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Laufberichte

Lüneburger Heide Winter Trail: Die Braune Krönung

19.01.20 Special Event
 
Autor: Joe Kelbel

Es ist klasse, dass es immer mehr Laufveranstaltungen auch im Winter gibt. Bei den meisten handelt es sich um Rundenläufe, da man dafür kein großes Versorgerteam braucht und bei Schnee nicht so viel räumen muss. Allerdings vermisse ich bei Rundenläufen schon bald das Gefühl der Freiheit.

Der Heide Winter Ultra ist schon eine andere Nummer, er ist nach Eröffnung der Ausschreibung schon geschlossen, denn jeder möchte auf 52 Kilometern die Freiheit der weit offenen Landschaft ohne Asphalt aber mit festen, sandigem Untergrund genießen. Ich kenne die Lüneburger Heide schon von anderen Austragungen, wie z.B. den Heide Ultra-Trail zur Heideblüte im Juni, der von Klaus Meyer organisiert wird. Im Winter sind die Blüten des Heidekrautes braun, wenn Frost dran klebt dann sind sie silbern. Die Teilnehmerzahl bei den Heideläufen ist streng auf 30 Teilnehmer limitiert, 52 Kilometer sind kein Pappenstiel, denn es sind keinen Rundenläufe, da muss die Versorgung klappen. 

 

 

Der Heide Winter Ultra wird von einem Mann organisiert, der nie einen Marathon/ Ultra auslässt, und schon mehr als 2500 gelaufen ist. Dieses Jahr hat er die Teilnehmerzahl von 30 auf 50 und dann auf 75 erhöht. Dafür verzichtet der Weltrekordler in der Anzahl gelaufener Marathons/ Ultras, Christian Hottas auf die Teilnahme bei diesem Lauf der Freiheit, er kümmert sich voll und ganz um die Verpflegung der Läufer, unterstützt von Klaus Meyer und Frau.

Start ist in Schneverdingen, das ich von Hamburg erreiche. 200 Meter von der Bahnstation entfernt ist das Hotel Ramster, unser Start-und Zielbereich. Ich hatte unterstellt, dass Christian etwas mit der Wirtin vom Hotel Ramster hat, aber eine Wirtin gibt es nicht, nur einen Wirt und der ist Junggeselle. Dass der Chef gerade einen gebrochenen Arm hat, hat nichts mit Christian zu tun. Die Angestellte an der Rezeption erzählt am Telefon einer Freundin, dass sich morgen eine Aushilfe vorstellen wird. Heute Abend aber gibt es dennoch geschmorten Heidschnuckenrücken und gebratene Ente vom einarmigen Chef.

Da einige Läufer ihre Verdauung bis zum Start um 10 Uhr noch nicht geregelt haben, hat Christian das Zimmer 5 reserviert, das ist größer als Zimmer 1, das wir im letzten Jahr hatten.  Wir sind ja auch mehr Läufer in diesem Jahr. Im Zimmer 5 liegt dann auch die Finisherliste aus, in die man sich in einigen Stunden einträgt, man nimmt sich dort dann die Medaille und eine Dusche. Auf dem Bett wird das Gepäck mit den Wechselklamotten gelagert.  

Der Startpunkt ist gut gewählt zwischen Bahnhof und „Eingang“ zur Lüneburger Heide. Nach kurzer Streckeninfo geht es los. Der Kurs ist nicht markiert, wer nicht navigieren kann, dem hilft auch nicht die Einweisung. Die Wege heißen „Lila Krönung“, „Spitzbubenweg“, „Herman- Löhns-Weg“ und was weiß ich was. Das Navigieren per Handy-App klappt gut, solange man Netz hat.  Also nicht. Mit meiner Fenix5 habe ich anfangs Probleme, man kann die Funktionen halt nur einstellen, wenn man auf der Strecke ist, die man runtergeladen hat. Nun ist GPsites seit 4 Tagen eingestellt worden, wer mit dem Dateiformat des neuen Anbieters nicht vertraut ist, der rödelt.

Die Strecke aus der Vogelperspektive gesehen, sieht aus wie eine Heidschnuckenbratpfanne. 11 Kilometer nach Norden zu VP 1 , Bratpfanne mit Schniedel bei VP 3, dann wieder zurück bis VP 1, der dann VP4 ist und Bratpfannengriff zurück bis Schneverdingen.

Auf den 200 Metern bis zum „Eingang“ zur Heide gelingen mir noch Fotos von Mitläufern: „ Joe, du bist aber schnöll heute“. Dann verlassen mich die Kräfte, was sicherlich an dem zu eng gewordenen warmen Unterhemd von Falke liegt, in dem ich kaum atmen kann.

 

 

Und dann kommt dieser ewig lange Weg zum Horizont.  Geil, das lieb ich. Links und rechts liegen abgesägte Kiefern, man muss die Heide pflegen wie eine Intimzone, sonst wächst sie zu. Hat der Wirt Probleme mit seinem gebrochenen Arm, so hab ich Probleme mit meinem gebrochenen Schienbein. Auch 12 Monate nach dem Bruch reiben Sehnen und Muskeln am Kallus, der hügligen Knochenverstärkung, die sich durch die Laufbewegung immer wieder entzündet. Mein Comeback im November musste ich deswegen um einen Monat verschieben. Ich falle zurück, falle in die Gruppe der Powerwalker.

Seit dem Auftreten der Megamärsche dringen auch Powerwalker in Laufveranstaltungen vor, das ist schön, aber stellt die Organisation vor neue Probleme. Zwar gibt ein kein Zeitlimit bei diesem Lauf, aber die Versorgungsstationen müssen länger offen bleiben.

Bis zu Kilometer 11, der ersten Verpflegungsstation in Niederhaverbeck, bleibe ich am Ball, zehn, zwanzig Walker sind hinter mir. Niederhaverbeck ist etwa 900 Jahre alt, die Häuser natürlich nicht mehr. Viele Menschen haben nie in der Heide gewohnt, der Boden ist zu karg um Landwirtschaft zu treiben. Aus den alten Schafställen machte man ein Hotel und bisschen Touri-Event mit Kutschen und so. Sehr schön anzusehen, sehr gemütlich, der Weg entlang der lieblichen, kleinen Haverbecke ist nach meinem Geschmack. Hinter den wenigen, sehr aufwändig restaurierten Häusern von  Heidetal gibt es einen Kopfsteinpflasterweg nach Wilsede. Man kann da gut am sandigen Rand laufen, das ist besser. Ein Radfahrer hat im Rucksack einen kleinen Hund, der trägt eine Skimaske.  Da muss ich laut lachen.

Schön ist, dass sich hier jeder grüßt. Auf „Moin moin“ antworte ich mit „Servus“, was Fragen aufwirft. In Marokko grüße ich mit „Salam, Salam“ weil ich „allameikum“ nur nach vier Bieren hinbekomme.

Wilsede ist ein Museumdorf, sonst kann man hier kein Geld verdienen. Schön, wirklich gut hier. Es gibt auch ein Restaurant, das Museum ist geschlossen. Wer kein Navi hat, der findet kaum den Weg durch die schmalen Mauern. Pastor Bode war ein  evangelischer Heide-Pfarrer, ein richtiger Naturschützer, nach ihm ist der Weg benannt, auf dem ich jetzt weiterlaufe. Er war einer von 11 Kindern und wurde Hauslehrer im Russischen Reich. Mit der Lehrerin Raja Fadejew hatte er „nur“ 4 Kinder. Dann gründete er hier den Spar-und Darlehenskassenverein.  Das ist jetzt 140 Jahre her.

Noch länger her ist die Entstehung der Heidelandschaften: Eiszeit. Der Sand ist Geschiebe der Gletscher. Die meisten Wege, die wir laufen sind allerdings mit Geschiebe aus dem Bereich der Ostsee bedeckt,  wie man an den zahllosen Feuersteinen erkennen kann. Das macht das Laufen problemlos. Der ganze Norden war einst mit Gletschern bedeckt, aber nur in der Heide (es gibt mehrere Heiden) hat sich wegen der Beweidung die offene Landschaft erhalten. Es gibt hier vorgeschichtliche Grabanlagen und Hügelgräber, an denen wir vorbeilaufen.

Diese Gräber sind rund um den Wilseder Berg anhand von „Grundmauern“, also Findlingen sichtbar. Die Findlinge hier sind allerdings nicht groß und rund, wir sind hier am Endpunkt der damaligen Gletscherzone. Die Dorfstraße ist mit solchen Felsen eingefasst, die stammt aus Langobardischer Zeit (1 Jahrh. v. Chr.) Die Langobarden waren wandernde Elbgermanen, also Kerle wie wir.

 

 

Der Wilseder Berg ist 170 Meter hoch, die gesamten 52 Kilometer unserer Laufstrecke summieren sich auf etwa 480 Meter. Der Berg ist eine Endmörane der Saaleeiszeit. Dann bitte schön, stammen die Wegeaufschüttungen mit dem Feuersteinstücken tatsächlich zwar von der Ostsee, aber nicht durch den Transport durch Lastwagen in die Heide. Interessant. Der Wilseder Berg dient/diente zur Ortung von Bränden in der Lüneburger Heide. Der Blick von hier oben gibt mir wieder das Gefühl der Freiheit. Ich nehme mir Zeit. Wenn ich die gesamte Strecke durchlaufen würde, dann wäre ich mit 8,5 Stunden durch. Gefahr wäre, dass ich wieder Überlastungsentzündungen bekommen.

Die Temperatur ist von 0 auf 7 Grad gestiegen, es ist ein schöner Sonntag.  Ich beschließe, eine Runde um den Totengrund zu laufen, um dann zurück zu kehren. Im Totengrund sind keine Gräber, es ist eine ehemalige Gletschermühle, die so arm an Nährstoffen ist, dass keine Heidschnucke dort rein will. Die Aussichten von Kraterrand sind überwältigend. Kurz vor dem VP 2 nehme ich die Runde über den Hermann-Lös- Weg, der jetzt sandig- steil nach oben führt. Hermann Löns, der Heidedichter ist 1914 an der französischen Front gefallen.  Er ist der Begründer des Naturparks:

„Auf der Lüneburger Heide
In dem wunderschönen Land
Ging ich auf und ging ich unter
Allerlei am Weg ich fand“

 

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Es ist wirklich so, dass man allerlei Fotomotive am Wegesrand findet. Ich liebe die Heide. Mit meiner Runde um den Totengrund trete ich den Rückweg an. Mein Körper hat seinen Widerstand aufgegeben, ich kann relativ schmerzfrei laufen. Auf dem Rückweg überholen mich jetzt die schnellen 52 Kilometerläufer, ich hänge mich dran, so dass ich nach 34-36 Kilometer sehr zufrieden im Hotel Ramster einlaufe.

Und der Einlauf ist der Hit: Weiße Teppiche geleiten mich in das Zimmer Nr. 5 wo es schön nach Läufer-Schweiß stinkt. Aber an der Rezeption, mein Gott, da duftet es nach gebratenem  Heidschnuckenrücken.

 


 
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