118 Folgen lang zwischen 1973 und 1978 ermittelte er mit markanter Glatze und Lolli im Mund: Lieutenant Theo Kojak war der Star der auch bei uns äußerst erfolgreichen gleichnamigen US-Serie „Kojak – Einsatz in Manhattan“. Ganz weit weg war die bedeutendste Stadt der Vereinigten Staaten von Amerika für den hier schreibenden, damals noch jugendlichen Helden. Aber auch später, als er zum Läufer wurde, war dieses Ziel, also (s)ein Einsatz in Manhattan (und in den anderen vier Stadtteilen) kein Thema für ihn gewesen.
Nie und nimmer werde ich nach New York gehen! So lautete mein gerne wiederholtes Credo über viele Jahre. Was sollte ich denn auch als rheinischer Westerwälder, gewohnt an ein ruhiges Leben in vergleichsweise dünn besiedeltem, waldreichem und hügeligem Gelände in den vegetationsarmen Hochhausschluchten Manhattans und anderer Stadtteile? Irgendwann aber sitzt man dann doch vorm Fernseher, sieht sich die Live-Übertragung an, erahnt die Freude der Teilnehmer, die Begeisterung der Zuschauer und läßt sich von einem Bazillus anstecken, der nur durch aktive Teilnahme erfolgreich bekämpft werden kann.
Nachdem wir erneut ganz tief in den Sparstrumpf geschaut hatten, ist es in diesem Jahr nun endlich wirklich so weit. Da unsere Kinder – der jüngste ist zweiundzwanzig – aus dem Allergröbsten heraus sind und sich sogar schon alleine anziehen können, wird es über den „Big Apple“ hinaus eine schöne Rundreise geben. Nach Washington D.C., Las Vegas und durch mehrere Nationalparks soll unser Programm führen.
Gutinformierte wissen, daß ich im „Big Apple“ vor zwei Jahren schon einmal fast gestartet wäre. Nämlich dann, wenn der Wirbelsturm Sandy nicht katastrophale Verwüstungen an der gesamten Ostküste angerichtet hätte, die letztendlich dazu führten, daß viele Flieger am Boden bleiben mußten und wir nicht einmal nach New York kamen. Da tröstete die letztendliche Absage des Rennens nur bedingt und auch der später auf der verkürzten Rundreise ersatzweise gelaufene Marathon in Malibu war nur ein schwacher Trost.
Gerade mal eben nach New York und dort kurz entschlossen Marathon laufen geht allerdings nicht. Für Boston hatte ich mich 2007 über die Zeit qualifizieren können und war daher, wenn auch für nur fünf Übernachtungen, auf eigene Faust über den großen Teich gekommen. Dort waren für meine damalige Altersklasse M45 3:30 Std. der Türöffner; diese Zeit galt 2012 letztmals für die AK M50/55 auch für New York City (seit 2013 deutliche Verschärfung auf 3:06 Std.!). Da die 3:30 für mich schon damals grenzwertig waren und ich darüber hinaus keine Lust hatte, ggf. dreimal bei der Lotterie durchzufallen und erst dann einen Startanspruch zu erhalten, entschieden wir uns, die Dienste eines großen Sportreiseveranstalters in Anspruch zu nehmen. interAir hatte sich nach der Absage 2012 überaus generös gezeigt und für den NY-Anteil sämtliche Vorauszahlungen anstandslos zurückerstattet. Insoweit war es keine Frage für uns, erneut an dieses Unternehmen heranzutreten.
Die Lufthansa-Piloten streiken ausnahmsweise mal nicht, daher fallen wir am Donnerstag vor dem Lauf in die Stadt, die angeblich niemals schläft, tatsächlich ein. 1610 siedelten hier Niederländer als erste Nicht-Indianer, kauften den Eingeborenen zunächst die Insel „Manna-Hatta“ (das bedeutet hügeliges Land, was uns Läufern Warnung genug sein sollte!) ab und nannten sie Nieuw Amsterdam. 54 Jahre später eroberten die Briten die Provinz Nieuw Nederland, seitdem trägt sie ihren heutigen Namen.
Heute Morgen führt unser erster Weg natürlich direkt zur dreitägigen Marathonmesse im Jacob Javits Convention Center an der Kreuzung 11. Avenue und 35. Straße West, die wir dank unserer Wochenkarte (30 $) für die U-Bahn und lokalen Busse gut erreichen. Die Messe ist komplett mit dickem Teppichboden ausgelegt. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man, der läge dort nur zum Ausbremsen der Besucher, damit diese an den div. Ständen länger verweilen. Vorstellen kann man sich das durchaus! Es wird gekauft wie bescheuert, als gäbe es kein Morgen. Die Preise scheinen allen völlig egal zu sein, sobald irgendetwas mit Bezug zum großen Ereignis draufsteht. Wir bewahren kühlen Kopf und beschränken uns auf den Erwerb der legendären dünnen Handschuhe, von denen jeder Finger den Namen eines zu durchlaufenden Stadtteils trägt (12 $).
Klar, man sollte sein Geläuf vor dem großen Ereignis möglichst schonen, aber in NYC ist das leichter gesagt als getan. Z. B. beginnt ganz in der Nähe des Javits Convention Centers der Rest der Highline, einer ehemaligen Hochbahn zur Versorgung damals ansässiger Gewerbebetriebe. Vor dem endgültigen Abriss gerettet, wurden zwischen 2006 und 2014 2,33 der ehemaligen 21 km restauriert, kultiviert, bepflanzt und der Öffentlichkeit zur vielfältigen Nutzung übergeben. Diese erkunden wir unmittelbar im Anschluss an unseren Besuch der Marathonmesse. Es ist ein Traum, New York straßen- und verkehrsunabhängig durchstreifen zu können, ein Muß für jeden Besucher!
Nachmittags gibt’s dann kein Halten mehr und ab geht’s zum Joggen in den Central Park, der 2013 seinen 140. Geburtstag gefeiert hat. Die etwa 4,0 x 0,9 km große Anlage mit guten 90 km Wegenetz ist die grüne Lunge der Stadt und neben dem Veranstaltungsort vieler Konzerte und Aufführungen das New Yorker Laufrevier schlechthin und seit Anbeginn des NYC-Marathons dessen gute Stube. Hierhin – und zwar nur in den Park - hatte der rumänischstämmige Fischel Lebowitz (US-amerikanisch in „Fred Lebow“ verballhornt) 1970 zum ersten Mal zum Marathon über vier Runden geladen. Von 127 Startern, die einen stolzen Dollar Startgeld berappt hatten, erreichten 55 das Ziel. Seit 1976 findet der Lauf durch die fünf berühmten Stadtteile („Borrows“) statt.
Abends erleben wir einen Hauch von Olympia: Bei der Eröffnungszeremonie von 17:25 bis 19:00 Uhr marschieren Vertreter der beteiligten Nationen nach einer Eröffnungsrede in einer bunten Parade mit Fahnen und allem Schnick und Schnack vorbei. Zur aktiven Teilnahme hatte man sich vermutlich wie 2012 auch in diesem Jahr bewerben können, indem man die Frage beantwortete, warum man seine Nation repräsentieren wolle. Wissend, wie die Amis ticken, hatte ich in meiner Bewerbung dick aufgetragen von wegen Nationalstolz und so. Prompt war ich dabei. Leider hatte es wegen Sandy dann doch nicht sollen sein. In diesem Jahr schauen Elke und ich von der Zuschauertribüne, deren Plätze für Sonntag um lächerliche 275 $ zu mieten waren, lediglich zu und lassen marschieren, nehmen also die Parade quasi ab, das hat auch etwas. Wir hören und sehen die Ansprache von Mary Wittenberg, der Vorsitzenden des ausrichtenden NYRR Club und damit Cheforganisatorin. Nach dem Einmarsch der Nationen werden die internationalen Laufstars persönlich vorgestellt, wir können ihnen recht nahe sein und sie gut ablichten. Abschließend genießen wir ein tolles Feuerwerk, garniert mit Frankyboy Sinatras „New York, New York!“. Mein lieber Mann, das hat schon was!
„NYRR 5 k Dash to the finish line“, so lautet seit dem vergangenen Jahr das Angebot der ausrichtenden New York Road Runner. Ein Frühstücks-Spaßläufchen mit Start am Gebäude der Vereinten Nationen, der über die 42. Straße westwärts und die 6th Avenue nordwärts in den Central Park führt, um in einer großen Schleife am heiligen Marathonziel Tavern on the Green zu enden. Das Ganze gibt’s für die schlanke Startgebühr von sage und schreibe 50 $, selbst wenn damit ein Shirt und ein kleines Frühstück verbunden sind (die ersten 5.000 Startnummern gingen allerdings für die Hälfte über den Tisch). Spätestens hier realisieren wir, daß die Begriffe „New York City“ und „Sparen“ völlig inkompatibel sind. Natürlich wirkt sich das in unserem Gesamtbudget erst in der zweiten Nachkommastelle aus, aber dennoch gab es bis 2010 etwas Vergleichbares noch für lau. Marktwirtschaft nenne ich das. Was hilft es? Für meine Frau ist es die Möglichkeit, in meiner Begleitung selber ein paar km der Stadt mit Startnummer unter die Füße zu nehmen, daher sind wir natürlich dabei. Und überhaupt: Wenn schon, denn schon. Oder sieht das jemand anders?
7.424 Finisher stehen am Ende in der Ergebnisliste. Das sind wohl aufgrund auch wetterbedingt ausgefallener Teilnehmer deutlich weniger als angemeldet waren. Uns stört das nicht, dadurch dauert es „nur“ eine gute Viertelstunde, bis wir die Startlinie am Hauptquartier der Vereinten Nationen überschreiten. Die Stimmung ist trotz des Regens und der niedrigen Temperaturen gelöst, nicht nur bei Elke und mir. Wir lachen uns kaputt, denn kaum am Start angekommen, treffen wir, völlig zufällig, unsere Lauffreunde Gisela und Peter aus Euskirchen. Der Kurs führt über die 42. Straße, vorbei am schönen Grand Central Terminal und am Rockefeller Center über die 6th Avenue in den Central Park, wo viele Teilnehmer zum ersten Mal das heilige Marathonziel genießen dürfen. Als Belohnung gibt’s am Ende einen kleinen Frühstücksbeutel mit Apfel, Powerbar-Riegel, Wasser und Salzstangen. Und am Nachmittag darf dann schon mal das weiße Langarm-Finishershirt spazierengetragen werden.
Einige Teilnehmer hatten sich in den vergangenen Jahren wohl am Vortag des Marathons schlicht überfordert und waren in strammem Fußmarsch den vielfältigen Verlockungen der Stadt erlegen. Schlicht plattgelaufen. Um das zu verhindern, starten wir um 12 Uhr mit einer moderierten vierstündigen Busrundfahrt zu den „most marvellous points of NYC“, die wir für jeweils 40 $ gebucht haben - wollten. Soweit nämlich der Vorsatz, natürlich werfen auch wir alle guten Absichten über Bord und sind weiter in der Stadt zu Fuß auf Tour.
Abends nehmen wir gerne die Gelegenheit zum gemeinsamen Kohlehydrateschaufeln beim Barilla Marathon Eve Dinner (vulgo: Pastaparty) an, zu der ich meine Elke für 30 $ habe voranmelden können, auf der Messe wären deren 40 fällig gewesen. Zwischen 15:30 und 20 Uhr kann man es sich im Marathon-Pavillon in der 67. Straße West am Central Park inkl. Getränke allerdings sehr gutgehen lassen. Eigentlich sind die Essenszeiten zur Blockabfertigung viertelstundengenau zugeteilt, aber auf der Messe hatte man uns nahegelegt, nicht später als 17:30 Uhr zu erscheinen, um dem größten Stau zu entgehen. Daran halten wir uns natürlich, kommen direkt zum Trog und sind dann halt früher als die anderen mit Verdauen fertig.
Aber was für ein Erlebnis! Die vielen Helfer rasten bei unserer Begrüßung schier aus, dabei sind wir doch nur zum Essen hier! Das von sehr guter Qualität ist: Pasta mit Tomatensoße, kalter Nudelsalat mit Hähnchen, Salat und Brot gibt es an zehn doppelt besetzten Ausgabetischen, dazu Wasser in mehreren Variationen, auch bleifreies Bier, dazu div. andere Getränke und zum Nachtisch einen Apfel. Nachschlag wäre von allem erlaubt gewesen. Den Hammer erleben wir dann anschließend beim Pipimachen: Solche Toilettenwagen habt Ihr noch nicht gesehen, der pure Luxus!
New York ist definitiv kein Pflaster für Langschläfer. Frühes Aufstehen ist angesagt am großen Tag, wenn auch nicht ganz so zeitig wie zunächst befürchtet, denn die Uhr ist in dieser Nacht wieder auf Winterzeit (eine Stunde zurückgestellt) worden. Klamottentechnisch habe ich mich auf jedes denkbare Szenario eingestellt. Da die Wettervorhersage leider einen Sturz der Tageshöchsttemperaturen von 21° am Mittwoch auf deren 8 am Sonntag zutreffend prognostiziert hat, es also arschkalt wird (morgens stolze 3 °!), habe ich die vielfach gegebenen guten Ratschläge angenommen und mich mit reichlich alten Klamotten zum Warmhalten eingedeckt. Dazu gleich mehr.
Um 5:45 Uhr bringt uns ein von interAir gecharterter Bus in etwa einer Dreiviertelstunde zum Start. Warum wird so früh aufgebrochen? Weil wir den Weg über die zuerst zu überlaufende Verrazano-Narrows-Brücke nehmen (müssen), die ab 7 Uhr für jeglichen Verkehr gesperrt wird. Ups, das Teil ist ganz schön lang und stramm hinauf geht‘s auch! Unterwegs wird mir wieder einmal klar, welch eine lange Strecke wir da innerhalb eines Marathonlaufs zurücklegen. Natürlich ringt das so manchem gestandenen Ultra nur ein müdes Lächeln ab, aber 42 km bleiben immer 42 km, die gelaufen werden wollen.
Auf dem Gelände des Fort Wadsworth, einem ehemaligen Stützpunkt der US Army, werden wir aus der gefühlten Hälfte der US-amerikanischen Busflotte wieder ausgespuckt und bis zum Start unserem Schicksal überlassen. Ein Los, mit dem ich sehr gut umgehen kann, denn auch mehrere Stunden Wartezeit können trotz der Kälte durchaus kurzweilig sein. Was hatte ich mir im Vorfeld Gedanken über diese Zeit gemacht! Wie warmhalten? Was tun, sollte es „cats and dogs“ regnen? Über meiner Laufbekleidung – selbstverständlich starte ich wieder im Nationaltrikot - habe ich eine uralte Trainingshose und zwei ähnlich betagte Fleecepullis an und sehe mehr nach einem Landstreicher als nach einem halbwegs zivilisierten Mitteleuropäer aus. Das ganze garniere ich noch mit einem Maler-Ganzkörperkondom aus dem Baumarkt, das hält Wind ab. Gegen den jetzt schon starken und eiskalten Nordwind wird auch noch die alte Wärmfolie aus Boston umgehängt.
Einfach hineingehen in den Wartebereich ist übrigens nicht, allgegenwärtig sind die Zutrittskontrollen anhand der Startnummer und es werden auch nur die auf der Messe ausgegebenen durchsichtigen Garderobentaschen (die später an den zahllosen UPS-Lastwagen abgegeben werden können) durchgelassen. Einerseits nervig ist es mir doch sehr recht, wenn ich an die ISIS- und sonstigen islamistischen Idioten denke, die u. a. erst vor ein paar Tagen in Kanadas Hauptstadt Ottawa gemordet haben. Als ich dann drin bin, läßt mich das Gewusel der allgemeinen Vorbereitungen um mich herum doch nicht ganz kalt. Hier wird angezogen, umgezogen, eingeschmiert, gedehnt, hingesetzt, hingelegt, aufgestanden, Platz gewechselt, kurzum: Hektik verbreitet. Mache ich irgendetwas falsch? Ich bin die Ruhe selbst. Wahrscheinlich ist es tatsächlich so wie in dem alten Volkslied: „Denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung, …“. Ich beobachte also weiter höchst interessiert meine Umgebung, bleibe cool und frage mich doch immer wieder, was ich Entscheidendes vergessen haben könnte. Habe ich aber wohl nicht und daher kann ich mich dem Zeitvertreib bis zum Start hingeben.
Der wird für die Profi-Männer und die Normalsterblichen in vier Wellen in jeweils 25 min. Abstand erfolgen, der erste um 09:40 Uhr, nachdem die Profi-Frauen schon um 9:10 Uhr auf die Piste durften, womit sie somit die ungeteilte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit genießen und auch als Erste einlaufen werden. Jede Welle startet in drei Blöcken (blau, orange und grün), die wiederum in „Corrals“ zu je max. 1.000 Läufer unterteilt sind. Bei der Angabe von 4:00 Std. als Zeitziel hat es mich in die 4. Welle mit Start um 10:55 Uhr verschlagen, das bedeutet gute vier Stunden Wartezeit. Ich will trotzdem nicht meckern, denn ich darf als „Blauer“ auf der obersten Ebene der Verrazano-Narrows Bridge laufen, die unten Laufenden bekommen von oben das Pipi (nicht meines!) ab. Das bringt mir die Chance, einen der klassischen NY-Marathon-Eindrücke mit dem Fotoapparat einzufangen, was die lange Warterei wert gewesen sein wird!
Zwischendurch gilt es auch Essen zu fassen, denn mein versäumtes Frühstück kann ich hier nachholen. Sich zuführen kann man Kaffee, Tee, Kakao, Wasser, Gatorade (Iso), Riegel und Donuts. Das Heißwasser für die Getränke kann man sich übrigens an Zapfstellen selber ziehen, eine sehr intelligente Einrichtung. Umgekehrt gibt es so viele Dixis (im Start- und Zielbereich sowie auf der Strecke insgesamt angeblich 1.700), daß kein großer Druck entstehen kann. Endlich erfolgt der mehrsprachige Startaufruf auch für die vierte und letzte Welle, gemächlich setzen sich die Startnummern 55.000 bis 72.999 in Bewegung. Natürlich sind die Nummernkreise nicht ausgereizt und weit weniger als 72.999 Läufer unterwegs (50.266 Finisher im vergangenen Jahr).
Ich habe Glück und stehe im Corral A in der ersten Reihe und bekomme daher den Startvorgang hautnah mit: Mit Inbrunst singt eine Mitläuferin die amerikanische Nationalhymne („The Star-Spangled Banner“) intoniert: „O! Say can you see by the dawn’s early light, what so proudly we hailed at the twilight’s last gleaming…”. Da muß so mancher Ami ein Tränchen quetschen. Jetzt aber endlich ab, denn Frank Sinatras unsterbliches “New York, New York” („If you can make it there, you'll make it anywhere“ – das macht doch Mut!) ist uns der Startschuß nach dem wirklichen Startschuß aus einer Kanone, wie er schöner und passender nicht sein könnte.
Ich muß zugeben: Die ersten Meter die Brücke hinauf laufe ich mit einem Kloß im Hals, so feierlich ist mir zumute. Ich laufe in New York!!! Schon verlassen wir Staten Island, südwestlich von Manhattan gelegen, der mit 440.000 Einwohnern bevölkerungsschwächster Stadtteil ist. Ob er deswegen auch der heute am schnellsten wieder verlassene ist? Jedenfalls können wir trotz der Riesenzahl gleichzeitig Startender direkt frei laufen, müssen aber sofort auf die Rampe zur Verrazano-Narrows-Bücke und nehmen damit die größte Steigung des kompletten Rennens mit ca. 60 Hm direkt am Anfang. 212 m hoch, zweistöckig, mautpflichtig und mit 1.300 m Spannweite zwischen den Pfeilern wurde die Brücke 1964 fertiggestellt. Der Namensgeber Giovanni da Verrazano war ein italienischer Seefahrer, der 1525 als erster Europäer die New York Bay und den Hudson River erkundete.
Schon zeigt sich meine eher durchwachsene Vorbereitung auf diesen Lauf, denn der wichtigste Teil des vorgesehenen Trainings war leider ausfallen. Am 18. und 19. September nämlich wurde bundesweit der zweite, tagelang in Funk und Fernsehen angekündigte Blitzmarathon mit vielen zehntausenden Teilnehmern ausgerichtet, zu dem mir aber trotz größter Anstrengungen keine Anmeldung gelang. Wunderbare Fotos, die sogar zugeschickt werden sollten, hatten die Ausrichter, also die Polizeien der betreffenden Länder, in Aussicht gestellt. Meine Frau meint, ich hätte sie nicht alle und sei völlig durchgeknallt. Vermutlich liegt sie damit richtig.
Unglaubliche 25 (fünfundzwanzig) Fahrspuren hat’s hier an und neben den Mauthäuschen. Auf der Brücke hat man nach links einen sagenhaften Ausblick auf die Skyline von Manhattan, rechts erstreckt sich Coney Island. Unsere Welle läuft rechts, so kann ich zwar Manhattan, nicht aber das fontainenspritzende Feuerlöschboot zu meiner Linken ablichten.
Tolle Fotos gelingen mir auf der 3 km langen Brücke, für die ich mir viel Zeit nehme. Wenn ich jemals ohne Zeitziel losgelaufen bin, dann heute. Für mich zählt ausschließlich der Genuß der Strecke, ich will die Atmosphäre in mir aufsaugen und viele schöne Fotos machen, die ich mir auch noch in Jahren am heimischen Bildschirm ansehen kann. Die letztjährige Durchschnittszeit von 4:29:12 Std. werde ich dabei bestimmt reißen, vielleicht schaffe ich es auch erstmals mit einer „5“ am Anfang? Na ja, wir wollen mal nicht den Teufel an die Wand malen!
Ich weiß mittlerweile auch, warum unser Aufenthalt auf Staten Island räumlich so begrenzt war: Ebola ist schuld. Kein Witz, mit 10.000 Bürgern gibt es in diesem Stadtteil in „Little Liberia“ die größte Kolonie von Liberianern außerhalb ihres Heimatlandes, die aufgrund der naturgemäßen größeren Kontakte nach Hause ein großes Gefahrenpotential darstellen. Der politisch ach so korrekte US-Bürger nennt sie daher der Einfachheit halber nicht African American, sondern direkt und unverblümt „Ebola“. Natürlich ist das nicht der Grund für unsere Flucht, der Rest stimmt aber wirklich.
Links neben uns läuft übrigens der Rest der dritten Welle, sodaß wir schon bald mit Überholen beginnen. Waren die ersten 3 km noch zuschauerlos, ändert sich das nach Verlassen der Brücke schlagartig mit dem Betreten von Brooklyn.
1634 von den Niederländern als Breuckelen (nach der Stadt Breukelen bei Utrecht) gegründet, liegt der Stadtteil im Südosten der Stadt am westlichen Ende von Long Island und ist mit 2,56 Millionen Einwohnern nach Manhattan der am dichtesten besiedelte Verwaltungsbezirk der Vereinigten Staaten. Brooklyn wurde und war bis 1898 eine eigenständige Stadt, bis es nach New York eingemeindet wurde. Der Bezirk hat sich aber bis heute eine stark ausgeprägte Eigenständigkeit bewahrt. Brooklyn hat zahlreiche unterschiedlich geprägte Stadtteile, von denen sich viele aus Kleinstädten und Dörfern entwickelt haben, die bis zur niederländischen Ära im frühen 17. Jahrhundert zurückreichen. Charakteristisch für die nordwestlichen Stadtteile zwischen der Brooklyn Bridge und dem Prospect Park sind die Backstein- und Sandsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert.
Bei Meile 3 und künftig an jeder weiteren Meile gibt’s an beiden Straßenseiten Flüssigkeitsnachschub: Wasser und Gatorade sind im Angebot. Etwas Festes zu beißen? Zunächst Fehlanzeige, später wird es einmal Powergel und zweimal Bananen geben. Ich bleibe, wie letztens beim Remstal-Marathon, bei einer Null-Kalorien-Aufnahme. Ein Blick auf die Uhr bei km 5 zeigt keine 29 Minuten, und das bei locker 60 Höhenmetern und bereits zahlreichen Fotostopps! Ich nehme direkt einen Zahn raus und einige bereits jetzt wandernde Mitstreiter als warnende Beispiele. Da sieht man wieder mal, wie einen Masse und Begeisterung mitreißen können.
Schon die ersten Meilen in Brooklyn zeigen uns, was heute typisch sein wird: Ewig lange Geraden, breite Straßen wie zunächst die Third und Fourth Avenue, aber Langeweile sieht anders aus: Es ist zwar nicht jeder Meter zuschauerbesetzt, aber die Stimmung ist bereits hier toll und deutlich anders, als ich es von meinen vielen anderen Veranstaltungen kenne. Die Leute sind wesentlich aktiver, haben auch nach zwei Stunden noch Energie und schreien sich die Lungen aus dem Leib. Viele wollen abgeklatscht werden, zahlreiche mehr oder weniger geistreiche Plakate werden hochgehalten und lenken völlig vom Laufen ab. „There is beer and sex at the finish line!“ lese ich. Habe ich wirklich das Tempo angezogen?
Und noch etwas: Die Musikbegleitung ist gigantisch. Ich schätze, dass wir insgesamt an die 60 Bands gesehen und gehört haben, Respekt! Ab Meile 3 ist jede ausgeschildert (mit Zeitanzeige), die km-Angaben stehen alle 5. Ich halte mich an die Meilen, denn besser auf 26 warten als auf 42, so meine Milchmädchenrechnung. Die beiderseitige Bebauung ist noch vergleichsweise flach, das wird sich später deutlich ändern. Immer wieder komme ich mit Mitläufern ins Gespräch, das sind wirklich verbindende Momente zwischen mindestens 94 beteiligten Nationen, wie uns Mary Wittenberg bei der Eröffnungszeremonie mitteilte.
Bei Meile 8 ist die eindrucksvolle Silhouette Manhattans zum ersten Mal zu erblicken. Manch einer schaut schon sehnsüchtig hinüber, aber noch ist nicht einmal das erste Drittel absolviert. Außerdem ist gerade hier doch der Weg das Ziel! Dann tauchen tatsächlich die erhofften bekannten Gesichter auf: Axel, mein ehemaliger Kollege, steht mit seiner Frau Grit am Ende der achten Meile und tragen ihr Scherflein zum allgemeinen Getöse bei. Ich freue mich riesig, hier auf bekannte Gesichter zu stoßen. Bei ihnen lasse ich meine Mütze und Handschuhe, wir treffen uns übermorgen zum Abendessen. Wirklich die Hölle los ist gleich darauf beim Abbiegen auf die Lafayette Avenue. Schön sonnig ist es geworden, aber es bleibt unangenehm kalt, insbesondere die strammen Windböen reißen manchen die Mützen vom Kopf, Becher fliegen massenhaft über die Straße. Ein Pastor mit seiner Kirchengemeinde feuert uns von der gegenüber liegenden Straßenseite an.
Im Bereich der Meile 10 kommen wir in den Brooklyner Stadtteil Williamsburg, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überwiegend von Deutschen bewohnt war. Vor allem orthodoxe, u. a. chassidische Juden (welche die religiösen Regeln besonders streng einhalten) sind hier zuhause und bestechen durch – völlige Stille, ja Teilnahmslosigkeit. Die ist so extrem, daß ich geneigt bin, von geradezu demonstrativem Desinteresse zu sprechen. Überall an den Häusern sieht man hebräische Schriftzeichen und davor, egal ob Männlein, Weiblein oder Kinder, schwarzgekleidete Gestalten, sehr ungewohnt das Ganze.
Es geht in Richtung Halbzeit. Die Pulaski Bridge, der Neubau von 1954, verbindet Queens und Brooklyn als Klappbrücke. Den Namen des polnischen Generals aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bekam sie wegen der vielen in ihrem Umkreis wohnenden Polnischstämmigen. An ihrem Anfang haben wir mit 13,1 Meilen die Hälfte geschafft und können nochmals einen atemberaubenden Blick auf Manhattan werfen, Empire State und Chrysler Building grüßen. Hier gönne ich mir wieder mal viel Zeit, steige auf eine Fahrbahnbegrenzung und knipse über das Drahtgeflecht die wunderbare Kulisse. Bevor wir jedoch nach Manhattan dürfen, erweisen wir dem dritten Stadtteil unsere Reverenz.
Queens wurde am 1. November 1683 gegründet und ist der flächenmäßig größte der fünf Stadtbezirke von New York City. Er liegt im Westen der Insel Long Island, hat ca. zwei Millionen Einwohner und wurde im Jahr 1898 nach New York City eingemeindet. Der Name Queens (eigentlich Queens County) steht zu Ehren von „Queen“ Catherine of Braganza (1638–1705), der Gattin von König Charles II. von England (1630–1685). In Queens liegen die zwei Internationalen Flughäfen New Yorks, der John F. Kennedy International Airport und der LaGuardia Airport.
Eine Gruppe spielt kernigen Hardrock, hart an der Grenze des Heavy Metal. Kurz vor Meile 16, die Straße verengt sich beträchtlich, folgt ein weiterer (im doppelten Sinne!) Höhepunkt: Die 1909 als Auslegerbrücke eröffnete doppelstöckige, 2.470 m lange und 107 m hohe Queensboro Bridge hatte ursprünglich auf dem oberen Deck Eisenbahn- und auf dem unteren Straßenbahnschienen. Heute dient sie nur noch dem Straßenverkehr, zusätzlich hat sie je eine Rad- und Fußgängerspur und führt uns über den East River erstmals nach Manhattan. Für uns ist sie heute eine Oase der Ruhe: Nur wir Läufer dürfen sie nutzen, viel mehr als das Getrappel tausender Füße ist nicht zu vernehmen. Für viele wird der Anstieg zur Herausforderung und sie verfallen auf dem schier endlosen Anstieg ins Gehen. Eigentlich, das bleibt aber unter uns, ist der gesamte Kurs völlig unproblematisch zu laufen. Wer auch nur einigermaßen Hügeltraining einbaut, kann in New York keine Probleme bekommen, das Gedöns um die ach so schrecklichen Höhenmeter ist typisch amerikanisch.
Den wenigsten Mitläufern wird wahrscheinlich bewußt sein, daß es sich beim New York City-Marathon quasi um einen Insellauf handelt. Staten Island, Long Island und Manhattan Island sind die Inseln, die es zu durchqueren gilt.
Auf der Queensboro Bridge, auf der ich mich immer noch befinde, muß ich erst einmal anhalten und den sagenhaften Blick auf den East River genießen. Davon muß ich mich aber wieder losreißen, denn ich höre schon großes Geschrei und weiß, was da kommt: das scharfe Abbiegen auf die 1st Avenue, wo man vom Ende der Brücke nach unten eines der klassischen Fotomotive hat. Gut, daß ich vorbereitet bin! Kaum abgebogen habe ich ein Déjà vu: So habe ich die Mainzer Landstraße in Frankfurt in Erinnerung: Ohne Ende geht’s kerzengeradeaus. Aber hier tobt wirklich der Bär, schlagartig ist alle aufkeimende Müdigkeit vergessen. Lauft wie ich am Rand! Ein Mehr an persönlicher Anfeuerung ist nicht vorstellbar, das ist geradezu verbales Doping! Gute sechs km laufen wir jetzt, die ersten zwei Drittel parallel, aber etwa einen km seitlich vom Central Park nach Osten versetzt, stracks nach Norden. 6 km lang geht es nun auf der First Avenue geradeaus und dabei spürbar, letztlich aber harmlos, Auf und Ab.
Ich komme an unserem Bagelladen vorbei, ein echter Geheimtip. Kleiner, enger Laden, in dem sich mehrere Angestellte gegenseitig auf die Füße treten, und eine Menschenschlange bis auf die Straße hinaus. Eine größere Empfehlung ist nicht vorstellbar. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Dieses Hinterteil, bei jedem Lauf anders verpackt – heute in schwarz/rot/gold – kann nur zu einer gehören. „Guten Tag, Frau Doktor“! Sie ist es wirklich, „unsere“ Betty. Mit Grosse Coosmann als Expertin über den großen Teich gekommen, betreut sie eine Reisegruppe und macht für einen der Läufer die persönliche Pacemakerin. Sachen gibt’s, da triffst Du inmitten tausender unbekannter Läufer fern der Heimat Bekannte.
Leicht anrüchig, zumindest was Geschehnisse aus der Vergangenheit anbetrifft, ist die nächste Gegend, in die unser Stadtbummel führt. Über den Harlem River führt uns die 2010 erneuerte Willis Avenue Bridge, an deren Ende wir mit der Bronx zum einen das einzige Mal Festland und zum anderen das wohl gefährlichste New Yorker Pflaster betreten. Wohl auch deshalb bleiben wir nur für knappe zwei km über die 138. Straße in diesem nördlichsten Stadtteil. Allerdings sieht das hier und heute für mich durchaus friedlich aus, denn die Begeisterung ist nicht geringer als in den anderen Stadtteilen. Allerdings habe ich als Läufer der vierten und letzten Welle den Eindruck, daß der Zuspruch schon etwas nachgelassen hat, zumindest außerhalb der sog. Hot Spots. Wer kann schon drei oder mehr Stunden am Stück schreien?
Hier in der Bronx steht übrigens das marmorne Denkmal für den Dichter Heinrich Heine, das 1897 zu dessen 100. Geburtstag eigentlich in seiner Heimatstadt Düsseldorf aufgestellt werden sollte. Davon jedoch hatte man aufgrund Heines jüdischer Abstammung („Kotau vor dem Judentum“) Abstand genommen. Das war schon damals starker Tobak.
Wenn Ihr Euch die Bilder mit dem stahlblauen Himmel anschaut werdet Ihr kaum glauben, daß wir gestern einen durch und durch verregneten Tag hatten und es heute dank böigem Nordwind richtig fies kalt ist. Aber ich will nicht meckern und mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, 4 Stunden und 20 Minuten in strömendem Regen auf den Start zu warten. Wegen der Böen hatten sie übrigens noch in der Nacht etliche zum Unterstellen gedachte Zelte sicherheitshalber abgebaut. Schon neigt sich unser Ausflug in die Bronx seinem Ende zu.
Über die Madison Avenue Bridge, der letzten der heute zu überquerenden Brücken, 1910 als Drehbrücke errichtet, dreht der Kurs wieder nach Süden ein und bringt uns zum zweiten Mal nach Manhattan. Wer allerdings glaubt, das sei es jetzt mit den Steigungen gewesen, der hofft vergebens, denn der Kurs hat noch so manche Überraschung in petto.
Zunächst geht’s durch Harlem. Was jetzt wirklich ernsthaft zu nerven beginnt, sind die mittlerweile vielen Wanderer, die nur noch vor sich hinstapfen, unmotivierte Richtungswechsel vornehmen, schon mal abrupt stehenbleiben und einen dadurch zu höchster Aufmerksamkeit, Abbremsen, Anlaufen und Slalomlaufen nötigen. Immer schwieriger wird auch das Sehen, denn die tiefstehende Sonne scheint uns auf der wiederum langen, langen Geraden, der berühmten 5th Avenue, voll ins Gesicht. Auch mein Erschöpfungsgrad hat deutlich zugenommen, die unmittelbare „Vorbereitung“ in der Stadt, wie anfangs bereits selbstkritisch bemerkt, war dem heutigen Lauf nicht gerade förderlich. Aber mal ehrlich: Ist das so wichtig? Hier geht’s doch den meisten darum, dabei und Teil dieses berühmten Ganzen gewesen zu sein. Was für eine Rolle spielt da eine Viertel- oder halbe Stunde länger unterwegs zu sein?
Über diese Gedanken habe ich zunächst gar nicht bemerkt, daß zu unserer rechten Seite schon der Central Park aufgetaucht ist, große, meist noch belaubte Bäume künden bereits vom nahenden Finale. In Höhe der 86. Straße dürfen wir in den Park abbiegen, haben aber immer noch drei Meilen vor uns, für mich wird es, selbst bei meinem geruhsamen Tempo, endgültig zum Slalomlauf. Links von uns stehen die Häuser mit den Apartments der Schönen, Reichen und ganz schön Reichen, jede Menge Prominenz hat sich hier eingemietet und –gekauft. Hoch und mit unverbautem Blick auf den gesamten Park zu wohnen hat aber auch etwas. „You did it!“. „Almost there!“. „Looking good!“. Letzteres würde ich ja gerne glauben, habe aber da aber so meine berechtigten Zweifel.
An der Südseite werden wir noch einmal aus dem Park herausgeführt, aber das kann nicht mehr von langer Dauer sein. Von der Eröffnungszeremonie und dem 5k Dash to the finish line ist mir die letzte Meile wohlvertraut. Columbus Circle, Südwestecke des Parks, Trump Building, es ist nicht mehr weit, der Höhepunkt naht. Meile 26, der finale, leichte Anstieg ist schon zu sehen. Fahnen aller beteiligten Nationen links und rechts, jetzt ist es endgültig feierlich. 100 m vor dem Ziel schieße ich das letzte Foto, dann passiert’s: Ich packe die Bundesdienstflagge aus (verrate aber nicht, wo die die letzten 42,1 km verbracht hat) und laufe mit stolz- und flaggengeschwellter Brust durchs Marathonziel Nr. 1 der gesamten Laufwelt.
Zu mehr als ein paar Schnappschüssen reicht es hinter dem Zielbogen leider nicht, da wir verständlicherweise nach hinten durchgewunken werden, um einen kapitalen Stau zu verhindern. Etwas später erhalte ich eine sagenhafte Medaille, die zuhause einen Ehrenplatz an meiner „wall of fame“ erhalten wird. Morgen werde ich damit, wie viele andere auch, in der Stadt herumspazieren und mich von zahlreichen Passanten huldigen lassen.
Eine Wärmefolie tut’s fürs erste, dann gibt es den gut gefüllten Zielverpflegungsbeutel, bevor sich die vor sich hinschleppende Menge, einem Zug der lebenden Leichen gleichend, teilt: Rechts diejenigen, die ihren Kleiderbeutel abholen müssen und noch viele hundert Meter vor sich haben, links diejenigen, die wie ich am Start nichts abgegeben haben. Dafür erhalten wir, schon dem Park entronnen, ein tolles gefüttertes Cape, das richtig warm hält. Wie eine Horde Schlümpfe sehen wir aus, bevor wir uns in alle Himmelsrichtungen verteilen und mit einem Grinsen auf den Gesichtern in den nächsten Tagen überall in der Stadt über den Weg laufen werden. Natürlich mit Angebershirt und umgehängter Medaille, denn nur so kann man der Welt demonstrieren, daß man die fünf Bezirke mit stolzgeschwellter Brust durchmessen hat.
Melde gehorsamst: Einsatz in Manhattan beendet! Daß der Lauf durch die fünf Stadtkreise New Yorks auch für Stress im Geldbeutel sorgt, ist sicherlich nicht das entscheidende Argument für oder gegen eine Teilnahme, darf aber dennoch mal gesagt werden. Nicht nur der Aufenthalt kostet richtet Geld, auch die Startgebühren, denn die Organisatoren des New York City Marathon hatten diese 2012 weiter massiv um bis zu 40 Prozent angehoben. Privilegierte Mitglieder des NYRR zahlen etwas weniger als wir Normalsterblichen, die 2014 mit 395 € pro Nase (2006 waren es noch 180 €) dabei waren. Das ist z.B. viermal so viel wie beim Berlin-Marathon. Die dagegenstehenden Leistungen sind die für ein Großereignis allgemein üblichen: Neben der Startnummer erhalten wir eine ein Langarm-T-Shirt von Asics, Pastaparty, Frühstück, Getränke und einen Goody Bag im Startbereich, Medaille und Zielverpflegung. Das muß man sich neben dem Können schon wirklich leisten wollen.
Was bleibt? New York ist pures business. Sauteuer, ätzend lange Wartezeit auf Staten Island, überschaubare Streckenverpflegung (wer darauf Wert legt), von Dusche keine Spur, Massage Fehlanzeige. Bin ich jetzt enttäuscht? Nein, keine Frage, es war toll und hat sich wirklich gelohnt. I’ll be back some day.
Startgeld:
Erfrischende 395 €.
Leistungen:
Zutritt zur Parade der Nationen am Freitagabend, Eintrittskarte zur „Pasta Party“ , Langarm-T-Shirt, Ergebnismagazin, Frühstück am Start.
Streckenbeschreibung:
Von Staten Island über Brooklyn, Queens und die Bronx nach Manhattan, dabei fünf zu überquerende Brücken (ca. 350 Höhenmeter!).
Auszeichnung:
Urkunde, tolle Medaille.
Logistik:
Kleiderbeuteltransport vom Start zum Ziel.
Verpflegung:
Wasser, Gatorade, zweimal Bananen, einmal Powergel.
Zuschauer:
Die besten, die die Welt zu bieten hat. Ehrlich.