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Laufberichte

Halbe Partynacht in Luxemburg

 

1. Juni 2019 - 16 Uhr wir stehen in der Hotelhalle und schauen gebannt auf den Fernseher: „Luxembourg - Fans bereiten sich auf die Party vor.“ Wieso mich das interessiert? Es handelt sich nicht um eine gewöhnliche Party, sondern um die 14. Austragung des ING Night Marathon Luxembourg. Auf dem Bildschirm fröhliches Treibern, viele lachende Gesichter, Samba- und andere Musikgruppen. Es wird Zeit für uns aufzubrechen.

Da das Messegelände um die Luxexpo-The Box großräumig abgesperrt ist, empfiehlt es sich, die Shuttlebusse oder die Straßenbahn zu benutzen. Außerdem ist es sinnvoll genügend Zeit einzuplanen. Denn zunächst wird man mit tausend anderen durch die Läufermesse geschleust, bevor man im Untergeschoss die Runner's Village betreten kann.

Norbert und ich waren bereits am Vortag hier und haben die Startunterlagen abgeholt. Weil man dafür den Pass benötigt, hatten wir für Lauras Halbmarathonstart eine Kopie dabei, die auch akzeptiert wurde. Den Bon für die Pasta Party mit Nudeln und Getränk konnten wir ebenfalls einlösen. Die Atmosphäre war ruhig aber surreal: draußen schien die Sonne während in der abgedunkelten Halle mit viel Licht und Sound ein Vorgeschmack auf den kommenden Tag und Abend gegeben wurde.

Heute ist aber alles noch intensiver: der Zielbereich mit Fahnen und Ballons geschmückt, die Musik laut und die Menschenmassen machen das Ambiente perfekt. Bis 18 Uhr müssen die Taschen in der angrenzenden Halle abgegeben sein, daher verlagert sich anschließend das Leben nach draußen. Es ist später Nachmittag und brütend heiß, der erste richtige Sommertag des Jahres. Jedes Schattenfleckchen wird zum Ausruhen genutzt.

 

 

Die Startaufstellung erfolgt auf dem großen Platz vor den Messehallen in einem Oval. Deshalb bleibt in der Mitte ein großer Bereich frei. Die Eingänge der Startblocks sind weithin sichtbar, aber noch ist auf diesem schattenlosen Gelände nicht viel los. Interessiert verfolge ich die Interviews mit Irina Mikitenko und Herbert Steffny, beide so was wie Marathonlegenden, auf der kleinen Bühne vor dem Starttor. Die Armen scheinen gut zu schwitzen. Herbert legt den Läufern nahe, schon von Anfang an genügend zu trinken.

Langsam füllen sich die Startblocks. Die Aufregung steigt, Adrenalin liegt in der Luft. Der Sprecher heizt die Menge an und das Publikum ist begeistert. Als Attraktion wird mitten im Startbereich ein Heißluftballon gefüllt. Der Moderator begrüßt die vielen ausländischen Starter in deren Landessprache.

Mit einem furiosen Startschuss beginnt Punkt 19 Uhr das Rennen – zumindest vorne. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Afrikaner mit großen Schritten das Weite suchen, gefolgt von der restlichen Elite. Auch die Ambitionierten unter-3 Stunden-Läufer lassen sicher am Anfang keinen Zweifel an ihrer Absicht aufkommen. Bei uns weiter hinten im Starterfeld überwiegt die Vorfreude auf einen schönen Lauf durch eine tolle Stadt.

Die Stadt Luxembourg ist die Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg, seine 103.641 Einwohnern nennen sie nur D’Stad. Die Luxemburger, die ich kenne gelernt habe, sprechen sehr gut Deutsch, sind aufgeschlossen und multikulti. 67 Prozent der Einwohner sind Ausländer ohne Luxemburgischen Pass. Die Luxemburger haben neben Französisch auch eine eigene Sprache, das Lëtzebuergesch, das irgendwie deutsch klingt.

Bei der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress erhielt Luxemburg einen Sonderstatus als Großherzogtum. Aufgrund seiner Lage und Geschichte ist Luxemburg, als eines der Gründungsmitglieder der EU, Sitz zahlreicher wichtiger Organisationen und Behörden der Union und gilt als eine  deren Hauptstädte. Ab den 1960er Jahren entwickelte sich die Stadt zudem  zu einem der größten internationalen Finanzplätze.

 

 

Die Wolken von Papierschnipsei,  die den Startschuss begleiteten, sind schon verflogen, als ich die Startlinie überschreite. Im lockeren Joggingschritt geht es bald links einen kleinen Anstieg hinauf, oben laufen wir parallel zum Start zurück in Richtung Innenstadt. Unter uns wird immer noch gestartet. 16 000 Läufer auf die Strecke zu schicken, ist kein Pappenstiel.

Der breite Boulevard Pierre Frieden beschreibt eine weite Linkskurve. Am Eingang zu den Studios von RTL an einem hohen Marathontor leuchtet uns die rote Fahne, die „Flamme Rouge“ entgegen. Auf dem Rückweg beginnt hier der letzte Kilometer.

Rechts befinden sich weite Kornfelder und links noch größere Baulücken. Unfassbar, dass wir uns im modernsten Teil Luxembourgs, dem Plateau Kirchberg befinden. Hier, allerdings etwas weiter östlich, liegen der Europäischen Gerichtshofs, der Europäischen Rechnungshofs, die Europäischen Kommission, die Europäischen Investitionsbank und das Parlaments der Europäischen Union. Das Plateau Kirchberg wird daher auch als Europaviertel bezeichnet.

Ein riesiger luftgefüllter Löwe, das Markenzeichen des Hauptsponsors ING Diba, ruht majestätisch auf dem Kreisverkehr. Nun biegt das immer noch dichte Läuferfeld auf den Konrad Adenauer Boulevard ein. Bei km 2 geht es durch ein weiteres Marathontor. Die Doppeltürme des RTL strahlen hinter uns in der Sonne.

 

 

Bei mir läuft es prächtig, es geht leicht bergab und die Hitze finde ich gar nicht so schlimm. Ich wechsle auf den Gehweg und  ehe ich mich versehe kann, stolpere ich und stürze. Reflexartig will ich sofort aufstehen, damit die hinter mir Laufenden nicht auch noch stürzen. Aber ich  komme nicht hoch. Von 3 Seiten wird mir geholfen und ich bemerke, leider zu spät, dass hier wohl eine Platte im Gehweg fehlt.

Meine Kamera ist heil geblieben, aber ich kann das linke Bein nicht belasten. Mit Hilfe von Zuschauern setze ich mich auf die Bank. Meine Knie und Ellenbogen bluten und mein Knöchel schmerzt. Nach einigen Schreckminuten setze ich vorsichtig meinen Weg fort. Mit der Zeit wird mein Gang flüssiger und ich trabe wieder an. Noch einmal Glück gehabt!

Nach dem nächsten Kreisverkehr sind  wir auf einer Brücke über einem Wohngebiet. Luxembourg ist von mehreren Tälern durchzogen. Wir kommen am Nationaltheater vorbei zur ersten VP. Mir ist es an den Versorgungstischen zu voll, ich lasse sie aus. Auf einem schmalen Spazierweg geht es durch das Universitätsgelände direkt auf den markanten muschelförmigen Bau des Sportzentrums zu. Hier in der Coque war in den ersten Jahren das Veransaltungszentrum des Night Marathon. Längst würden die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichen.  Die weitläufigen  Außenanlagen sind gut bevölkert, das Publikum sitzt in der Sonne und bestaunt die vorbeilaufenden Masse.

Wir erreichen die breite Avenue John F. Kennedy. Auf dieser entlang geht es 2 Kilometer ganz leicht bergab Richtung Innenstadt und beim Endspurt bei km 38 wieder zurück. Zwei beachtliche Bürohochhäuser stehen wie Wächter am Ausgang des Kirchbergplateaus. Hier befinden sich bei km 7 am Place de l'Europe das European Convention Center und die Philharmonie. Das Konzerthaus wurde im Juni 2005 eröffnet und bietet Platz für 1500 Menschen.

Ich kann mich nicht weiter um das attraktive Bauwerk kümmern, denn der erste Halbmarathonläufer wird angekündigt. In weitem Abstand folgen der zweite und dritte. Eine schöne Abwechslung. Die Avenue John F. Kennedy endet auf der Großherzogin-Charlotte Brücke, die erneut eines der Täler überspannt.

 

 

Bisher ist es ein ganz nettes Läufchen, hier und da mit ansehnlichen Zuschauergruppen und mehreren Musikformationen, welche die Läuferschaar ganz gut bei halten. Das wird nun anders: schon von weitem hören wir rhythmische Sambaklänge und plötzlich sind wir mittendrin. Vor dem Großen Theater, größter Veranstaltungssaal des Landes, und eine der modernsten Bühnen in Europa, münden  vier mehrspurige Straßen in einen riesigen Kreisverkehr. Eine schier unüberschaubare Zuschauermenge drängt hinter von Polizei bewachten Absperrgittern und macht einen Lärm, fast wie in einem Stadion. Wir laufen rechts zur VP2. Ich stelle mich nun doch in die Schlange vor dem Wasserstand und greife mir noch eine Stück Orange. Von Iso lasse ich, wie immer, die Finger.

Im Gegensatz zu den großen Boulevards des Plateau Kirchberg, wird es jetzt städtischer. Der Stadtbezirk Limpertsberg ist ein Konglomerat von Wohn- und Geschäftshäusern, aber auch zahlreiche Schulen und Botschaften sind hier angesiedelt. Wir erreichen km 9. Hier ist richtig was los. Große Zuschauergruppen säumen die Straßen. Der Clou sind diejenigen, die mit einem Gartenschlauch für Kühlung sorgen.

Auch die Musik ist vom Feinsten: Einem grandioses Duo gehört zunächst meine Aufmerksamkeit, dann einem Gitarristen, der so perfekt sein Instrument beherrscht, dass ich zunächst dachte, die Musik käme aus der Konserve. Sechs Alphörner setzen dem Ganzen noch die Krone auf und sorgen für gute Laune unter den Läufern. Zu guter Letzt kümmert sich sogar noch eine private VP um Wassernachschub. Trotzdem haben die Helfer an der dritten VP bei km 11 immer noch genügend zu tun.

Alles könnte so schön sein, wenn nicht meine Sturzverletzung immer mehr Probleme machen würde. Schon seit einiger Zeit werden die Schmerzen schlimmer und sind nicht mehr auszublenden. Die 42 km werde ich heute nicht schaffen und daher wohl auf den Halbmarathon ausweichen müssen.

Hinter km 12 gelangen wir auf das Glacis-Feld, eine große Freifläche,  auf der alljährlich von Ende August bis Anfang September die städtische Kirmes "Schueberfouer" stattfindet; eine der ältesten und größten Veranstaltungen dieser Art in Europa. Heute steht hier ein Zirkuszelt, auf das wir geradewegs zulaufen. Innendrin motiviert eine Tanzgruppe die Läufer zum Mitmachen. Die meisten sparen sich ihre Kräfte auf und auch mir ist nicht nach tanzen zu Mute. Draußen erwarten uns nun ein Tor aus zwei Baggerschaufeln, auf einem Bildschirm ist die Siegerehrung für den Halbmarathon zusehen. Die Zuschauer interessieren sich aber mehr für das Geschehen, das sich live vor ihren Augen abspielt.

 

 

Nanu, schon wieder eine Verpflegungsstelle; verdursten muss in Luxembourg wirklich keiner. Es folgt eine weite Schleife im Stadtpark. Am Eingang zu Luxembourgs grüner Lunge kommen uns bereits Läufer entgegen. Die Grünanlagen laden eindeutig zum Betreten ein und sind auch gut frequentiert. Schön, dass wir immer wieder vom Garten heraus angefeuert werden, es geht hier ziemlich wellig hoch und runter.

Bei km 14 verlassen wir bei einem Springbrunnen den Park, die Band „Hunneg Strepp“, eine noch ganz junge Blasmusikgruppe, spielt modernen Sound. Etwas weiter kommt schon die nächste VP. Zur Abwechslung türmen sich hier Berge von Bananen. Es geht nochmal rechts und dann links, dann haben wir endgültig das Zentrum erreicht.

Die Straße heißt zwar Grand Rue, ist aber eher petite, dafür jedoch Domizil der teuersten Boutiquen der Stadt. Was hier abgeht, kann man sich nicht vorstellen. An den Absperrungen stehen die Zuschauer und mehreren Reihen und feuern jeden Läufer an, als wäre er der Sieger. Selbst Läufer, eben noch sichtbar leidend  in langsamem Trab, reißen sich zusammen und genießen das Bad in der Menge. Dieser Begeisterung  kann man sich einfach nicht entziehen. Die Stimmung ist einmalig. Blaskapellen,  Sambagruppen und Trommler machen Party und bereiten den Läufern ein unvergessliches Erlebnis.

Auf dem Place Guillaume II (im Volksmund „Knüdler“) befindet sich bei km 14,8 die Trennung von Marathon und Halbmarathon. Traditionell weisen  hübsche LuxAir-Girls mit „21“ und „42“ beschrifteten Tafeln  den Läufern den Weg. Außerdem achten Helfer darauf, dass niemand in die falsche Richtung läuft. Ich zeige auf meine Verletzungen und setze mit meiner Marathon-Startnummer meinen Lauf auf der Halbmarathonstrecke fort. Der Platz ist voll mit Menschen, die Stimmung fantastisch. Es geht am Rathaus vorbei und dann auf der Rue de la Reine direkt auf den Großherzoglichen Palast zu. Hier ist der Arbeitsplatz von Henri von Nassau, dem Großherzog von Luxemburg. Im Alltag lebt die großherzogliche Familie auf Schloss Berg außerhalb von Luxembourg Stadt.

 

 

Es  folgt die nächste Fanmeile,  wir streifen noch einmal kurz die Grand Rue, dann geht es über den Theaterplatz und durch eine Ladenpassage. Bei km 16 ist die nächste VP . Die Stelle bekannt vor, wir sind nun zum dritten Mal am Kreisel vor dem Theater.  Die Sambatruppe gibt unermüdlich ihr Bestes.

Die nächsten 2 Kilometer führen uns zurück zum Plateau Kirchberg. Die Marathonstrecke verläuft parallel und ist durch einen Zaun von unserer Strecke abgetrennt. Immer wenn ein Marathonläufer auftaucht ist, das Publikum aus dem Häuschen, denn das sind ja die Schnellen, die unter 3 Stunden laufen.

Langsam geht die Sonne unter  und die Temperatur wird angenehmer.  Zuschauer, Helfer und diverse Motivationstafeln helfen, die Strecke kurzweilig zu halten. An einer letzten Sambagruppe vorbei geht es auf den Streckenabschnitt, den wir vom Anfang her kennen . Michel Descombes, der allseits bekannte Marathonclown, begleitet mich jetzt auf seinem Fahrrad. Er ist mittlerweile 77 Jahre alt und kein bisschen müde, wenn es darum geht, die Läufer zu motivieren.

 

 

An der VP (es gibt nun auch Cola) beschließt er nochmal seiner Leidenschaft nachzugehen. Die Läufer hier können seine Motivation sicherlich gut gebrauchen. Auch ich bin mittlerweile eher gehend unterwegs und schließe auf Anna auf. Sie ist ihren ersten Halbmarathon etwas zu ambitioniert angegangen und muss nun Lehrgeld bezahlen. Wir gehen zusammen ein Stück und als ich antrabe, läuft sie einfach mit. So holen wir auf dem letzten Kilometer noch einige Mitstreiter ein und haben dabei unseren Spaß.

Auf den letzten Metern geht es noch einmal bergab. Der Weg ist mit Fackeln beleuchtet und Zuschauer stehen hinter den Absperrungen. Ein stimmungsvoller Abschuss eines ereignisreichen Tages. Dann wird es noch einmal laut, denn in der wie eine Disco hergerichteten sonst sterilen Messehalle erwartet uns nochmal ein Höhepunkt.  Der Zielkanal ist bunt beleuchtet, die Zuschauer geben alles, sie schreien und applaudieren nur für uns. Ein letzter Sprint und wir erreichen gemeinsam die Ziellinie. Bei den Sanitätern lasse ich meine Wunden versorgen, dann gibt es noch Zielverpflegung. Laura ist schon lange da und Norbert kommt auch wohlbehalten ins Ziel.

Fazit:

Hier habe ich definitiv noch eine Rechnung offen. Ich will unbedingt nächstes Jahr den Marathon finishen. Luxembourg ist ja immer eine Reise wert, aber am Marathontag sind die Bewohner wirklich aus dem Häuschen. Es macht riesigen Spaß hier zu laufen. Die Verpflegung ist top, die Helfer super freundlich und extrem motiviert.

 „Kuckt Iech d'nächst Kéier“ – bis zum nächsten Mal!

 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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