Im Allgemeinen gilt der Westfale als knochentrocken. Dass es sich dabei durchaus um ein Vorurteil handelt, beweist der Marathon in Münster seit Jahren erfolgreich. Nicht zuletzt wegen der überschäumenden Stimmung ist der Lauf in Münster in den letzten beiden Jahren zum beliebtesten Marathon in NRW gewählt worden. Der Veranstalter sieht trotzdem immer noch Steigerungsmöglichkeiten. Da ist es nur folgerichtig, dass die diesjährige Ausgabe, in Anlehnung an die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien, unter dem Motto „Wie Karneval in Rio“ steht.
Diese Party möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, auch wenn es sich um ausgerechnet die 13. Auflage handelt. Ich mich von der Phobie vor dieser Unglückszahl nicht anstecken. Im Gegenteil, furchtlos mache ich mich am Samstag mit meiner Familie auf ins Herzen Westfalens, um in der Stadt des westfälischen Friedens zum 13. Mal erfolgreich zu finishen.
Die Anfahrt am Vortag bietet die Möglichkeit, es ruhig angehen zu lassen. Trotz der über 8.800 Teilnehmer geht es an der Startnummernausgabe gemächlich zu. Danach bleibt noch Zeit, schon mal von der Marathonatmosphäre zu genießen, die in der ganzen Stadt zu spüren ist. Auf dem Schlossplatz stehen die Absperrungen bereit, die letzten Ausschilderungen werden vorgenommen und der Zieleinlauf ist bereits festlich geschmückt. Die Sonne strahlt und trägt dazu bei, die Stimmung noch weiter zu heben. Beste Voraussetzungen, um am Sonntag ausgeruht an den Start zu gehen.
Schon früh am Sonntagmorgen herrscht am Schlossplatz reges Treiben. Viele der Teilnehmer sind bereits vor Ort und erwarten ungeduldig den Start um 9.00 Uhr.
Wie gewohnt pünktlich werden wir auf die Strecke geschickt. Diesmal durch Hannelore Hoger, alias Bella Block. Den ersten KM folgen wir der Straße „Am Stadtgraben“. Breit genug ist sie, um die etwa 2.800 Starter mühelos aufzunehmen. Etwas enger wird es, als wir nach links zum ersten Sightseeing in Richtung Innenstadt abbiegen. Da hat sich das Feld aber bereits leicht entzerrt. Zudem möchte ich nicht hetzen und die Attraktionen des Münster Marathons nicht versäumen.
Auf den Neubau des LWL-Museums laufe ich direkt zu. Nach Abriss und jahrelangem Wiederaufbau wird er am kommenden Wochenende wieder eröffnet. Bei KM 2 erreiche ich die Überwasserkirche. Ihr gegenüber befindet sich das berühmteste Antiquariat Münsters. Privatdetektiv Wilsberg ist hier zu Hause. Wenige Meter weiter biege ich in rechts in die Rosenstraße. Diesen Bereich habe ich erst vor wenigen Monaten im Internet bewundern können, als ein Witzbold auf einer Luftmatratze über die Straße paddelte. Ursache waren die stärksten Regenfälle, die Münster je erlebt hat.
Wir Läufer haben heute mehr Glück. Zwar hat es die Sonne schwer, die Wolkendecke zu durchbrechen, doch dafür herrschen bei etwa 18 Grad perfekte Laufbedingungen. Diese wollen auch Markus Jürgen und Achim Aretz nutzen. Als Rückwärtsläufer teilen sie sich die Strecke. Gerade wird mir vorgeführt, wie das funktionieren soll. Ich überhole Jürgen Markus, der durch einen Begleitläufer Anweisungen für seinen Weg erhält. Dazu braucht man schon eine gute Portion Vertrauen. Für mich wäre das nichts, ich sehe lieber, wohin ich laufe.
So genieße ich bei KM 3 das erste Teilstück auf der Promenade, wo mich Nikita und Hermann (mein Fanclub) zum ersten Mal erwarten und anfeuern. Das Wetter ist auch für die Zuschauer gut, die im folgenden Wohngebiet zahlreich die Straße säumen. Und wer von ihnen gerade erst aufgestanden ist, feuert die Läufer halt vom Fenster aus an. Bis KM 8,5 folge ich ein letztes Mal der Promenade nach links. Die Baumallee mit ihrem vollen Blätterdach wirkt etwas düster. Doch das wird heute locker wettgemacht durch die ausgelassene Stimmung der Zuschauer. Dank der kurzen Wege treiben mich Nikita und Hermann noch einmal an.
Es geht in Richtung Marienplatz. Es lohnt sich, wenn sich Marathonveranstalter mit den Finisher-Shirts Mühe geben. Sind sie hübsch und funktionell, werden sie gerne getragen und werben für den Veranstalter. Heute kommen mir viele Shirts bekannt vor, die vom Münster Marathon kommen besonders häufig vor. Vor mir „läuft“ aber gerade eines von meinem letzten Marathonabenteuer auf Fehmarn.
Jetzt nur nicht zu sehr ablenken lassen, denn bis KM 10 geht es leicht verwinkelt durch etwas engere Gassen. Den Prinzipalmarkt erreiche ich hier zum ersten Mal. Noch ist der Weg ins Ziel nach rechts abgesperrt, aber die große Menge Zuschauer lässt schon erahnen, was mich später erwarten wird.
Die ersten Staffelläufer haben mich bereits eingeholt und nutzen die rechte Seite zum Überholen. Ob die wissen, dass sich der erste Wechselpunkt auf der linken Seite befindet? Etwa bei KM 10,5 ist dieser erreicht und so gut ausgeschildert, dass ihn niemand verpassen sollte. Ich lasse mich von der Menge weiter tragen. Bei KM 11 ist ein Diabetesstand. Hier können Zuckerkranke ihr Blut testen um nötigenfalls ihren Blutzuckerspiegel wieder auf Vordermann zu bringen. Ein guter Service, der ruhig öfter angeboten werden könnte, auch wenn ich froh bin, nicht darauf angewiesen zu sein.
Für mich geht es so ohne Geschwindigkeitsverlust zum Aasee, wo KM 13 erreicht wird. Ist das nun ein Unglückskilometer? Bisher habe ich nie darüber nachgedacht. Aber jetzt, wo ich ihn zum 13. Mal in Münster erlebe. Bange machen gilt nicht. Außerdem lenken mich jetzt die Stelzenläufer ab. Frei von düsteren Gedanken lasse ich den „Unglücks“-Kilometer unfallfrei hinter mir.
Für Abwechslung ist in Münster übrigens reichlich gesorgt. Der Veranstalter steigert sich trotz hohen Niveaus von Jahr zu Jahr weiter. Heute sollen über 300 Künstler und Akteure an der Strecke sein. Die schon erwähnten und nicht zu übersehenden Stelzenläufer sind, soweit ich weiß, zumindest deutschlandweit einmalig. Nicht zu überhören sind die zahlreichen Trommlergruppen. Besonders gut macht das die nächste Gruppe, sie hat sich in einer Straßenunterführung postiert. Das geht durch Mark und Bein und sorgt für Gänsehaut.
Die folgenden Kilometer bis zur Halbmarathonmarke werden dagegen etwas ruhiger. Da kommt man schon mal mit anderen Läufern ins Gespräch. Christine erzählt mir, dass sie heute ihren 10. Münster Marathon perfekt machen will. Ich heiße sie schon mal herzlich willkommen im Jubilee-Club. Henri aus den Niederlanden ist immerhin zum dritten Mal hier dabei. Überhaupt ist das Teilnehmerfeld in Münster sehr viel internationaler geworden.
Die Hälfte ist gelaufen, dann folgt ein weiterer Höhepunkt: Nienberge mit dem zweiten Staffelwechsel. Wie an den anderen Powerpoints stehen hier die Zuschauer dichtgedrängt. Das motiviert mächtig. Entsprechend schnell bin ich durch. Schade eigentlich. Bis etwa KM 29 geht es jetzt durch Wiesen und Felder. 2:10 Stunden sind vergangen. Zu einem neuen Streckenrekord hat es nicht gereicht, aber die ersten Spitzenläufer sind jetzt im Ziel.
Hier hat sich das Feld zwar etwas auseinander gezogen, aber man läuft immer in einer größeren Gruppe. Alleine ist man nie. Außerdem gibt es sogar hier auf dem Land an jeder Straßenkreuzung zahlreiche Zuschauer, die einen anfeuern.
An der Verpflegungsstelle beim Haus Vögeding wird „Wer hat an der Uhr gedreht“ gespielt. Ich weiß es nicht, aber für mich ist es noch nicht zu spät. Ich kann mein Tempo weiter halten. Der Blick über die Felder reicht weit. In der Ferne reihen sich die Läufer wie an einer Schnur aneinander. Beim Blick zurück hat man denselben Anblick. Das Gefühl, gemeinsam mit so vielen Menschen unterwegs zu sein, hebt die Stimmung. Der Text auf einem Schild bringt es auf den Punkt: Leben bedeutet unterwegs zu sein und nicht möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Also genieße ich bei KM 29 den herzlichen Empfang auch in Roxel. Zur guten Stimmung passend dringen auch endlich die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Komische Riesenvögel unterhalten die Läufer und Zuschauer.
Münster feiert seinen Marathon. Viele Anwohner beteiligen sich spontan mit Aktionen. Auch kleine, liebevolle Gesten werden registriert und kommen gut an. Wie bei km 30, wo man die ganze Kollektion MüMa-Finisher-Shirts über die Straße gespannt hat.
Wenige Meter weiter lasse ich die Chance auf eine Massage links liegen, wie die gesamte Läuferschar, wie mir scheint. Gebraucht werden die Mädels heute anscheinend kaum und so nutzen sie ihre freie Zeit, um uns anzufeuern. Schnell noch eine Rechtskurve gelaufen und schon liegt auch Roxel wieder hinter mir. Wenige Meter weiter warten bereits die letzten Staffelläufer, um ihren Farben ins Ziel zu tragen. Die Wartenden schicken uns auf die finalen Kilometer und würden uns schon gerne begleiten. Der Strom der Läuferschar reißt nicht ab.
Am Erfrischungspunkt bei KM 32 ist man auf Sommer, Sonne und Strand vorbereitet. Aber auch das kann die Sonne heute nicht ganz aus den Wolken locken. Ich bin nicht böse drum und freue mich über die idealen Lauftemperaturen. Die folgenden KM durch Gievenbeck fallen mir so schon schwer genug.
Das Motto des Münster Marathons, „Wie Karneval in Rio“, spielt ja auf die gute Stimmung während der Fußball-WM in Brasilien an. Da wollen auch die Zuschauer nicht zurückstehen. Ein spontaner Actionpoint ist ganz unserem 4. WM-Titel gewidmet. Dazu gibt es die obligatorische Fußballer-Hymne “We are the Champions“. Ich werde mich anstrengen, um dann demnächst weltmeisterlich ins Ziel zu laufen.
Ein paar Kurven weiter erwarten mich einige Bräute. Sorry, schon vergeben. Aber steht weiter zu eurem Motto: Haltet durch, wir tun es auch. So beflügelt komme ich zum Vollverpflegungspunkt bei KM 35. Hier stärke ich mich mit Cola und Orangen für den Rest der Strecke. Das Tempo habe ich bisher einigermaßen halten können und das soll bis zum Schluss auch so bleiben. Ein weiterer Powerpoint macht die Schritte leichter.
KM 39 ist erreicht und wie immer in den letzten Jahren will mich ein Witzbold mit dem Schild „noch 39 KM“ irritieren. Nix da, kurz vor KM 41 sind wir noch einmal am Aasee. Die Weinverkostung lasse ich aus. Schon hier stehen zahlreiche Zuschauer Spalier. Ich genieße das Bad in der Menge. Wieder geben Trommler den Rhythmus vor, die Stimmung steigert sich bei jedem Meter. Dann geht es in Richtung Prinzipalmarkt. Der absolute Höhepunkt. Hermann ruft mir zu und ich nehme meinen Filius in Empfang. Endlich kann ich das tun, worauf ich mich die ganze Zeit gefreut habe, mit Nikita zusammen ins Ziel zu laufen.
Abgerundet wird das Laufvergnügen beim Münster Marathon mit der traditionell hervorragenden Zielverpflegung, an der auch Nikita Gefallen findet. Da wundert es nicht, dass er schon jetzt darum bittet, nächstes Jahr wieder mit mir finishen zu dürfen. Vielleicht klappt es dann ja sogar mit einer Anmeldung zum Kids-Marathon, die ich in diesem Jahr leider verpasst habe, da bereits nach einer Stunde alle 300 Plätze vergeben waren.
Streckenbeschreibung:
Kurs über eine Runde.
Zeitnahme:
Champion-Chip
Weitere Veranstaltungen:
Staffelmarathon und Kids-Marathon
Startgeld:
Marathon: 14 (für Wiederholungstäter mit Münsterbestzeit im letzten Jahr) -45 - 50 – 60 €, je nach Anmeldezeitpunkt
Auszeichnungen:
Medaille, Urkunde im Internet, Finisher-Shirt, Veranstaltungsfilm zum download
Verpflegung:
17 Verpflegungs- und Erfrischungspunkte an der Strecke und Verpflegung im Ziel. Gereicht werden Powerrade, Wasser und Cola. Dazu Bananen- und Apfelsinenstücke. An den Erfrischungspunkten nur Wasser.
Zuschauer:
Zahlreich an der gesamten Strecke, besonders geballt zudem an den Powerpoints und im Ziel.
Männer
1 Kiprono, Josphat 2:10:40
2 Koech, Duncan Cheriuyot 2:12:04
3 Kipkorir Taiget, Evans 2:12:15
Frauen
1 Bule, Yenealem Ayano 2:40:40
2 Rotich, Joan 2:42:28
3 Kiboino, Rosina Jepkosgei 2:49:00
2138 Finisher