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Laufberichte

Warum der Marathon eigentlich weiblich ist

28.03.09

Völlig problemlos erreichen Birgit und ich sehr frühzeitig den Austragungsort des Königsforst Marathon und melden uns nach. Birgit läuft wieder halb und ich halte nach 2 marathonabstinenten Wochenenden endlich wieder eine Marathonstartnummer in Händen und freue mich.

Seit Jahresbeginn habe ich mittlerweile mein Körpervolumen um 3 ½ kg reduziert und vor 3 Wochen den Kandel-Marathon zu meiner vollen Zufriedenheit im leicht-lockeren Laufstil genüsslich durchgezogen, und dieser Lauf war wirklich mein Freund. Die beiden Wochen danach lief ich jede Woche über 60 km im leicht-lockeren Training und war mir sicher, dass mir diese Freundschaft dadurch erhalten blieb, zumal die Skala der Waage weiter geringfügig nach unten tendierte.

Vor dem Start verzehre ich noch ein Marzipanteilchen, das meinen Geschmacksnerven gut tut, aber meinen Magen beleidigt, der säuerlich daraufhin mit Sodbrennen reagiert. Unter anderen begegnen wir in der Aufenthaltshalle dem Grand Raid de la Reunion 2008- Hero Heiner Schütte. Im Gegensatz zu mir hat er sich der kalten Jahreszeit mit sehr sichtbarem Winterspeck angepasst, der durch das weiße Reunion-Finisher-Shirt optisch noch verstärkt wird.

Obwohl wir uns sowohl im meteorologischen als auch kalendarischen Frühjahr befinden und die Apologeten des Klimawandels mit Weltuntergangsszenarien weiterhin pseudoreligiöse Prophezeiungen von sich geben, haben wir noch immer Winterwetter. Ich selbst trage dazu wetterkompatible Kleidung;  Heiner jedoch ist textilmäßig jahreszeitlich schon weit voraus, denn er läuft bereits hochsommerlich kurz gekleidet. Bei Starttemperaturen so um die 7 Grad, windig mit starker Bewölkung muss er wohl durch gesteigerte Eigenwärmeerzeugung  das Bekleidungsdefizit wieder ausgleichen.

Die Halb- und die Ganzdistanzläufer starten mal wieder zusammen, wobei die Letztgenannten die Halbmarathonstrecke zweimal durchlaufen müssen. In Erinnerung habe ich, dass in der Ausschreibung etwas von einer größtenteils bergab zu laufender Strecke zu lesen war.

Sonderbar… 2 Runden und hauptsächlich nur bergab… Im Mittelalter, als die Erde noch eine Scheibe war, war das vielleicht noch erklärbar ….

Nun gut, ich tröste mich mal wieder damit, dass man nicht alles glauben muss, was irgendwo geschrieben steht.

Um 14.00 Uhr fällt der Startschuss und eine über 1.000-köpfige Läuferschar setzt sich erwartungsfroh in Bewegung. Die Farben der Startnummern sind bei den Einrundenläufern  grün und die der Marathonisten rot.

Nach ca. 4 Minuten überquere ich mit Heiner die Startzeitmessstelle und nach wenigen hundert Metern geht es stetig im Wald einen leicht ansteigenden Hügel hinauf. Ich habe vor, mich von Heiner bei  diesem Rennen pacen zu lassen und laufe hinter ihm her. Er läuft schnell an - eine innere Stimme sendet Warnsignale: Ist das denn wirklich Dein Rhythmus?...  Ich ignoriere die Signale, denn ich habe abgenommen und Heiner hat zugenommen, beschwichtige ich …

Bald ist eine Autostraße mit einem asphaltierten Bürgersteig erreicht, wo sich der über 1 km-lange Läuferlindwurm dicht gedrängt wellenartig  hinzieht. Heiner läuft immer vor mir und überholt hin und wieder slalomartig, was ich gegen meine Gewohnheit jetzt auch tue. Bergab könnte es tatsächlich noch etwas schneller gehen, was aber durch die dicht laufenden Teilnehmermassen verhindert wird. Nach ca. 3 km geht es nun nach rechts auf gute Waldwege wieder berg- und talmäßig voran. Und ich habe Mühe, an Heiner dran zu bleiben.

Die erste Verpflegungsstelle taucht auf, wo es nur Getränke gibt und zwar Wasser und ein Elektrolytgetränk in Farbe rosa. Leider ist das Getränk auch noch gewärmt und der Geschmack lässt Jubelrufe meinerseits auch nicht zu. Ich vertraue aber auf die ernährungsphysiologische Bedeutsamkeit dieses Designergetränks.
Und plötzlich weicht die bisherige Düsternis, die Sonne geht auf, wärmt und tut dem wintermüden Körper und der Seele richtig gut. Heiner strahlt und ist sich jetzt sicher, doch richtig angezogen zu sein. Vogelgezwitscher  nehme ich jetzt wahr und kann neben dem Weg auch Krähen mit Schnäbeln voll mit Reisig beobachten, die jetzt ihre Bauvorhaben umsetzen und im Begriffe sind, ihre Art fortzupflanzen.

Über 10 km sind jetzt zurückgelegt und ich laufe immer noch einige Meter hinter Heiner, immer wieder  feststellen müssend, dass ich schneller bin als sonst…  Und der Schweinehund ermuntert mich: mach doch, Du hast doch schließlich abgenommen, Du kannst doch jetzt schneller sein… Doch üble Vorahnungen reifen heran…

Ein Stoffwechselendprozessvorgang zwingt mich jetzt zu einer Pause hinter dicke Eichenstämme. Viele Minuten verbringe ich jetzt in niedergekauerter Haltung und kann die Läufer auf dem Weg sehen, ohne gesehen zu werden. Es sind viele bekannte Gesichter dabei, die jetzt vorbei laufen, die meistens mindestens eine Halbe Stunde schneller sind als ich.

Nachdem ich die Toilettentätigkeit beendet habe, stelle ich fest, dass das Volumen der Stoffwechselendprodukte einen Umfang erreicht hat, dass  wahrscheinlich ein gewissenhafter und vielseitig interessierter Förster das Zeugs zum Zoologischen Institut der Universität in Frankfurt schicken wird, sollte er zufällig darauf stoßen, um sicherzustellen, dass die Dinosaurier auch wirklich ausgestorben sind…

Ich habe jetzt weiter abgenommen … und laufe wieder für meine Begriffe schnell weiter, Karl-Ernst Rösner und Sabine Schneider vom 100 MC wieder einholend. Heiner bekomme ich nicht mehr zu Gesicht, hoffe aber, auch ihn wieder einholen zu können.

An einer weiteren Verpflegungsstelle setzt sich Karl-Ernst von uns ab und ich laufe jetzt mehrere km, mich substanziell gut unterhaltend mit Sabine weiter. Doch bald wird mir klar, dass ich das gegenwärtige Tempo nicht beibehalten kann. Mein männliches Imponiergehabe lässt es nicht zu, ihr das zu sagen und ich täusche eine Wasserlassungspause vor…

Leider bringt mir das jetzt langsamere Laufen keine Linderung und schon unter km 20 fange ich an zu leiden. Hey, was ist denn das… ist das die Auswirkung  des vor dem Start verzehrten Teilchens oder muss ich jetzt Tribut zollen für das bisherige nicht eigenrhythmusgerechte eingeschlagene Tempo?

Es ist jetzt mein 247er langer Lauf und eigentlich müsste ich es besser wissen!  Ich schleppe mich voran und werde ständig von Halbmarathon- und Marathonläufern überholt und mit Schaudern denke ich daran, diese Strecke noch einmal laufen zu müssen. Ich reiße mich zusammen und wenig später ist die erste Runde geschafft; die vielen Halbläufer sind jetzt im Ziel und es wird um mich herum richtig einsam. Vor mir erspähe ich jetzt 2 Marathonläufer, die schnell gehenderweise sich über den Hügel voran bewegen. Ich komme immer näher… aber an der Straße steigen beide aus!

Und auf dem Bürgersteig der Teerstraße sehe ich in der Ferne noch zwei Gestalten. Bergauf werde ich jetzt von einem ca. 25 Jahre jüngerem Läufer überholt, was ich aber bei der darauffolgenden Talfahrt wieder revidiere.

Auf dem Waldweg werde ich nun noch von 2 Mittdreißigern überholt, die ich noch viele km an langen Geraden beobachten kann. Es stürmt und regnet jetzt in Strömen und ich schwitze… Immer wieder fordert mein innerer Schweinehund mich auf, sogar bei Bergabpassagen Gehpausen zu machen, was ich ignoriere. Beim KM-Schild 25 beginne ich an meiner geistigen Substanz zu zweifeln, denn schon viele, viele km macht mir das Rennen überhaupt keine Freude. Ich komme mir vor wie ein Schwimmer im Ozean, der nirgendwo Land erblicken kann.

Daran denkend, dass es in einer Woche in St.Wendel  auch so sein könnte, lässt mich am Sinn des Langstreckenlaufs zweifeln und ich konstatiere, dass der Marathon eigentlich weiblich ist. Diese Marathona ist eine Diva, der man stets größte Aufmerksamkeit, Hochachtung und Demut entgegenbringen muss. Tut man es nicht, gebärdet sie sich als Domina, die schlägt, kratzt und beißt…

Durch den Genuss  der mitgeführten Gel-Chips verschaffe ich mir etwas Linderung und meine Ultralauferfahrung erinnert mich an die Machbarkeit des geglaubten Unmachbaren.  Die schöne Natur um mich herum nehme ich im Gegensatz zu sonst kaum wahr. Nach dem 30-iger km Schild geht es mental wieder bergauf und denke jetzt in Rodgauer 5-km-Runden. Es sind also nur noch zwei Runden mache ich mir vor und unterschlage einfach 2 km. Aber es wirkt… es geht wieder schneller und leichter voran.

Meine Stimmung hellt sich auf und ich kann jetzt sogar wieder die Schönheit der mich umgebenden Waldlandschaft aufnehmen und kann erkennen, dass es im 2. Weltkrieg hier Flächenbombardierungen gegeben hat. Nachträglich hat die Natur davon sogar profitiert, denn diese immer noch existierenden Bombentrichter sind zu Tümpel geworden, wo jetzt gerade Frösche ihrer Laichtätigkeit nachgehen.

Das 35-km Schild wird sichtbar und ich sehe vor mir 2 Läufer, denen ich immer näher komme. Ja, jetzt empfinde ich das Ganze wieder als Rennen. Schließlich überhole ich sie, was mir wiederum ganz gut gefällt. Und ich habe den Eindruck, nun wieder in ordentlicher Haltung joggen zu können.

Die letzten 2 km laufe ich schließlich mich gut unterhaltend zeit- und schmerzvergessend mit einem Debütanten und  wir gelangen gemeinsam in Siegerpose gerade noch im Zeitlimit ins Ziel, wo meine liebe Birgit trotz regennasser Kälte auf mich wartet. Die Sekunden später stattfindende Umarmung lässt mich die stundenlangen Strapazen nun temporär in einem besseren Licht erscheinen.

Dennoch, der Spruch von Ilona Schlegel:  „War der Marathon nicht dein Freund, so war es dein strenger Lehrer!“ wird hier zur Realität.

Und ich gelobe, in Zukunft

a) vor dem Start keine Teilchen mehr zu essen  und
b) wie bewährt nur immer meinen eigenen Rhythmus zu laufen!                       

 

Informationen: Königsforst-Marathon
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