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Laufberichte

Mein Tag!

 
Autor: Joe Kelbel

Gegenüber ist das Parkhaus Börse. Vom obstersten Parkdeck hat man bei einem Sundowner den romantischsten  Blick auf die Skyline. Unterhalb des Parkhauses war das „Tollhaus“, die von Heinrich Hoffmann, dem „Vater“ des Struwwelpeters gegründete Irrenanstalt. Im Erdgeschoß war die Kneipe gleichen Namens, nun ist dort ein Japaner. Die Bankenvorstände kamen durch einen Geheimgang aus dem nebengelegenen Puff in die Kneipe. Ich habe ihnen den Salpeter von den Schultern geklopft und gesagt, sie sollten mal eine rauchen, damit das Nuttenparfüm verschwindet.

Wenn man den Durchgang zum Parkhaus geht, ist links ein namenloser Platz. Der íst und bleibt auch namenlos, denn es war der Garten der Irrenanstalt. 1864 zog die Irrenanstalt auf die höher gelegenen Hammelwiesen, wo jetzt das IG Farben Haus, die Uni, das Campus Westend ist. Dort stand ein frommer Bildstock, der Avenstein (ave = sei gegrüßt) genannt wurde.

Die Irrenanstalt nannte man fortan „Affenstein“. Mit Affenstein, oder Affenfelsen
bezeichnet man deshalb weltweit eine Erhöhung, auf denen die Leute blöd rumsitzen. Wir laufen durch die Freßgass, wieder an der Alten Oper entlang. Und stopp, Blick auf den Dachgiebel: „Dem Wahren, Schönen, Guten“ gewidmet. Also mir!

Das IG Farbenhaus ist jetzt die Uni. Beim Bau  fand man einen Eiskeller, einst Rest eines mittelalterlichen Wachtturms. Dieser Eiskeller mit der schmalen Eingangsschleuse wurde während der Zeit der Irrenanstalt nicht für die Kühlung von Bier, sondern zur Beruhigung der Gemüter genuzt. Nun ist der Keller in die Unibibliothek integriert und stellt Studenten ruhig. Wir sind bei km 10, laufen nun vom Affenfelsen hinunter zum Eschersheimer Turm.

Der Blick geht am Turm vorbei zu den geknickten und abgewinkelten Fassaden des Nextowers (135m) und des Jumairah Hotels (90 m). Davor ist die Baustelle, die uns die CFD- Röhren beschert. Dort, wo einst das Gelände der Frankfurter Rundschau war, wird nun aus  Baugrube das Grundwasser abgepumpt und über ehemalige Gräben und Bachläufe zurück in den Untergrund geleitet, damit über diese Recyclingschiene CFD-Wasser direkt wieder an Marathonläufer ausgeschenkt werden kann. Das nennt man nachhaltige Wasserwirtschaft. Großes Frankfurter Geheimnis gelüftet!  

 


Ich bin so gut drauf, könnte jetzt glatt ins Funkedalic reinspringen, wo ich mal Platten auflegte. In der ehemaligen GI-Disco hatte ich deutsche Weihnachtslieder afrikanisch interpretiert. Klaus aus Dänemark brüllt mir entgegen, daß Klaus aus Baden-Baden Fotos macht. Da nehme ich meine Socken in die Hand, winke und renne wortlos Richtung Konstabler. Keine Zeit, dies ist mein Tag!

Hinter der Konstabler Wache, rechts, Ecke Berliner Straße, ist der Birmingham Pub. Dort bekommt man Burger und Pommes bis 5:30 Uhr morgens. Hier war die Furt der Franken. Ja, Karl der Große gab meiner Stadt den Namen.

Auf der Alten Brücke steht seit letzter Woche wieder der große Karl, aus Sandstein, mit dem Reichsapfel in der Hand und erinnert daran, wer der Erfinder des Apfelweines ist. Wir  biegen vor dem Apfelweinviertel ab, lassen das Deutscherrenkloster links liegen und betrachten nun von Süden aus das sonnige Frankfurt.

Auf der anderen Seite hinter dem Eisernen Steg glänzt die  Leonhardskirche. Goethe schrieb an seine Frau, daß Karl der Große die Kirche erbauen ließ. Bewiesen allerdings ist, dass es Kaiser Barbarossa war. Dass zwischen beiden Kaisern 250 Jahre liegen, weiß eh kein Läufer, also weiter nach Westen.

 

 

Kurz vor der Untermainbrücke liegt Merals Dönerboot vor Anker. Sein Fisch Döner ist der beste der Welt. Wer nicht mehr stehen kann, der leiht sich eine Decke, genießt den Blick auf die Hochhäuser, in denen man übers Wochenende die Lichter brennen lässt. Ich hatte an den  Wochenenden auch gearbeitet, an Schlaf war nie zu denken. Aber das will auch kein Läufer wissen. Vielleicht aber, dass das Maincafe die einzige Toilette entlang des Flußes bietet?

Links rum geht es in Straße, die Banker nutzten, um in ein befreundetes Land zu fahren. Wir verlassen die Schweizer Straße und biegen ab, Richtung Niederrad.  

Längst ist die Strecke durch Niederrad aufgewertet, kein Läufer kann mehr sagen, hier sei es langweilig. Sonntags war ich immer auf der Pferderennbahn. Jockeys sind kleine Menschen, je kleiner, desto größer die Gewinnchancen. Die Damen mit den schrägen Hüten beachtete ich nie. Ich war immer hochkonzentriert, Kippe im Mundwinkel, Bier in der Hand und alles auf die Siebzehn! Da bin ich nun wieder, Kilometer siebzehn. Ich bin heute schnell unterwegs, es passt alles. Es ist mein Tag.

Einen Kilometer weiter, in Goldstein, gibt Moderator Markus Bourcade durch, wer sich gerade anschickt, diesen Marathon zu gewinnen. Das interessiert fast alle, mich nicht. Ich achte auf die Staffelläufer und freue mich, dass die Wechselstellen weit weg von der Laufstrecke sind. Ein Schild sagt, daß ich sexy bin. Endlose Banner mit „This is your day“ drauf begleiten mich die nächsten Kilometer bis zur Halbmarathonmarke. Tobias, der Pacemaker für die 4:15. brüllt mich an. Laut Interview freut er sich auf Tränen und Umarmungen im Ziel.  Das soll er mal ohne mich machen, ich lasse ihn ziehen

DJ Mc Jay muss ich besonders erwähnen.  Er steht in der Garage der Reinigungs GmbH und hat stärkere Boxen als ich. Als ich letzte Woche „Smoke On The Water“ auflegte, musste ich 136 Euro zahlen.  Heute bleiben die Polizisten ruhig, sperren für uns die Schwanheimer Brücke, während uns die Bässe die Rampe hochjagen. Hans begrüßt mich. Ich erzähle ihm, dass heute mein 16. Marathonjahr ist. Da lacht der alte Knacker und sagt, dies sei sein letzter. Dann überholt er mich und ich lese auf seinem Rücken: „1988 Frankfurt 1ter. Marathon,  2016 Frankfurt 200ter. Marathon“.

 

 

Eine Japanerin hält das schönste und freundlichste Motivationsschild des Tages hoch: „Laufen Sie bitte!“ Vor der Sambaband liegen Konfettischnipsel, dahinter ein großes Schild: „Bitte Papierkorb benutzen“. Den Hoechster Berg laufe ich schnell hinunter, freue mich wirklich auf die Mainzer Landstraße und die Gelegenheit, viele Vorläufer zu versägen. Birgit gibt sich nicht geschlagen, lässt sich von mir ziehen. Wir sind bei Kilometer 31. Ich habe heute noch nicht eine Verpflegungsstation angesteuert. Das schon mal anders, da hatte ich mir bis hierhin schon mal 6 Gels reingedrückt.

Vin manchen Musikbands ist nichts zu hören, sie machen Pause. Vor Kilometer 34 mache ich traditionell ebenfalls Pause. Pumuckel ist nicht da und es wird so viel geraucht, daß ich schnell flüchte und gerade noch den 4:29 Pacemaker  Frank erwische, der an der Kneipe vorbeizieht.

Rechts geht es ins Europaviertel, für mich eine neue Gegend. Meine Mitläufer kümmert es herzlich wenig, daß mich Jochen schon von weitem ausruft. Sie leiden, ich nicht, ich laufe! Bin im Rausch und freue mich auf die Festhalle. Als mein Großvater die Halle vor 100 Jahren sah, veranlasste er als Bürgermeister von Breslau den Bau einer Kopie in der schlesischen Hauptstadt. Vielleicht darf ich mal in die Jahrhunderthalle von Breslau einlaufen, zunächst jedoch geht es wieder in die Innenstadt von Frankfurt. Hedwig hat eine Getränkedose in der Hand. Ich erkenne aber nicht die Biermarke, laufe blind vorbei. Klaus brüllt mir hinterher, aber da bin ich schon fast am Platz der Republik.

 

 

Ich habe eh nix mehr zu sagen, mich hat die Laufwut erwischt. Es ist unglaublich, ich habe Pulver im Arsch und freue mich, viele Geher zu überholen. Es gibt Marathons, da passt pötzlich alles. Da will nicht einmal ich irgendwelche Geschichten erzählen, da will ich einfach nur bei mir sein, da will ich nur noch laufen. Die breite Zielgerade hinauf zur Festhalle kann ich das ausgiebig, Staffelläufer treffen sich, um händchenhaltend in die Halle  einzulaufen.

Ein Läufer trägt die Klamottentüten von zwei Staffeln. An dem ziehe ich noch vorbei, stoppe dann aber kurz im Dunkel der Festhalle, um die Glittermädchen zu fotografieren. Aus Erfahrung weiß ich, daß mir nur wenige Minuten bleiben bevor ich aus der überwältigenden Atmosphäre, aber auch sauerstoffarmen Luft der Festhalle hinaus bugsiert werde. Ich kämpfe um Luft. Oberhalb der Treppe gibt es einen schönen Ausblick auf die Läufer, die schmerzverzerrt die wenigen Stufen hinabdackeln. Ich muss jetzt raus, raus, raus!

Draußen, im Bereich der Zielverpflegung, rechnet mein Hirn wieder: Ich war acht Minuten langsamer, als vor 16  Jahren! Ich bin gut. Das war mein Tag! Ich bin total happy! Total! Ich wette, ich laufe hier auch noch in 16 Jahren!
 

 

 

 

Marathonimpressionen

(Klaus u. Margot Duwe)

 

 

 

Siegerliste Marathon

 

Männer

1 Korir, Mark (KEN)     02:06:48     
2 Kosgey, Martin Kiprugut (KEN) 02:07:22     
3 Kotut, Cybrian Kimurgor (KEN) 02:07:28

Frauen

1 Molisa, Mamitu Daska (ETH)     02:25:27     
2 Tola, Fate (GER)     02:25:42     
3 Jebet, Sarah (KEN) 02:27:07

 

Deutsche Marathon-Meisterschaften

 

Männer

1 Schöfisch, Marcus DHfK Leipzig 2:20:12
2 Schreindl, Tobias LG Passau 2:20:38
3 Ernst, Jannik TV Waldstraße Wiesbaden 2:21:22

Frauen

1 Tola, Fate LG Braunschweig 2:25:42
2 Stockhecke, Mona LT Haspa Marathon Hamburg 2:31:30
3 Haug, Anne LAZ Saar 05 Saarbrücken 2:36:13

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Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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