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Laufberichte

Mein Frankfurt

30.10.11
Autor: Joe Kelbel

Die Commerzbank hat lange Banner gespannt, damit der Blick nicht auf das Zeltlager fällt. Interessanterweise hat der Chef der Commerzbank, der Martin, mit dem ich zusammen die Schulbank bei der Dresdner gedrückt hatte, heute ein Statement gegeben: „Eine Brandversicherung braucht keine Versicherung, sonst gibt es Leute, die wollen, dass es brennt.“

In der Häuserschlucht der Neue Mainzer Landstraße ist rechts ein unscheinbares  Highlight, das man einfach mal miterlebt haben sollte: Das Deli, dienstags der Treffpunkt der Day-Trader. Spitzenmukke und gerammelt voll. Seit meiner Drehbuchbesprechung mit Michaela Schaffrath bin ich der Einzige, der hier mit Nike Free hinein darf.

Nun geht es zurück über die Mainzer Landstrasse zum Startbereich, rechts der Ivory-Club, zwei riesige Stoßzähne und zahlreiche Fackeln kennzeichnen den Eingang, wo die Geldprominenz zu Hause ist. Am Messegelände vorbei geht es  zum alten Unigelände an der  Bockenheimer Warte. Hier (km 4,5), vor meiner aktiven Zeit, fand am 22. April 1969 die „Busen-Aktion“ gegen Professor Adorno statt. Drei langhaarige, barbusige Studentinnen versuchten ihn zu küssen. Der 65-jährige Sozialphilosoph hielt sich seine Aktentasche schützend vors Gesicht. Es war seine letzte Vorlesung, er starb wenig später an Herzinfarkt.

Adorno sass oft im Cafe Laumer, hier rechts an der Bockenheimer Landstraße (km 5,5). Das Cafe war in den 60er und 70er Jahren der Szenetreff, als er hier vor barfüßigen Studenten seine Vorlesungen hielt. 1968 kam es dann zur Tortenschlacht, an der auch Joschka Fischer sich beteiligt haben könnte. In den 50er Jahren kratzte Helmut Kohl seine letzten Pfennige zusammen, um hier den gedeckten Apfelkuchen zu esssen.

Es geht los, ich laufe frei, die Stimmung an der Alten Oper brodelt, schnell geht es durch die Top-Einkaufsstrasse, der Goethestrasse, links die teuren Gucci-Gucci-Läden, rechts ein Lokal, das die letzten 50 Jahre überdauert hat,  man spricht noch Frankfurterisch: „Mutter Ernst“, hier sitzen die letzen Börsianer bei den größten  Kottelets der Stadt. 6 Stück hatte ich mal in 28 Minuten verdrückt und damit die Wette gewonnen, die mit dem Ritt von 10 Brokern auf dem Bullen vor der Börse die Hausse einläutete.

Zack, Zack schnell aus der Goethestrase wieder raus. Rechts rum. Links der Commerzbanktower mit dem schönsten Pissoir der Welt: Ganz oben, mit glasiger Schußlinie strullt man den Deutschbankern aufs Dach, ein wunderbar befreiendes Gefühl.

Geradeaus, der ehemaliger Tower der Dresdner, nun DB. Ganz oben ist das Wasserreservoir für die Sprinkleranlage und gleichzeitig das beste Schwimmbad von Frankfurt. Als Azubis sind wir dort mit Blick auf Odenwald und Taunus geschwommen und so manche Klausur wurde  dekandent am Beckenrand hängend mit Bier gefeiert.

Vor uns der Frankfurter Hof (1876). Ich traf damals Didi, den König der Malediven, der hatte im Inselstaat eine Tauchschule. Ich wollte Barfusstourismus, er wollte Luxus, die Entwicklung ist bekannt, wir haben uns nie wiedergesehen.

Ernest Hemingway, der hier in den 20er Jahren wohnte, fand das Hotel zu teuer und berichtete von einem Schild, demzufolge Franzosen, Engländer und Amerikaner im Frankfurter Hof nicht willkommen sind. Thomas Mann machte das Grandhotel dann in seinem Roman „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ unsterblich. Freiwillig habe ich das Buch nicht gelesen.

Hauptwache, Palais Thurn und Taxis. Grandiose Geschichte, aber ich lege einen Zahn zu und erzähle davon nächstes Jahr, denn vor uns erscheint der Eschenheimer Turm. Wer am  Turm (km 8 und 11) hochschaut, erkennt 9 Löcher in der Wetterfahne. Das kam so: Der Wilddieb Hans Winkelsee machte 1550 mit der Obrigkeit der Stadt den Deal, daß er für jeden gegen ihn verhängten Hafttag ein Loch in die Fahne schießt, ansonsten solle er hängen. Gerüchte sagen, „das schöne Bärbelsche“, die Tochter des Turmwärters, hätte die Fahne festgezurrt, jedenfalls rettete der Wilddieb mit 9 Schuß sein Leben. Als nun 1992 der Turm zur Renovierung eingerüstet war, wurde die 30 Kilo schwere Fahne gestohlen. Es  gab aber keine Vorlage mehr, um die Fahne zu ersetzen. Die Frankfurter Rundschau aber fand ein Amateurfoto von 1960, darauf waren erstaunlicherweise aber nur 6 Löcher zu sehen. Doch da war es zu spät, die Firma Jean Kramer hatte schon neun Löcher in die neue Fahne gestanzt.

Links herrum, Richtung Börse, wo jetzt der spinnenumwobene Irish Pub ist, früher das Hard Rock Cafe, nach New York das zweitälteste der Welt. Bis zur Schmerzgrenze hörten wir Mainstream-Rock. „Tonic Water und ’n Ginger Ale!“ „Hä?“ „Tonic Water und ’n Ginger Ale ...“ „Nochmal ...“ „Dann halt zwei Bier!“ „Mit oder ohne Eiswürfel?“ Und im Hintergrund lief MTV.

An der Börse vorbei biegen wir in die Fressgass ein. Ich träume von der Zeit in der „Tomate“, dort wo jetzt „der Zarges“, der Schlemmertempel ist. Das Restaurant war in einem billigen Nachkriegsbau mit Scheinfachwerk untergebracht. Generationen von Haargel triefenden, solargebräunten Schnöseln führten hier ihre stöckelschuhbewehrten Frisurmodelle aus, es waren die Überbleibsel der „Popper“. Deswegen wurde das Kopfsteinpflaster in diesem Bereich besonders versiegelt. Ach, wie schonungslos stellte man sich hier zur Schau.

Rechts der Volkswirt. Der „Kölner Karneval“ ist dort der Hit der Stadt, wer dort hinein will, sollte viel Geduld aufbringen.

Am  früheren Blaubart-Keller vorbei. Wir waren jung und hatten kein Geld, hier gab es Schmalzbrote umsonst, die haben wir uns zentimeterdick bestrichen, mit viel Pfeffer. Billigen Magyarenfusel gab es hier, doch drei Stockwerke tief sind die Keller, die bis zur Alten Oper reichen. Dort unten waren die köstlichsten Weine gelagert. Ich sage „waren“. Den Thomas hatten wir einmal unten „vergessen“. Er wachte bei der Polizei auf.

Weiter geht es zur Bar 54. Heerscharen von Möchtegernmodels blockieren dort allabendlich den Eingang auf der Suche nach Kravatten- oder Nike Free-Trägern. Die Gasse öffnet sich nun zum Opernplatz.

Die Alten Oper. Und wieder erfreue ich mich an der Inschrift im Dachfries, den der Dichter Adolf Stoltze mir gewidmet hat: “Dem Wahren Schoenen Guten“. Legendär der Opernball, wo ich mit Dolly Buster einen Tanz nach dem anderen hinlegte. Seitdem trage ich Brille.

An der Alten Oper vorbei laufen wir nun den Reuterweg hoch. Die Strasse war ursprünglich ein schmaler Reiterweg, daher der Name. Linker Hand (km 9) der Rothschildpark. Das Palais der Rothschilds wurde 1943 zerbomt. Übrig geblieben ist nur ein neugotischer Zierturm, früher Drogenhandelsplatz, nun ein beliebter Mittagspausentreff der Banker und abends ungewolltes Labyrinth auf meinem Nachhauseweg.

Der nördliche Wendepunkt (km 10) der Strecke beim  Campus Westend, dem früheren IG-Farben Haus und jetzigen Hauptstandort der Universität Frankfurt, ist erreicht. Bei den Studenten sehr beliebt sind die Paternosteraufzüge, doch nach einem Unfall darf man diese nur noch mit einem Berechtigungsschein (Paternoster-Führerschein) benutzen. Auf der Terrasse, auf der die RAF 1972 den Oberstleutnant Bloomquist mit einer Bombe tötete, ist jetzt  einer der schönsten Biergärten Frankfurts.

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Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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