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Laufberichte

Marathon in Agadir: Rekord - ja oder nein?

22.04.18 Special Event
 
Autor: Joe Kelbel

„Der Marathon findet am 22. April 2016 statt, Start 8:30 Uhr am  Place El Amal.“ An verwaiste websites marokkanischer Veranstalter, wie die von Running Morocco, habe ich mich gewöhnt. Running Morocco aber hat sich als Organisation von Stadtläufen in Nordafrika mit  dem AIMS-Label   durchgesetzt. Der Direktor, Rachid Ben Meziane, ist mir noch letzte Woche in Santiago de Chile begegnet, er hat dort den Marathon organisiert und gleich den dortigen Direktor Fernando mit nach Agadir gebracht, damit der hier die 7 Kilometer läuft.

Die Anmeldung bei Stadtläufen in Marokko macht man am besten vor Ort. Wie hoch der Startpreis ist, erfährt man dann auch. In Agadir werden 7, 21 und 42 Kilometer angeboten, alle Distanzen kosten 10 Euro. Die Stadt bietet Infrastruktur und Absperrungen umsonst an, den Rest finanzieren Sponsoren.

Viele Läufe stehen mittlerweile  unter dem Ökolevel. Dieser Lauf nennt sich „Der grünen Lauf“. Für uns Läufer bedeutet das: Es gibt nur Wasser an den Verpflegungsstationen. Aber es werden Palmen von unserem Startgeld gepflanzt. Die 10 Punkte umfassende ökologische Beweihräucherung dieses Marathons umfasst die papierlose Anmeldebestätigung per email  und die Überreichung der Finisher-Medaillen durch Offizielle, die am meisten für die Umwelt getan haben.

Gerno und ich landen Freitag, 10 Uhr, haben also Zeit für ein Trainingsläufchen am genialen Strand von Agadir. Am Berg, unterhalb der Kasbah Oufella die leuchtende Schrift: Allāh, al-Watan, al-Malik: Für Gott, König, Volk.

„Agadir“ bedeutet Speicherburg. Die Stadt wurde 1960 komplett durch ein Erdbeben zerstört, die wiederaufgebauten Gebäude dieser Epoche zählen selbst für Marokkaner  nicht zu den Sehenswürdigkeiten. Die neu entstandene Marina dagegen ist ein gemütlicher Hingucker. Der Marathonkurs besteht aus zwei Runden.

Startnummern (dossard) erhält man am unspektakulären Friedensplatz (Place El Amal) westlich des Club Med´s. An der Startnummer klebt der Chip. Hier ist auch Start/Ziel. Startzeit wird (mündlich) auf 8 Uhr festgelegt. Eine Pastaparty soll dort auch stattfinden, ist aber eine Fehlinformation. Stattdessen werden wir vom Direktor Rachid, den ich von zahlreichen Läufen in Marokko kenne, zum Dinner und der Vorstellung der Spitzenläufer ins Sofitel eingeladen. Dort versammeln sich die Direktoren der AIMS (Association of International Marathons and Races), der 400 Laufveranstaltungen angeschlossen sind. Jeder Direktor stellt einen der zahlreichen Spitzenläufer vor. Es sind wirklich schnelle Läufer dabei, aber natürlich nicht die, die morgen in London laufen. Ein anderer Rachid kommt aus London, er ist ein Scout und organisiert jährlich für 300 Briten Laufreisen zu Events nach Marokko. Jetzt will er wissen, ob der Agadir Marathon reif für europäische Freizeitläufer ist.

 


Sonntag


Vom Club Tagadirt sind es 400 Meter bis zum Startort. Um 7:45 sind Gerno und ich dort. Es wird klar, dass der Start wie 2016 um 8:30 sein wird. Uns wird jetzt auch klar, dass es nur etwa 20 Amateure auf der langen Strecke geben wird. Zum ersten Mal sehe ich in Marokko mobile Toilettenhäuschen, sie werden kaum genutzt. Der Startblock ist abgesperrt, aber vor der Sperre quetschen sich schon jetzt die Läufer, die ganz vorne dabei sein wollen.

Die Angaben über die Gesamtteilnehmer schwanken zwischen 5000-11.000. In Marokko ist  ausgiebiges Start-Posing angesagt. Gerno lernt Aicha kennen, die zahlreiche Rennen gewonnen hat. Er ist total begeistert. Breckies gelten in Marokko übrigens als Wohlstands-Outfit.

Plötzlich regelrechte Panik,  man tritt sich auf die Füße, rempelt und drängelt unkontrolliert. Alles wie auf der Konstabler Wache in Frankfurt. Hund, Katze, Maus, alles wird über die Startlinie gezogen, heulende Kleinkinder geschoben.  Ich versuche auf den Füßen zu bleiben und trete dabei  jemanden in die Hacken.  Anscheinend ist der Start erfolgt.

Auf der breiten Straße ist kein Durchkommen, vor allem Damen in muslimischer Vollmontur blockieren in Dreierreihen ein Durchkommen. Gerno und ich weichen auf die Gegenfahrbahn aus, bis wir zurückgepfiffen werden.

Die Laufstrecke geht zunächst nach Süden am Palais Royal vorbei, der hinter dichten Bäumen verborgen bleibt. Das wird er auch bleiben, denn der Palast ist seit vielen Jahren am südlichen Ende des Strandes von Agadir, dort  wo man vom Militär zurückgepfiffen wird, sollte man dort langlaufen. Wir laufen also an einem abgeschotteten Park vorbei, der als Königspalast ausgewiesen wird. Der Kreisel hier wird in 2 Stunden Laufgeschichte machen. Linker Seite sieht man den Kirchturm von Sainte-Anne. Am Kreisel also rechts runter. Alles Neubaugebiet für Luxushotels. Die hässlichen Bauzäune aus Wellblech eignen sich bei diesem Massenpublikum mit kleinen Kindern nicht zur Entsorgung von Kaffee.

Bestes Hotel in Agadir ist das Atlantic Palace, an dem wir abbiegen. Wir gelangen in den Secteur Touristic und laufen hinunter zum Surfstrand, vorbei am prächtigen Riu Tikida Beach, das beste Resort mit Strandzugang. Das Casino ist rechter Hand, der Club Med linker Hand.  Hier beginnt der Wanderweg nach Norden in die Berge nach Tamzargout. Wir haben Kilometer 5 erreicht, die 7 Kilometer-Läufer biegen ab, es wird endlich sehr viel ruhiger.

 

 

Bisher gab es alle 2,5 Kilometer kleine Wasserflaschen. Die Wasserstellen werden regelrecht plattgestürmt, man sollte solche Einrichtungen zunächst  weiträumig umlaufen.  Das Klima ist in Agadir gleichbleibend gut, die Sonne brennt zwar, aber bei Temperaturen um die 20 Grad und angenehmem Meerwind gibt es garantiert keine nennenswerte Dehydrierung, also warum diese Panik?    

Es geht am Royal Tennis Club und dem berühmten Night Club „ Pool Lounge Thalassa“ vorbei, entlang der nördlichen, schönen Strandpromenade zur Marina. Hinter der Marina beginnen die Bananenplantagen unter Plastikplanen. Rechts ist das Deutschen Konsulat. Eine langgestreckte Steigung bringt uns einige Ebenen höher, von denen wir einen wunderbaren Blick zum Riesenrad und über das Meer haben. Die Strecke ist gesäumt von ungenutzten Neubauten.  Auch hier versuche ich wieder eine diskrete Stelle zu finden, doch es sitzen zu viele traditionell gekleidete Damen am Straßenrand.  Und die will man ja nicht erschrecken.

Es gibt viele Steigungen auf dem Kurs, die erschrecken zwar nicht, aber bremsen ungemein. Wasserstationen gibt es jetzt nur noch alle 5 Kilometer, dazwischen Schwammstationen ohne Schwämme und jetzt schon ohne Wasser. Wasser gibt es wieder aus kleinen Flaschen, zumindest in der ersten Runde. Das Einsammeln der halb getrunkenen Flaschen klappt prima, Personal gibt es in Marokko genug. Das sammelt die Reste aus den Flaschen und verkauft es weiter. So mancher Läufer greift freudig zu, und raubt dem Personal jetzt seine Tageseinnahmen.

Kurz vorm Crocopark mit seinen 300 Schuppentieren, die niemand sehen will, biegen wir ab. Die berühmten Arganbäume sehen wir auch nicht, dies ist ein Stadtmarathon. Hier beginnen  Wanderwege, deren Einstieg man nicht erkennen kann.

Die Laufstrecke ist schnurgerade, was ich mag, aber hier sind sie hässlich und öde. Ab Kilometer 18  erscheinen immer mehr traditionell gekleidete Familien, die mit Koffern und Picknickkörben auf dem Weg ins Gründe sind, wo immer das ein mag. 2:05 Stunden zeigt das Führungsfahrzeug an, als es mich überholt und dahinter der Kenianer oder Äthiopier, der in sensationellen 2:14 finishen wird. Alles super, es sieht gut aus. Offenbar auch ich, denn keiner der Ordner kommt auf die Idee, mir  den Weg in die zweite Runde zu zeigen.

Ich müsste links runter, zum Massafluss, wo die Flamingo-Kolonien und der wirkliche Königspalast ist, doch die blitzschnelle Polonäse der dürren Spitzenläufe verhindert  meinen Versuch, in diese Richtung zu laufen. Es ist auch kein Marathonläufer vor mir zu sehen. Wie  auch, es dürften nur 15 sein, und der Rest hat mich gerade überholt. Zwei Ordner frage ich, bekomme blöde Gegenfragen, die haben keine Ahnung. Dann laufe ich zurück, um den Kreisel nochmal rum und versuche dabei Kipsang- Irgendwer nicht  in seiner Zielgeraden zu behindern. Wieder werde ich darauf  hingewiesen, einfach den dürren Schwarzen zu folgen. Also lege ich einen Zahn zu, folge dem Farbigen und den farbigen Pfeilen.

 

 

Als ich auf die Zielgerade einbiege, finde ich das noch ganz toll. Gute Idee, durch den Zielbogen zu laufen, um dann auf die Marathonstrecke abzubiegen. Es macht Biiep, ich bin mit 2:20 über der Ziellinie, bekomme Medaille und Zielverpflegungs-Beutel aufgedrängt. Ich frage Ibrahim und Hicham, die Offiziellen, die ich kenne, wo jetzt der Kurs weitergeht. „C´ est fini!“ Wie? Rennen abgebrochen? Kenne ich ja noch von letzter Woche in Chile. „Oui! Fini! Aus! Vorbei. Ende!“ -  WO BITTE GEHT ES WEITER? Sag mal, seid ihr alle bekloppt? Mir wird klar, ich bin nicht auf die zweite Runde eingewiesen worden. Und langsam akzeptiere ich, dass ich die zweite Runde jetzt nicht mehr laufen darf.

Wäre auch nicht der Hit gewesen, zwischen Fußgängern und Autos, die nun die Straßen bevölkern. Mit zwei übriggebliebenen Wasserstationen aus dem Kofferraum auf den nächsten 21 Kilometer durch hässliches Neubaugebiete zu laufen, dafür brauche ich kein AIMES-Zertifikat.  

Ob ich nun versehentlich irgendeinen Rekord gelaufen bin, kann ich nicht sagen, es gibt keine Ergebnislisten, allenfalls einige Zeitangaben in der örtlichen Presse, in denen mein Name nicht erscheint.

Im Strandlokal sitzend fliegen die fetten Möwen über mich und singen: „ Graaah Graaah! Half! Half! Half“ und kacken mir ins Bier. Ich habe meine 4ten Halbmarathon gefinisht.

 

 


 
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