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Laufberichte

Der große Jubiläums-Marathon am Main

30.10.11
Autor: Klaus Duwe

Grausige Geschichten gibt es von der Alten Brücke zu erzählen. Im Mittelalter wurden Todesurteile auf verschiedene Arten vollstreckt. Diebe, Kindsmörder und   Blutschänder wurden in Frankfurt ertränkt. Als Hinrichtungsort wählte man die Alte Brücke. Man fesselte sie und beförderte sie auf einem Brett in den Main, wo sie in der starken Strömung sofort ertranken. Meist wurden sie erst außerhalb der Stadtgrenzen wieder ans Ufer gespült. Um die Leichen brauchte man sich also nicht mehr zu kümmern.

Wir sind in Sachsenhausen, größter Frankfurter Stadtteil und Heimat des Äppelwoi. Das Frankfurter Nationalgetränk und der „Bembel“, aus dem er ausgeschenkt wird, wurden bundesweit durch die TV-Sendung „Zum Blauen Bock“ mit Otto Höpfner und später Heinz Schenk bekannt. Schon Griechen und Römer kannten den Apfelwein, er war das Getränk der armen Leute. In besseren Kreisen trank man auch am Main lieber den Rebensaft. Als aber durch klimatische und politische Einflüsse der Weinbau aus der Region verschwand, kultivierte man wie sonst nirgendwo den Apfelwein.

Ich bin sicher, auch in der Nobelherberge „Villa Kennedy“, gleich hier an der Kennedyallee gelegen, gibt es das Stöffche. Vielleicht nicht aus `nem Bembel, sondern aus einem 0,2 l Desinger-Fläschchen. Wer hier mal frühstücken will, mit 32 Euro inklusive Prosecco bis zum Abwinken ist man dabei. Warmer Tee ist auch nicht schlecht. Den gibt es kostenlos an der Verpflegungsstelle gleich gegenüber. Wasser, Rosbacher Sport und Bananen ebenfalls.

Ein Drittel der Strecke haben wir absolviert. Zwei Kilometer geht es jetzt auf der vierspurigen Straße schnurgeradeaus. Herbstlich gefärbte Bäume säumen die Strecke, lärmende Zuschauer sind jetzt eher selten. „Kein Weg ist zu veit“, teilt uns ein Fan mit. Und das Straßenverkehrsamt appelliert an alle Völker und Läufer: „Durchhalten!“ Ein Trachtenpaar meint zu wissen, dass da noch was geht.

Durch’s Tor beim Frauenhof geht jedenfalls nichts. Das ist wegen einer Baustelle gesperrt, Umleitung nach Niederrad. Endlich wieder Trommler, Bloco Baiano nennen sie sich. Durch die Unterführung und gleich sind wir wieder auf der bekannten Strecke. Ich werde unruhig, schaue zur Uhr. Nein, meine Zeit interessiert mich nicht. Aber die Ersten sind im Ziel. Ich will wissen, ob es geklappt hat mit dem Weltrekord. Martin Westermann moderiert beim Astro Park, der weiß bestimmt Bescheid. Kurze Frage, knappe Antwort, langes Gesicht. Einziger Kommentar: „Scheiße!“ 4 Sekunden. Eins, zwei, drei, vier – auf 42,195 km! Um vier Sekunden den Weltrekord verpasst. Sport ist grausam. „Lass uns aufhören“, meint Heike.

Wenn man von der Autobahn auf die Verwaltungstürme von Niederrad schaut, kann man daran nichts Schönes finden. Läuft man jetzt beim Marathon durch diese Gegend, bekommt man ganz andere Eindrücke. Zwischen den Türmen ist viel Grün und bunt gefärbtes Laub. Trostlos sieht anders aus. Und dann sind da noch die Schrebergärtner, die ihr Frühstück am Marathontag an der Strecke zu sich nehmen. Zu Hausmacher Blutwurst, leicht angeräuchert, sage ich ja, zu Rotwein nein. Gleich kommt die nächste Verpflegungsstelle. Warmer Tee ist mir lieber.

Eberhard holt mich ein. Ihn habe ich mal beim Zermatt Marathon kennengelernt und gleich als ersten Autoren für marathon4you gewonnen. Jetzt ist er etwas schreibfaul geworden. Dafür will er es mal wieder auf der Strecke wissen. Nur ein kleiner Fotostopp und er ist uneinholbar verschwunden.

Schwanheim, die Martinus Gemeinde meint: „Noch 21 km hoffen und beten“. Ich meine: Das kann nicht schaden, aber Laufen nicht vergessen. Einer enttäuscht mich heute. Heinz Berg, der jahrelang einbeinig und mit Querflöte einen auf Ian Anderson machte, hüpft mit rot/schwarz-kariertem Mantel umher und gibt Deep Purple zum Besten. Und das zum Jubiläum. Er ist so vertieft in seinen Gesang, dass mein Protest nicht zu ihm dringt. Dann halt nächstes Jahr wieder „Locomotive Breath“.

Auf der Schwanheimer Brücke (km 24) gibt es „Keep on running“, live und klasse gespielt von einer Cover Band. Entlang der Bahnlinie laufen wir nach Höchst (km 27). Schön, dass die Veranstalter aus Tradition den Marathon weiterhin dahin bringen, wo 1981 mit dem „Stadt-Marathon Hoechst-Frankfurt“ alles begann. Start war vor den Toren der Farbwerke Hoechst, die Strecke führte schon damals nach Frankfurt über die Alte Brücke und zurück nach Höchst.

Die Bewohner danken es. Sie stehen zu hunderten an der Straße und feiern die Marathonis, die nach einer kleinen Schleife in Richtung Nied (km 28) verlassen. Hier wechseln auch wieder die Staffeln ihre Akteure. Wie schon zuvor sind die Wechselzonen so gewählt und eingerichtet, dass man als Marathoni kaum was davon merkt, schon gar nicht wird man irgendwie behindert.

Manches ist wie immer. Die vielen Zuschauer zum Beispiel, die tolle Stimmung und der traurige Clown. Sogar sein Outfit ist gegenüber dem letzten Jahr unverändert: Gelbe Hose, rotes Hemd, rote Perücke. Wortlos winkt er mich zu sich, drückt mir eine rote Nase ins Gesicht, nimmt mir den Fotoapparat ab, gibt ihn einem Passanten und sagt: „Abdrücken!“ Lachen müssen dabei nur die Zuschauer und ich. Er nicht. Auch die Trommler sind die gleichen und sogar die Sträucher am Straßenrand sind genauso schön gefärbt wie letztes Jahr.

Km 30, jetzt kommt der Streckenabschnitt, wegen dem viele Läufer auf die Wallfahrt nach Höchst verzichten könnten. Die Mainzer Landstraße, das sind 4 schnurgerade Kilometer ohne großartige optische Reize. Mentale Stärke ist hier gefordert, oder Zuspruch. Helga hat Glück. Sie läuft heute ihren ersten Marathon. Heike hat schon etwas mehr Erfahrung. Sie legt den Arm um sie und redet pausenlos auf sie ein. „Nicht aufgeben“, „Denk an das gute Gefühl, wenn Du es geschafft hast“, immer mehr solche Worte fallen ihr für die Freundin ein. Helga nickt stumm und läuft wieder 100 Meter. Von Krämpfen geplagte Kameraden machen Dehnübungen. Keiner gibt auf. Dann kommt Gerd, der rüstige M75er, Markenzeichen 100MC-Shirt und rote Handschuhe. Ob der schon 100 Marathons hat? Einer fragt. Gerd sagt seine Zahl (es sind bald 400), es ist still. Man sieht ihm die Jahre nicht an und nicht die Anstrengung. Jeder und jede reißt sich zusammen. Es geht weiter.

Vier und fünf Musikgruppen haben sich auf der Straße der Leiden postiert, um die Marathonis am Laufen zu halten. Und einmal ist auch das vorbei. Der Pumuckl markiert vor einer Kneipe das Ende der Durststrecke.  Von der Frankenallee hat man einen schönen Blick auf den Messeturm. Davor ist eine riesige Baugrube. Hier entsteht das größte Einkaufszentrum Europas.

Noch 7 Kilometer. Wieder das Bankenviertel. Die Gegenbahn ist wesentlich belebter als unsere Seite. Links die Krawatte, vor uns die Türme der Deutschen Bank, dann die Alte Oper, dann die EZB. Das Läuferfeld ist lichter, man sieht jetzt das Zeltlager der Protestierer. Bloco X spielen gerade ein melodiöses Stück und dreschen erst wieder auf ihre Trommeln ein, als wir vorbei sind. Das Viertel bebt noch immer. An der Hauptwache erklärt Artur Schmidt den Zuschauern gerade, warum Frauen so gut Marathon laufen.

Mir scheint, an jeder Ecke wird getrommelt. Noch einmal der Eschenheimer Turm, die Börse, Freßgass und wieder die Alte Oper. Es wird noch immer gefeiert. Am Platz der Republik dann endlich die Zielgerade. Aber die ist lang. 700 Meter bis zum Messeturm und dem Hammering Man, dann heißt es „ab in die gudd Stubb“. Auf dem roten Teppich geht es in die Festhalle, Applaus, bunte Spots, Jubel. Emotion pur.

In Folie gepackt wird der zu recht viel gelobte Versorgungsbereich erreicht. Zuvor gibt es die wohlverdiente Medaille. Gut, dass die Wege in Frankfurt kurz sind. Gleich ist man in der Messehalle, nimmt sein Gepäck in Empfang und schon steht man unter der warmen Dusche.

Ich bin gespannt, was man sich für nächstes Jahr ausdenkt. Den großen Jubiläums-Marathon zu toppen, wird jedenfalls schwer. Aber da haben ja einige wegen der 4 Sekunden noch eine Rechnung offen …

 

Impressionen:

 

 

Marathonsieger

 

Männer

1 Kipsang, Wilson (KEN) 02:03:42
2 Matebo, Levy (KEN) 02:05:16
3 Matebor, Albert (KEN) 02:05:25

Frauen

1 Daska, Mamitu (ETH) 02:21:59
2 Kiprop, Agnes (KEN) 02:23:54
3 Chepchirchir, Flomena (KEN) 02:24:21


12.437 Finisher

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Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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