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Laufberichte

Tallinn Marathon: „We run TLN“

13.09.25 Special Event
 

Von den drei baltischen Staaten fehlt uns auf unserer Marathonliste noch der nördlichste: Estland mit der Hauptstadt Tallinn, die 2025 auch als Europäische Sporthauptstadt fungiert. Wir reisen am Samstag mit der Fähre aus Helsinki an, wo wir zwei Tage in Reminiszenz an unseren Marathon 2011 verbracht haben.

Tallinn beherbergt 456.000 EinwohnerInnen und somit einen Großteil der 1,3 Mio.starken Landesbevölkerung. Es ist eine Stadt, in der viele Epochen sichtbar sind: Bauwerke aus dem 13. Jahrhundert findet man hier neben solchen aus der Zeit der Sowjetunion und modernsten Hochhausvierteln.

Nach dem Einchecken im Hotel geht es zum Freiheitsplatz, welcher der Unabhängigkeit Estlands von der Sowjetunion am 20.8.1991 gewidmet ist. Auf dem Platz ist ein großer Marathonbereich mit einigen Ständen aufgebaut. Wir erhalten schnell unsere vor Ort gedruckte Nummer sowie ein Veranstaltungslaufhemd und einen Rabattgutschein für ein Fährunternehmen.

Am großen Zielbogen mit der Aufschrift „We run TLN“ kommen vereinzelt 10-km-Läufer hindurchspaziert. Die aufgehängten Streckenpläne geben schnell Auskunft, dass dies nur der Start- und Zielbereich des 5-km-Laufs ist, der um 18:30 Uhr startet und damit auch durch die Altstadt mit ihrem Kopfsteinpflaster führt.

 

 

Für die anderen Bewerbe befindet sich der Start- und Zielbereich unterhalb der Burg. Dorthin gelangt man über eine Treppe, vorbei am Unabhängigkeitsdenkmal aus Plexiglas. Gerade kommen die restlichen 10-km-Läufer durchs Zieltor. Interessant, dass der Halbmarathon, wie auch die anderen Läufe, am Samstag stattfinden. Der Sonntag steht ganz im Zeichen der 42,2 km für Einzelläufer und für Staffeln.

Es bleibt genügend Zeit für eine Besichtigung der Altstadt. Diese ist UNESCO-Weltkulturerbe als Beispiel einer gut erhaltenen nordischen mittelalterlichen Stadt, die eigentlich zweigeteilt ist in den Domberg mit dem protestantischen Dom und der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kathedrale einerseits und die größere Unterstadt andererseits. Reval, wie Tallinn bis 1918 genannt wurde, war mehrere Jahrhunderte dänisch und zeitweise Eigentum des Deutschen Ordens.

Die Altstadt ist sehr schön renoviert und man erkennt, dass der Tourismus hier eine wichtige Rolle spielt. Das alte Rathaus aus den Jahren 1402 bis 1404 ist das einzige erhaltene Rathaus im gotischen Stil in Nordeuropa. Auf dem Turm befindet sich eine Wetterfahne mit der Figur des Stadtsoldaten „alter Thomas“, der seit fast 500 Jahren über die Stadt wacht und dessen Konterfei auch unsere Veranstaltungsshirts sowie die Medaille ziert.

 

Marathontag

 

Der Sonntag beginnt regnerisch. Unser Hotel liegt ziemlich nah beim Freiheitsplatz, sodass wir noch entspannt frühstücken können. Die Esten lieben eine deftige Morgenmahlzeit mit vielen warmen Speisen inklusive Kartoffeln und Fisch. Dergleichen hebe ich mir für den Montag auf und bleibe heute lieber bei magenfreundlichem Toast mit Marmelade.

Dann los. In einer Unterführung auf dem Freiheitsplatz kann die Wechselkleidung abgegeben werden. Da es keinen offiziellen Kleiderbeutel gibt, denke ich, dass auch Reisetaschen angenommen werden. Gut, dass es aktuell nicht kalt ist. Dann die Treppe hinauf zur Startaufstellung. Neben uns ein Turm, welcher der Legende nach von Geistern heimgesucht wird. Übersinnliche Phänomene sollen im Bereich der Stadtbefestigung öfter vorkommen.

 

 

 

Mobile Toiletten gibt es ausreichend, hier am hinteren Ende des Startbereichs und weiter vorne noch mal, samt geordneter Schlange davor. Die Startblöcke sind von A bis D markiert. Wir sind im letzten Block. Vor uns das Zieltor, ein gutes Stück weiter das Starttor. 2.500 Teilnehmende fiebern dem Start entgegen. Neben uns eine Band mit Herren, die dunkle Sonnenbrillen tragen und uns mit Filmmusik ganz schön einheizen. Eine kurze Begrüßung des Bürgermeisters, dann die Nationalhymne. Pünktlich um 9:00 Uhr endlich der Startschuss.

Die Strecke besteht aus einer Runde am Rande der Altstadt und dann einem großen Ausflug nach Südwesten. Mal sehen, was uns erwartet. Auf jeden Fall erst mal viele Holzhäuser im skandinavischen, aber auch russischen Stil. Wir sind im Viertel Kolpi, das der Reiseführer wegen eben dieses typisch nordischen Flairs empfiehlt. Einige Anfeuerung vom Straßenrand und aus den Fenstern. Unter der Bahn hindurch in Richtung Domberg. Hier werden wir kurz vor dem Ziel noch mal vorbeikommen. Rechts von uns Balti Jaam, der Hauptbahnhof von Tallinn mit einem einzigartigen Markt. Auf drei Stockwerken sind dort mehr als 300 Geschäfte zu finden, natürlich plus Essensständen und einem Fitnesscenter.

 

 

Nun erst Mal Richtung Hafen und Meer. Dort, im Viertel Kalamaja, sind in den letzten Jahren schöne Neubaugebiete entstanden. Wenn man den Aushängen in Immobilienbüros glauben kann, gibt es hier Wohnungen mit Meerblick zu durchaus noch erschwinglichen Preisen. Danach ein Kreativzentrum in alten Lagerhallen. Schöner Blick auf das Areal bei einem leichten Anstieg. Auf einem nachmittäglichen Spaziergang werden Judith und ich uns das noch mal ansehen und auch die Anlagen der Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele von 1980 besuchen. Dazu gehörte auch die Linnahall (Stadthalle), eine Mehrzweckhalle, die später für Konzerte genutzt wurde und seit 2009 dem Verfall preisgegeben ist.

Kilometer 8 bringt uns zu einer ersten Straßenweiche. Hier laufen die Marathonis immer mal wieder rechts oder links um eine Autoweiche herum. Hinter der große Polizeistation ein nagelneues Gebäude, das Riigigümnaasium, eine staatliche Schule.

Wir sind in Nähe des Meeres und dürfen an einem großen Pinienwald vorbeilaufen. Der Geruch erinnert mich sehr an Italien. Eine kleines Neubaugebiet in dieser bevorzugten Lage. Alle Häuser sind aus Holz und schwarz gestrichen. Das hat Tradition in Estland, denn früher wurde Teer oder Pech als Holzschutz verwendet. Und so ist man bei der Farbe geblieben. 

Ein Grüppchen um eine Blondine – bei näherem Hinsehen ein Läufer mit Langhaarperücke - hat viel Spaß bei lauter Musik. Aktuell wird etwas Landestypisches gespielt. Anscheinend kann man sich da Musik wünschen. Also probiere ich es mal mit den Pet Shop Boys.

 

 

Wir sehen eine Ecke mit Einfamilienhäuschen, dann kommt ein dunkler Wald. Gut, dass hier ein VP ist, da fühlt man sich nicht so alleine. Die VPs stehen alle fünf Kilometer und bieten Wasser und Iso, Bananen, dunkles Brot und Kekse, später auch die in nördlichen Gefilden beliebten Salzgurken an.  Die Becher werden wiederverwendet und daher in die vielen gelben Tonnen geworfen. Kurz danach dann zwei Toiletten, die ich leider ein paarmal aufsuchen muss. Aber es gelingt mir immer wieder, Judith einzuholen.

Die Ausfallstraße Paldisiki sowie das gegenüberliegende Einkaufsgebiet „Rocca al Mare“ erinnern mich an einige italienische Marathons. Ein Zoo wird angekündigt. Man kann ihn auch riechen. Wir dürfen über eine Straßenbrücke, das ist nett anzusehen. Väike-Õismäe, deutsch „Kleiner Blütenberg“, ist eine 1968 projektierte Trabantenstadt mit 27.000 EinwohnerInnen. Die ist kreisförmig um einen runden See angeordnet und ich wäre gerne mal durchgelaufen, aber leider werden wir am Rande des Viertels vorbeigeführt.

Eine Läuferin spricht uns an. Sie kommt aus Tallinn, sammelt auch Marathons und hat in der Schule Deutsch gelernt. Und auch sonst wird man oft auf Deutsch angefeuert, der Name und die Nationalitätenflagge auf der Startnummer sind hier groß genug geschrieben. Das macht Spaß, zumal immer mal wieder Zuschauer an der Strecke stehen. Auch Musik gibt es hin und wieder. Und natürlich unzählige Streckenposten, die Straßenquerungen sichern und Laufende aufmuntern.

 

 

So um Kilometer 20 kommt ein knackiger Anstieg, gefühlt 30 Meter auf einem guten Kilometer. Vielleicht eine ehemalige Düne? Wobei rechts ein großer Kalksteinabbau zu sehen ist. Oben erwartet uns wieder viel Applaus. Dann ein großes „Tallinn“-Schild. Einige Kilometer an der Stadtgrenze entlang. Oft werden wir auch aus Autos angefeuert. Halbmarathon-Marke. Über Radwege durch das vielfältige Grün zurück. So von Kilometer 23 bis 26 geht es gemütlich wieder bergab. Bald finden wir uns neben der bekannten Ausfallstraße wieder. Staffelwechselstellen gibt es auch, aber anscheinend nur 49 Staffeln. Auf jeden Fall winkt man hier mit Medaillen, aber wir sind -noch- nicht gemeint. 

 

 

Diesmal am großen Kreisel in den Untergrund. Die Fußgängerunterführungen sind cool gestaltet und bieten wohl standardmäßig eine Lichtshow mit wechselnden Farben. BILD 9173 Schmierereien oder Graffiti hingegen sieht man fast nirgends in Tallinn. Nun noch ein Kilometer Einkaufsgebiet. Dann sehen wir Ankündigungen für das Estnische Freilichtmuseum. Dieses liegt im weitläufigen Park um die 1863 erbaute Sommervilla des deutschbaltischen Tallinner Bürgermeisters Baron Arthur Girard de Soucanton (1813–1884). Der Italienfreund benannte das Anwesen „Rocca al Mare“ nach einem vor der Ostseeküste liegenden Felsen.

Ich bin ja auch ein Italien-Fan und freue mich auf das Meer, das vor uns liegt. Über die „Rocca al Mare promenaad“ an einem Schilfgürtel entlang, teilweise auf breitem Holzbohlenweg, der leider etwas rutschig ist. Kilometer 35 dann am Stroms rand (Strand). Es werden ABBA-Hits gespielt und die Stimmung ist super. Die VPs sind mit roten Fahnen mit dem Aufdruck „A. Le Coq“ (was das wohl bedeutet?) angekündigt. Und die ganze Stadt ist übersät mit roten Nike-Sprüchen. Nur einige davon auch auf Englisch.  

 

 

Sechs Kilometer auf bekannter Strecke. Eventuell merkt man den ganz leichten Anstieg. Die Autoweiche ist nun in voller Aktion. Apropos: Den ganzen Tag hat niemand gehupt. Bei Km 39 hat man schöne Ausblicke auf den Domberg. Ab Km 41 dann entlang der ehemaligen Befestigungsanlagen samt Wassergraben. Am Kilometerschild 42 wird nach links abgebogen.. Und nun noch sechs Meter nach oben auf den fehlenden 195 Metern Laufstrecke. Lächelnd laufen Judith und ich durchs Ziel. Junge Damen in traditioneller Tracht hängen uns die große Medaille um, die den „alten Thomas“ zeigt. Das Band ist auf der einen Seite die estnischen Landesfarben gehalten, auf der anderen Seite in Orange, der Farbe des Titelsponsors Swedbank.

 

 

Zum Glück lag der Wetterbericht mit seiner Vorhersage konstanten Regens voll daneben. Ich verzichte sogar auf eine wärmende Folie zum Umhängen. Neben dem Turm gibt es auf einer Wiese den Nachzielbereich, und der hat es in sich: Es gibt asiatische Nudelgerichte, Soljanka, Krapfen und Kohuke, eine süße, mit Schokolade überzogene estnische Quarkspezialität. Außerdem belegte Semmeln und Bananen. Außer Bier ohne Alkohol gibt es Alkoholhaltiges am Stand von A. Le Coq. Hinter dem geheimnisvollen Namen verbirgt sich nämlich eine estnische Brauerei, die der Deutsch-Balte Justus Reinhold Schramm im Jahr 1826 in Dorpat gründete.

 

Fazit


Das Zentrum von Tallinn ist als mittelalterliche Stadt im Norden ein Tourismusziel. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion wurden aufwändige Investitionen getätigt, sodass es sehr viele attraktive und gepflegte Viertel zu entdecken gibt. Naturliebhabern dürften besonders die schönen Strände und Wälder sowie die riesigen estnischen Moore drumherum gefallen. Das Wetter im September ist noch warm, die Tage sind noch lang.

Der Marathon ist sehr gut organisiert, Zeitnahmen alle 5 Kilometer, gute Verpflegung und im Ziel eine fantastische Essensauswahl, außerdem Massagen. Das alles zu einem günstigen Preis. Alle Infos sind auch auf Englisch verfügbar; immerhin sind LäuferInnen aus über 90 Nationen am Start.

Das Zeitlimit von 6 Stunden wurde sehr großzügig verlängert. Einige Zuschauerinnen und Zuschauer an der Strecke, denen es richtig Spaß macht, die Laufenden anzufeuern; oft Musik. Die Strecke ist interessant, schön auch die Teile an der Ostsee entlang. Noch interessanter würde der Verlauf, wenn man die modernen Stadtviertel stärker einbeziehen würde sowie eine Umrundung der Altstadt mit den Resten der Stadtmauer und das Hochhausviertel.

Es gibt günstige Flugangebote nach Tallinn. Alternativ kann man, so wie wir, noch Helsinki ansehen und in zweieinhalb Stunden mit der Fähre übersetzen. Die Preise sind im Zentrum ähnlich wie in Deutschland.

 

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Siegerinnen Marathon

1          Fanny Kiprotich         Bungei 2002    KEN   02:11:21

2          Silas Kiprotich            Kurui   1992    KEN   02:15:33

3          Kenneth Kiprop          Omulo 1994    KEN   02:16:42

 

Sieger Marathon

1          Fanny Kiprotich         Bungei 2002    KEN   02:11:21         

2          Silas Kiprotich            Kurui   1992    KEN   02:15:33         

3          Kenneth Kiprop          Omulo 1994    KEN   02:16:42

 

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