marathon4you.de

 

Laufberichte

Härtestest

15.11.09

Am Verpflegungsposten lasse ich mir Zeit, um den Flüssigkeitsspeicher möglichst optimal zu füllen. Ich merke aber, dass das Durstgefühl grösser ist als die Flüssigkeitsmenge, die ich zu mir nehmen kann, ohne dass mir übel wird. Ohne Privatverpflegung habe ich mir bereits ein entsprechendes Defizit eingehandelt.

Wil - Frauenfeld

Nach diesem kurzen Halt komme ich auf der abfallenden Straße zu Altstadt hinaus wieder gut in Schwung, welcher noch eine ganze Weile anhält. Mit etwas über 200 Teilnehmern sind die Mitbewerber auf der Strecke aber gut verteilt. Ohne Ablenkung durch Gesprächspartner muss ich mich auf etwas anderes konzentrieren, das mir das mentale Durchhalten erleichtert. Ich laufe und laufe, nicht schnell aber möglichst konstant, und versuche dabei, langsam zum Vordermann aufzuschließen, dem eine Weile an den Fersen zu kleben und dann wieder weiterzuziehen. Es sind nicht viele, die ich so überhole, aber jedes Mal wenn ich es wieder geschafft habe, ist ein weiterer Kilometer, vielleicht auch zwei, abgespult. Auf diese Weise kann ich mehr oder weniger mein Tempo halten, aber nach dem dreißigsten Kilometer fühlen sich meine Beine leer an und ich habe deshalb den Eindruck, dass ich diese Taktik nicht mehr weiter verfolgen kann.

Zum Glück sind immer wieder Leute da und feuern jeden an. Die schnellen Damen der Halbmarathonstrecke und die Junioren schießen an mir vorbei. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie mehr angefeuert werden als wir Langsamen. Eigentlich möchte ich mich für die Aufmunterungen bedanken, so wie ich das auch sonst gerne tue, doch der Blick zur Seite oder ein kleines Handzeichen würden mich zu viel Energie kosten. Alle Kraft, die ich mobilisieren kann, muss ich auf die Straße bringen.

Die Kamera liegt in meiner Hand, kommt aber immer seltener zum Einsatz. Ich müsste stehen bleiben, um überhaupt brauchbare Bilder schießen zu können, doch ich fürchte mich davor, danach nicht wieder auf Touren zu kommen. Bergan verfalle ich von einem schlappen Laufschritt in ein schwerfälliges Gehen.

Neun Kilometer vor dem Ziel ruft mir ein Zuschauer zu: „Du bist Vierundsiebzigster!“ Er ruft es mir zu, wie wenn ich um einen Rang im ersten Dutzend kämpfen würde. Wen interessiert das schon bei einem normalen Lauf? Rang 74 oder 94 ist doch ein und dasselbe. Und was bringt den guten Mann zu seiner akribischen Zählerei?  Vermutlich hat er schon einmal die gleiche Erfahrung gemacht, die ich jetzt mache. Mit dieser Ansage habe ich nämlich ein Geländer erhalten, das mich vor einem mentalen Absturz bewahrt und mir hilft, mich wieder weiter nach vorne zu hangeln. Wenn es mir wieder gelingt, einen weiteren Läufer zu überholen, dann fahre ich mit dem Countdown weiter. Zuerst einer, dann zwei, und dann keimt die Hoffnung auf, dass ich es sogar in den nächsten Zehner hinunter und damit noch ins erste Drittel schaffen könnte. Auch das gelingt, und bei den Kamelbuckeln vergesse ich sogar das Weiterzählen.

Ab Kilometer 39 geht es praktisch nur noch abwärts, daran kann ich mich noch gut erinnern. Auch daran, dass ich dort im vergangenen Jahr nach einem lustigen, verhalten gelaufenen Plaudermarathon noch zu einem Schlussspurt angesetzt habe, um noch knapp unter vier Stunden zu bleiben.

„Alles in Butter“, denke ich – und täusche mich. Von wegen Butter: Bei Kilometer 40 sind meine Beine plötzlich butterweich. Von einem Augenblick auf den anderen ist alle Energie aus sämtlichen Zellen verschwunden. Nicht ausgenommen davon ist mein Gehirn. Am liebsten würde ich mich einfach hinsetzten und alles ab- und ausschalten. Ein paar Zellen stehen aber noch soweit unter Strom, dass ich mir sagen kann, dass das keine Option ist. Also, dann möchte ich den Rest einfach nur noch gehen. Mir ist es egal – oder doch nicht?

Dass ich so kurz vor dem Ziel dreimal überholt werde, nervt mich doch noch. Also kann es doch nicht so schlimm sein, dass ich das Handtuch werfen müsste.  Dagegen spricht auch das, was ich auf meiner Uhr sehe, auf die ich schon lange keinen Blick mehr geworfen habe. „Wenn du dich für diesen lausigen Rest noch in den Hintern klemmst, dann schaffst du es unter vier Stunden! Das willst du dir doch nicht nehmen lassen?“

Ich hefte meinen Blick an die Fersen des Vordermannes und versuche ihm zu folgen. Ich schaue auf nichts anderes als diese Fersen, stelle mir vor, dass er Magnete drin hat, die mich an- und mitziehen. Der Führende des Männerfeldes im Halbmarathon prescht auch noch an mir vorbei, worauf ich in diesem Moment verzichten könnte, weil mir der Unterschied von seiner Verfassung zu meiner so drastisch aufgezeigt wird.

Einen Kilometer vor dem Ziel bin ich so weit wieder hergestellt, dass ich mich bewusst auf das Erlebnis Zieleinlauf einstellen kann. Hinunter zur Kaserne könnte ich sogar nochmals aufdrehen und den Läufer mit den magnetischen Fersen noch überholen. Seinem wiederholten Blick zurück nach zu urteilen, rechnet er ständig damit. Als kleinen Dank für seinen, wenn auch unfreiwillig erbrachten, unschätzbaren Dienst lasse ich ihm den Rang vor mir im Gesamtklassement und in der Alterswertung.

Mit meinen 3:55.13,6 bin ich zufrieden und hole mir die Medaille für einmal wieder mit einem richtigen Gefühl von Stolz ab. Dazu gibt es als Jubiläumsgeschenk ein hochwertiges Duschtuch mit eingewebtem Schriftzug und Signet des Veranstalters.

Wenn ich das Wort Dusche schon erwähne, dann kann ich meinen die Berichte abschließenden Kommentar dazu auch nicht weglassen. Im Untergeschoss der Kaserne sind die digitalen Offiziersduschen. Digital deshalb, weil es nur die Wahl gibt zwischen Eiswasser und siedend heiß. Letzeres ertrage ich aber gut, denn die zehn Minuten zwischen Ankunft und Dusche im durchgeschwitzten Tarnanzug haben bereits zu einem leichten Frösteln geführt. Einige Duschkabinen sind abgesperrt, außer Betrieb; teilweise fehlen die Armaturen oder sind nur unvollständig an ihrem Platz. Ein wartender Spaßvogel meint dazu, dass er jetzt endlich verstehe, was der Verteidigungsminister meint, wenn er den Zustand der Armee anmahne.

Immerhin ist in seinem Kostenoptimierungsplan keine Streichung des Frauenfelders geplant. Die Einladung zum nächstjährigen erging schon bei der Begrüßung an uns, und ich kann mir gut vorstellen, dass ich ihr Folge leisten werde. Dass ich noch nicht so enthusiastisch „auf jeden Fall“ sage, hängt mit den schweren Beinen und dem etwas verspannten Rücken zusammen. Ich bin aber sicher, dass ich in vier Wochen sogar für einen Waffenlauf-Marathon-Doppeldecker zusagen würde, denn jetzt geht es für mich ab in eine Zwangspause und das Laufen wird mir fehlen.

Ich hoffe, dass die Operation an der Schulter gut verläuft und ich das kommende Jahr wie geplant mit einem Marathon beginnen und mich an dieser Stelle mit einem Bericht dazu melden kann.

Auszug aus der Siegerliste

Waffenlauf Männer

1. Schneider David,  Wil SG              2:51.45,0  
2. Berger Marc,  Fribourg                3:04.00,2
3. Brennwald Adrian,  Aeugst am Albis     3:04.43,9

Frauen

1. Rölli Elsbeth, Cham                  4:05.47,9 
2. Merk Nelly,  Oetwil am See            4:11.31,2 
3. Reinmann Maya, Wiedlisbach           4:24.00,6

Marathon

Männer

1. Stoll Roland,  Weinfelden                  2:42.10,9  
2. Weiss Richard,  Münchwilen TG              2:44.06,0 
3. Uebersax Dan,  Homburg                     2:45.17,1

Frauen

1. Balz Deborah,  Grub SG                     3:04.39,0 
2. Müller-Amstad Astrid,  Grafstal            3:05.54,0 
3. Farner Monika,  Lommis                     3:20.18,5

123
 
 

Informationen: Frauenfelder Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteFotodienst Alpha FotoHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024