Die aktuellen Rahmenbedingungen lassen auch in diesem Jahr nicht zu, dass der Mainova Frankfurt Marathon stattfindet. Am 03. August 2021 wurde der Marathon 2021 abgesagt. Viele Läuferinnen und Läufer zeigen Verständnis, viele haben aber auch Fragen. In einem Interview nimmt Jo Schindler, Renndirektor des Mainova Frankfurt Marathon und Geschäftsführer der Sporteventagentur motion events, nimmt dazu Stellung und gibt tiefergehenden Einblick in die Entscheidungen rund um die Absage des Mainova Frankfurt Marathon.
WARUM FINDEN ANDERE LAUFVERANSTALTUNGEN STATT ABER DER MAINOVA FRANKFURT MARATHON WURDE ABGESAGT?
Jo Schindler: Hier ist es zunächst wichtig zu wissen, dass in Deutschland die Corona-Schutzverordnungen, welche auch die Regeln für Sport-Großveranstaltungen setzen, in die Regelungskompetenz der Bundesländer fallen. Jedes der 16 Bundesländer kann eine eigene Regelung treffen und davon machen die Länder auch Gebrauch. So gilt in Berlin etwas anderes als in Hamburg, in Nordrhein-Westfalen gilt etwas anderes als bei uns in Hessen.
Auf die einzelnen Marathonveranstaltungen bezogen heißt dies: der Berlin Marathon zum Beispiel soll in diesem Jahr stattfinden. Hierbei kommt den Berliner Kollegen zugute, dass Berlin – Berlin ist ein Bundesland – eine Reihe von Testveranstaltungen festgelegt hat, welche die Auswirkung von diesen Veranstaltungen auf die Infektionen mit dem Covid-19 Virus untersuchen sollen. So fanden im Rahmen dieser Tests bisher unterschiedliche Veranstaltungen statt: ein Fußballspiel von Union Berlin, ein Basketballspiel von Alba Berlin, ein Konzert in der Philharmonie, eine Clubnacht in sechs Berliner Clubs – und es soll eben auch der Berlin Marathon stattfinden.
Solche Testveranstaltungen gibt es in keinem anderen Bundesland. Auch der Hamburg Marathon soll stattfinden. Der Veranstalter wollte die Veranstaltung bereits absagen, die entsprechenden E-Mails an die Teilnehmer:innen waren bereits verfasst, als Hamburg – auch Hamburg ist ein Bundesland – dem Veranstalter anbot, dass ein Marathon mit insgesamt 6.000 Teilnehmer:innen, verteilt auf Marathon, Halbmarathon und Staffel, genehmigt würde, sofern nur Geimpfte daran teilnehmen. Die Stadt zahlt dem Veranstalter den finanziellen Ausgleich gegenüber der Durchführung des Marathons in üblicher Größenordnung.
In Frankfurt und somit in Hessen ist die Situation eine andere. Mitte August fand der IRONMAN Frankfurt statt. Dieser hatte eine Genehmigung für 1.400 Sportlerinnen und Sportler, das sind gerade einmal 14 % der Anzahl an Teilnehmer:innen, die wir für unseren Mainova Frankfurt Marathon anvisieren. Letztendlich gingen 1.350 Triathleten an den Start. Die beiden Veranstaltungen, Frankfurt Marathon und IRONMAN Frankfurt, sind schon allein aufgrund ihrer Größe keinesfalls vergleichbar. Genauso sieht es mit anderen Lauf- oder Triathlonveranstaltungen in und um Frankfurt aus.
Wichtig erscheint uns in der Bewertung auch der Zeitpunkt der bis dato noch geplante Marathonveranstaltungen in Deutschland: sowohl der Berlin Marathon als auch der Hamburg Marathon sind für den September geplant, der Mainova Frankfurt Marathon sollte am 31. Oktober 2021 stattfinden. Der Termin ist für die Prognose der Inzidenz ein wesentlicher Unterschied und leider gibt es momentan noch keinen anderen Maßstab, nach dem wir unsere Prognose richten könnten. 2020 hatten wir am 1. Oktober einen Inzidenzwert von 14,9. Am 31. Oktober 2020 hatten wir bereits einen Inzidenzwert von über 110. In diesem Jahr werden wir aufgrund der Impfungen diesen Wert am Ende des Monats Oktober (hoffentlich) nicht mehr erreichen, aber die Tendenz ist klar und geht bereits jetzt, Ende August in diese Richtung. Heute liegt in Frankfurt der Wert bei 92,1 (Redaktionsschluss 27.08.2021), am Tag der Absage lag er bei 35,2.
Die anderen deutschen Oktober-Marathons (Köln, Dresden) sind ebenfalls bereits abgesagt, da auch hier keine Planungssicherheit besteht. Für uns war diese Entscheidung keine einfache, auch wir sind leidenschaftliche Läufer:innen und hätten den Läufer:innen in Frankfurt gerne die Möglichkeit geboten, ein großartiges Marathoncomeback zu feiern. Aus Sicht des Veranstalters mussten wir allerdings die Reißleine ziehen.
WARUM KAM DIE ABSAGE SO FRÜH?
Jo Schindler: Die letzten Wochen und Monate haben wir ein Wechselbad der Gefühle durchlebt. Es gab Tage, da waren wir sehr zuversichtlich, dass der Mainova Frankfurt Marathon am 31. Oktober stattfinden wird, wenn auch nicht in der bekannten Form. Dann kamen wieder Tage, da sah die Stimmung in unserem Team ganz anders aus. Wir haben oft und lange diskutiert, Alternativen und Maßnahmen durchgesprochen und geplant. Letztendlich benötigen wir für die Planung des Mainova Frankfurt Marathon zwingend eine Sicherheit, die uns zum Zeitpunkt der Absage niemand geben konnte.
Wenn wir eine andere rechtliche Situation hätten, wenn wir bereits heute wissen würden, welche Regeln für Großveranstaltungen am 31. Oktober 2021 gelten, dann könnten wir die Frage der Durchführung des Frankfurt Marathon vielleicht anders beantworten. Fakt ist aber: zum Zeitpunkt der Absage am 3. August 2021 hatte die damals gültige Corona-Schutzverordnung des Landes Hessen eine Gültigkeit bis 19. August 2021. Wir mutmaßten, auch auf Basis der Erfahrungen, die wir in dem letzten Jahr gemacht haben, dass die Folgeverordnung eine Laufzeit bis Mitte September haben würde und lagen damit richtig. Die nunmehr aktuelle Corona-Schutzverordnung des Landes Hessen gilt bis zum 16. September 2021. Frühestens Mitte September wird von der Landesregierung der rechtliche Rahmen für Sport-Großveranstaltungen, die im Oktober stattfinden, und damit auch für unseren Marathon bekannt gegeben. Und dies auch nur, wenn die Folgeverordnung diesen Zeitraum bereits abdeckt. Bisher hatte die Corona-Schutzverordnung meist eine Laufzeit von etwa vier Wochen. Sollte dies wieder so sein, würde erst die übernächste Verordnung des Landes Hessen, die dann ab Mitte Oktober gelten wird, definitive Rechtssicherheit bringen.
Die zuständigen Behörden sagen uns unmissverständlich, dass sie erst dann entscheiden können, wenn ihnen die rechtliche Grundlage für ihre Entscheidung bekannt ist. Alles was wir demnach bis dahin mit den Behörden besprechen gilt nur vorläufig. Dies ist für uns keine Planungsgrundlage, denn wir müssen spätestens ab Anfang August verbindliche Entscheidungen treffen. Hierbei stehen Entscheidungen an, die in Summe Kosten im siebenstelligen Bereich auslösen. Solche Entscheidungen kann man nicht auf unsicherem Terrain treffen. In den Jahren vor der Corona-Pandemie war für uns als Veranstalter aber auch für die Genehmigungsbehörden am 1. Januar klar, was am Veranstaltungstag Ende Oktober geltendes Recht sein wird. Diese nach wie vor bestehende Rechtsunsicherheit zwingt uns letztendlich zur Absage.
Außerdem ist es für uns von enormer Wichtigkeit, dass wir auch den Läuferinnen und Läufern mit unserer Entscheidung frühzeitige Planungssicherheit geben, um beispielsweise das Training anzupassen, eine Alternative zu suchen oder den Urlaub zu planen und unnötige Kosten für Flug oder Bahn sowie Hotel zu vermeiden.
WÄRE ES NICHT VORSTELLBAR, DEN MAINOVA FRANKFURT MARATHON IN EINER ABGESPECKTEN FORM DURCHZUFÜHREN?
Jo Schindler: Selbstverständlich haben wir verschiedene Varianten geprüft. So zum Beispiel die Durchführung des Marathons bei Absage der Kinderläufe und des Staffelmarathons. Um die Veranstaltung kostendeckend durchführen zu können brauchen wir aber etwa 10.000 Läuferinnen und Läufer. Eine noch kleinere Variante der Veranstaltung wurde von uns deshalb verworfen. Wir wären bezüglich der Genehmigung bei dieser Größenordnung der Veranstaltung in jedem Fall im Bereich der Großveranstaltungen.
Ein Knackpunkt der Veranstaltung unter Pandemiebedingungen ist auch unser Zieleinlauf. Am Zieleinlauf in die Festhalle wollten wir festhalten, dies ist eines unserer Markenzeichen – dies birgt aber die besondere Problematik eines Indoor-Finishs und somit einer Indoor-Sportveranstaltung in sich und damit strengere Genehmigungsregeln als eine reine Outdoor-Sportveranstaltung.
Eventuell hätte man auf Teufel komm raus Möglichkeiten gefunden, den Mainova Frankfurt Marathon auszurichten – es gab mal die Idee auf einer gesperrten Autobahn zu laufen, 21,1 km hoch, 21,1 km runter – doch das wäre nicht mehr die Veranstaltung gewesen, für die sich die Teilnehmer:innen angemeldet haben und hinter der auch unsere Sponsoren und Partner stehen.
WARUM WIRD BEI DER RÜCKABWICKLUNG EINE BEARBEITUNGSGEBÜHR IN HÖHE VON 20 EUR EINBEHALTEN?
Jo Schindler: Die Planung einer Veranstaltung verursacht bereits vor dem eigentlichen Veranstaltungstag Kosten. Das sind Kosten, die unsere Teilnehmer:innen oftmals nicht unmittelbar wahrnehmen, die jedoch direkt an die Veranstaltung geknüpft sind. Diese Kosten fallen auch an, wenn der Marathon nicht stattfindet. In unserer Firma motion events sind acht Leute beschäftigt – wir sind seit 16 Monaten in Kurzarbeit – wir zahlen Miete für unser Büro und für Lager, in denen die Veranstaltungsmaterialien untergebracht sind. Wir haben Kosten für unsere IT, für die Website des Mainova Frankfurt Marathon, auch jede Anmeldung löst Kosten bei unserem Dienstleister aus, der die Online-Anmeldung inklusive Zahlungsabwicklung betreibt. Wir haben für die Teilnehmerwerbung in den Monaten Dezember bis Juli Anzeigen geschaltet, usw. usw. Um diese Kosten zu decken, brauchen wir die Unterstützung unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber auch unserer Sponsoren sowie von Stadt und Land. Wie derzeit viele Firmen erhalten wir staatliche Überbrückungshilfen. Dies allein würde aber nicht reichen, um das rettende Ufer zu erreichen.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass wir in unseren Teilnahmebedingungen die pandemiebedingte Absage geregelt haben. Jede und jeder, der sich bei uns angemeldet hat, hat diesen Teilnahmebedingungen zugestimmt, andernfalls wäre eine Anmeldung zu der Veranstaltung gar nicht möglich.
WENN ICH MICH FÜR DEN WERTGUTSCHEIN ENTSCHEIDE, MUSS ICH MICH IM KOMMENDEN JAHR NEU ANMELDEN ODER WIRD MEINE ANMELDUNG AUTOMATISCH ÜBERTRAGEN?
Jo Schindler: Da jede und jeder, der oder die sich für die Option „Wertgutschein“ entscheidet, die Wahl hat in 2022 oder 2023 zu starten, ist es notwendig, sich erneut anzumelden. Für unsere Planungen wäre es nicht zielführend alle Läuferinnen und Läufer, welche die Option „Wertgutschein“ gewählt haben, automatisch als Teilnehmer:in zu führen. Dies würde bedeuten, dass wir am Veranstaltungstag erst feststellen würden, dass nur ein Teil davon wirklich Interesse am Start im Jahr 2022 hatte. Die reale Anzahl der Teilnehmer:innen ist für uns eine planungsrelevante Größe für die komplette Veranstaltung: von der Startaufstellung, der Größe der Verpflegungsstellen entlang der Strecke bis zur Zielverpflegung, aber auch für die Pasta-Party und die Medaillenbestellung usw.
WAS PASSIERT MIT DEN MARATHONRETTERN AUS 2020?
Jo Schindler: Die Marathonretter aus 2020 erhalten ihre goldfarbige Startnummer bei ihrem Start beim nächsten Mainova Frankfurt Marathon. Sie bleiben auf unserer Website in der „Hall of Fame“ gelistet und werden auf einer großen Tafel in der Marathonmall genannt. Alle zugesagten Leistungen verschieben wir also um ein Jahr. Hinzu kommen dann die Marathonretter des Jahres 2021.
WARUM GAB ES NICHT DIE OPTION, DIE STARTGEBÜHR ZURÜCKZUERHALTEN?
Jo Schindler: Wir brauchen diese Gelder, denn, wie bereits ausgeführt, wir haben Kosten, egal ob der Frankfurt Marathon stattfinden kann oder nicht. Müssten wir diese Gelder zurückzahlen, verlören wir die nötige Liquidität, um das nächste Jahr und damit den Mainova Frankfurt Marathon 2022 sicher zu erreichen. Aber auch das haben wir in unseren Teilnahmebedingungen geregelt, in dem wir auf den Gutschein hinweisen, den wir bei Absage des Marathons ausstellen.
IST EIN VIRTUELLER LAUF GEPLANT?
Jo Schindler: Ja, wir werden wieder einen virtuellen Frankfurt Marathon am geplanten Veranstaltungstag, also am letzten Sonntag im Oktober, anbieten. Mit den Details werden wir uns in den nächsten Wochen beschäftigen.
GEHT DAS JETZT SO WEITER? WIE SICHER SEID IHR, DASS DER MAINOVA FRANKFURT MARATHON 2022 STATTFINDEN WIRD?
Jo Schindler: Die Maßnahmen gegen Covid-19 werden sich nach diesem Winter grundlegend ändern, das sagen übereinstimmend die führenden Virologen verschiedener Länder. Covid-19 wird eine endemische Krankheit werden, mit der wir leben müssen, so wie wir seit Jahrzehnten mit der bekannten „normalen“ Grippe leben. Sie kommt und geht, es werden sich ständig neue Mutationen ausbilden. Man muss sich dagegen impfen lassen. Wer dies nicht tut, wird sich infizieren und je nach persönlicher Konstitution nicht erkennbar bis lebensgefährlich daran erkranken.
Neben den Impfstoffen werden zunehmend auch Medikamente entwickelt, welche die Situation Erkrankter deutlich verbessern werden. Weiterhin werden Menschen an diesem Virus sterben, so wie jedes Jahr Menschen an der traditionellen Grippe sterben, aber Covid-19 wird keine grundsätzliche Bedrohung mehr für unser Gesundheitssystem darstellen. Somit entfällt auch die Grundlage für solch einschneidende Maßnahmen wie Verbote von Großveranstaltungen.
Wir waren lange Zeit guter Hoffnung, dass wir diese Situation bereits in diesem Herbst erreichen werden. Leider haben uns die weitaus aggressivere Delta-Mutation sowie die nachlassende Impfbereitschaft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun dauert es länger, bis dieser für unser Gesundheitswesen tragbare Zustand eintreten wird – aber er wird kommen und deshalb werden wir einen wunderbaren Mainova Frankfurt Marathon 2022 erleben, da sind wir uns sehr sicher.