche San Francesco ( 1255) mit dem Grab des Dichters Dante, der auf der italienischen 2 Euro Münze zu sehen ist, und natürlich die vielen Patrizierhäuser.

Vor dem Ponte de Pria biege ich ab auf die Zielgerade. Ich muss  grandios gelaufen sein, doch bei der Endzeit müssen die sich wohl verrechnet haben. Immerhin, ich bin nicht einmal überholt worden!

 


 
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