Schlapf, schlapf – so tönen meine wassertrunkenen Treter auf ihrem Weg durch Schlamm und tiefe Pfützen. Dschungeldichtes Grün hüllt den Pfad ein, den ich mehr hüpfend als laufend dahin eile. Die von oben durchdringenden Tropfen spüre ich nicht, denn es sind keine Tropfen, die sich aus bleigrauen Wolken ergießen, sondern es ist kübelweises Nass, das mich überschwemmt und keine trockene Faser an meinem Leib lässt. Bin ich hier etwa auf einem Urwaldtreck zur Monsunzeit? Fast könnte es einem so vorkommen.
Nein – ich bin ganz harmlos am Bodensee, den goldenen Oktober genießend. Gestern noch zeigte sich dieser bei herrlichem Sonnenschein und Temperaturen bis zu 25 Grad von eben dieser Seite. Und heute? Es herrscht „Land unter“. Die Wetterfrösche haben es gewusst und mal wieder recht gehabt. Aber was soll's! Wir haben trotzdem Spaß! Eben nur etwas anders ….
42,2 km durch drei Nationen zu laufen – allein die Vorstellung hat schon etwas. Und wenn ich darüber nachdenke, fällt mir auch keine Laufveranstaltung ein, bei der man auf der klassischen Marathondistanz so viele Länder auf einen Streich sammeln kann, auch wenn es durchaus mehr Länderdreiecke wie das am Bodensee gibt. Aber eine malerische Seekulisse und eine gute läuferische Infrastruktur obendrauf – da müsste man wohl lange suchen.
Die noch relativ junge Geschichte des erstmals 2001 ausgetragenen Laufs ist keine geradlinige, wie etwa der Ausfall der Veranstaltung 2006 und die häufigen Namenswechsel zeigen. Aus dem anfänglichen Dreiländer-Marathon wurde 2007 der Marathon im Dreiländereck und 2010 der Sparkasse Marathon der 3 Länder am Bodensee. Zumindest die drei Länder sind als Konstante geblieben und sie sind letztlich auch das Markenzeichen.
Die Geschichte des Marathons der 3 Länder ist aber auch eine Erfolgsgeschichte, wie gerade die letzten drei Jahre belegen. Denn da ist es den Machern des Laufs gelungen, die Veranstaltung, was die Zahl der Marathonfinisher (2011: 1.441) angeht, vorbei an so Etablierten wie den Marathons von Linz oder Graz und hinter Wien als Nummer 2 in Österreich zu positionieren. Und wenn man dann auch noch bedenkt, dass im Rahmen der drei Hauptdistanzen über 6.000 Menschen auf den Beinen sind, dann kann man sich vorstellen, dass hier ordentlich „die Post abgeht“.
Dass man den Lauf trotz der drei beteiligten Länder schwerpunktmäßig unserer benachbarten Alpenrepublik zuordnet, ist nur recht und billig, wenn man den Streckenverlauf betrachtet. Nur die ersten 5,5 km führen von Lindau aus durch deutsche Lande, dazwischen wird den Eidgenossen für 4 km eine Stippvisite abgestattet, die restlichen 32,5 km verteilen sich auf die österreichische Rheinebene in und um Bregenz. Und nicht zu vergessen: Knapp die Hälfte des Kurses führt am oder zumindest nahe des Ufers des Bodensees, mit 536 qm fast schon ein kleines Binnenmeer, entlang. Womit andeutungsweise auch das Profil der Strecke charakterisiert wäre: das ist flach wie eine Flunder. Wer es eilig hat, kann sich hier also richtig austoben.
Zumindest bis kurz nach dem Start schlägt das Herz des Marathons nicht in Bregenz, sondern in Lindau. Malerisch ist die Insellage der historischen Altstadt im Bodensee mit ihren verwinkelten Gässchen, den vielen kleinen Läden, Lokalen und Cafes und ganz viel Charme. Nicht zu Unrecht trägt Lindau den werblich gern genutzten Beinamen Bodenseeperle. In der „Inselhalle“ am Nordufer bekomme ich die Startunterlagen. Eine veritable Marathonmesse lädt zum anschließenden Bummel ein. Zur Pasta-Party am Samstag muss man nur die autofreie Altstadt queren, um nach wenigen Minuten die an Inselsüdseite vor der Seepromenade ankernde „MS Vorarlberg“ zu entern. Ein stil- und stimmungsvoller Auftakt mit einmaliger Panoramakulisse: Auf der einen Seite der historische Hafen mit der über diesen wachenden Statue eines monumentalen bayerischen Löwen, dahinter der in der Sonne gleißende, bergumrahmte See, auf der anderen Seite die Seepromenade, überragt vom mittelalterlichen Mangenturms (11.Jh.), einem der ältesten Leuchttürme am See und Teil der einstigen Stadtbefestigung.
Der sonntägliche Lauftag beginnt entspannt, hat man doch bis zum Start um 11 Uhr reichlich Zeit. Wer in Bregenz übernachtet, kann zur Anfahrt zum Start kostenfrei die Fährschiffe der Vorarlberg Lines nutzen. Ein bisschen Geduld muss man nur beim Einsteigen schon mitbringen, denn dieser Service findet großen Anklang – doch Platz ist letztlich für alle. Nicht ganz so entspannt ist allerdings der Blick gen Himmel, der über Nacht wie angekündigt eine beachtliche Metamorphose durchgemacht hat und uns schon am Morgen wiederholt Kostproben seiner Wasserkapazitäten gibt.
Die Aussage „Anfahrt zum Start“ kann man bei dem Bootstransfer wörtlich nehmen, denn wir werden direkt am Startplatz an der Lindauer Seepromenade abgesetzt. Kaum wiederzuerkennen ist sie. Jegliche Farbe scheint entwichen zu sein, alles ist ein uniformes Grau getaucht. Dafür ist sie von unglaublicher Lebendigkeit erfüllt. Kein Wunder: 7.500 Viertel-, Halb- und Volldistanzläufer sind in diesem Jahr gemeldet und die treten hier gemeinsam zum Start an. Noch beeindruckender erscheint dies, wenn man bedenkt, dass sich damit die Zahl der Insulaner an diesem Morgen mit einem Schlag verdreifacht.
Wie ein Ameisenhaufen kommt mir das Gewurle der plastikverhüllt auf und ab hastenden Gestalten vor. Noch schnell den Kleidersack abgeben, ein letztes „Pfützchen“ hinterlassen und ab in die Startblocks. So kühl und nass die Luft ist – so heiß läuft hier die Stimmung auf. Livemusik dröhnt über die Promenade, ein Moderator heizt an. Und alle machen mit. Ein uns andere Mal heißt es „hands up“ und wenn der Moderator gefordert hätte: jetzt tanzen wir Polonaise – wir hätten es sofort gemacht. Gut gelaunte, lachende Gesichter, wohin man blickt, keiner lässt sich von Petrus' Wetterkapriolen die Laune verderben.
Um 11 Uhr ist es soweit: Die letzten Sekunden werden aus vielen Tausend Kehlen herunter gezählt. Dann werden die fünf Startblöcke in zeitlich leicht versetzten Wellen auf die Strecke entlassen. Einer Stampede gleich wälzt sich die Läuferherde vorbei am Bahnhof über die äußeren Gassen der Altstadt. Und wehe dem, der da im Weg steht. Durch Absperrungen hat der Veranstalter aber vorgesorgt, damit niemand aus Versehen unter die Beine kommt.