Das Großherzogtum Luxemburg ist mehr als doppelt so lang wie ein Marathon. Es gelten dort zwei Amtssprachen, Französisch und Deutsch, sowie die Nationalsprache Luxemburgisch. Das Twitter-Grußwort des Staats- und Premierministers Xavier Bettel anlässlich des 10. ING Night Marathons lautete so: „Bonne chance an merci all de Leit déi hëllefen dass et esou e mega Erfolleg ass.“ Passt.
Die 563.000 Einwohner des Landes erwirtschaften ein BIP pro Kopf von 112.000 USD und führen damit die weltweite Statistik an. In der ebenfalls Luxemburg genannten Hauptstadt leben über 100.000 Menschen. Die gleiche Anzahl an Personen wird auch an der Marathonstrecke mitfeiern. Die Wappenflagge mit einem Löwen auf himmelblau-weiß gestreiftem Grund erinnert an den Fußballclub 1860 München. Bevor man sich jedoch über Läufer im „Sechziger“-Trikot wundert, sollte man bedenken: Der Fußballlöwe trägt keine Krone und ist schwarz im Gegensatz zum „Roude Léiw“. Damit sollte das Umfeld soweit erklärt sein. Eins noch: Tanken ist hier günstiger als in den drei umliegenden Staaten Deutschland, Frankreich und Belgien.
Wir machen uns schon am Freitagmittag auf den langen Weg nach Luxemburg, um am Samstag bei der Jubiläumsausgabe des nächtlichen Top-Events dabei zu sein. Von München sind wir sechs Stunden unterwegs und suchen zuerst das Messegelände auf. Die Marathonmesse ist relativ überschaubar, sodass wir die Schalter für die Startnummernabholung gleich finden. Die schicke große Tasche, die auch als Kleiderbeutel dienen soll, ist gut gefüllt: Orange, Getränk, Handtuch mit dem Sponsorenmotto „Live, Love, Run“, Mini-Kopfhörer, Duschgel, Clips für die Startnummer, Pastaparty-Gutschein, Schuhbänder und Klapperhändchen für eventuelle Begleiter am Wegrand. Originell ist ein Magnetaufkleber für den Kühlschrank, bei dem man seine Zielzeit (oder die, die man gerne gehabt hätte) herausbrechen kann.
Das Finisher-T-Shirt kostet 27,- € extra, dafür ist die Startgebühr mit 43 - 69 Euro vergleichsweise günstig. Die Veranstaltung ist stets relativ früh ausgebucht. Das dreisprachige „Runner's Handbook“ kam ganz altmodisch per Post nach Hause. Denselben Weg soll die Urkunde nehmen.
Dann schnurstracks zur Pasta-Party, wo wir eine große Portion plus Getränk bekommen. Ins Hotel und sofort zu Fuß ins Zentrum. Leider sind wir schon so spät dran, dass wir die Samba-Shows auf vier über das Stadtgebiet verteilte Bühnen verpassen. Aber schon am nächsten Vormittag soll die musikalische Sause mit 500 Künstlern aus aller Welt weitergehen.
Am Samstag schlafen wir lang und begeben uns nach ausgedehntem Frühstück auf einen Rundgang zu den Sehenswürdigkeiten. In der St.-Michaels-Kirche, deren Geschichte als ältester Sakralbau Luxemburgs bis ins Jahr 987 zurückreicht, entdecken wir bekannte Gesichter: Susanne und Willi aus Österreich, die wir beim Salzkammergut-Lauf getroffen haben, absolvieren heute die vorletzte Etappe ihrer Marathon-Tour durch sämtliche Hauptstädte der EU. Sie empfehlen uns einen Besuch der Kasematten. Mit dem Bau des riesigen unterirdischen Verteidigungssystems wurde im 17. Jahrhundert begonnen, heute gehört es zum Unesco-Weltkulturerbe. Durch die Schießscharten genießen wir die schöne Aussicht auf die Stadt, sparen uns jedoch den Großteil der 450 Treppenstufen in den Untergrund und zurück...
Die Anspannung lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Deshalb machen wir uns kurz vor 15 Uhr auf den Weg zum Shuttlebus, der uns vom Bahnhof an den Start bringen soll. Die verschiedenen kostenlosen Shuttlelinien fahren den ganzen Abend und die ganze Nacht, sodass auch Begleiter an mehreren Stellen der Laufstrecke mitfiebern können. Im Messegelände klappern wir noch einmal die Stände der Aussteller ab und nutzen die Zeit für einen Plausch hier und da. Die Taschenabgabe samt Umkleidebereichen befindet sich in einer großen Messehalle. Da gibt es keine Wartezeiten. Auf dem Vorplatz sind zusätzlich zu den Toiletten in den Hallen noch mal 60 Häuschen aufgestellt.
Jetzt rächt es sich, dass ich die Laufbroschüre wohl nicht sorgfältig genug studiert habe: Unser Block C kann unmöglich vor dem schnelleren Block B liegen. Nach einigem Gedränge und Geschiebe weichen wir auf die höher gelegene Umfahrungsstraße aus und sehen von oben, dass der Startbereich in einer U-Form organisiert ist. Also können wir direkt neben dem Startbogen Aufstellung nehmen.
Die Stimmung bei schönstem Laufwetter ist hervorragend. Vor uns entrollt das große Team der EU-Angestellten eine Fahne. Dazu passend trägt man Hemden im Europa-Look: 12 Sterne auf dunkelblauem Grund. So eins hätte mir auch gut gefallen. Halbmarathonis und Staffelläufer sind durch Schilder am Rücken gekennzeichnet. Judith wird ganz unruhig, als ich anmerke, dass hier anscheinend keine Marathonis stehen. Tun sie aber doch, sie sind nur zahlenmäßig weit unterlegen, Rund 1200 „ Einzelkämpfer“ und etwa 750 Staffeln laufen die lange Strecke. Die Halbmarathonis bilden mit über 6300 Teilnehmern die größte Gruppe. Kinderläufe und ein 5-Kilometer-Teamlauf runden das sportliche Bouquet ab.
Pünktlich um 19:00 Uhr geht es mit großem Konfettiregen los. Nach zehn Minuten haben wir unseren U-Turn hinter uns und passieren die Startlinie. Auf dem Boulevard Konrad Adenauer die erste Begegnungsstelle. Wir laufen eine 2-km-Runde durch ein Wohngebiet, um dann auf die Avenue John F. Kennedy einzuschwenken. Die breite Straße mit ihren acht Baumreihen und ebenso vielen Fahrspuren führt durch das neu entstandene Kunst- und Verwaltungsgebiet auf dem Kirchberg-Plateau. Das Messegelände schließt diesen Bezirk im Nordosten ab. Für uns heißt es jetzt erst einmal leicht bergab in Richtung Südwest laufen und die Architektur bewundern. Wer sich schon mal gefragt hat, wo die Fonds mit Lagerort Luxemburg verwaltet werden, wird hier fündig: Deutsche Bank, UniCredit, Credit Suisse, UBS ... alle sind sie hier vertreten. Gut - dazwischen findet man auch das Max-Planck-Institut. Vielleicht werden dort mathematische Finanzmodelle entwickelt?
Dann gibt es hier noch die École Europénne Luxembourg und die Universität. Auffallend sind die gebogenen Dächer der Coque, einer modernen Sport- und Veranstaltungshalle. In den Anfangszeiten des Marathon war hier das Veranstaltungszentrum. Dann wurde es zu klein. Rechter Hand folgen Gebäudekomplexe der Europäischen Union. Beeindruckend der Europäische Gerichtshof, ein riesiges hallenartiges Objekt, das auf unzähligen mehrstöckigen Querbauten zu ruhen scheint. Auf der rechten Straßenseite die 2005 eingeweihte Philharmonie Luxemburg.
Lauftechnisch ist das Ganze bis jetzt recht angenehm: leicht bergab, Zuschauer in den Wohngebieten, die ersten der insgesamt 50 Musikgruppen. Vor uns liegt die Rote Brücke, die eigentlich Großherzogin-Charlotte-Brücke heißt und aus rotem Stahl besteht. 1965 erbaut, führt sie in einer Höhe von 74 Metern über den Stadtteil Pfaffenthal. Die Altstadt oder Oberstadt von Luxemburg liegt hoch über einer Schleife des Flusses Alzette. Viel sehen kann man davon nicht, da die Fußwege von hohen Schutzwänden gesäumt sind. Die Alzette wird sogar in der luxemburgischen Nationalhymne besungen.
Handelte es bis jetzt um ein nettes, eher ruhiges Läufchen, so ändert sich das am Ende der Brücke bei Kilometer acht schlagartig: Menschenmassen warten auf uns. Das Spalier der Zuschauer verengt die Laufstrecke zusehends. Und es wird Radau gemacht: Viele Kinder haben Vuvuzela-artige Blasinstrumente dabei, dank Hauptsponsor ING ganz in Orange gehalten. Neben den Tröten gibt es in dieser Farbe traditionell auch Hüte und Rumba-Rasseln.
Die nächsten Etappen der heutigen Strecke lassen sich in etwa so beschreiben: Da gibt es die schön herausgeputzte Altstadt Luxemburgs und im Halbkreis darum die neueren Viertel. Wir werden jetzt vier Schleifen durch diese Viertel drehen und immer wieder in die Altstadt zurückkehren.
Los geht’s mit Limpertsberg. Vor der St.-Josephs-Kirche an der Avenue Victor Hugo liegt auch die erste Staffelwechselstelle. Ein wenig weiter wartet ein stimmgewaltiger Chor auf uns. Dazwischen einige Blaskapellen und dann vier Alphörner. Wo sind denn hier die Berge? Gut, der Parcours kann nicht als flach bezeichnet werden. All diese Straßen sind durch ein stetiges Auf und Ab gekennzeichnet. Ich komme am Ende auf weniger als 400 Höhenmeter und damit wäre nach meiner Messung dieser Lauf flacher als der Madrid Marathon – falls das jemanden als Entscheidungsgrundlage für eine Teilnahme interessiert. Noch an einigen Universitätsgebäuden vorbei und dann verlassen wir Limpertsberg am Boulevard Robert Schuman.