Für Außenstehende ist das Ruhrgebiet eine große zusammenhängende Städtelandschaft in der die einzelnen Stadtgrenzen oft nahtlos ineinander übergehen. Einerseits ist man hier stolz, im größten Ballungsraum Deutschlands zu leben, andererseits verteidigt jede kreisfreie Stadt eifersüchtig ihre Selbstständigkeit. Aber gemeinsam ist man stark, das gilt natürlich auch hier.
Zwar gibt es mit Duisburg, Essen, Bottrop und Herten-Bertlich tolle Marathon- und Ultraläufe, welche sogar zu den ältesten Veranstaltungen in Deutschland zählen, doch mit einem Lauf durch das Herz des Ruhrgebietes kann man natürlich noch besser werben.
Der alte Ruhrmarathon hatte schon 2003 diese Idee aufgegriffen und führte mit dem Twin-Marathon zeitweilig 8500 Finisher durch sieben Städte. Damals bebte das Revier unter den Läuferbeinen und der Begeisterung der Zuschauer.
Aber das Ruhrgebiet ist auch eine Region des Wandels und die Menschen hier haben so manchen Rückschlag wegstecken müssen, doch sie sind zäh und versuchen immer wieder einen Neuanfang. So war es auch, als nach dem Ausfall des Hauptsponsors Karstadt 2010 der Marathon nicht mehr stattfinden konnte.
Nach vierjähriger Pause konnte man im letzten Jahr mit dem VIVAWEST-Marathon doch eine Wiederauferstehung feiern. Der Titelsponsor VIVAWEST GmbH ist mit 120.000 Wohnungen in 76 Städten der größte Vermieter in Nordrhein-Westfalen und kann seine guten Verbindungen im ganzen Ruhrgebiet nutzen.
Der Lauf führt jetzt mit Gelsenkirchen, Essen, Bottrop und Gladbeck nicht nur durch vier sportbegeisterte Städte, sondern auch an viel sehenswerter Industriekultur vorbei.
Angeboten werden neben der Marathonstrecke auch ein Halbmarathon- und 10 Kilometerlauf. Die Marathonstrecke kann auch als Staffel bewältigt werden. Hierfür sind Streckenabschnitte zwischen 6 und 13,5 km zu laufen.
Lobenswert ist auch das Angebot für den Nachwuchs. Die Teilnahme am Schulmarathon (6 Läufer ab Klasse 5) und Minimarathon (3 – 11 Jahre) ist nämlich kostenlos. Da werden vielleicht die Talente für morgen geworben. Insgesamt werden wohl fast 7400 Teilnehmer an den Start gehen. Das ist hier ein Melderekord.
Ich konnte mir bereits bei der Premiere im Vorjahr ein positives Bild machen, und möchte auch in diesem Jahr wieder dabei sein. Hier bleibt man auf dem Teppich. Die Startgebühr beträgt für den Marathon je nach Anmeldedatum zwischen 39 und 69 Euro. Dafür gibt es 13 Verpflegungsstationen nebst einer umfangreichen Zielverpflegung, Massagedienst, Finisher-Medaille und Online-Urkunde. Natürlich ist die Strecke amtlich vermessen und jeder Kilometer ausgeschildert. Die Zeiterfassung erfolgt über den ChampionChip, welcher auch für die Veranstaltung ausgeliehen werden kann.
An Siegprämien werden zwischen 250 und 1000 Euro ausgelobt. Für die ersten Drei in den Altersklassen gibt es auch 50 bis 150 Euro. Kein Geld also für die Weltklasse, aber doch genügend, um die Lokalmatadore anzulocken. Der Lauf wird noch durch die gleichzeitig stattfindende Westdeutsche Marathon Meisterschaft aufgewertet. Die Anmeldung für diese Meisterschafts-Wertung erfolgt ausschließlich über den eigenen Laufverein. Da der VfL Bergheide mich hier auch gemeldet hat, komme ich zu der relativ niedrigen Startnummer 49.
Am Freitagnachmittag mache ich mich auf den kurzen Weg nach Gelsenkirchen. Direkt neben dem Musiktheater hat man ein großes Zelt für die Marathonmesse aufgebaut. Hier präsentieren einige Anbieter ihre Produktpalette rund um den Lauf- und Ausdauersport. Ein Veranstaltungs-Shirt kann man auch für 8,50 Euro erwerben.
Schnell habe ich meine Startunterlagen in den Händen und kann noch ein wenig das Angebot durchstöbern und mich über die nächsten Laufveranstaltungen informieren. Gerd Zachäus wirbt für den Baldeneysee im Herbst. Das ist auch ein Muss im Revier.
Am Sonntagmorgen mache ich mich dann mit Inge auf den Weg. Ihre Freundin Christiane ist wie immer auch dabei. Mit unserem Vereinsfreund Danny bilden wir eine Fahrgemeinschaft. Wir versuchen unser Glück und fahren direkt in die Innenstadt. Trotz einiger Absperrungen entdecken wir auch einen günstigen Parkplatz in der Nähe der Florastraße. Aus allen Richtungen strömen die Läufer nun zum Start.
Am Musiktheater herrscht bereits reger Betrieb und ich entdecke schon bald einige Bekannte. Frank wird heute keine Filmaufnahmen machen sondern sich aufs Laufen konzentrieren. Bettina und Rüdiger wurden als Zugläufer verpflichtet. Mein Vereinsfreund Reinhard hat einen Parkplatz fast an der Startlinie gefunden. Auch er will heute genau wie Danny bei den Meisterschaften mitmachen. Allerdings hat er seit einigen Wochen Probleme mit seinem Knie. Trotzdem ist er zuversichtlich irgendwie durch zu kommen. Wir können unsere Wechselkleidung in seinem Wagen deponieren und brauchen so das nahe gelegene Sportzentrum nicht aufzusuchen. Hier ist die Möglichkeit zum Umziehen und Duschen vorgesehen.
Das Wetter ist heute sonnig und man spürt bereits, dass es doch schnell warm werden wird. Nach dem schlechten Wetter der letzten 2 Wochen ist es nun seit gestern spürbar wärmer geworden. Da muss der Kreislauf sich erst eingewöhnen.
Heute sollen zuerst die Halbmarathonläufer um 9 Uhr starten. Doch der Start verzögert sich um fast 40 Minuten, da an der Strecke noch Autos abgeschleppt werden müssen. Der Moderator versucht die bereits im Startblock stehenden Läufer bei Laune zu halten. Die Bürgermeister der 4 Städte können sich also bei ihren Grußworten Zeit lassen. Über uns schwebt eine Drohne. CIA? Nein, es ist der WDR, der dadurch spektakuläre Aufnahmen bekommt.
Wir können die Wartezeit entspannt in Reinhards Auto verbringen, aber für die Läufer im Startbereich ist das Herumstehen natürlich keine ideale Vorbereitung. Angeblich soll jede Minute Verzögerung ein Prozent Nachlass auf die Anmeldung im nächsten Jahr bringen. Da kommt aber einiges zusammen.
Endlich erfolgt dann doch der Start des Halbmarathons. Mit 3800 Teilnehmern ist es die stärkste Gruppe und bietet ein beeindruckendes Bild. Kaum ist auch die letzte Gruppe mit Walkern weg, da bittet der Sprecher die Marathonläufer in fünf Minuten zum Start.
Jetzt kommt doch noch Hektik auf und etliche Läufer flitzen nochmals in die Büsche. 1200 Marathonläufer stellen sich in den vorgesehenen Startblöcken auf. Dieses Zahlenverhältnis ist ja heute allgemein üblich. Dann erfolgt der Start im Konfettiregen und wir machen uns unter dem Jubel der vielen Zuschauer auf unseren langen Lauf durch das Herz des Reviers. Mit dabei ist auch Irina Mikitenko als Staffelläuferin. Die 41jährige Vorzeigeathletin hält mehrere deutsche Rekorde und wurde zur „Deutschen Leichtathletin 2013“ gewählt. Jan Fitschen kann den Start nur von der Bühne verfolgen, denn ihn plagt immer noch eine Verletzung.
Gelsenkirchen ist ja untrennbar mit Schalke 04 verbunden und überall trifft man hier auf das Vereinsemblem. Etliche Fans stehen am Straßenrand und haben ihre Fahnen und Schals mitgebracht. Auch als Fußballfans haben sie Respekt vor der Leistung der Läufer und geizen nicht mit Beifall. Durch den kurzen Zeitabstand laufen wir jetzt auf die Walker beim Halbmarathon auf und müssen diese teilweise umkurfen.
Nachdem wir die Gelsenkirchener Altstadt durchlaufen haben, erreichen wir bei Kilometer 3 die Stadtgrenze und gelangen sofort nach Essen. Mit 570.000 Einwohnern ist Essen ein bedeutender Industriestandort. Hier haben zahlreiche Großunternehmen ihren Firmensitz und man bezeichnet sich gerne als die Einkaufstadt des Reviers.
Jetzt gilt es erst einmal einen kurzen Anstieg zu bewältigen, bevor wir dann bei Kilometer 7 den touristischen Höhepunkt mit der Zeche Zollverein erreichen. Diese war früher die größte Steinkohlenzeche der Welt und gehört heute mit dem riesigen Förderturm zum Weltkulturerbe. Die Strecke führt direkt über das ehemalige Zechengelände vorbei an der alten Kokerei. Hier hat man neben der Verpflegungsstelle auch einen von insgesamt acht Fanpoints eingerichtet und die Gruppe „Sambakowski“ bringt jetzt Zuschauer und Läufer in Schwung. Stilecht stehen an der Strecke einige Männer in voller Montur der Knappenvereine und dazu wird natürlich das Steigerlied gespielt. An der Strecke sehe ich auch unseren Chef Klaus, der wieder Fotos aus allen Perspektiven macht.
Bald biegt die Halbmarathonstrecke ab. Dadurch verpassen die Halbmarathonläufer den nächsten Höhepunkt, denn wir erreichen mit dem Kennedyplatz bei Kilometer 12 die Essener Innenstadt. Hier gibt es zur Abwechslung Jazzmusik und den nächsten Fanpoint. Von hier aus werden auch die Bambiniläufe gestartet.
Am Porscheplatz laufen wir direkt durch die Rathausgalerie, ein großes Einkaufszentrum mit über 80 Geschäften und zahlreichen Restaurants . Hier hat man uns sogar einen roten Teppich ausgelegt und der Beifall der Zuschauer hallt durch die Einkaufsgassen. Bernd und Carla sind natürlich auch im Vereinsoutfit dabei.
Danach erreichen wir das Univiertel. Durch die Fusion mit der Uni Duisburg gehört die Universität Duisburg-Essen mit 39.000 Studenten aus 130 Nationen zu den 10 größten deutschen Universitäten. Doch schon bald kommen wir wieder mit dem neuen ThyssenKrupp Gelände durch ein Industriegebiet. Ja, das Revier ist bunt und ein ständiger Wandel zwischen Tradition und Moderne bildet einen interessanten Mix.
Über die Bottroper Straße. gelangen wir nicht nur zur Halbmarathonmarke sondern auch mit Bottrop zur nächsten Stadt. Die ist uns Läufern ja durch den Herbstwaldlauf bestens bekannt. Heute laufen wir allerdings nicht durch ein schönes Waldgebiet, sondern treffen mit dem Rhein-Herne-Kanal und der A42 auf zwei der Hauptschlagadern des Reviers. Beide werden wir auf Brücken überqueren.
Bei Kilometer 24 muntert uns wieder die Sambagruppe „Apito Fiasko“ und eine Verpflegungsstelle auf. Die Versorgung der Läufer ist bei den 13 Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso, Tee, Cola und Bananen gut. Außerdem werden Schwämme, Traubenzucker und Müsliriegel angeboten und die Sollzeit von 6 Stunden lässt auch genügend Raum.
Inzwischen hat die Sonne die Temperaturen schnell steigen lassen und die Läufer nutzen jeden Schatten aus. Auf den breiten Straßen gibt es ihn allerdings nur selten. Wir passieren ein großes Tanklager und nachdem wir den Ruhrschnellweg überquert haben, wartet wieder eine Versorgungsstelle mit Sambagruppe. In Welheim finden wir mit der Kokerei Prosper den nächsten Industriepunkt. Sie ist eine der drei heute noch in Betrieb befindlichen Kokereien. Das Ende des Steinkohlenbergbaues in Deutschland ist ja wohl schon eine beschlossene Sache. Hoffentlich wird man diese Entscheidung nicht eines Tages bereuen.
Welheim-Gartenstadt nennt sich inzwischen auch „Innovation City“ Ein schicker Name. Dahinter verbirgt sich ein ehrgeiziges Projekt, um den CO2 Ausstoß für 69.000 Anwohner in den nächsten 10 Jahren zu halbieren. Da muss man aber noch einiges umsetzen. In einer Gartensiedlung hat jemand eine große Drucklufthupe im Einsatz und der Lärm ist ohrenbetäubend.
Bei Kilometer 28 sehe ich in der Ferne den Tetraeder. Von einer Halde grüßt eine weithin sichtbare dreiseitige Pyramide als Aussichtsturm. Am Kilometer 29 gibt es am großen Möbelhaus wieder Sambamusik und einen Fanpoint. Hier ist auch ein Wechselpunkt für die Schulstaffeln und entsprechend viel Betrieb.
Mit Kilometer 30 verlassen wir Bottrop und kommen nun nach Gladbeck. Hier liegt auch bei Kilometer 33 der nördlichste Punkt. Jetzt müssen immer mehr Läufer der Strecke und den Temperaturen Tribut zahlen und werden kurzeitig zu Walkern. Wir laufen durch eine alte Zechensiedlung und die Bewohner machen für uns die Welle. Kinder halten ihre Hände zum Abklatschen hin oder bieten spontan noch zusätzliche Wasserbecher an. An der Heringstraße/Ecke Horsterstraße hat Gladbeck seinen Fanpoint eingerichtet und die Begeisterung der Zuschauer ist immer noch ungebrochen. Nach 5 Kilometern verlassen wir bereits wieder Gladbeck und schon sind wir wieder In Gelsenkirchen.
Kilometer 35 ist erreicht und da wird jeder Marathon schwer. Doch bald können wir schon in den Nordsternpark einlaufen. Hier hat man das Gelände der ehemaligen Zeche Nordstern 1997 mit der Bundesgartenschau in einen Landschaftspark verwandelt. Durch den Park verlaufen Rhein-Herne-Kanal und Emscher. Das ehemalige Zechengebäude wird von einer 18 Meter hohen Herkulesstatue gekrönt. Hier ist auch die Hauptverwaltung des Hauptsponsors, an der wir nun direkt vorbei laufen.
Nochmals haben wir die Möglichkeit, uns zu verpflegen und die meisten nutzen dies auch gleich zu einer kleinen Gehpause. Die Sambagruppe „Katokicki“ gibt nochmals für die letzten Kilometer die Schlagzahl an. Jetzt haben wir wieder die Gelsenkirchener Innenstadt erreicht und laufen über die Hans-Böckler-Allee dem Ziel entgegen. Ich kann jetzt noch etliche erschöpfte Läufer überholen. Bald tauchen am Straßenrand meine Bergheide Fans lautstark auf und dann habe ich die Ziellinie auf der Florastraße passiert.
Mit 4:26:55 belege ich damit Platz 5 in meiner Altersklasse bei der Westdeutschen Meisterschaft. Ich erhalte jetzt eine schöne Finishermedaille mit der Zeche Zollverein als Motiv. Dann kann ich mich in der umfangreichen Verpflegungsmeile versorgen. Wurststücke, Schnittkuchen, Müsliriegel, Obst und diverse Getränke nebst alkoholfreiem Bier werden angeboten. Ich entdecke auch meine Vereinsfreunde und Danny und Reinhard erzählen von ihren Erlebnissen. Danny hat heute Platz 4 bei der Meisterschaft erreicht und Reinhard musste den Lauf leider bei Kilometer 10 beenden. Das Knie machte ein Weiterlaufen unmöglich. Hans und Olaf haben am 10 km Lauf teilgenommen und dabei beide Platz 1 in ihrer Altersklasse belegt.
Wir genießen noch das schöne Wetter und fahren dann zufrieden nach Hause. Im WDR Fernsehen gibt es um 17 Uhr noch einen schönen 30minütigen Bericht vom Vivawest-Marathon. Den kann man auch in den nächsten Tagen noch über die Mediathek sehen.
http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/videoruhrmarathonderpottbewegtsich104.html
Am 17.05. 2015 soll es nun die dritte Auflage des Vivawest Marathons geben.