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Laufberichte

Grande Momento

25.11.07

Sonntag, 8.30 Uhr. Die Stadt ist im Zentrum wie ausgestorben. Wenn jemand unterwegs ist, dann ganz überwiegend mit Kleiderbeutel und/oder in gelber Folie umhüllt. Florenz gehört den Läufer/inne/n. 

Linienbusse bringen die Läufer zur Kleiderbeutelabgabe im Zielbereich am Arno. Einige ältere Frauen nehmen es gelassen hin, im Bus eingepfercht zu werden. Schon bei der Abgabe der Kleiderbeutel merkt man, dass dieser Marathon gut organisiert ist. Zügig bringen uns dann die Shuttlebusse zum Start an der Piazzale Michelangiolo. Dort sind alle sehr relaxt. Auch fünf Minuten vor dem Start warten noch lange Schlangen vor den Dixies. Der Moderator spricht vom „grande momento“ und meint damit den Startschuss, der –  das ist des Rätsels Lösung - zwanzig Minuten später abgefeuert wird. Viersprachig werden die Teilnehmer willkommen geheißen.Wir können die Strahlen der milden Morgensonne und die phänomenalen Ausblicke auf die Stadt etwas länger genießen. Ein schönerer Startplatz ist kaum denkbar.

 

Höhenmeter müssen in Florenz nur die Shuttlebusse zum Start bewältigen, die Läufer können sich fast 8 km locker bergab einlaufen. Der erste Eindruck: Es ist ein ausgesprochen gutes Gefühl, Ende November wieder in Shorts laufen zu können, und dies in einer der faszinierendsten Städte der Welt. Der Marathon führt uns mitten durch das Herz der Stadt. Für den, der hier zum ersten Mal läuft, darf die Zeit einfach keine Rolle spielen.

Auf den ersten Kilometern sehe ich in leuchtend roten T-shirts Pietro und Gabriele, verbunden durch ein ebenso rotes Band. Gabriele trägt eine Sonnenbrille und ist blind. Das ist schon der dritte Marathon, den sie zusammenlaufen. Hut ab! Ich denke an den blinden Henry Wanyoike, der bei den Paralympics 2000 in Sydney auf der 5000 Meter-Strecke einen Großteil der Strecke nicht von seinem Führungsläufer über die Bahn gezogen wird, sondern der vielmehr seinen Führungsläufer über die Bahn zerrt. Und als der Führungsläufer strauchelt und schließlich fällt, ist es Henry, der ihn wieder aufrichtet und ihn weiter bis ins Ziel schleppt, und so den Lauf gewinnt. Pietro und Gabriele laufen sehr gleichmäßig und es ist nicht erkennbar, dass einer den anderen ins Ziel schleppen muss. Sie signalisieren wie Henry Wanyoike: „Das Leben ist schön, es kommt nur darauf an, dass man es schön haben will.“

 

Wir laufen an der Stadtmauer entlang unter noch grünen Bäumen in Begleitung von Sonnenstrahlen. Das ist einmalig. Und nicht nur den Läufern macht diese Atmosphäre Spaß, auch einem Motorradfahrer vom Organisationskomitee, der einen Fotografen durch die Menge fährt. Beide sind überrascht, dass es auch Fotografen unter den Läufern gibt.

 

Auffällig ist eine große Gruppe von Läuferinnen und Läufern mit gelben T-Shirts und schwarzem Aufdruck „National Aids Marathon Training Program“. Es handelt sich um eine Organisation aus den USA, die Läufer/innen, gleich ob erfahren oder nicht, bis zur Ziellinie bringt, d. h. Anfänger werden zu Finishern trainiert, erfahrene Läufer erhalten ein spezielles Trainingsprogramm zur Verbesserung ihrer Zeit. Im Gegenzug verpflichten sich die Teilnehmer, Spenden in Höhe von ca. $ 4.000,00 pro Person zu sammeln und somit dazu beizutragen, dass Aidskranke ebenfalls ihre Ziellinie erreichen d. h. ein würdiges Leben mit HIV/Aids führen können, bis es eine Heilungsmöglichkeit gibt. Einige sind politisch sehr engagiert: Jonas Heineman kommt aus Ohio, dem Bundesstaat, in dem die Präsidentenwahl entschieden wird, wie er sagt. Auf seinem T-shirt ist ein handgemalter roter Kreis mit einem durchgestrichenen „W“ zu sehen für „Stop Bush“, und links daneben steht „420 giornos“, noch 420 Tage. Er läuft hier wie die meisten anderen der über 200 Teilnehmer großen Gruppe seinen ersten Marathon ohne Probleme. Also muss das Trainingsprogramm wohl effektiv sein.

 

Wir laufen jetzt durch Wohngebiete bis zur Via Pisana und von dort aus zurück Richtung Arno und Stadtzentrum. Weit und breit sind nur gut gelaunte Gesichter zu sehen. Ganz besonders gilt dies für Jens Nordahn und Morten Larsen aus Kopenhagen, die schon an 5 Marathonläufen teilgenommen haben, unter anderem Hamburg und Berlin. Für Berlin geben sie die Bestnote wegen der grandiosen Publikumsstimmung. Auch die Zuschauer hier in Florenz brauchen sich diesbezüglich nicht zu verstecken, es sind zwar nicht so viele wie in Berlin, aber auch einzelne machen sich dafür sehr lautstark vorwiegend mit „bravi, bravi“ bemerkbar.

 

Ein anderes Motiv für die Marathonteilnahme hat Yvan Gomes aus Marseille. Auf dem Rücken seines T-shirts ist zu lesen „Everything I do I do it for you“, darunter ein strahlendes Kindergesicht. Ich frage, ob es sein Sohn ist. Er bejaht dies und fügt hinzu: „He is in ...“, und  stockt dann. Er deutet mit dem Zeigefinger in den Himmel. Letztes Jahr starb er. Ein schwerer Schicksalsschlag, der mit dem Marathonlauf verarbeitet wird. Er bittet mich, auch für seinen Sohn zu laufen. Ja, dem komme ich gerne nach.

 

Inzwischen habe ich mich bis zum Pulk um den dritten Pacemaker vorgekämpft (oder besser gesagt vorgequasselt), der die Läufer in 4:15 h ins Ziel bringen soll. Es ist Massimo Palchetti, der seine Stadt über alles liebt. Es fällt mir nicht schwer ihm das zu glauben. Wir sind schon wieder am Arno. Ich laufe nicht, ich schwebe eher durch Florenz. Enge Gassen wechseln sich ab mit Sehenwürdigkeiten wie die Piazzale di Porta Romana oder der Piazza Pitti. An einer Spugnaggio (Schwammstation) Richtung Zentrum treffe ich Sandrine Jeanpetit mit ihrer Crew aus Paris. Sie erzählt mir, dass ihre Favoriten Wald- und Bergläufe sind und dass sie mit Cityläufen eigentlich nicht soviel anfangen kann. Warum läuft sie dann hier? All zuviel Wald und Berge haben wir bisher ja noch nicht gesehen. Städteläufe haben ihren eigenen Reiz, sagt sie. Es gehe ihr und der Gruppe um sie herum nicht um gute Zeiten, sondern um Spaß. Und deshalb laufen sie heute im Gewand von westfälischen Milchkühen und sind begeistert von dem Publikum. Aber Sandrine schwärmt nebenbei auch von Berlin.

 

Etwa bei km 13 überqueren wir die Brücke über den Arno, schon von weitem eine Augenweide. Auf der anderen Straßenseite treffe ich zwei temperamentvolle Mädels aus Nizza, Sabine Vivares und Linda Azzoug. Linda trägt die französische Fahne im Gesicht. Sie fühlen sich hier bei dem Wochenendausflug gut aufgehoben. Ihre Devise: Nur nicht zu schnell werden, sonst hört der Spaß so früh auf.

 

An der Piazza Alberti sehe ich erstmals zwei deutsche Läufer, Thomas Weber und Christian Kowalzyk aus Saratin in Mecklenburg-Vorpommern. Für Christian ist es der dritte Marathon, für Thomas der 16. Nächstes Jahr wird Thomas, was Marathonläufe betrifft, volljährig, und zu dieser „Geburtstagsfeier“ will er sich den Brockenlauf gönnen, den er sich eigentlich fürs Rentnerdasein auserkoren hatte. Tatsächlich wird er 40, und da will er einfach wissen, wie es um seine läuferischen Kapazitäten bestellt ist. Er hat eine 12jährige Tochter, die einmal mit Laufen Geld verdienen möchte. Sie hat ihre Laufbahn jetzt im Olympiastützpunkt Wismar in einem Sportgymnasium begonnen und spult 10 km schon in 47 Min. ab. Da verzichtet der stolze Papa gern mal auf den einen oder anderen Lauf.

 

Weiter vorn lese ich auf einem T-Shirt-Rücken „Schwalbach“ und rufe „Bad Wildungen grüßt Bad Schwalbach“. Der Läufer mit der Startnummer 4927 hat schon 29 Marathonläufe absolviert und erzählt, dass er mit Eintritt in das Rentenalter zum Weltenbummler geworden ist. Leider finde ich ihn nicht in der Finisherliste. Dass er den Marathon abbrechen musste, halte ich eigentlich für ausgeschlossen, aber vielleicht ist er unterwegs in einem der vielen schönen Bistros hängen geblieben.

 

Dann sehe ich endlich einen Läufer aus den Niederlanden „I Am sterdam“. Dachte ich. Es ist Dominique Pieton aus Paris, der nur vom Amsterdamer Marathon schwärmt. Immerhin. Es gibt also nicht nur Florenz und Berlin. Eine Straße weiter läuft Thomas Muth von der LG Donatus Erftstadt. Er liebt italienische Marathonläufe, besonders den in Rom. Das geht sogar soweit, dass er jetzt, nachdem seine Tochter mit Latein begonnen hat, in einem Abendkurs ebenfalls Latein lernt. „Und so vergewissern wir uns gegenseitig unseres Nichtwissens“, grinst er.

 

Auch Fußballer treten in Florenz an, z. B. David Beckham alias David Rhodes. Er kommt aus London und – sorry – japst in Anbetracht der Tatsache, dass wir erst bei km 25 sind, etwas zuviel. „This is my first and only marathon“, definitely,“ schreit er hinaus. Ja, das sagen doch fast alle. Und wenn sie dann gerade 5 Minuten zurück sind vom ersten Marathon, wird der zweite gebucht. Aber wie auch immer, dafür dass er aus einer Bierlaune heraus angetreten ist, hinterlässt er mit einer Finisherzeit von 4:37 h gar keinen schlechten Eindruck.

 

Alain van der Veken ist einer der wenigen Belgier, die in Florenz dabei sind und läuft in dem Langarm-Funktionsshirt, das der Veranstalter dieses Mal neben einer Wintertight (!) spendierte. Er telefoniert während des Laufens und erkundigt sich, wo sich die beiden anderen Läufer, mit denen er zusammen aus der Umgebung von Gent angereist ist, befinden. Er stellt betrübt fest, dass er hinten liegt. In Florenz ist das o.k., hier steht Sightseeing an vorderster Stelle.


In glänzender Verfassung präsentiert sich Katri Repo aus Onmky in Finnland. Ihr gefällt es in Florenz auch ausgezeichnet, aber der schönste Lauf ist für sie der Helsinki-Marathon, an dem sie bereits 9 Mal teilgenommen hat. Nicht weit vor dem Duomo Santa Maria del Fiore treffe ich Anette Schäfers aus Paderborn. Sie kommt auch ganz schön in der Welt herum und hat zuletzt an dem berüchtigten Chicago-Marathon teilgenommen, der aufgrund von Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit mit einem vorzeitigen Abbruch endete. Sie war zu diesem Zeitpunkt aber schon im Ziel. Für sie stellte sich der Lauf nicht ganz so dramatisch dar wie in den Medien beschrieben. Wasser habe sie nicht erst bei km 13 erhalten. Jetzt überlegt sie, sich für den ersten Salzkotten-Marathon im Juni 2008 anzumelden. Ja, warum nicht. Überlege ich auch.


Maria Ryssel kommt aus Österreich und arbeitet für ein Meinungsforschungsinstitut. Hier in Florenz braucht nicht viel geforscht zu werden. Die Meinung ist einhellig. Es ist einer der schönsten Cityläufe in Europa, sagt die Läufergemeinde.

 

Nach dem Zentrum folgt jetzt nach km 30 ein ruhigeres Teilstück um den Parco delle Cascine mit einer schönen herbstlichen Atmosphäre. Hier laufen Hans-Martin Koch und Andreas Reker aus Lüneburg. Für beide ist es nicht der erste Marathon. Auch Stockholm und Hamburg sind schön. - Nach km 35 – wir sind schon wieder auf dem Rückweg ins Zentrum - treffe ich Antonella aus Parma, die zum 6. Mal an einem Marathon teilnimmt und mit einem bezaubernden Lächeln nur von „malissimo“ spricht. Ich frage, was an dem Florenz-Marathon denn so schlecht sein könne. Sie deutet auf das linke Knie. Aber sie beißt die Zähne zusammen und finisht trotzdem. Gut so.

 

Noch 4 km. Bernhard Müller aus Fulda läuft hier seinen 29. Marathon. Er brauchte sich um nichts zu kümmern. Die ganze Vorbereitung hat seine Frau übernommen. Auch nicht schlecht, wenn man nur noch zu laufen braucht. Wir sprechen über den ehemaligen Fulda-Marathon. Wiederbelebungsversuche gibt es derzeit nicht.

 

Die letzten km führen zunächst an dem schönsten Teil des Arno-Ufers entlang, bevor wir noch einmal Richtung Dom ins Zentrum abbiegen. Der Lauf ist bis zum letzten Meter ein Erlebnis. Der rote Teppich liegt schon einige Hundert Meter vor dem Ziel aus und führt an der größten Franziskanerkirche, Santa Croce, vorbei. Eingehüllt in Folien geht es zum Empfang der Finisher-Medaille, die ihren Namen wirklich verdient hat. Etwas abseits des Zielbereichs kann an den Verpflegungsständen aufgetankt werden. Der Weg zu den Kleiderwagen ist nicht mehr weit. Dort befinden sich auch die Zelte zum Umkleiden. Wer allerdings duschen wollte, musste schon in den Arno springen.

 

Fazit: Der Florenz-Marathon ist ein traumhaft schöner, gut organisierter Citylauf, ein einziger „grande momento“, der zur Wiederholung einlädt. Übrigens: Wer seine Zeit in 2007 gegenüber 2006 verbessert hat, kann in 2008 gratis laufen, wenn er sich bis Ende Juni 2008 anmeldet.

 

Die Erstplatzierten:

Männer

1 NGENY PAUL KIPKEMBOI KEN   02:12:50  
2 DI CECCO ALBERICO   ITA 02:13:52 
3 CAIMMI DANIELE   ITA 02:14:47

 

Frauen

1 SICARI VINCENZA ITA  02:33:14 
2 LAGESSE ABERA HIRUT    02:42:39 
3 PÉREZ AURORA    ESP 02:52:02

 

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