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Laufberichte

Nicht zivil – aber zivilisiert

18.11.12

Über mein Verhältnis zur Armee habe ich nie einen Hehl gemacht. Es war immer sehr getrübt. Grund war nicht eine strikt pazifistische Grundhaltung, ich sehe mich eher als friedliebenden Realo und zweifle die Daseinsberechtigung dieser Institution nicht an, wenn ich mir auch wünschte, dass es ohne ginge.

Es waren charakterversehrte Individuen, denen die Armee tragischerweise die Möglichkeit bot, einer breiten Zuschauer- und Leidensgruppe ihre menschlichen Abgründe zu offenbaren, welche mich auf Distanz hielten.

Als ich meinen letzten Dienst ableistete, zeigte der  Kommandant, dass es auch anders geht. Ein neuer Wind durchwehte den Dienstbetrieb. Unter anderem war dies beim geforderten konditionellen Element zu sehen. Der vorgesehene Marsch musste nicht in der Gruppe absolviert werden. Wir wurden zum Ausgangspunkt gefahren und durften dem individuellen Ertüchtigungsstand gemäß die Strecke zurücklegen. Er vertraute uns, dass wir uns nicht mit Autostopp durchmogelten,  und einige von uns dankten es ihm, indem sie in den schweren Schuhen mit geschultertem Gewehr den Marsch zur Laufveranstaltung umfunktionierten. Der Sportoffizier wiederum ließ seine Beziehungen zu Sponsoren spielen, organisierte Siegerpreise und eine Rangverkündigung, und so kam es, dass ich an jenem Wochenende mit einer tollen Kleinbildkamera den Urlaub antrat.

Um den alten Lateiner zu bemühen: „Tempores mutantur et nos mutamur in illis“. Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen; mit der ersten Hälfte meiner Dienstzeit hatte ich mich versöhnt. Als aus dem Dienst ausgeschiedener Angehöriger der Armee glaubte ich aber nicht, dass ich jemals wieder ein solches Gewand tragen würde.

Es war bei meiner ersten Teilnahme am Marathon in Frauenfeld. Von Endorphinen durchflutet stand ich im Ziel und hörte den Chefredakteur sagen: „ Nächstes Jahr möchte ich dich hier in Uniform und Packung laufen sehen, das bist du uns als (einziger) Schweizer im Team schuldig!“ In meiner Hochstimmung sagte ich gleich zu und überlegte mir erst im Nachhinein, auf was ich mich da eingelassen hatte.

Was ist es wohl, dass nach diesem einen Mal nun schon die dritte Wiederholung folgt? Die Marketingfritzen würden vom Alleinstellungsmerkmal sprechen, welches am Markt… und solches Blabla. Ich sage einfach: „Wo gibt es das sonst und ist kein Marketinggag, sondern Tradition?“ Deshalb bin ich wieder dabei, und hole nebst der Startnummer das Tenue, den TAZ90 (Tarnanzug90) ab. Das ist nur Fassadenverkleidung, darunter trage ich eine gewöhnliche kurze Laufgarnitur.

Während ich im Tarn-Look nur an der Kamera als Laufreporter zu erkennen bin, zeigen Eberhards und Angelikas orangen Jacken schon von Ferne, dass marathon4you vor Ort ist. Eine halbe Stunde vor dem Start ist Besammlung. In nach hinten ausfransenden Viererkolonnen wird eingestanden, die Achtungsstellung eingenommen und das Wettkampfbatallion gemeldet. Danach werden die verschiedenen Jubilare aufgerufen. Geehrt werden unter anderem Urs für den 200. Waffenlauf insgesamt, Fredy für den 40. Frauenfelder.

Bei der Verschiebung zum Start geht die Blasmusik in schönster Marschkolonne. Hintendran ist es eher ein wilder Haufen. Nur optisch allerdings, denn wer mag schon dort bleiben, wo er eingereiht ist, wenn man plötzlich woanders einen Laufkameraden erblickt, den man schon lange nicht mehr getroffen hat?

Wer weiß, wie der Start freigegeben wird und nicht aus alten Haudegenzeiten ein Schießtrauma auf den Lauschern hat, hält sich die Ohren zu. Es wird zurückgezählt und dann werden wir pünktlich um 10.00 Uhr mit einem Kanonendonner auf die Strecke geschickt. Nach wenigen Metern steigt die Straße bereits an. Es ist die sprechende Straße. Jedes Jahr flüstert sie mir über die Atemfrequenz und die Muskelfasern zu, dass ich wieder ein Jahr älter geworden bin…

Das Versprechen der Sonne schon am frühen Morgen, dem zähen Hochnebel der vergangenen Tage heute Paroli zu bieten, hat viele Zuschauer an den Straßenrand gelockt. Ich habe den Eindruck, dass uns Waffenläufern noch mehr Respekt und Anerkennung zuteil wird, als ich das sonst schon bei Marathons erlebe. Gut, dann tanke ich davon, es könnte gut sein, dass ich heute noch davon zehren muss.

Wie würde Laborchef Dr. Klenk in der Fernsehwerbung sagen? „In der Tat…“ Es dauert tatsächlich nur bis zum ersten Kamelbuckel, einem achterbahnähnlichen Straßenstück nach weniger als drei Kilometern, bis sich meine Wade wieder meldet. Trotz großer Schonung wieder mit der gleichen Botschaft. Ich erinnere mich an die Worte von Klaus Neumann in der Garderobe: „In einem solchen Fall sage ich immer: Wade, du kannst machen was du willst, du musst aber weiter mit mir mitkommen.“ Ich versuche, mich auf schonendes Laufen und das Drumherum zu konzentrieren und den Schmerz zu vergessen.

Erstaunlich viele junge Waffenläufer sind mit von der Partie; solche aus der Kategorie WL20, die zur Hochblüte des Waffenlaufs in der Schweiz noch längst nicht auf der Welt waren. Damals, in der analogen Welt, gab es einen Faktor, der einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Medienpräsenz und damit auf die Beliebtheit und den Stellenwert dieser Sportart hatte. Die Starts waren am Sonntagmorgen, damit blieb den Sportreportern genügend Zeit, mit ihrem Bildmaterial ins Fernsehstudio nach Zürich zu fahren und den Bericht zu schneiden und im abendlichen „Sport am Wochenende“ quasi als Primeur zu platzieren.

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Informationen: Frauenfelder Marathon
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