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Laufberichte

Jeder Marathonlauf bedeutet Mühe

27.05.06

„Eifeler Platt?“

 

So gegen 15.00 treffe ich meinen Lauffreund Pascal Hagenbach im Bahnhofsviertel. Noch 3 Stunden sind es bis zum Start und wir suchen ein Restaurant möglichst italienischer Provinienz, um unsere Kohlehydratspeicher aufzufüllen. Jedoch sind zu dieser Uhrzeit die Restaurants außer dem Ableger des Amerikanischen Schnellimbiskonzerns mit dem Schottischen Namen, der bei Kindern und Frühjugendlichen Kultstatus geniesst, bereits geschlossen.

 

Da wir uns alters- und geschmacksmäßig nicht mehr zur Zielgruppe dieses weltumspannenden Rinderhackbräters zugehörig fühlen, nehmen wir mit dem Essen von jeweils 1 Sandwich einer Bäckerei vorlieb und starten bald danach mit unsren Autos zum Kirchberg, zum Cocque, dem Start- und Zielpunkt des Marathons. Pascal besitzt einen Stadtplan von Luxemburg und fährt voraus und ich fahre hinter ihm her und wir erreichen so gegen 16.00 einen großen Parkplatz vor dem imposanten, großen Gebäudekomplex mit dem an eine Muschel erinnernde Dachkonstruktion. Hier gibt es die Startunterlagen, die Duschen und auch der Zieleinlauf wird in diesem Mammutgebäude, das über 5.000 Besucher aufnehmen kann, stattfinden.

 

Viele, viele Läufer sind schon da und einige bekannte Gesichter aus der Marathonszene bekomme ich zu sehen. Der Himmel ist bedeckt und es weht spürbar ein Wind, aber es regnet zurzeit nicht. Die Temperatur beträgt so ca. 12-14 Grad Celsius.

 

Wie so oft vergeht die Zeit bis zum Start viel zu schnell, denn es ist immer wieder interessant, die verschiedenen Läufertypen bei den Großstadtmarathons zu beobachten. Schon 1 Stunde vorm Start sieht man hunderte Läufer sich warmlaufend ihre Kreise ziehen und etliche machen Stretchübungen, eine Tätigkeit vor dem Laufen, über die sehr kontrovers diskutiert wird, den betreffenden Läufern aber wahrscheinlich über ihre Vormarathonnervosität hinweghilft.

 

Dreißig bis vierzig Dixi-Klos stehen in Reih und Glied nebeneinander und werden von der mehrtausendköpfigen Läuferschar stark frequentiert. Ja teilweise haben sich vor den einzelnen Häuschen sogar Schlangen gebildet. Ich versuche solche Massenfäkalierungsstätten immer zu meiden. Erst einmal musste ich vor einem meiner vielen Marathons einen solchen Ekelort aufsuchen; es war vor dem Spreewaldmarathon letztes Jahr,  es war heiß und die gesamte Notdurftkabine war schon von der Tür an verkotet, es stank entsetzlich und nur unter Aufbietung starken Willens konnte ich darin für kurze Zeit ausharren…

 

Die obligatorische Prämarathonwasserlassung lasse ich deshalb ca. 100 m weiter am bebuschten Straßenrand erfolgen.

 

Pascal, der ein sehr schneller Läufer ist, er sollte Gesamtzehnter und erster in seiner 45er Altersklasse werden, reiht sich im ersten Startblock ein; wir wünschen uns gegenseitig gutes Ankommen und viel Freude.

 

Ich stelle mich im hinteren Block auf und pünktlich um 18.00 erfolgt der Start, der durch das Emporsteigen von vielen hundert bunten Luftballons auch optisch signalisiert wird. So nach ca. 4 Minuten laufe ich über den Startteppich und mein 148. langer Lauf beginnt. Ja, es wurde auch Zeit, denn seit 10 Tagen bin ich nicht mehr gelaufen und fühle mich wie ein Rennpferd, das viel zu lange passiv im Stall gefangen gehalten wurde.

 

Auf breiten Avenues laufen wir durch das Luxemburger Finanzviertel. Der Hauptsponsor ING hat nichts mit Ingenieurtätigkeit zu tun sondern heißt „International Netherland Group“ und zählt zu den größten Finanzkonzernen weltweit. Sowohl die Halbmarathonläufer, auf dem Rücken mit „21 km“ gekennzeichnet, die Staffelläufer, auch als solche mit Rückenschild versehen und die Marathonläufer laufen zusammen.

 

Es geht die ersten km vornehmlich bergab Richtung Innenstadt. Die erste Verpflegungsstelle taucht auf, und die Helfer, hier hauptsächlich Buben im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, füllen hektisch die Becher mit Getränken auf. Ein Vorkommnis, das mir bei Erstlingsmarathons als Debütantensünde schon öfters aufgefallen war. Es sollte heute aber nur bei dieser einzigen Station vorkommen.

 

Leicht und locker lasse ich es bergab rollen und bewege mich fast mühelos. Je dichter die Stadtbebauung, desto größer wird die Zahl der enthusiastisch sich gebärenden Zuschauer. Vergleiche mit den Großstadtmarathons Köln und Hamburg fallen mir ein. Mir war bisher nicht bewusst, dass die moselfränkischen Luxemburger über ein solch ausgelassenes Temperament verfügen.

 

Der Marathon verdient auch die Bezeichnung International, denn Teilnehmer aus über 60 Nationen sollen daran teilgenommen haben.


Hauptakteure waren natürlich die Einwohner vom Großherzogtum, dicht gefolgt aber vom östlich gelegenen Nachbarn, mit dem sie sprachlich sehr verwandt sind. Manche behaupten, das Letzebuergische wäre ein moselfränkischer Dialekt. Beim Trail Üwersauer im Nordluxemburgischen Anfang November vergangenen Jahres hatte ich mich gewaltig damit in die Nesseln gesetzt, als ich 2 Luxemburger Mädels klar zu machen versuchte, dass ihre Sprache nichts anderes als „Eifeler Platt“ sei. Tiefe
Zornesfalten konnte ich in Ihren Gesichtern feststellen und musste dann tief in die Charme-Trickkiste greifen, um ihren durch mich verursachten Missmut wieder aus der Welt zu schaffen…

 

Auch die anderen Nachbarn aus Frankreich, Belgien und die Niederlande sind zahlreich vertreten. Öfters bekomme ich Mitglieder vom 100 MC Britanniens, meist ältere Semester zu Gesicht.

 

Wie gesagt, je dichter die Bebauung, desto dichter wird die jubelbegeisterte Zuschauermenge, was sicherlich vielen Läufern ein Gänsehautgefühl beschert. Bei km 17 trennen sich die Wege der Semimarathonläufer von den Volldistanzläufern und es geht unter einem Torbogen in Richtung eines Parks, der im Laufe des Rennens mehrfach durchlaufen wird. Der Parcours geht kreuz und quer durch die Innenstadt, wahrscheinlich um allzu große Berg- und Talfahrten zu vermeiden.

 

Die erste Hälfte wurde von Bergabläufen dominiert, was sich dann im 2. Teil natürlich umkehrt. Die Verpflegungsstellen sind optimal mit marathonspezifischen Getränken und Snacks bestückt und die Zeit vergeht bis so gegen km 30 mit angenehmsten Gefühlen wie im Flug.

 

Dann jedoch wird mir mal wieder bewusst, dass halt ein jeder Marathonlauf Mühe bedeutet, denn Ermüdungserscheinungen treten auf, zumal es jetzt vornehmlich bergauf geht und die Zuschauerdichte nachlässt. Mit einem ca. 2 m großen Luxemburger komme ich jetzt ins Gespräch und wir unterhalten uns so ca. 2 – 3 km zusammenlaufend angenehm. Er heißt Jang Schaber und mit Freude lese ich Tage später eine E-mail von ihm, aus dem hervor geht, dass er dies ebenso empfand.

 

Es weht ein starker Wind und es nieselt leicht. Die Dämmerung setzt ein und es geht zurück zum Kirchberg durch breite Prachtstraßen im Bankenviertel. Die letzten km verlangen vom Läufer mentale Stärke, da es jetzt mehrere Kilometer kerzengerade und bergauf zu laufen sind. Nun bin ich auf der Überholspur und kann meine Fähigkeiten als Ultraläufer zur Geltung bringen. Vom Coca-Cola-Angebot bei den letzten Getränkestellen habe ich  großzügig Gebrauch gemacht und bin überhaupt nicht müde.

 

Eine Kehre kommt und es geht jetzt in Richtung „Coque“ bergab zurück. Ich laufe jetzt wieder so schnell wie zu Beginn des Rennens und als ich dann unter einem Triumphbogen, bestehend aus Luft und Plastik, auf dem 1 km geschrieben steht, hindurch laufe, fühle ich mich mal wieder ganz im Glück. Auf einem langen Teppich geht es ins Innere der Halle, wo viele Hundertschaften von Zuschauern Spalier bilden. In Siegerpositur laufe ich nach 4:40:17 Stunden durch den Finish-Bogen, was mir immer wieder große Freude und Genugtuung bereitet.

 

Ein Mädchen hängt mir wie üblich die Medaille über und ich trinke ein Sportgetränk, das mir unmittelbar hinter der Finish-Linie angeboten wird.

 

Anschliessend nehme ich auf der Tribüne Platz und betrachte noch so ca. ½ Stunde die noch nach mir einlaufenden Läufer. Ein Schauspiel, das mir immer wieder gefällt. Nachdem der Läufer die Ziellinie überquert hat, erscheint sofort sein Name mit seiner Finish-Zeit auf einem großen Bildschirm.

 

Als ich dann zur Abfahrt vor die Halle trete, ist stockfinstere Nacht. Es stürmt und regnet und mein Auto finde ich erst nach ca. 10-minütigem Suchen auf dem Parkplatz… und die Rückfahrt durch die Stadt Luxemburg ist durch Sperrung der großen Ausfallstraße nicht ohne Irrungen und Wirrungen…

 

Der Luxemburg-Stadtmarathon ist nach meiner subjektiven Meinung unbedingt empfehlenswert. Was so meine Erfahrungen bei Großstadtmarathons in Europa angeht, so sehe ich ihn in einer Linie mit denen von Hamburg, Berlin, Köln und vor Paris, was Organisation und Erlebnischarakter betrifft.

 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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