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Laufberichte

Maraton Solidarności Danzig

15.08.13

Es geht schnurgerade weiter durch neue Industrie- und Bürogebiete. Bei km 15 eine Veranstaltungshalle aus sozialistischer Zeit. Links Richtung Meer gäbe es hunderte Meter lange, wellenförmig angelegte Plattenbaugebiete. Neu renoviert, unbedingt mal mit der Straßenbahn entlang fahren. Aber wir laufen halt woanders.

Städtisch wird es in Wrzeszcz (Langfuhr). Bei km 19 kommen wir auf die zwei Kilometer lange Aleja Zwycięstwa (Große Allee). Diese wurde 1770 angelegt und mit 1460 importierten Linden bepflanzt. Auf der Straßenbahntrasse kommt uns ein historischer Wagen entgegen mit der deutschen Aufschrift „Danziger Straßenbahn´“. Die feiert heuer ihr 140. Jubiläum. Überhaupt ist das ein Marathon für Straßenbahnfreunde wie mich. Über einen Großteil der Strecke wird man von den Bahnen begleitet.

Linker Hand kann man noch einen russischen Panzer sehen und dahinter zwischen den Bäumen die Kräne der früheren Lenin-Werft gibt es auch ein Solidarnosc-Museum.

Autor und Schauspieler Steffen Möller hat in seinen Büchern auch erklärt, dass Polen das einzige Land der Welt ist, in dem die Damen- und Herrentoiletten die Symbole Kreis und Dreieck tragen. Wobei in Danzig diese Gewohnheit schon auszusterben scheint und die meisten Toiletten wie bei uns mit stilisierten Männlein und Weiblein gekennzeichnet sind. Also stehen bei den meisten Verpflegungsstellen zwei entsprechend ausgewiesene Toilettenhäuschen.

Bei der Halbmarathonzeitnahme beginnt der Höhepunkt des Rennens: die Strecke durch die Danziger Alt- und Rechtstadt. Die Rechtstadt, schon im 13.Jahrhundert Kern der späteren Hansestadt und geprägt von prunkvollen Kaufmanns- und Bürgerhäusern, ist  das aktuelle Zentrum Gdanks. Von der Brücke über das Bahnhofsvorfeld sieht man den im Jahr 1900 fertiggestellten Hauptbahnhof und alle wichtigen Kirchen.

In der Altstadt, einst Wohnsitz slawischer Fischer und Handwerker, geht es an der Katharinenkirche mit riesigem Glockenspiel und rechts an der Großen Mühle vorbei, bevor wir an der alten Markthalle in die Rechtstadt  laufen. Hier findet im August immer der St. Dominiks-Jahrmarkt statt. Heuer zum 753. Male. Wir laufen zwischen den Ständen hindurch. Für den Marathon wird hier einige Stunden der Weg gesperrt. Und das an einem Feiertag mit vielen Besuchern. Entsprechend viel Applaus bekommen wir. Wäre ja auch mal eine Überlegung wert, den München-Marathon geradewegs über das Oktoberfest zu führen... Geht nicht?

Über eine Nebenstraße erreichen wir den Fluss Mottlau und verlassen bei Kilometer 25 die Altstadt. Hier kommt uns bereits der führende Wycliffe Kipkorir Biwot entgegen. Ab jetzt laufen wir auf einer Begegnungsstrecke, gelangen in eine „ursprünglichere“ Gegend und überqueren die Weichsel. Für gute zwei Kilometer geht es auf eine Schnellstraße. Ein Läufer neben mir ist sichtlich am Ende seiner Kräfte und wird von seinem Begleiter zum Durchhalten aufgefordert – wenigstens reime ich mir das so zusammen.

Ich nutze die Zeit, um mich mit einem Augsburger Ultraläufer zu unterhalten, der mit seiner Familie hier Urlaub macht und schon das dritte Mal dabei ist. Die Schnellstraße verlassen wir, um auf einer schönen Landstraße durchs Grün zu laufen. Ab und zu sieht man etwas Industrie und an anderer Stelle findet sich eine aufgelassene Bahnunterführung. Wer sich das auf dem Satellitenbild ansieht, stellt fest, dass wir durch ehemalige Industriegebiete laufen, auf denen sich die Natur ihr Territorium zurückerobert. Der Containerhafen und riesige Öltanks sind in einiger Entfernung neu angelegt.

Links wäre auch gleich die Weichsel, an deren Ufer eine alte Zitadelle zu besichtigen ist. Die Verpflegungsstellen km 30 und 35 liegen sich hier fast gegenüber. Also noch 2,5 km zum Wendepunkt. Kurz davor sieht man linker Hand das Meer mit schönem Sandstrand. Rechts die Weichsel. Dann kommen wir zur Halbinsel Westerplatte, die von einer 182 Mann starken Wachgruppe unter Major Henryk Sucharski zu Beginn des 2. Welkriegs sieben Tage lang gegen die Angriffe des deutschen Heeres verteidigt wurde. Für die Polen ist das ein sehr wichtiger Ort mit einem Mahnmal und Museum, sodass auch heute viele Besucher zu Fuß hierher unterwegs sind.

Wir wenden auf dem Parkplatz. Auf dem Rückweg sehe ich, dass noch viele Läuferinnen und Läufer folgen. Dieses Jahr geht  es mir hier ganz gut, sodass mich der große Kreisverkehr und der Anstieg zur Schnellstraße nicht schrecken können. Wer nicht so gut drauf ist, wird die folgenden Kilometer sicher verfluchen und bei sonnigem Wetter ist das Ganze kein Zuckerschlecken. Heute ist es zwar warm, aber der Himmel ist immer noch bedeckt. Am Samstag wird es dann aber richtig heiß sein. Wir haben heute Glück. Anscheinend hat es hier inzwischen sogar geregnet. Die Straßen sind pitschnass. Aber die Topfschläger-Stimmungstruppe, die uns schon beim Hinweg angefeuert hat, ist immer noch da.

Noch ein Tipp: Wer an einem schönen Tag ans Meer will, sollte aus Gdańsk die Tram 3 oder 8 nach Stogi Plaża nehmen. Judith klärt mich auf, dass damit nicht ein Einkaufszentrum, sondern ein Strand gemeint ist, quasi wie Playa. Die Fahrt mit älteren Straßenbahnmodellen, die mit den noch nicht renovierten ausgefahrenen Gleisen zu recht kommen, ist schon ein Erlebnis für sich. Außerdem sieht man in Stogi noch eine Trabantenstadt, die den sozialistischen Charme der einstigen Volksrepublik  ausstrahlt. Und der Strand ist wirklich fantastisch - „Probably the best beach in the world“ steht denn auch ohne falsche Bescheidenheit am Eingang.

Ich rechne und rechne: Wie schnell muss ich für eine Zeit unter vier Stunden noch sein? Bei km 35 stelle ich fest, dass meine GPS-Uhr der Strecke um 500 Meter voraus ist. Kurze Zeit später fällt mit ein, dass ja die 195 Meter auch noch zu beachten sind. Sieht aber gut aus.

Auf der öden Schnellstraße zieht Judith vorbei, nicht ohne mir ein „Jak tam?“ (Wie geht’s?) zuzurufen. Dank Steffen Möller wissen wir: Der Pole würde nun nie und nimmer zugeben, dass es ihm gut geht. Die einzig richtige Antwort ist – mit traurigem Gesicht – ein  „Stara bieda“ (wörtlich: „die alte Armut“, sinngemäß: „besch... wäre geprahlt“). Nun gut. Judith zieht vorbei, aber nicht so schnell wie letztes Jahr. Ich beobachte die Läufer vor dem Besenwagen auf der Gegenseite und bleibe an ihr dran.

Wir kämpfen uns noch mal über die Steigung der Siennicki-Brücke über die Weichsel und kommen zum Verpflegungsstand km 40. Die Feuerwehr hat die ganze Straße unter Wasser gesetzt, sodass Läufer, die trockene Füße behalten wollen, einen kleinen Schlenker hinlegen müssen. Kurz danach kommen wir wieder in die Altstadt. Rechter Hand sieht man das schwarze Krantor aus dem Jahr 1444, einst größter Hafenkran der Welt und von Gefangenen in Laufrädern angetrieben. In einem Neubau könnte man noch Wohnungen mit fantastischem Blick darauf erwerben. Bahnt sich womöglich auch hier eine Immobilienkrise an?

Wir laufen auf das Kuhtor zu. Über die vom Hinweg bekannte Parallelstraße noch ein paar Meter ganz leicht bergauf. An einem aufgeblasenen Plastik-Torbogen fragt mich ein Mitläufer, ob dies das Ziel sei. Nein, es fehlt ja noch der grandiose Lauf (leicht bergab) über die Langgasse (Ulica Długa). Die älteste und berühmteste Straße Danzigs wird gesäumt von prachtvollen Patrizierhäusern aus der Epoche der Renaissance, einst errichtet von holländischen Baumeistern. Hier wurde im 2. Weltkrieg alles zerstört und die wenigen Gebäude, die den Bombardierungen standgehalten hatten, setzten die Russen nach ihrem Einmarsch in Brand. Alles wurde danach wieder im alten Stil aufgebaut. Links das Rathaus mit hohem Turm, danach der Neptunbrunnen und dann der Zieleinlauf auf dem großen Markt. Das ist wirklich toll. Es gibt eine schöne, schwere Medaille. Judith und ich haben die 4 Stunden unterboten und sind beide sehr zufrieden. Anhand der Ergebnisliste stellen wir fest, dass Judith wie letztes Jahr wieder Erste in ihrer Altersklasse geworden ist.

Über ein Gässchen gelangt man nach rechts auf einen Platz mit der Zielverpflegung: Leckere Kartoffelsuppe (die Polen lieben Suppen) und süße Teilchen. Bier gibt es leider nicht, dafür Kaffee.

Beim Marathonbüro im Kindergarten nebenan stehen die beiden Busse mit den Taschen, Ergebnislisten und daneben ein Duschcontainer. Ich denke immer noch, dass der nur für Männer ist.

Und da die Siegerehrung gegenüber dem Neptunbrunnen erst viereinhalb Stunden nach dem Start beginnt, sind wir auch dabei. Es geht alles viel schneller als bei uns. Schon nach wenigen Minuten sind die AK-Ehrungen dran. Leider ist alles auf Polnisch gehalten. Aber Judiths Namen und die Bezeichnung Monachium für München verstehen wir. Die Ehrung nehmen die Honoratioren vom Start vor. Für die im Gesamtfeld erstplatzierten Damen waren geringere Prämien ausgelobt als für ihre männlichen Pendants. Bei den Alterskassen herrscht Gleichbehandlung und so bekommt Judith 200 Zloty, das entspricht 50 Euro. Der Deutsche Franz Groß erhält als Zweiter  (2:58) in der AK 40 150 Zloty. Noch ein Anreiz, mal nach Gdansk zu kommen.

Zusammenfassend:

- Gdańsk ist nicht ohne Grund ein touristischer Hotspot in der Region Pommern mit 1,5 Millionen Touristen jährlich.
- Es gibt wunderschöne Strände für einen Badeurlaub
-  Läufern, die das Münchner Niveau gewohnt sind, dürften die Preise recht günstig erscheinen (0,5 L Bier 2 €, Kaffee 1 €, Wiener Schnitzel mit Bier im Angebot: 6 €)
- Wir haben uns absolut sicher gefühlt. Laut Steffen Möller wird in Polen sowieso sehr wenig gestohlen.
- Mit Englisch kommt man gut zurecht. Oft wird man auch auf Deutsch angesprochen.
- Der Marathon ist mit seinem Ziel auf dem Hauptplatz von Gdańsk sicher einmalig. Leider gibt es auch einige langweilige Abschnitte, die man durchstehen muss.
- Ausreichend Anfeuerung, keine Musik.
- Bezüglich Verpflegung und Betreuung auf der Strecke im oberen Niveau.
- Mehrere Tausend Fotos (auch Zieleinlauf) kostenlos zum Herunterladen
- Sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis (15 € inkl. Laufshirt), Verlosung eines Hotelaufenthalts.


Tipps:

- Die Internetseite ist wahrscheinlich das Unprofessionellste an diesem Marathon. Man findet auf Deutsch eine kurze Beschreibung im PDF-Format. Ausführlicher ist die englische Beschreibung. Für die News sollte man die Übersetzungsfunktion z.B. von Google nutzen.
- Anmeldung auch auf Englisch.
- Bei der Überweisung darauf achten, vor die IBAN das Länderkennzeichen zu setzen. Das fehlt in den Anweisungen und brachte mir eine Nachfrage der Postbank ein. Außerdem prüfen, ob man nicht besser selber umrechnet und Euro überweist. Das sollte laut EU-Verordnung nichts kosten. Ich habe Zloty überwiesen und 8 Euro zusätzliche Gebühr bezahlt.
- Die Startnummernausgabe und der Start befinden sich in Gdynia an der S-Bahnstation Maximilianska – im Park nach der Unterführung.
- Vom Flughafen gibt es einen Bus direkt dorthin.
-  Es gibt drei Fahrkarten für Gdansk, für Gdingen und für die S-Bahn. In Sopot fahren alle drei. Sinnvollerweise kauft man sich eine 72h-Karte für die Metropolregion für 40 PLN bzw. 10€. Diese gibt es am Flughafen nur in Verbindung mit einer Touristenkarte. Das kostet dann 3 € mehr. Ansonsten gibt es die Karte an größeren Bahnhöfen (siehe Internet). Außerdem gibt es Tageskarten für die einzelnen Verkehrsbetriebe. Einzelfahrtenkosten  meist unter 1€.
- Es gibt deutschsprachige Fahrkartenautomaten. An diesen muss man meist lange anstehen. Daher besser gleich eine Zeitkarte kaufen. Beim Fahrer kann man auch Karten erstehen, die aber etwas teurer sind.
- 739 Finischer, eine Steigerung um 12% zum Vergleich des letzten Jahres, davon 15 Deutsche, 5 SWE, 4 USA, 3 NED...

Marathonsieger

Männer:

1. BIWOT Wycliffe Kipkorir  KEN 2:20:18
2. LAGAT Julius Kiprono KEN 2:22:44
3 .MUNGUTI MAKAU Mark 2:22:54

Frauen:

1. CIRLAN Daniela Elena ROU 2:49:19
2. MELOCH Arleta  POL 2:54:26
3. KARNATSEVICH Halina BLR 2:58:54

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