Bereits zum 13. Mal findet der Marathon im Dreiländereck Deutschland/Österreich/Schweiz statt. Er hat ein Alleinstellungsmerkmal, weil er durch 3 Länder führt: Start ist am Hafen in Lindau, weiter läuft man durch die Landeshauptstadt Vorarlbergs Bregenz (dort über die berühmte Seebühne) und dann nach nach St. Margrethen in die Schweiz. Zieleinlauf ist im ImmaAgentur-Stadion Bregenz. Ich war schon zwei Mal dort unterwegs und frage mich nun nach der dritten Teilnahme, warum nicht öfter.
Wo der Bodensee liegt, das brauche ich nicht erklären. Lindau liegt am östlichen Zipfel der großen Wasserwanne, gehört gerade noch zu den Bayern und ist gut zu erreichen über die Autobahn von München oder von Stuttgart her. Ösis (darf ich so zu euch sagen?) kommen über den Arlberg und die Schweizer über St. Gallen oder Chur herangefahren. Die Zugverbindung von München her ist so lala, die wird derzeit elektrifiziert. Apropos Eidgenossen, der Daniel hat sich nach einer langen Ausfallzeit angesagt. Er macht zwar nur den Halben, hat aber noch für den Herbst Größeres geplant.
Was gibt es besonderes zum Organisatorischen? Unterkünfte sind zwar genug vorhanden, aber man sollte nicht zulange warten. Ich muss bis in der Nähe von Tettnang ausweichen. Die Anfahrt nach Lindau am Wettkampftag dauert aber keine 30 Minuten.
Tags zuvor holen meine Vereinskollegin Petra und ich noch die Startunterlagen in der neuen Inselhalle ab. Die alte war recht düster und altmodisch. Die Startnummer, ein wenig Werbung und einen Kleidersack erhalten wir in wenigen Augenblicken. Wer noch zur Pastaparty will und die Anmeldung dazu vergessen hat, kann ohne Hemmnisse 5,50 EUR löhnen und sich den Bauch vollhauen. Nachschlag ist erlaubt. Wir probieren alle drei verschiedenen Saucen. Mein Favorit ist die Beilage mit Pilzen. Oder vielleicht die Kürbissauce? Die findest du nicht überall. Wer noch Laufausrüstung benötigt, wird sicher auf der kleinen Sportmesse fündig.
Wer zur Pastaparty kommt, dem empfehle ich gleich noch einen kurzen Spaziergang in der Altstadt Lindaus. In 30 Minuten kannst du noch einiges anschauen, das Startgelände am Hafen inspizieren, das Zentrum um Maximilianstraße und Stiftsplatz betrachten oder noch innere Einkehr halten beim Läufergottesdienst in der Kirche St. Stephan. Wer schon am Freitag Bewegung braucht - es werden in Lindau und in Bregenz am Nachmittag Sightseeing-Läufe angeboten unter dem Motto „4 Schanzen Tournee“ und „See & Kultur“. Es finden auch interessante Vorträge in der Inselhalle zu Themen aus Medizin, Ernährung und Trainingslehre statt.
Sehr zeitig kommen wir am Sonntag nach Lindau, der Parkplatz P3 an der Zufahrt zur Insel ist noch fast leer und in wenigen Minuten sind wir in der Altstadt, wo wir uns noch eine Bäckerei zum Frühstücken suchen. Zeit haben wir, denn um 10.30 Uhr werden die Marathonis losgelassen, die restlichen Bewerbe starten 45 Minuten später. Wettertechnisch soll es zu Beginn noch trocken sein, doch gegen Mittag soll es eintrüben und zu regnen beginnen. Kühl ist es auch, es hat keine zehn Grad aber kaum Wind.
In der Startzone am Hafen machen die „Monroes“ bereits Dampf mit Musik aus den 50er und 60ern. Alleine schon dafür hat sich das Aufstehen gelohnt.
Noch ist bei den Schenker-Lkws auf dem Reichsplatz wenig Geschäft bei der Kleiderabgabe. Umkleiden kann man sich auf einem Schiff. Die Zeit vergeht schnell und dann stellen wir uns rund 15 Minuten vor dem Start in unseren Block. Überwacht wird das nicht nachhaltig, denn eigentlich müsste ich einen weiter hinten rein. Aber so kann ich mit Petra zumindest die ersten Kilometer zusammen laufen. Später werde ich sie nach vorne schicken, denn binnen Wochenfrist muss ich in München ran, wo ich auf der Bayerischen Vollgas geben will.
Wir traben an und können schon gleich „frei“ laufen. Die Strecke führt am Bahnhof und der Stadtbücherei vorbei, dann sehen wir den Diebsturm rechterhand vor uns. 1380 wurde dieser Bau als Teil der Stadtbefestigung errichtet. Verspielt schauen die vier filigranen Ecktürmchen auf uns herunter. Früher wurden da die finsteren Gesellen eingesperrt. Deswegen wird er auch Malefizturm genannt.
Gleich daneben steht eine der ältesten Kirchen am Bodensee. Die Peterskirche wurde dem Patron der Fischer geweiht. Fischer haben früher um diesen Platz gewohnt, deswegen nennt man das Gotteshaus auch Fischerkirche. Der Beruf des Bodensee-Fischers ist aufgrund der Überfischung schwer geworden, es lässt sich nur mit viel Mühe und Zeitaufwand noch Geld verdienen.
Wir sind gerade ein paar Minuten unterwegs, da laufen wir an der Inselhalle vorbei, 2017 wurde sie errichtet und bietet heute auf 1500 Quadratmeter viel Platz für Messen, Tagungen und Veranstaltungen. Den ersten Kilometer haben wir am Kreisverkehr bei der Spielbank hinter uns. Abbiegen in die Spielhölle sehe ich keinen, heute hat keiner Geld übrig zum Zocken.
Auf der Seebrücke verlassen wir die Altstadt, in der knapp 3000 Einwohner auf einer Fläche von 0,7 Quadratkilometer leben. Bisher standen viele Leute zum Klatschen an der Strecke, jetzt wird es schlagartig spärlicher. Beim Bahnhof Lindau-Reutin sehe ich nur einzelne Zuschauergruppen, die uns aber kräftig anfeuern.
Den dritten Kilometer passieren wir bei der Eissportarena Lindau. Unser Tempo ist nicht langsamer geworden. Petra ist immer vorneweg und ich alter Dackel darf nach jedem Fotostopp hinterherhecheln. Der Kurs führt nun immer in Blickweite zum Bodensee durch den Eichwald, unterbrochen nur durch wenige Siedlungen und dem Campingplatz.
Bei Kilometer fünf, wie laufen immer noch knapp über fünf Minuten pro Kilometer, verlassen wir Deutschland, die Leiblach markiert die Grenze zu Österreich. Willkommen in Vorarlberg und Hörbranz. Das Ländle wird Vorarlberg auch genannt, es ist nach der Fläche und der Anzahl der Bewohner das zweitkleinste Bundesland in Österreich. Hörbranz ist eine Marktgemeinde mit gut 6000 Einwohnern. Viele Leute stehen an der Strecke und applaudieren artig.
Unser Kurs verläuft nun zwischen Eisenbahnlinie und dem Bodenseeufer auf dem Radweg, wo wir heute Vorfahrt haben. Wenige Züge sehen wir auf der eingleisigen Verbindung zwischen Lindau und Bregenz. Mehr Verkehr ist dagegen auf der parallelen Lindauer Straße unterwegs. Das lange Wochenende mit unseren Einheitsfeiertag geht langsam zu Ende, der Rückreiseverkehr macht sich bemerkbar.
Pipeline, so nennt man die Promenade vom Strandbad Lochau zum Bregenzer Hafen: Bis 1997 ist hier im Untergrund eine Ölleitung verlaufen. Heutzutage ist der Spazier- und Radweg ein beliebter Treffpunkt zu jeder Tages- und Jahreszeit. Die vielen Bademöglichkeiten werden heute nicht genutzt.
Am Hafen und am Bregenzer Bahnhof vorbei erreichen wir mit dem zehnten Kilometer den Platz der Wiener Symphoniker. Etwas mehr als 50 Minuten sind wir unterwegs. Wir können verpflegen, es werden Wasser, Iso, Tee und Bananen gereicht, später noch Cola und Gel. Die Tankstellen können alle 2,5 Kilometer angelaufen werden, verhungern und verdursten braucht hier niemand.
Dann der Höhepunkt: Wir laufen direkt in das Festspielhaus. „Da kriegt fast a Ganslhaut“, meint ein Einheimischer. Alle zwei Jahre wechselt das Programm, heuer stand Rigoletto von Guiseppe Verdi auf dem Programm. 7000 Leute haben auf der Seebühne Platz und Karten bekommt man nur im langfristiger Vorbestellung. Die Stimmung ist toll, am Strandbad und wird es links und rechts der Laufstrecke wieder grüner. Später sehe ich Hinweise, dass wir im Naturschutzgebiet laufen.
Kurz nach dem 13. Kilometer führt uns ein Radweg über die Bregenzer Ach, die im Lechquellengebirge entspringt und den größten Teil des Bregenzer Waldes entwässert. Die Bregenzer Ach trennt hier Bregenz vom der Gemeinde Hard. Dort laufen wir am Auwald entlang, im Bereich des Auhafens wartet ein Wendepunkt. Ideal, man kann die Vorderleute und Verfolger beobachten.. Wir haben etwa einen Vorsprung von zwei bis drei Minuten vor der Gruppe des 3.45 Stunden-Pacers. Wie lange wird es dauern, bis uns die Gruppe einholt?
Die Gemeinde Hard durchqueren wir ebenfalls in Sichtweite zum Bodensee. Wir traben auf der Uferstraße und sehen die Pfarrkirche St. Sebastian, viele Anwohner haben sich versammelt und feuern uns an. Mir auffällt, dass viele Feuerwehrleute absperren. Wer selber dieser Spezies ehren- oder hauptamtlich angehört, könnte hier auch in der Blaulichtwertung mitrennen. Polizei und Sanitäter sind dazu auch berechtigt. Da gibt es sicher eine gute Platzierung für mich.
Fußach, wir überschreiten die Halbmarathonmarke, 1.50 Stunden sind wir nun unterwegs. Ich wage nicht, die Zeit mit zwei zu multiplizieren. Das geht heute schief, so meine Gedanken. Wann kommt der Einbruch? Fast 4000 Einwohner hat die Gemeinde, die vollständig im Rheindelta liegt. Eine ländliche Idylle. Auch hier stehen immer wieder Leute am Kurs, die uns anfeuern.
Höchst (8000 Einwohner) ist die letzte Gemeinde vor der Grenze. Unser Kurs mündet wieder auf die Bundesstraße 202, die komplett gesperrt ist. Dann sehe ich das Zollamt Höchst, das scheinbar geschlossen ist. Lediglich eine Tür ist offen, die zu einer Entsorgungseinrichtung (für uns) führt. Gleich dahinter überqueren wir den Alten Rhein, im Flussbett verläuft die Grenze. Ein paar Meter weiter die schweizer Grenzwache, heute arbeitslos, denn der Grenzübergang ist für den allgemeinen Verkehr gesperrt.
Ein paar Kilometer lang dauert unser Ausflug in die Schweiz nach St. Margrethen (6000 Einwohner). Wir biegen nach dem Grenzübergang rechts ab, wo uns zwei Frauen Schüsseln mit Dörraprikosen hinhalten. Nur, wie soll man die atemlos und ohne Flüssigkeit hinunterbringen? Trotzdem, danke. Es stehen auch einige Trommler am Kurs sowie eine Mädelgruppe in einheitlicher grüner Sportbekleidung. Sauber aufgestellt in einer Reihe klatschen sie mit Petra ab. Da freut sich der Fotograf über das Motiv. Nur wenig später laufen wir ein paar Meter durch ein Bierzelt. Die Schweizer sind schon Hund. Die Guggamusik fordere ich auf zu spielen, was sie auch prompt machen. „Wolfs-Hüüler“ heißen sie und genau so spielen sie auch. Den Zuschauern und den Läufern gefällt’s. Ein Marathoni vor mir braucht Ausgleich zur monotonen Bewegung und läuft rückwärts. Schaut aber nicht in seinen Rückspiegel und radiert denselben an einem parkenden Auto fast ab.
Kurz vor dem Rheinpark, ein Einkaufszentrum, ist es soweit: Die Gruppe um den 3.45 Stundenläufer läuft auf und passiert uns langsam. Etwas verschlungen ist die Wegführung hier mit Überquerung der Autobahn 1, Bahn und Altem Rhein, einschließlich mit ein paar Höhenmetern. Wir verlangsamen an der Steigung ein wenig.
Die letzte V-Stelle auf Schweizer Gebiet ist genauso gut ausgestattet wie alle anderen. Dann überqueren wir die Landesgrenze auf der Dammkrone des Rheins. Es folgen ein paar lange, etwas eintönige Kilometer.
Kilometer 32, wir verlassen den Damm und überqueren den Rhein, die letzten des Marathonfeldes sehe ich gerade in Fußach verschwinden. So richtig nach vorne lösen kann sich die Gruppe für die 3.45 Stunden nicht, denn lediglich 100 bis 200 Meter haben sie und auf den letzten fünf Kilometern abgenommen.
Bei der nächsten Tankstelle feiern immer noch ein paar Leute an ihren Stehtischen, die Mädels Frauen halten Sektgläser, die Jungs Bierkrüge. Das nächste Mal werde ich zum Schnorrer. Ein paar Kilometer lang geht es nun auf bekannten Wegen durch Hard. Die Zuschauer stehen immer noch da und feuern uns an. Die haben auch Ausdauer, obwohl es nun immer wieder anfängt zu tröpfeln, aber so richtig nass wird nicht mal der Asphalt.
Dann verlangsamt Petra ihr Tempo, langt sich an den Oberschenkel. Da wird sich doch nicht ein Muskelkrampf ankündigen? Aber gleich ist sie wieder in ihrem Tritt, ich hinterher wie üblich. Wir überqueren die Bregenzer Ach ein weiteres Mal und rennen wieder im Naturschutzgebiet, die Kilometer verringern sich weiter. Nun sind wir wirklich da angekommen, wo sich eine gescheite Krafteinteilung auswirkt. Denn der Zeitläufer ist jetzt zwar weiter weg, aber an langen Geraden kann ich ihn noch erkennen. Dafür muss Petra sich erneut an das Bein fassen. Andere Mitläufer geht es noch schlechter, sie müssen alle 100 Meter gehen. Einige lassen sich aufbauen, so wie ein Amerikaner, der dann losstartet wir eine Saturn V-Rakete und nicht wieder gesehen wird.
Neu-Amerika, so nennt sich dann eine Straße zwischen zwei Campingplätzen und am Ende sehen wir rechts Kloster Mehrerau. Vor Jahren, so glaube ich mich zu erinnern, ging es da hindurch, ein Ort der Stille, des Nachdenkens und inneren Einkehr, als das Ziel nicht mehr weit ist. Das Zisterzienserkloster wurde dort im Jahr 1090 bezogen.
Letzte Tankstelle, keine zwei Kilometer mehr. Petra bleibt stehen für das letzte Getränk, ich laufe langsam weiter. Und dann ziehe ich den Schritt länger. Eine steile Brücke über einen Graben kann ich mit wenigen kurzen Trippelschritten bewältigen. Dann höre ich schon den Moderator vom nahen Stadion. Nach einigen 100 Metern am Strandweg biegen wir zum Stadion hin und laufen hinein. Die Lautstärke nimmt zu. Die Namen der Finisher werden aufgerufen. Und nach einer halben Runde auf der Tartanbahn bin ich an der Reihe. Geschafft. Hochzufrieden. Glücklich. Ich sehe eine 3.47 Stunden auf der Uhr. Perfekt, was uns am heutigen Tag geboten wurde und ein wenig mussten wir auch dazu tun.
Männer
1 Patrik Wägeli, LC Frauenfeld, 2.17.51
2 Charles Juma Ndieme, runtogether, 2.17.51
3 Lukas Stähli, Brunner Sport Aarau und Zenmove, 2.23.38
Frauen
1 Urach Sandra, Im Wald läuft's 2.42.33
2 Natascha Baer, o.V., 2.52.27
3 Nina Meier, LCZ, 2.58.19
1116 Finisher