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Laufberichte

Härtestest

15.11.09

Wäre mein Großvater väterlicherseits noch am Leben, würde er mit seinem biblischen Alter im Guinnessbuch der Rekorde stehen. Ich glaube aber, dass er darüber weniger stolz wäre als über das, was ich heute vorhabe. Einen seiner Enkel als Waffenläufer erleben zu dürfen, blieb ihm leider versagt.

Wer mit Schweizer Bräuchen nicht vertraut ist, fragt sich vermutlich, was ein Waffenlauf überhaupt ist? Und wie komme ich mit meiner militärischen Vergangenheit und in meinem Alter dazu, an einem Waffenlauf teilzunehmen?

Ganz einfach! Im vergangenen Jahr nahm ich zum Saisonende erstmals am Frauenfelder Marathon teil. Als ich glücklich und zufrieden im Ziel war, meinte der Chefredakteur, dass mich meine Schweizer Staatsbürgerschaft eigentlich verpflichte, im kommenden Jahr als Waffenläufer teilzunehmen. Da hat er den richtigen Moment erwischt, um mich zu etwas zu bringen, das ich vorher in keiner Art und Weise jemals in Betracht gezogen hatte. Unter dem Eindruck der Veranstaltung und mit der Distanz von ein paar Jahren zu meiner letzten dienstlichen Verrichtung, der obligatorischen jährlichen Schießübung, konnte er mich leicht dazu überreden.

Der Waffenlauf ist hat in der Schweiz eine lange Tradition. Ursprünglich war es eine Kombination von Laufsport in Waffenrock und genagelten Schuhen und Wettschießen. Gewissermaßen eine rustikale Sommervariante dessen, was als Biathlon olympisch ist. Später wurde das Schießen weggelassen, das Gewehr aber weiter mitgeschleppt.

Es gab immer wieder Neuerungen, zum Beispiel wurde das Packungsgewicht von 7,5 kg auf den heute noch gültigen Wert von 6,2 kg reduziert und statt den schweren, klobigen Schuhen werden reguläre Laufschuhe getragen. Trotz den Neuerungen ebbte die Begeisterung für diesen lange in der Bevölkerung verwurzelten Sport ab. Was man sich kaum hatte vorstellen können, trat ein. Es blieb ein einziger offizieller Militärwettmarsch übrig, der Frauenfelder.

Ich kann mir gut vorstellen, dass der Grund für sein Überleben der ist, dass er seit 1952 über die klassische Marathondistanz ausgetragen wird und deshalb auch dann für jüngere Sportler attraktiv blieb, als der Waffenlauf wegen des Stellenwertverlusts, den die Milizarmee erfuhr , immer weniger Nachwuchs fand. Zudem finden seit einigen Jahren im Rahmen des Militärwettmarsches auch Marathon, Halbmarathon und Jugendlauf statt, was in diesem Jahr zu einem neuen Melderekord von insgesamt 1850 Teilnehmern geführt hat.

Trotz  reichlich Marathonpraxis in diesem Jahr hatte ich großen Respekt vor diesem Vorhaben und suchte mir deshalb kompetente Beratung. Glücklicherweise hatte ich vor einigen Jahren Peter Deller kennengelernt, einen Waffenläufer mit Bekanntheitsgrad. Er stand mir nicht nur mit Rat zur Seite, sondern auch mit Tat und lieh mir seine Packung aus.

Der Tag X beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück zuhause zu einer für einen Marathonsonntag geradezu christlichen Zeit. Trotzdem bin ich schon zwei Stunden vor dem Start in Frauenfeld, da die Fahrt nur eine halbe Stunde dauert.

Unweit des Wettkampfzentrums, der Stadtkaserne, kann ich das Auto kostenlos parken und gemütlich zur Nachmeldung schlendern. Ich stehe dazu, dass ich ein Neuling bin und es wird mir dazu gratuliert und viel Glück gewünscht. Mit der Startnummer gehe ich zur Kleiderausgabe, wo ich den in der Armee TAZ genannten Anzug fasse. Zu meiner Zeit gab es noch das so genannte Vierfruchtpyjama in den Größen Kartoffel- oder Kohlesack, heute handelt es sich um einen gut geschnittenen Zweiteiler.

Die viele Zeit, die mir bis zum Antreten noch bleibt, nutze ich für einen kleinen Spaziergang durch die Stadt, da wir davon unterwegs nicht viel zu sehen bekommen. Es gibt einige markante Gebäude, wie zum Beispiel das alte Schloss mit dem mächtigen, viele Jahrhunderte alten Turm. Seine aus unbehauenen, wahrscheinlich einst vom Säntisgletscher hierher verfrachteten Felsblöcken erbauten Mauern sind an der Basis imposante 3 m und in der Höhe immerhin noch 1,3 m dick.  Auf der einen Seite steht gegenüber die Hauptpost, ein markiger Bau, der nach seiner Errichtung vor gut hundert Jahren als die bauliche Zierde der Stadt schlechthin betrachtet wurde. Damals hatte die Post mit ihren Telefon-  und Telegrafiediensten den Stellenwert der heutigen Telekommunikations- und IT-Anbieter und konnte deswegen auch beim Bau ihrer Repräsentationsgebäude entsprechend klotzen. Auch heute noch ist das Eckhaus mit Kuppel eine elegante Erscheinung, was vermutlich nur wenige der modernen Firmensitze und Niederlassungen in hundert Jahren sein werden.

Auf der anderen Seite ist das Rathaus und am Ende der vom Schlossplatz wegführenden Fußgängerzone steht die Katholische Stadtkirche St. Nikolaus, ein ebenfalls in den ersten Jahren des letzten Jahrhunderts erstellter Bau im barocken Stil.

Zurück auf dem Kasernenhof treffe ich unter den Waffenläufern Walti. Er hat seine Packung gerade an Sigrid Eichner ausgeliehen, die sich überlegt, ob das nicht eine neue Herausforderung für sie sein könnte. Mehr als ein Kilo des Gewichts kann sie sich allerdings wegdenken, denn die Damen laufen ohne Waffe im Rucksack.

Sie ist nicht die einzige aus Deutschland, die Frauenfeld die Aufwartung macht. Traditionell sind auch Gäste der Bundeswehr und des Österreichischen Heeres am Waffenlauf dabei, bei den zivilen Bewerben sind insgesamt neun Nationen vertreten.

Eine halbe Stunde vor dem Start ist Antreten und wird gemeldet. Nach der Begrüßung werden einzelne Waffenläufer geehrt. Einerseits für eine runde Anzahl  gesamthaft bestrittenen Waffenläufe (200, 300..), andererseits für die Anzahl Teilnahmen am Frauenfelder. Einige Läufer haben die entsprechende Zahl als Bastelarbeit für die Zuschauer gut sichtbar am Gewehrlauf angebracht.

Hinter der Militärmusik marschiert die ganze Kompanie – früher wurde noch ein Bataillon gemeldet – von Zuschauern begleitet hinauf zum Marktplatz. Die Gäste aus Österreich ganz geordnet hinter der Musik, die Schweizer in einer veritablen Sauhaufenformation – so zumindest hätte das der Feldweibel in der Rekrutenschule bezeichnet – hinterher. Bis zum Start verbleibt noch eine knappe Viertelstunde, in welcher letzte Vorbereitungen getroffen werden. Die Kanone für den Startschuss wird aufgestellt, einige laufen sich nochmals warm, die meisten sind aber miteinander ins Gespräch vertieft, alte Kameraden werden gegrüßt, neue willkommen geheißen.

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Informationen: Frauenfelder Marathon
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