Strecke frei durch den Uetlibergtunnel für die Läufer
Wieder für mich eine Premiere, heute in Zürich. Geschichte, Aktuelles, Sportliches, Einmaliges. Auf der Autobahn, durch den Uetlibergtunnel, in der City, entlang des Zürichsees - kommt mit auf die Reise auf einem schnellen Kurs bei Sonnenschein und prachtvoller Stimmung.
Die Anreise als Läufer ist einfach. Wer mit der Eisenbahn anreist, der findet gute Verbindungen zum Hauptbahnhof in Zürich, dem größten und wichtigsten Verkehrsknotenpunkt in der Schweiz. Viele internationale Verbindungen halten hier. Kritik ist jedoch an der defensiven Haltung der Deutschen Bahn angesagt. Wer von München anreist, der ist fast einen ganzen Tag unterwegs. Doch kürzlich wurde ein Abkommen unterzeichnet, nach dem diese Verbindung endlich elektrifiziert wird und damit deutlich schneller wird. Wer mit dem Flugzeug nach Zürich-Kloten einschwebt, kommt aufgrund guter Verbindung schnell in die Stadt hinein.
Meine Anfahrt geht wie meist mit dem Auto. Die Saalsporthalle, Ausgabeort der Startnummern, habe ich mit einem Schlenkerer dann doch gefunden. Hier finden wir eine kleine Läufer-Expo und die Nudelparty. Meine Unterlagen erhalte ich gegen Vorweisen der Anmeldebestätigung.
An der Nummer finden wir den Gutschein für das schmackhafte Nudelgericht, sowie das Verkehrsticket, womit wir im Gebiet des Züricher Verkehrsverbund am Marathontag an- und abreisen können.
Nachdem ich meinen Bauch mit Nudeln und Getränk vollgehauen habe, geht’s ins Hotel in der Innenstadt. Was wäre hier zu besichtigen? Natürlich die Bahnhofstrasse, eine der teuersten Einkaufsstrassen der Welt. Bis zum 19. Jahrhundert quakten hier die Frösche um die Wette, dann wurde der Bereich als Strasse verplant und bebaut. Heute logieren an der 1,4 Kilometer langen Straße Warenhäuser, Boutiquen, Schmuck- und Uhrenläden. Ein teures Pflaster!
Im Umfeld finden wir die großen Bank- und Versicherungshäuser der UBS, Credit Suisse, Zürichversicherung und Swiss Re. Das eine oder andere Haus hat sich ja in jüngster Vergangenheit mit einer Schuldensvermehrung profiliert.
Traditionell Ende April, also jetzt um diese Zeit, findet das Sechseläuten statt. Während bei uns die Kirchenglocken um Sechse in der Früh den Tag anläuten und den einen oder anderen aus der Kiste hauen, wird in Zürich der Böögg abgebrannt. Der Böögg ist eine Gestalt des personifizierten Winters. Und so lange das Abbrennen dauert, so entwickelt sich dann der Sommer. Das hat mir Daniel erzählt, heute auch als Reporter unterwegs.
Zürich ist eine alte Stadt. Bereits in der alt-römischen Zeit als „Turicum“ waren hier Zollstation und Kastell eingerichtet. 1262 war Zürich freie Reichsstadt und bereits 1301 Mitglied der Eidgenossenschaft. Ulrich Zwingli, ein berühmter Bürger, trieb 1519 die Reformation voran.
Der wirtschaftliche Aufstieg begann im 18. und 19. Jahrhundert in der Textilwirtschaft und später ließen sich die großen Unternehmen aus dem Banken-, Versicherungs- und Dienstleistungsbereich nieder.
Wer kennt heute nicht das Stadion am Letzigrund mit dem Leichtathletikmeeting „Weltklasse Zürich“ oder den Ironman Switzerland, wo auch Startplätze für Hawaii vergeben werden.
Am nächsten Morgen muss ich früh aufstehen, denn bereits um 08.30 Uhr startet der Marathon am Portal des Uetlibergtunnels. Und die Anreise braucht ein wenig Zeit mit Straßenbahn, Bus oder Auto. Ganz praktisch ist es, dass das Hotel einen Shuttle-Service anbietet. Am Frühstückstisch sitzt ein Landsmann aus Wolfratshausen bei München. Sehr gesprächig ist er nicht, eher schon konzentriert auf das Kommende.
Seitens der Spitze scheint es ein Duell zwischen Afrika (Stanley Leleito, Tesfayo Eticho) und Russland (Oleg Kukow) zu werden. Rekordhalter Viktor Röthlin ist nicht am Start und seine 2.08.19 Stunden sollen auf den Prüfstand. Ein Auge soll wohl auch noch auf Abraham Tadese geworfen werden, der sein Marathondebut geben wird. Ja, und die Durchführung der Schweizer Marathonmeisterschaft sorgt dann auch für nationale Beteiligung.
Startvorbereitungen
OK-Präsident Bruno Lafranchi ist zufrieden mit den über 5800 angemeldeten Läufern. Man veranstaltet hier einzig und alleine einen Marathon, es gibt keine halben Sachen. Zwar scheint die Startgebühr mit 68 EUR auf den ersten Blick hoch zu sein, doch ist sie gerechtfertigt. Neben der Nudelparty ist die An- und Abreise inbegriffen. Finisher erhalten Medaille, Urkunde aus dem Internet und ein superbequemes Funktionsshirt von Nike. Dass die Bekleidung zum Ziel am Mythenquai mit der Bahn transportiert werden soll und dass auch Shuttlebusse angeboten werden, das versteht sich von selbst.
Die vorgesehenen Tempomacher mit Zielzeiten von drei Stunden bis fünf Stunden sind einheitlich mit Shirts gekleidet und ziehen einen Luftballon hinter sich her.
Das Hotelshuttle fährt bis zum Bahnhof Manegg. Dort sehe ich schon die gelben Postwaggons, in die unsere Kleidungssäcke hinterlegt werden. Es herrscht schon emsiges Treiben.
Nachdem es gestern mit rund 24 Grad schon fast ein Sommertag war, ist es jetzt mit knapp zehn Grad fröstelnd kühl. Aber der Wetterbericht hat Wärme und Sonne gemeldet, auch wenn gerade der Himmel bedeckt ist. Ganz kurz wird heute meine Wettkampfkleidung sein. Und schaun mer mal, ob ich es heute schaffe, knapp unter meiner üblichen Zielzeit von 3.30 Stunden zu bleiben. In Leipzig hab ich ja die Latte knapp gerissen.
Der Spazierweg zum Tunnelportal dauert etwa zehn Minuten und geht bergauf. Vom Portal bietet sich eine schöne Aussicht auf die Umgebung und auf den Uetliberg.
Und jetzt kommen wir zu dem Einmaligen. Kurz vor der Verkehrsfreigabe dürfen wir durch den Tunnel rennen. Wer weiß, ob das noch mal so organisiert werden kann. Ich schaue mich ein wenig herum, dann entdecke ich auch den OK-Präsident Bruno Lafranchi. Ihn habe ich beim Marathon in El Gouna kennengelernt. Da hat er das ganze Organisationequipment für den dortigen Lauf zur Verfügung gestellt.
08.30 Uhr Start: In den Augenblicken zuvor schlagen sich die Favoriten noch auf die Oberschenkel, um die Muskelspannung zu halten. Ist schon interessant für mich, bei diesem großen Starterfeld an der Spitze zu stehen und zu beobachten. Fast schon unspektakulär, ich glaube, ohne Schirmherr und Startpistole geht hier das Feld auf die Reise. Bei uns würde sich die Politprominenz die Gelegenheit, den Startschuss zu geben, nicht entgehen lassen.
Start und Lauf durch den Uetliberg
Dafür schieße ich ein paar Bilder und mache mich auch auf die Socken, als die ersten Zeitläufer, erkennbar an ihren Luftballons, unter dem gelben Startbogen durchlaufen. Nach ein paar Metern geht es ins Loch, den 4,4 Kilometer langen Uetlibergtunnel.
Nicht nur für mich, wahrscheinlich für die meisten, etwas ganz Neues: Auf der Autobahn und dann noch durch einen Tunnel, wohl eine einzigartige Erfahrung. Auch hier im Tunnel ist es kühl, fast schon meine ich, hätte ich doch noch ein Shirt mit Ärmel zusätzlich anziehen sollen. Aber nach fünf bis zehn Minuten Laufzeit kommt es mir vor, als sei es wärmer geworden. Dann kommt sofort die Erkenntnis, dass die laufende Menge jetzt schon jede Menge Wärme produziert und das ist die Ursache.
So nach zwei Kilometer werden wir mitten im Tunnel, der übrigens gut beleuchtet ist, von einer Akkordeongruppe unterhalten. Die Strecke scheint auf den vier Tunnelkilometern leicht ansteigend zu sein.
Wo wird denn die Spitze auftauchen? Im anderen Tunnel wohl nicht, denn der soll laut OK-Präsident für Rettungseinsätze und Versorgungsfahrten frei gehalten werden. In der Mitte der Fahrbahn sehen wir zwar Leitkegel, aber das große Feld nimmt die ganze Fahrbahn ein.
Später höre ich eine scheppernde Hupe von vorne kommen. Ein gelber Smart macht dann auf der anderen Seite die Bahn für die Spitze frei, die dann herangedonnert kommt. Schon in großen Abständen haben sich die vom „gemeinen“ Laufvolk abgesetzt.
Dann wird es von vorne heller, aha, das Tunnelende naht. Und da merke ich, dass die Temperatur im Tunnel schon gehörig gestiegen ist, denn an der Wende am Autobahndreieck Züri West ist es erfrischend kühl. Gerade rechtzeitig und auch praktisch finden wir hier die erste Wasserstelle. Das erfrischende Nass wird in 0,3-Liter-Fläschchen gereicht, die einfach zu bedienen sind. Es geht wieder in den Tunnel hinein.
Ja, jetzt geht die Strecke bergab, es läuft sich deutlich leichter. Vor mir ist seit geraumer Zeit ein Zeitläufer, ich sehe auf dem Ballon nur einen Fünfer. Ist es der für 3.45 Stunden? Holla, bin ich zu langsam? Aber dann sehe ich eine 3.15 Stunden. Also Tempo rausnehmen, ich habe ja einen Auftrag und der Marathon dauert noch ein paar Kilometer.
Links sehe ich jetzt eine Tanzdarbietung mit Musik. Ich kann nicht umhin, und muss die beiden fotografieren. Auf der anderen Seite ist dann der Schluss des Feldes zu sehen. Und dann fällt mir wieder ein Spruch ein. Vorne sind die Bleistifte und hinten die Radiergummis. Nur, die Bleistifte können abbrechen, während die Ratzefummel weiterrollen.
Es geht aus dem Uetlibergtunnel mit tosendem Beifall der vielen Zuschauer hinaus. Ja es macht Spaß. Wieder eine Tankstelle mit Wasserflaschen.
Uetliberg - City
Es geht weiterhin immer wieder abwärts. Allmendstrasse, Kilometer 10. Rechts rollt eine Rangierlok mit den gelben Postwaggons, wo unsere Klamotten hinterlegt sind, Richtung Ziel. Mitunter sehen wir Häuser aus der Gründerzeit und im Gegensatz dazu Zweckbauten aus den 70er Jahren. Wir müssen aufpassen, denn immer wieder sind Straßenbahnschienen auf unserem Laufkurs.
Wir laufen an der Saalsporthalle vorbei. Auch hier haben sich Massen von Zuschauern versammelt, dank der Haltestelle der S-Bahn. Durch das Quartier (Stadtteil) Enge erreichen wir den Zürichsee.
Dann sehe ich drei Alphornbläser linkerhand, die gerade zum Spielen anfangen. Und immer wieder Musikdarbietungen. Das ist genau das, was die Läufer wollen. Unterhaltung, es geht leichter und Zuschauer finden sich auch ein, die uns dann weitertreiben.
Am Zürichsee
Hier beginnt jetzt das Wendepunktstück, das uns durch Zollikon, Küsnacht, Erlenbach, Herrliberg bis zum Wendepunkt Meilen (Kilometer 27) führt. Unsere Aussicht ist dem Frühling standesgemäß: Blühende Obstbäume, Weinhänge, schon erste Sonnenanbeter am Wasser.
Und immer wieder Musikdarbietungen. Manche singen und fotografieren gleichzeitig, andere sprechen uns bei Musik mit Vornamen an. Das ist das gute, dass auf den Startnummern der Vorname groß aufgedruckt ist.
Kilometer 21 in Küsnacht. Mittlerweile scheint die Sonne. Man hat es schon beobachten können, dass sich der Föhn durchsetzt, denn von Süden her ist es immer heller geworden. Ich prüfe meine Zeit an einer Kirchturmuhr mehr schlecht als recht. So zwei, drei, vier Minuten dürfte ich auf den 3.30 Stunden-Pacemaker gut haben.
Wendepunkt Meilen und Rückweg
Meilen, die Wende naht. Das Zuschauerinteresse steigert sich wieder deutlich. Zwei fesche Frauen, die erst gar nicht vor die Linse wollen, sich dann aber doch motivieren lassen, stecken mir Traubenzucker zu. Dann die Wende in der Nähe der Kirche. Wir laufen einen kleinen Rundkurs, vielleicht 500 Meter lang. Es geht vom See weg und es folgt eine kleine Steigung, die unser Gangwerk schon beansprucht. Dafür können wir es am Ende der Runde wieder laufen lassen, die Höhenmeter erhalten wir zurück.
So jetzt geht es zurück. Ich sehe den mich verfolgenden Zeitläufer, wohl schon an die fünf Minuten zurück. Und ich fühle mich noch stark genug, heute wieder die 3.30 zu knacken.
Doch dann fängt es im Bauch zu grummeln und zu zwicken an. Shit. Ich halte schon Ausschau nach einer günstigen Örtlichkeit. Bei Kilometer 30 an einer V-Stelle ist es soweit. Ich stehe, besser gesagt, ich sitze für zwei Minuten in der Box und sehe meinen Vorsprung dramatisch schwinden.
Wie sagte damals Paul Breitner kurz vor einem Elfmeterschiessen: „Wir hatten die Hosen voll, aber bei mir liefs ganz flüssig“. So geht es mir auch. Nach der verordneten Zwangspause ist’s mir bedeutend wohler und es läuft flüssig Richtung Ziel.
Ich bin nur noch am Überholen, das merken auch die Zuschauer, die zunehmend meinen Vornamen rufen. Das ist richtig aufbauend, die Leute wissen, dass jetzt die Sportler gepusht werden müssen. Es ist ja nicht mehr leicht, wenn du schon bei Kilometer 35 stehst.
Der letzte Kilometer
Jetzt wird auch Cola gereicht, ich greife gern zu, der Zucker sorgt noch mal für Schub. Die V-Stelle bei Kilometer 40 lasse ich liegen und starte durch. Ab dem Uto-Quai Menschentrauben. Die Begeisterung reißt nicht mehr ab.
Es geht über die Limmat, Bürkliplatz, ich sehe vor mir die letzte Linkskurve, dann geht es auf den Mythenquai. Die Leute hauen mit den Händen auf die Werbebanden. Super. Der Zielbogen kommt immer näher. Und dann: Geschafft. Juhuu. Bruno steht bereit, hat mich schon gesehen, hebt die Hand zum Abklatschen.
Im Zielbereich
Ich brauche nur ein paar Augenblicke, dann habe ich genug Luft zum Sprechen und Fragen. Ja, die Spitze hat den Streckenrekord nicht geknackt, die waren auf der ersten Hälfte zu langsam unterwegs, so die erste Meinung des OK-Chefs.
Ein paar Meter weiter erhalten wir die Medaillen umgehängt und dann bei Rückgabe der Chips gibt es das hart verdiente rote Finishershirt. Dahinter finden wir den Verpflegungsbereich, wo ich mich mit Wasser eindecke. Es gibt sogar ein Stückchen Birnenbrot dazu.
Als ich später zusammen mit Daniel die Ergebnisse anschaue, stelle ich fest, dass ich mit meinem Endspurt die 3.20 Stunden noch um zehn Sekunden unterbieten kann. Platz 775 von 4794 Zieleinläufern. Da wär heute ein Angriff in Richtung 3 Stunden möglich gewesen.
Marathonsieger
Männer
1. Abraham Tadese, ERI-Eritrea, 2:10.09,0
2. Oleg Kulkov, RUS-Russland, 2:10.12,1
3. Tesfaye Eticha, ETH-Ethiopia, 2:10.21,1
Frauen
1. Olga Rosseeva, RUS-Russia, 2:32.17,5
2. Elza Kireeva, RUS-Russia, 2:33.13,9
3. Getaun Tarekegn, Etaferahu ETH-Ethiopia, 2:34.05,7
Schweizer Meisterschaft
Männer
1. Ancay Tarcis, St. Jean (VS), 2:21.29,3
2. René Hauser, Ennetbürgen (NW), 2:25.03,0
3. Richard Gerzner, Sulz-Rickenbach (ZH), 2:27.56,1
Frauen
1. Patricia Morceli, Cham (ZG), 2:38.44,2
2. Bernadette Meier, Dreien (SG), 2:43.34,5
3. Jenny Breitscheid, Allschwil (BS), 2:44.08,3
Rahmenprogramm:
Marathonmesse mit Ausgabe de Startunterlagen und Pastaparty in de Saalsporthalle. Erreichbar mit der Tram 13 oder S4. Vor Ort großes gebührenpflichtiges Parkhaus.
Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, funktionelles Shirt (auch in Damengrößen).
Logistik:
Umfangreiche Verkehrsangebot, Kleiderdepot bei Start und Ziel. Kleider werden zum Zielverbracht.
Verpflegung:
Ausreichende Wasser- und Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso, Bananen, Riegel, zum Teil mit Gel und Cola.
Zuschauer:
Viele Zuschauer, bei den zahlreichen Kapellen und Band gute Stimmung. Beim Wendepunkt in Meilen und ab Kilometer 40 Mega-Stimmung.
Fazit:
Zürich ist ein (Marathon)Muss. Schnelle Strecke, begeistertes Publikum, eingespielte Organisation und ein kurzweiliger Kurs um und am Zürichsee. Gruezi aus Züri bis 2010.