Nach Rom ist Florenz mit seinen Museen, Palästen und Denkmälern, die auf das Renaissancezeitalter und dem Einfluss der mächtigen Dynastie der Medici zurückgehen, die meistbesuchte Stadt Italiens. Die historische Innenstadt, die auf den letzten 5 Kilometern beim Marathon durchlaufen wird, wurde bereits 1982 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben.Auch wer schon öfters hier war als ich, kommt gerne wieder – la maratona di Firenze è uno spettacolo meraviglioso.
Der Firenze-Marathon, AIMS zertifiziert und von der IAAF anerkannt, ist der bedeutendste Straßenlaufevent in der Toskana und gemeinsam mit Rom der wichtigste Marathon Italiens. Die vor einigen Jahren im Startbereich geänderte Strecke ohne nennenswerte Höhenunterschiede verläuft insbesondere auf den letzten Kilometern durch eine der schönsten Städte der Welt, vorbei an weltberühmten Sehenswürdigkeiten, wie z. B. am Florentiner Dom, an der Piazza della Signoria oder dem Ponte Vecchio bis zum Ziel auf der Piazza Santa Croce. In der Regel ist das Wetter Ende November in der Toskana deutlich besser als in Mitteleuropa, um die Mittagszeit sind Temperaturen um 10 Grad normal.
Als ich am Samstag anreise, herrscht Regenwetter, doch laut der Dame an der Rezeption im Hotel Roma an der Piazza Santa Maria Novella soll es laut Vorschau am Renntag trocken bleiben und teilweise sonnig werden. Weniger gut weiß sie Bescheid, wie man am schnellsten zur Expo ins Athletikstadion Luigi Ridolfi nahe dem Campo di Marte mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt. Alle Wege führen angeblich nach Rom, doch kein Bus fährt in Florenz direkt bis zur Viale Malta, wo sich der Eingang zur Expo befindet. Vom Hauptbahnhof gehen viele Busse weg, ich hefte mich an einige wie Läufer aussehende Männer, die schließlich in den Bus Nummer 27 einsteigen. Auch im letzten Jahr kam ich irgendwie zur Expo, die Autobusnummer habe mir nicht gemerkt.
Es ist 17 Uhr 30 und schon dunkel, als ich endlich vor dem Eingang zum hell erleuchtenden Expo-Areal stehe. Unter einem blauen Schutzdach sind einige Tafeln aufgestellt worden, auf denen alle Marathonstarter verzeichnet sind - meinen Namen finde ich bald. In der Halle herrscht reges Treiben an den Verkaufsständen und bei der Ausgabe des Starterpaketes. Viele holen ihre Startnummer und die als Jubiläumsgeschenk angekündigte blaue Asics-Kurzarm-Laufweste erst am frühen Abend ab, die Expo ist bis 20 Uhr geöffnet. Beim Rom- und Florenzmarathon habe ich in den 12 Jahren, seit ich Marathons laufe, die schönsten und brauchbarsten Utensilien erhalten, wie zum Beispiel Taschen, Rucksäcke, Funktionsshirts, und -hosen, Windjacken u.a.m.
Ein eigener Stand ist der 30-jährigen Geschichte des Florenz-Marathons gewidmet, eine Fotocollagenschau vermittelt dem Besucher einen Eindruck davon. Bei der Abholung der Startnummer verlangt man das noch fehlende medizinische Attest. Gegen 20 Uhr verlasse ich die Expo, leider habe ich niemand gesehen bzw. getroffen, den oder die ich kenne. Mit dem gleichen Bus fahre ich nach einem Spaziergang um den Campo di Marte wieder in die Stadt zurück.
Den Wecker stelle ich auf 6 Uhr 30, „la collazione“ im Viersternhotel Roma an der zentralen Piazza S.M. Novella wird am Marathontag früher als sonst angeboten. Es geht gesittet zu, die Italiener sind beim Reden ungewohnt verhalten, die paar Amis stehen unter Strom und sind voll motiviert. Eine kleine Gruppe von Schweizern meines Alters, die schon essen als ich komme und weiter beim Frühstück sitzen bleiben, als ich gehe, strahlen routinierte Ruhe aus.
Es wird ein schöner Tag – „è una bella giornata“, sagt der Portier, der mir gut gelaunt auf der Straße vor dem Hotel zunickt und dabei unter der Handfläche seine Zigarette versteckt hält. Ich ziehe trotzdem die Winter-Tight an und werde heute das erste Langarmshirt unseres Clubs tragen, das ich am Tag vor meiner Abreise nach Florenz zugeschickt bekam. Man bietet mir an, nach dem Lauf im Hotel in einem Gemeinschaftszimmer zu duschen, bei 141 Euro pro Nacht inkl. Frühstück für ein EZ ist dieses Entgegenkommen fast normal.
Um 8 Uhr 30 spaziere ich die Via dei Fossi zum Arno runter, vorbei an dem Ponte S. Trinita und dem Ponte Vecchio, eine Art Wahrzeichen der Stadt Florenz. Hunderte andere Marathonteilnehmer eilen über die über dem Flußbett des Arno entlangführende, für den Verkehr längst gesperrten Straßenabschnitte, dem Lungarno Acciaiuoli, L. delle Grazie bis zum L. Pecori Giraldo, wo gestartet wird. Die Sonne blendet einen, wenn man nach Osten blickt, daher knipse ich lieber in westliche Richtung und fange einige schöne Stimmungsbilder ein. Der Arno wirkt dank seines braunen Wassers – vermutlich wegen anhaltender Regenfälle die Tage zuvor – bei einige Staustufen nicht sehr einladend, weiter flussaufwärts schaut der Wasser reiner aus.
Was habe ich mir für heute vorgenommen? Eine zufriedenstellende Laufzeit, am besten wie schon öfters hier unter 4:30 – bei meinem 4. Marathon insgesamt lief ich in Florenz im Jahre 2001 „sogar“ 4:05 Stunden. Aufgrund meiner Laufzeit in Chorzow von 4:07 in diesem Jahr werde ich dem Block 4:00 bis 4:30 zugeteilt – die Startnummer ist grün unterlegt. Doch noch ist eine Viertelstunde Zeit, ich habe es nicht eilig, mich in die lange Schlange zu stellen. Viele Läufer sind noch immer bei den nach Nummern gereihten Kleiderbussen angestellt, der Start könnte sich sogar etwas verzögern.
Der Platzsprecher jubelt über mehr als Zehntausend registrierte und damit potenzielle Teilnehmer aus über 60 Ländern, über 100 kommen aus Österreich – das erwähnt nicht er, sondern es ließ sich abfragen. Ich steige auf eine Schutzmauer wie einige andere Läufer vor mir und balanciere gut 5 Meter über das gemauerte Flussbett in gefährlicher Manier, knipse dabei von oben die Warteschlange – ein interessanter Ausblick. Schließlich springe ich von der Mauer aus geringer Höhe auf einen Betonsteg und gehe an vielen anderen Läufern vorbei, die gerade beim Düngen der Botanik nahe dem Arno sind – es riecht nach NH3, um es chemisch auszudrücken. Bei der Menge muss man auch auf den Boden achten, damit man keinen Abdruck mitnimmt.
Dieser Abschneider von 200 m bringt mich weit nach vorne, problemlos passiere ich meinen zugeteilten Sektor. Hinter der Absperrung stehen die 4:30 bis 5:00-Läufer mit Lila-Startnummern, genau genommen müsste ich nach meinen Laufzeiten dort stehen, doch vielleicht kann ich heute die in erster Reihe stehenden 4:30-Pacemaker solange wie möglich auf Distanz halten. Daher lautet mein Motto „Lieber am Anfang etwas schneller als zu langsam…“ Noch am Freitag habe ich den Satz „50. Marathon in diesem Jahr“ auch ins Englische und Italienische transferiert und diese Ankündigung in passender Größe auf Papier ausgedruckt – den Zettel heftete ich vor dem Start auf die Rückseite meines neuen Langarmshirts. Damit will ich im Verlaufe des Marathons nicht angeben, sondern zum Ausdruck bringen, welch großen zeitlichen, organisatorischen und finanziellen Aufwand ich in diesem Jahr in hobbysportlichen Laufbelangen schon vorzuweisen habe.
Es geht los, das Rennen ist schon einige Minuten alt, als ich meine Pulsuhr mir GPS-Messung drücke. Die ersten Kilometer laufe ich streckenweise knapp an 12 km/h – viel zu schnell, doch die viale Gramsci und Matteotti gleich nach dem Start sind abfallend, daher gehen die meisten ein höheres Tempo bis zur Piazza Liberta, wo der Kurs von Nordwest in südwestliche Richtung abweicht. Sobald ich auf 11 km/h bremse, kommen viele von hinten nach, teilweise auch aus der Lila-Gruppe, die sich weniger als 4:30 Stunden als Nettofinisherzeit vorgenommen haben. Auch der 3:45er-Pacemaker taucht mit seiner Gruppe auf, er kam vielleicht wegen einer Pinkelpause zu spät zum Start. Er muss nun durchgehend eine Kilometerzeit von ca. 5:20 laufen, um seiner Funktion gerecht zu werden.