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Laufberichte

Hitzelauf

05.09.04

„Frank, mach dich nackig.“

 

Samstag, 4. September. Es ist heiß, 29 Grad. Ich schleiche den ganzen Tag im Schatten herum. Versuche Kräfte zu sparen für morgen. Morgen soll es genauso heiß werden. Oh Mann. Ich ahne Fürchterliches. Nachmittags schaue ich mir im Fernsehen die Übertragung des Holstencityman in Hamburg an. CityMAN! Aber es ist der Weltcup im Damentriathlon? Naja. So ist das mit den Namen für Veranstaltungen. Anja Dittmer wird auf jeden Fall HolstencityMAN 2004. Den Herrentriathlon kann ich mir morgen leider nicht anschauen. Da bin ich selbst unterwegs.

 

Um 17 Uhr nehme ich das letzte richtige Essen zu mir: eine Pizza. Wie vor jedem Marathon. Eine Abwechslung zu den vielen Nudeln an den letzten Tagen. Abends bekomme ich Bauchkrämpfe. Ich weiß nicht warum. In den letzten zwei Nächten habe ich sehr schlecht geschlafen. Mir schwirren viele Gedanken durch den Kopf. Eigentlich habe ich ein ungutes Gefühl für morgen. Das behalte ich aber für mich.

 

Sonntag, 5. September. Wieder schlecht geschlafen. Bevor mein Radiowecker angeht, stehe ich schon auf. Zum Frühstück drei Toast mit Rübenkraut. Schön süß. Viel Zucker. Zuckerschnitten, sozusagen. Das gibt den letzten Energieschub, hoffe ich.

 

Ich schlage die Zeit tot, blättere in der TV-Zeitung herum, schaue mir das Abendprogramm an, bin mit meinen Gedanken aber schon in Münster. 8 Uhr. Ich fahre los. Auf der Fahrt höre ich mir den „Zirtaki“ aus dem Film „Alexis Sorbas“ an. In einer modernen Version der Gypsy Kings. Das Lied wurde in den Stadien bei den Olympischen Spielen gespielt. Ich habe es oft im Fernsehen gehört. Ich denke an das schöne neue Stadion in Athen. An die Laufwettkämpfe. An den Männer- Marathon, bei dem der führende Brasilianer Vanderlei de Lima von einem verrückten Zuschauer von der Laufstrecke in die Zuschauer gedrängt wurde. An die Marathonweltrekordhalterin Paula Radcliffe, die beim Damenmarathon bei 38 Grad zusammengebrochen ist. An den amerikanischen Hürdenläufer, der an einer Hürde hängen geblieben und dann unter der nächsten drunter her getaucht ist. An die vielen Siegerehrungen, bei denen die Sieger außer der Medaille auch einen Lorbeerkranz (oder Ölzweigkranz) aufgesetzt bekommen haben.

 

Kurz vor 9 bin ich in Münster. Ich bekomme einen Parkplatz nur 20 Meter vom Startblock entfernt. Perfekt. Jetzt kann ich noch im Auto sitzen und mich auf den Lauf vorbereiten. Es ist schon sehr warm. Im Radio läuft immer noch der „Zirtaki“. Zum was weiß ich wievielten Mal. Ich schließe meine Augen und bin wieder in Athen. Laufe in Gedanken durch das Stadion und genieße die herrliche Kulisse.

 

Um mich herum stehen viele andere Autos, an denen sich Läufer für den Marathon vorbereiten. Ich staune immer wieder darüber, wie egal manche Dinge werden können. An vielen Kofferräumen stehen Läufer und Läuferinnen, die sich ihre Laufkleidung anziehen. Sie stehen kurz nackt an ihrem Wagen, aber niemand kümmert sich darum. Viele massieren sich noch Muskelöle ein, dehnen sich, machen sich warm. Ich sitze im Auto und träume griechische Träume. Meine Vorbereitung für gleich.

 

Unser Team-Singlet ist leider noch nicht fertig geworden. Daher will ich heute im Radtrikot laufen. Das kann ich vorne öffnen und Luft an den Körper lassen. Außerdem hat es hinten kleine Taschen. Darin kann ich meine Gel-Päckchen verstauen. Ansonsten habe ich heute von meiner sonstigen Ausstattung nichts mit. Keine Uhr, keinen Pulsmesser, keine Trinkflasche. Ich will nur nach Gefühl laufen und nicht nach Sekunden jagen. Das ist für heute bei dieser Hitze die richtige Entscheidung. Bestzeiten gibt’s sowieso nicht.

 

10 Minuten vor 10 Uhr. Ich gehe die paar Meter zum Startblock. Hier sind inzwischen Zuschauer ohne Ende. Richtig gute Stimmung. 4300 Läufer stehen am Start. Mir ist jetzt schon richtig warm. Die Sonne brennt mir auf den Kopf. Ich muss mir doch mal eine leichte Marathon- Kappe kaufen. Meine sind zu dick. Darunter bekomme ich bei Hitze noch einen größeren Hitzestau.

 

3, 2, 1, Startschuss. Langsam setzen wir uns in Bewegung. Nach 2 Minuten bin ich an der Startlinie. Es ist sehr eng. Und das wird auf den ersten Kilometern auch nicht besser. Wir laufen durch viele kleine Straßen in der Münsteraner Innenstadt. Durch Wohnviertel, in denen links und rechts Autos parken. Die Laufstrecke ist nur 4 oder 5 Meter breit. Wir können nicht frei laufen, quetschen uns durch die Straßen. Aber das hat auch seinen Vorteil. Die Gefahr zu schnell zu beginnen ist hier recht gering. Mir wird jetzt klar, dass ich ohne Uhr gar nicht weiß, ob ich zu schnell bin. Ich fühle mich recht gut und locker, aber das ist immer gefährlich.

 

Mein Radtrikot mache ich nach wenigen Metern schon auf. Ich koche bereits. Das war eine gute Entscheidung. So kann man heute gut laufen. Alle 2,5 Kilometer gibt es Verpflegungs- und Erfrischungsstationen. Ich halte an jeder an, schütte mir 4 oder 5 Becher Wasser über den Kopf, trinke alles, was ich kriegen kann (Wasser, Cola, Iso), esse ab und zu ein Stück Banane. In vielen Vorgärten stehen Kinder mit Wasserschläuchen oder mit Gardena-duschen. Ich laufe unter jeder her und bin recht schnell klitschenass. Meine Schuhe quietschen schon. Aber das macht nichts. Kühlung ist heute das Wichtigste.

 

Fast an der ganzen Strecke stehen sehr viele Zuschauer und bejubeln uns. Viele rufen unsere Vornamen, die vorne auf der Startnummer stehen. Viele belügen uns nach Strich und Faden: „Frank, Du siehst noch gut aus“ oder „Frank, du bist spitze.“ Eine Frau ruft mir zu: „Frank, mach dich nackig.“ Als ich mich zu ihr umdrehe, ist ihr das doch ein wenig peinlich. Ist ihr wohl so rausgerutscht.

 

So vergeht aber die Zeit ganz gut. Ich klatsche ohne Ende Kinderhände ab. Viele Kinder halten kleine Wassergefäße für uns bereit. Sie freuen sich, wenn wir mit einer Hand oder einem Schwamm ein bisschen Wasser mitnehmen. Und uns tut es gut. Jede Erfrischung hilft ein wenig weiter.

 

Ab Kilometer 20 sehe ich schon viele Läufer, die nur noch gehen. Es ist einfach zu heiß heute. Ab Kilometer 30 sehe ich leider auch alle paar Minuten einen Rettungswagen über die Strecke fahren. So quäle ich mich über die letzten Kilometer durch die Hitze. Ab Kilometer 35 bekomme ich Stiche unter meinen beiden untersten Rippen, links und rechts unter den Armen. Als ich meine Brust sehe, erschrecke ich mich ein wenig. Die ist knallrot. Von der Sonne kann das so schnell nicht kommen. Wahrscheinlich einfach Hitzestau. Zusammen mit den inzwischen schmerzenden Beinen, mache ich mir doch etwas Sorgen. Ich denke an das ungute Gefühl gestern Abend. Aber die letzten Kilometer werden schon klappen. Ich laufe nicht mehr so schnell; kann ich auch, ehrlich gesagt, nicht mehr.

 

Bei Kilometer 40 werde ich aus meinem Trott gerissen. Volker, Tanja, Steffen, Anna, Micha und seine Mutter stehen am Streckenrand und schreien mich plötzlich an. Ich habe nicht damit gerechnet und freue mich über die Anfeuerung. Volker macht ein Foto und ich quäle mich weiter bis zum Ziel: Der Prinzipalmarkt in der Innenstadt.

 

Dieser ist mit kleinen Wimpeln überspannt. Das sieht mit der großen Kirche im Hintergrund richtig schön aus. Eine tolle Atmosphäre. Hier bekommen wir unsere Medaille, eine Umhängefolie, unser Finisher-T-Shirt und Getränke.

 

Geschafft. 4 Stunden und knapp 7 Minuten. Ich lege mich einige Minuten auf den Boden im Zielbereich und entspanne. Als ich aufstehen will, bekomme ich mal wieder einen Krampf. Das kenne ich schon. Wenn ich erst mal liege, komme ich vom Boden nicht mehr alleine hoch. Auch heute müssen mir zwei andere Läufer helfen, wieder aufzustehen.

 

Der Fanclub empfängt mich am Ausgang und wir sitzen noch einige Minuten zusammen an der großen Kirche. Ein anderer Läufer neben uns hat gerade Siegerehrung. Er bekommt einen Ölzweigkranz von seiner Familie aufgesetzt. Nur die Nationalhymne ist nicht zu hören. Schöne Geste.

 

Im Internet sehe ich abends, dass von den 4300 Startern nur 3100 ins Ziel gekommen sind. Die Hitze hat ihre Opfer gefordert.

 

Der Münster-Marathon ist eine absolut empfehlenswerte Veranstaltung. Das Münsteraner Publikum ist klasse, unser Fanclub sowieso.

 

Informationen: Volksbank Münster-Marathon
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