New York! Es ist schon lange mein Traum, den größten Marathon der Welt zu laufen. Und dies dann noch in diesem spannenden Jahr, wo Berlin sich zum 50. Jubiläum am 29.09. diesen Titel mit 54.280 Finishern geholt hat. Wird NY bei seiner 53. Auflage nachlegen können?
Wir starten schon Mitte Oktober Richtung USA, zum großen Traum bringt uns eine Anreise mit der Queen Mary 2 Transatlantik über den großen Teich. Dann bleibt noch Zeit um Washington, Philadelphia und die Niagara Falls zu besichtigen, bevor wir Donnerstag zu unserem Reiseveranstalter stoßen und unser Hotel Marriott Marquis am Times Square beziehen. 51 Stockwerke, 175m hoch und 1.971 Zimmer. Eigentlich imposant, aber es fällt kaum auf im Big Apple. Die Liste der 111 höchsten Gebäude beginnt erst bei 199 m Höhe.
Der Freitag beginnt um 7 Uhr mit einem vom Reiseveranstalter angebotenen kleinen Morgenlauf. Da wir den Central Park als Ziel haben, welcher hinter der 59th Straße beginnt, müssen wir 13 Straßen überwinden und verbringen viel Zeit im Stillstand, um auf die grünen Ampeln zu warten. Im Park können wir etwas laufen, schießen bei der Ziellinie Fotos unserer Reisegruppe und besuchen die Bronzestatue von Fred Lebow, welcher als Vater des NYCM gilt und diesen von 1970-1993 als Renndirektor organisierte. Schon kurz nach seinem Tod 1994 steht die Bronze im Park und wird jedes Jahr zum Marathonziel versetzt. Die Idee mit dem kleinen Lauf am Morgen hatten auch noch einige andere, ich schätze rund 2000 Läufer sind unterwegs.
Noch am Vormittag starten wir zu einer Stadtrundfahrt und bekommen einige Ecken der Stadt gezeigt. Die Tour endet am Jacob-Javits-Convention-Center zum Abholen der Startunterlagen. Schon in der Eingangshalle stehen wir mit einiger Wartezeit in der Schlange und werden blockweise eingelassen. Die Abholung der Nummer geht dann mit App der New York Road Runners und dem Personalausweis zügig. Ebenso schnell ist das diesjährige Teilnehmershirt in Orange anprobiert und eingesackt. Die gigantische Merchandise Area vom Sponsor New Balance endet in einer unendlichen Schlange vor 80 Kassen. Leider dauert dies alles so lange, dass ich meinen Platz zum Mitmarschieren in der Parade der Nationen nicht mehr rechtzeitig erreichen kann. Sehr schade, aber nicht mehr zu ändern. So nutzen wir die Zeit und stöbern noch durch die riesige Expo mit vielen Ständen.
Am Samstag früh gehen wir gemeinsam zum Start des 5 Kilometerlaufes „Dash to the Finishline“. Dieser kleine Lauf im Rahmenprogramm wurde erfolgreich an 10.000 Starter verkauft und ist damit ausgebucht. Tanja und ich laufen gemeinsam. Wir starten vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River, laufen die 42nd Straße landeinwärts durch die Häuserschluchten und biegen hinter dem Bryant Park in die 6th Avenue ein. Diese führt uns schnurr-stracks auf den Central Park zu, durch den wir dann noch eine kleine Schleife drehen. Ein schöner Lauf, bei dem auch Begleitpersonen Marathonluft schnuppern können. Leider gibt es trotz der stolzen 50 € Startgebühr keine Medaille, dafür lag den Startunterlagen eine hübsche Pudelmütze bei. Als Zielverpflegung bekommt jeder einen Beutel mit Wasser und Gatorade, einem Apfel und was zu knabbern von Snyders of Hanover.
Für den Mittag haben wir uns einen Zeitslot zum „Top of the Rock“ gebucht, so nennt man werbewirksam die Aussichtsplattform auf dem 259 m hohen Rockefeller Plaza. Hier ist beim Bau das weltberühmte Bild mit den Arbeitern auf dem Stahlträger entstanden. Heute kann man sich als Touri auf einen solchen Stahlträger setzen und wird hydraulisch für ein hübsches Foto rund 5 m nach oben gefahren. Trotz des sicheren Anschnallgurtes gibt es ein mulmiges Gefühl gratis dazu, wenn man runter in die Häuserschluchten blickt.
Der Sonntag beginnt um 5 Uhr mit einem frühen Transport per Bus in den Startbereich auf Staten Island. Da die 2 km lange Verrazzano Bridge, an dessen Beginn der Marathon startet, für den Verkehr gesperrt wird, müssen wir früh genug vor Ort sein. Der Transfer dauert nur knapp 40 Minuten, aus den Erzählungen hören wir, das alles zwischen einer und zwei Stunden normal wäre. Wir steigen am historischen Fort Wadsworth aus, welches als ehemalige Kaserne, den Startbereich bildet. Beim Einlass werden wir gescannt wie am Flughafen, Taschenkontrollen werden durchgeführt. Mit den Startunterlagen bekam jeder einen durchsichtigen Beutel, nur dieser darf mitgebracht werden. Man darf z.B. eine Laufweste dabei haben, aber es darf keine Trinkblase darin sein. Kleine Flaschen hingegen sind erlaubt.
Innerhalb des Geländes gibt es verschiedene Abschnitte, gemäß seiner Startnummer ist jeder einem Corral (Pferch) zugeteilt. Zu jedem Corral gibt es ein Village zur Verpflegung. Dort gibt es Bagels von Dunkin Donut und Getränke, auch Kaffee und Hot Chocolate, was bei Temperaturen um die 5 Grad durchaus angebracht ist. Die Reihen der Dixies sind lang.
Dann beginnt das lange Warten. Bei der Anmeldung wurde die erwartete Zielzeit abgefragt, nach der man dann in eine der 5 Startwellen zugeteilt ist. Die Profis dürfen um 8:35 und 9:05 auf die Strecke, die Hobbyläufer sind von 9:10 bis 11:30 dran. Das sind schlimmstenfalls 5,5 h Wartezeit. Gemäß der Empfehlung habe ich ein zusätzliches langes Trikot und eine alte Winterjacke dabei, welche vor dem Start in die Spendenboxen wandert. Zusätzlich wickel ich mir die Beine in eine Rettungsfolie ein und bin überrascht, wie wirksam diese einfache und leichte Methode wärmt. Dazu noch die aufgehende Sonne und es wird von Stunde zu Stunde besser.
Mit Melanie und Marco wird die Zeit verquatscht, wir beschließen zusammen zu starten. Bis 13 Grad sind angekündigt, somit sind wir näher an einer optimalen Lauftemperatur als die am Donnerstag noch erreichten 25 Grad. Wir zucken zusammen, als ein Kanonenschuss den ersten Start einleitet. Exakt 40 Minuten vor der Startzeit wird im jeweiligen Corral der Startbereich geöffnet, und wir haben 20 Minuten Zeit, uns in diesem einzufinden. Die Jacke wird entsorgt und wir werden in den Startkanal am Beginn der Verrazzano Bridge geführt. Von Band laufen Ansagen in englisch, deutsch und französisch, was zu beachten ist. Typisch amerikanisch ziehen drei Helikopter im Formationsflug über uns vorbei.
Dann erfolgt unser Startschuss und es herrscht spürbare Freude darüber, dass es endlich los geht. Zwei der Startblöcke laufen oben auf der doppelstöckigen Brücke, ich habe leider den erwischt, der auf die untere Etage geleitet wird. Somit geht es nochmal in den Schatten und ich bereue mein kurzes Trikot. Die sensationelle Aussicht auf Manhattan lässt sich mit der Kamera leider nicht einfangen. Tief unter uns liegt ein Schiff des Coast Guard quer und es sieht so aus, als wäre sogar der Schifffahrtsverkehr gestoppt. Und schon haben wir nach wenigen Metern den ersten der 5 Stadtteile New Yorks verlassen, Staten Island ist geschafft.
Durch die dreigeteilte Streckenführung ist das Feld bei der Ankunft in Brooklyn bereits sehr entspannt, wir sehen auf einer Brücke über uns die nächste Gruppe queren, Gruppe drei läuft über uns nach links weg. Grob geschätzt dürfte jede um die 3500 Läufer beinhalten. Wir biegen ebenfalls nach links ab, durch ein Wohngebiet und nach rund 5 km werden die drei Waves zusammengeführt. Damit wird es schlagartig voller, aber die jetzt erreichte 4th Avenue geht 5 spurig nach Norden. Wir überholen einige der früher gestarteten Veteranen mit teils über 40 Teilnahmen. Die Zahl der Zuschauer nimmt deutlich zu. Jede Menge Schilder werden hoch gehalten und wir werden lautstark angefeuert.
Großzügige Verpflegungsstationen gibt es fast jede Meile, insgesamt 22 auf 26,2 Meilen. Es gibt Wasser und Gatorade. Ebenso stehen an jedem VP ein Medical Zelt mit Vaseline und Pflastern, und reichlich Dixies, sogar immer ein für Rollstuhl geeignetes. Die Stimmung am Rand der Strecke ist der Wahnsinn, es ist kilometerlang nicht möglich, sich zu unterhalten. Will man jemanden direkt neben sich etwas mitteilen, ist schreien angesagt. Ich habe noch nie soviele Zuschauer an einer Laufstrecke gesehen - und wir sind hier nicht im Zielbereich, sondern noch im ersten Drittel unterwegs. Die Strecke wird teils schmaler und ist nur noch zweispurig, zusätzlich kommen die schnellen der hinter uns gestarteten Welle und es wird voll. Wir erreichen den ersten der beiden VPs, an dem Gel verteilt wird. Es müssen tausende Helfer für uns im Einsatz sein.
Wir nähern uns der Pulaski Bridge und es steigt sanft aber lange an. Im Anstieg passieren wir den Halbmarathon. Hier verlassen wir Brooklyn und auf der anderen Seite der Brücke rollen wir sanft nach Queens. Die Brücke war ein Moment der Ruhe, nachdem wir gefühlt seit 10 Kilometern angefeuert wurden. Aber in Queens geht das wieder genauso weiter, eine durchgehende Geräuschkulisse, immer wieder Bands, Trommler und DJs. Und wo mal eine Lücke ist, dreht jemand seine Jukebox auf. Auch Megafone sind sehr beliebt, um sich Gehör zu verschaffen.
Gar nicht mal so weit von der letzen entfernt kommt schon wieder eine Brücke mit Anstieg, wir verlassen Queens über die rund 1 km lange Queensboro Bridge. Auch diese geht über zwei Etagen, wir laufen alle in der unteren und ich verpasse leider die parallel zur Brücke laufende Seilbahn, die Roosevelt Island Tramway. Meile 15 und Kilometer 25 sind geschafft. Manhattan ist erreicht, wir biegen auf die 1st Avenue ein. Manna-hata bedeutet hügeliges Land, welches im Bauboom ziemlich eingeebnet wurde und uns eine vorwiegend flache Strecke verspricht. Die Dichte der Zuschauer nimmt wieder deutlich zu und somit auch die Stimmung und Lautstärke. Zum zweiten Mal wird Gel verteilt. Die Sonne im Rücken wärmt und es geht wieder kilometerlang geradeaus nordwärts Richtung Bronx. Den Abstecher in den nördlichsten Stadtbezirk und damit unseren 5. erreichen wir über die Willis Avenue Bridge.
Nach einer kleinen Runde verlassen wir die Bronx schnell wieder und über die Madison Avenue Bridge geht es zurück nach Manhattan. 21 Meilen liegen hinter uns, das Nordende der Strecke erreicht und es kommt so ein Gefühl auf, dass jetzt nichts mehr schief gehen kann. Es gibt Bananen. Wir sehen das Empire State Building und wissen, dass wir so weit nicht mehr müssen. Der Central Park mit dem Ziel liegt davor. Rund 2,5 km geht es südwärts, bis der Park beginnt.
„Jetzt sind wir da“, denke ich. Aber Vorsicht, es sind noch rund 5,5 km zu laufen! Dazu geht es sogar noch etwas hoch und runter. Die Menschenmenge ist unüberschaubar. Links und rechts der Strecke Zuschauer in mehreren Reihen, in der Mitte der Läuferstrom. Gänsehaut. Es geht am Südende nochmal raus aus dem Central, am altehrwürdigen Hotel Plaza vorbei, um dann am Columbus Circle wieder einzubiegen. Es folgen die letzten 800 m bis zum Ziel beim Tavern on the Green.
Noch ein kleiner Anstieg und wir haben einen Blick auf das Ziel, Tribünen rechts und links. Die Kameras der Fotografen klicken im Dauerfeuer, um diesen Augenblick möglichst für alle Finisher im Bild festzuhalten. Wahnsinn, ein Traum geht in Erfüllung. Ich bin Finisher in New York.
Hinter der Ziellinie lässt man uns Zeit für Selfies. Dann bekomme ich die Medaille, die für mich eine ganz besondere ist. Schwer ist sie und golden schaut sie aus. Jeder bekommt einen Beutel mit Wasser und Gatorade, Energieriegel und wieder was zum knabbern. Dort, wo es die orangenen Plastik-Ponchos gibt, bildet sich eine Schlange. Es ist frisch. Rund einem Kilometer ist es bis zum Ende des Central Parks weitere 4 km bis zum Hotel.
Was für ein Erlebnis! Von zwei Millionen Zuschauern ist die Rede, und das will ich gerne glauben. Noch nie hat mich eine solche Atmosphäre förmlich über die Strecke getragen. 312 Höhenmeter sind zusammengekommen, für einen Stadtmarathon durchaus anspruchsvoll, aber kaum spürbar in einer 26,2 Meilen langen Partyzone. Zugegeben, es ist ein teurer Spaß, aber ein Erlebnis, das man nicht vergisst.
Und den Rekord hat der New York City Marathon sich auch zurückgeholt: 55.527 Finisher! (Stand heute, Einspruchsfrist läuft noch). Und dann wurde noch verkündet, dass sich Six Star Finisher in Australien einen 7. Stern abholen können, Sydney gehört nämlich jetzt mit zu den Majors.
Siegerinnen und Sieger
Männer
2:07:39 – Abdil Nageeye – Niederlande
2:07:45 – Evans Chebet – Kenia
2:08:00 – Albert Korir - Kenia
Frauen
2:24:35 – Sheila Chepkirui – Kenia
2:24:49 – Hellen Obiri – Kenia
2:25:11 – Vivian Cheruiyot – Kenia