marathon4you.de

 

Laufberichte

Mein Frankfurt

30.10.11
Autor: Joe Kelbel

Die Eschersheimer Landstraße  ist ein alter römischer Weg, der vom Main über den Taunuspasss am Sandplacken in die Wetterau führte. Den laufen wir jetzt Vollspeed runter, zurück zum Eschenheimer Tor, wie der Platz immer noch genannt wird. Eine stadtbekannte Besonderheit ist die Schreibweise aller Strassen und Gebäude, die sich auf den Stadtteil Eschersheim beziehen: Alle Objekte, die außerhalb der ehemaligen Mauern liegen, schreiben sich mit „s“ also Eschersheimer Landstraße. Alle Objekte innerhalb der ehemaligen Mauer mit „n“, also Eschenheimer Turm. Ich versuche die 9 Löcher zu erkennen.

Vorbei geht es am „Petrescu“, ich habe dort mit  den Boxern trainiert, wurde `86 Frankfurter Meister im Gewichtheben.

Bei km 11.5 das Funkadelic, nein hier war er, der legendäre Club der 80er für Black Music: „I got ants in my pants and I need to dance“. Ich glaub ich war jeden Abend dort, denn eines Abends erschien “The Symbol” TAFKAP oder einfach nur Prince. Seitdem ist „Purple Rain“ mein Hit. In dem Schweißmief von schwarzen GIs mit ihren deutschen Freundinnen gab´s die beste Stimmung der Stadt. Nun lungern hier die Fledermausmenschen rum und hören „alternative Musik“.

Bleichstrasse, Km 12:  Gabi, die vierte des Europacup Crosslaufes steht hier. Wenn die wüsste, dass unter ihr  der  alte Friedhof der St Petrikirche liegt, in 12 Schichten lagern dort die Toten unter der Strasse und dem UBS Hochhaus. Auf dem Rest des Friedhofes wurden die wertvollsten  mittelalterlichen Grabsteinen zusammengestellt, hier ruhen auch Goethes Eltern.

Geradeaus, die Mauern gehören zum heutigen Bethmannpark, der kleine Teich erinnert noch ein wenig an das mittelalterliche Pestloch in dem 20.000 Pesttote versenkt wurden (1349).

Passend zum Marathontermin quartierte sich am 31.Oktober 1813  Napoleon hier in das Haus des Bankiers Bethmann ein. Napoleon war auf der Flucht  nach seiner Niederlage in Leipzig. Wenige Meter von hier, wo jetzt der Frankfurter Zoo ist, war ein riesiges Lazarettlager für die Verwundeten des französischen Heeres aufgebaut. Der Rest des Heeres hatte sich an der Alten Brücke (km 13) verschanzt, über die wir gleich laufen werden und feuerte auf die Sachsenhäuser Seite. Die historische Brückenmühle auf der Insel wurde dabei in Schutt und Asche gelegt.

Konstabler Wache, hier fand der Bieraufstand statt. 24 Tote waren zu beklagen, dann nahm Binding und Henniger die Bierpreiserhöhung wieder zurück.

Hinter der Alten Brücke, links ist das Haus des Deutschen Ordens mit dem rötlichen Turm. Wer sich früher als Bankrottier hierher retten konnte, genoß vom Gesetz her eine 14tägige Galgenfrist. Bei günstiger Gelegenheit verließ man das Ordensgelände für eine Stunde und erhielt erneut 14 Tage Freiheit. Geradeaus wäre jetzt das Apfelweinviertel. In den 80er Jahren hatte ich wirklich Hausverbot in meiner Stamm-Apfelweinkneipe bekommen, weil ich Bier trinken wollte. In den 90ern wurde dann tatsächlich  1 Jahr lang Flaschenbier ausgeschenkt, ab da  war ich wieder drin.

Wir biegen jetzt rechts ab und laufen am Mainufer entlang. Das Museumsufer genießt internationalen Ruf.  Parallel zum Main geht es nun westwärts  Richtung  Niederrad und Schwanheim.

Wo wir das Mainufern verlassen und dann kurz die  Schweizer Strasse mit meiner Stammkneipe „Wagner“  hochlaufen, wurde das Open-Air-Kino in den 80ern vor dem Filmmuseum erfunden. Mittwochs und samstags lümmelten wir schon lange vor Beginn des Filmes mit Bier und Wein herum. Filme wie „The Girl can´t help“ „Manche mögen´s heiß“ oder „Casablanca“ waren nebensächlich, bei 2000 Menschen sah man eh nichts mehr. Heute hat hier das Maincafé in den ehemaligen öffentlichen Toiletten sein Domizil und verwandelt mit Liegestühlen und Wolldecken den Platz mit Blick auf die Hochhauskulisse zu einem der  schönsten von ganz Frankfurt.

Die Villa Kennedy ist wieder so ein Treff der Hochfinanz. Wo diese edle Speisen verzehren und im Spa abchillen, haben wir einen Verpflegungspunkt mit Bananen.

Der Ritter Konrad von Hagen rodete den Wald, legte eine Siedlung an, die Niederrod genannt wurde. Das spätere Niederrad war dann die Wäscherei von Frankfurt, es gab weiches Wasser und auf den großen Wiesenflächen breiteten die Bleichgärtner die Wäschestücke zum Trocknen aus.

Ein wenig westlich der Laufstrecke sind die Schwanheimer Dünen, sie entstanden nach der letzten Eiszeit und bieten neben einem einzigartigen Laufrevier eine Vielzahl seltener Tier-und Pflanzenarten. Das ist jetzt auch irgendwie der Punkt, wo ich wegdöse.  Zu schnell ist mein Tempo, und die letzte Nacht war lang. Während mich langsam die Müdigkeit einholt, frage ich mich, was der Kipsang letzte Nacht  gemacht hat.

Schwanheimer Brücke, km 24. Musikhaus Taunus spielt: „Über diese Brücke musst du gehn...700 hundert Meter überstehn..“ Hier, auf dem einzigen nennenswerten Anstieg der Strecke, bekommen wir die Ergebnisse des Laufes per Lautsprecherdurchsage. Schade, Kipsang fehlten 4 Sekunden. Zurück auf das rechte Mainufer und zum westlichsten Punkt der Strecke in Höchst.

Im Bolongaropalast übernachtete Napoleon  vom 01. auf den 2. Nov 1813, er floh dann nach Mainz, das damals zu Frankreich gehörte. Generalfeldmarschall Blücher erreichte Hoechst wenige Tage nach Napoleon, richtete im Bolongaropalast am 17.November sein Hauptquartier ein, dann verfolgte er Napoleon 3 Monate lang bis nach Paris.

Über Nied geht es nun nach Osten über die Mainzer Landstraße zurück Richtung Innenstadt.

Bei 34 km erreicht man die Galluswarte, früher Galgenwarte. Weswegen die Frankfurter dieses Gebiet „Kamerun“ nennen, bleibt ein Rätsel. Manche sagen, die Arbeiter hätten verrusste Gesichter. Tatsache ist aber, daß die Franzosen 1920 ihre Besatzungszone einfach mal nach Frankfurt ausdehnten und hier eine Grenzstation errichteten, an denen auch Marokkaner Dienst taten.

Hier erwischte mich 2002 beim Orkanmarathon eine Absperrung, und schlug mir das Knie blutig. Der 100jährige Fauja Singh steht hier und klatscht ab, wie ein kleines Kind. Er lief heute die interreligiöse Staffel. Zwei Kilometer weiter ist man wieder an der Alten Oper. Auf einer Runde über Taunusstrasse und Kaiserstrasse wird die Taunusanlage erneut passiert.

Und ein zweites Mal geht es über den Roßmarkt und Hauptwache  zur Eschenheimer Anlage.  Bevor wir wieder in die Fressgass einbiegen, haben wir einen Blick auf das Gebäude  der ehemaligen Lehman Brothers Niederlassung. 50 bis 75 Milliarden Dollar wurden durch die Lehmanpleite versägt. Im Erdgeschoß war das „Weihenstephan“, der Börsianertreffpunkt schlechthin mit Blick auf die flanierenden Anzugsträger. Damals gab es noch keine Handies, aber ein Telefon inmitten der Kneipe. Man gab dort seine Aktienorders auf, umringt von zahllosen Profiteuren mit langen Ohren.

Der Weg über die Mainzer Landstrasse ist ewig lang. Staffelläufer flankieren die Strecke, um mit ihren Schlußläufern gemeinsam in die Festhalle laufen zu können. Vor mir eine unüberwindbare Phalax in Viererreihe, letzte Kurve vor dem Hammering Man. Ich bin schnell, komme noch glatt durch das Osttor der Festhalle.

Grandiose Atmosphäre, die Menge tobt, versuche Fotos zu schiessen, aber alles verschwimmt. Scheinwerfer, Glitzerzeug und roter Teppich, alles verschwimmt, ich schnappe nach Luft, die ist aber schweissgetränkt und warm. Fertige Läufer liegen auf dem Boden. Ich soll schnell weitergehen, Platz machen, denn nach mir wird der Andrang der Läufer heftig werden. Drehe ein paar Runden um das Zieltor, genieße diesen einmaligen Ort und bin dankbar, dass ich elf Jahre nach meinem ersten Marathon immer noch fit bin. Wie hat sich doch dieser Marathon in den letzten 11 Jahren entwickelt! Einmalig.

Die wenigen Stufen hinab zur Zielverpflegung sind wie immer nicht einfach. Ganz hinten gibt es noch echtes Weizenbier, es lohnt sich in Frankfurt schnell zu laufen. Auf ebay wurde ein Startplatz zuletzt mit 275 Euro gehandelt, Frankfurt ist in allem Spitze.

Marathonsieger

Männer

1 Kipsang, Wilson (KEN) 02:03:42
2 Matebo, Levy (KEN) 02:05:16
3 Matebor, Albert (KEN) 02:05:25

Frauen

1 Daska, Mamitu (ETH) 02:21:59
2 Kiprop, Agnes (KEN) 02:23:54
3 Chepchirchir, Flomena (KEN) 02:24:21


12.437 Finisher

123
 
 

Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024