Fotos: Klaus und Margot Duwe
Der Winter war für alle lang, fast muss man sagen, er ist lang. Der Unterschied ist der, dass es einigen vergönnt war, den Winter Blues laufend abzuschütteln, anderen aber nicht. Leider gehörte ich zur zweiten Kategorie.
Wenn ich sehe, was alles zum läuferischen Ausfall führen kann, waren es „Peanuts“, die mich ins marathonistische Trockendock gestellt haben. Aber bekanntlich kann man auch an einer Erdnuss ersticken.
Vor einer Woche hat mir der Medicus nach zwei langen Monaten die Startfreigabe erteilt. Er kennt mich, sonst hätte er nicht gefragt: „Und, wann steht der nächste Marathon auf dem Programm?“
Ich drückte mich um eine Antwort, damit er seine Zusage nicht gleich wieder rückgängig machen würde. Verständnis für meinen Plan hätte ich nicht unbedingt erwarten können...
Der Plan sieht vor, dass ich am 10. Freiburg Marathon wieder als Zugläufer für 5:00 auf die Strecke gehe, nachdem ich vergangenes Jahr die neue Streckenführung wegen einer postoperativen Zwangspause nicht als Teilnehmer ausprobieren konnte.
Im Schwarzwald ist das Green der Golfer zur Hälfte noch weiß und die Flaggenstöcke in den Holes sehen mehr aus wie Slalomstangen. Auf dem Feldberg ist heute der letzte Tag der langen und guten Skisaison, der zweitbesten seit 20 Jahren. Wie wär’s nun mit Frühling?
Auf der Marathonmesse macht heute niemand Kohle mit mir, zuhause warten ein paar Schuhe nämlich noch darauf, überhaupt einmal eingelaufen zu werden. Dazu erhalte ich zusammen mit der Startnummer meine Pacemaker-Ausrüstung. Die Farbe des Shirts ist mir von meiner Reporterkluft bekannt. Statt der Internetadresse von marathon4you steht meine Zielzeit und der Slogan „Challenge your limit“ drauf. Die Kompressionssocken und –hose vervollständigen den einheitlichen Auftritt der Zugläufer. In Anbetracht des langen Winters und des daraus resultierenden hohen Schokoladenkonsums würde ein Oberteil mit Kompressionszone in der Bauchgegend auch nicht schaden…
Mit dem Chef und seiner Frau mit ihren Kameras mit Riesenrohren an und Wolfgang auf der Strecke ist die Berichterstattung gesichert. Trotzdem will ich die Kamera auch mitnehmen und hoffentlich Erfolgserlebnisse von Marathonneulingen dokumentieren. Damit ich – nicht wie in Alpträumen vergangener Wochen – etwas zum Start mitzunehmen vergesse, habe ich den Fotokasten schon beim letzten Boxenstopp dabei. Beim Händetrocknen hänge ich meinen Gedanken nach und lasse die kleine Nikon auf dem Waschtisch liegen. Bei der Abgabe des Kleiderbeutels bemerke ich meinen Verlust, gehe zurück und finde einen leeren Waschtisch vor…
Die Waden reibe ich mir gut mit chinesischer Kräuterbrühe ein, welche mir schon am Marathon in Luzern – damals ein Muster in der Startertüte - gute Dienste erwiesen hat und massiere meine sportliche Problemzone (die unsportliche bearbeite ich in den kommenden fünf Stunden) sorgfältig auf Betriebstemperatur..
Die Verantwortung des Zugläufers lastet zum Glück nicht nur auf meinen Schultern. Fredi kann zwar diesmal nicht mittun, doch mit Ulrike hat er für guten Ersatz gesorgt. Wir werden angesprochen und über die Strategie und die Pace befragt. Halbmarathonis wollen wissen, ob wir zwei zeitlich identische Runden laufen werden und sie sich für eine Zielzeit von 2:30 an uns hängen können. Ja, so ist es geplant und damit ist es ein ordentlicher Pulk, der sich in der letzten Welle über die Startlinie wogt.
Die Ablenkung durch meine Aufgabe tut mir gut. Ich fixiere mich nicht panisch auf die Sensoren, die mir allfällige unerwünschte Rückmeldungen aus dem Muskelansatz und der Sehnenplatte liefern würden. Mit jedem Kilometer wächst meine Zuversicht, dass die halbjährige Phase von wiederkehrenden Verletzungen nun überwunden ist.
„Das Ziel sehen und sterben“, haben sich zwei Damen aufs Oberteil drucken lassen, eine wahrlich kämpferische und entschlossene Ansage für den ersten Halbmarathon. Sie strahlen aber eine solche Unbekümmertheit aus, dass ich sicher bin, dass das Sterben durch Feiern ersetzt wird, wenn sie die Ziellinie überqueren, woran ich überhaupt nicht zweifle.
Die für mich neue Streckenführung sagt mir zu. Im Vergleich zum letzten Jahr, als der Frühling nicht nur im Kalender stattfand, ist der Zuspruch an der Strecke etwas zurückhaltender, doch weitaus kräftiger als in anderen Marathonstädten. Ganz toll sind die Bands, deren durchschnittliche Entfernung zueinander nur einen halben Kilometer beträgt und deren Sound für Antrieb sorgt, was einen Zugläufer durchaus in Schwierigkeiten geraten lässt. Immer wieder müssen Ulrike und ich bewusst auf die Bremse treten.
Obwohl ich bewusst auf Getränke nach dem frühen Frühstück verzichtet habe, muss ich mich – was mir bei einem Marathon kaum passiert – schon nach einem Viertel der Strecke in die Büsche schlagen. Völlig unauffällig natürlich, sofern das mit einem orangen Ballon mit der Dimension eines Gymnastikballs und leuchtendem T-Shirt und Kniestrümpfen möglich ist. Mit einem kleinen Zwischensprint hole ich meine Gruppe dann wieder ein, welche eindeutig als kompakte Ansammlung zu erkennen ist. Die Schlaufe beim Stadion des in diesem Jahr überraschenden SC Freiburg ist der Teil der Strecke, den ich zwar als Pflichtprogramm bezeichnen würde, doch sobald es wieder zur Stadt zurück geht, kommt wieder mehr Leben und Abwechslung auf.
Der Vorteil der Streckenführung in umgekehrter Richtung ist, dass es nach der erneuten, erweiterten Passage durch die belebte Innenstadt nur noch ein kurzes Stück bis zum Ende der ersten Runde ist. Für mich kurzweiliger und mental einfacher.
Während die Halbmarathonis zum Zieleinlauf mit Bumms, Gedröhn und Gedöns abbiegen, machen wir uns auf die zweite Runde. Wie erwartet, wird es einen Zacken einsamer. Mehr und mehr laufen uns die Einen voraus, während die Anderen den Schnitt nicht mehr halten können. Auch solche, die wir einholen, vermögen sich meist nur für kurze Zeit an unsere Fersen zu heften. Das gibt Zeit, den eigenen Gedanken nachzuhängen. Band Nr.11 liefert den perfekten Soundtrack dazu, welcher sich dank Umrundung des Blocks während längerer Zeit in meinen Ohren festkrallt. „Take these broken wings and learn to fly again, learn to live so free…” von Mr. Mister passt perfekt, auch wenn es in dem Lied nicht um eine Verletzungspause, sondern um Liebe geht. Wobei, das Laufen ist ja auch eine meiner Lieben. Für meine Gemütsverfassung aber auch für meine Kondition wurde es höchste Zeit, dass ich mittun konnte. Oder wie die Schweizer sagen: Langsam pressiert es. Denn am dritten Aprilsamstag möchte ich wieder etwas ganz Langes unter die Füße nehmen.
Nach drei Vierteln der Strecke, wiederum in der Gegend des Stadions, sind Ulrike und ich als einsame Mohikaner auf der Strecke. Der Auftrag ist unsere Daseinsberechtigung und auch der Grund, weshalb ich der innerlichen Aufforderung nicht nachgebe und keine Gehpause einlege.
In der Innenstadt schließen wir wieder zu zwei Marathonneulingen auf und können sie auf den letzten Kilometer zu ihrem ersten Finish mitziehen und ihnen zu einer Zielzeit unter 5:00 verhelfen. Wir lassen ihnen auf der Zielgeraden freie Bahn und setzten dafür zu einem Sprint an, damit auch wir eine Punktlandung vorlegen können. Mit 4:59:49 werde ich gestoppt und bin damit fürs kommende Jahr wieder als Zugläufer qualifiziert. Ich würde auch sonst wieder laufen, denn Freiburg ist ein lohnenswerter Saisonauftakt. Wenn sich der Frühling mit dem Kalender synchronisiert und entsprechend noch mehr Anwohner die Strecke säumen erst recht.
In Anbetracht der Tatsache, dass ich bei meinem nächsten Laufeinsatz wieder in Arbeitskleidung laufen werde und man nur einmal seinen ersten Marathon läuft, schenke ich der Marathon-Debütantin das Pacemaker-Shirt mit dem Zeitaufdruck als Andenken. Also, damit es klar ist: Es gibt keinen Trikottausch. Das ist Marathon, nicht Fußball!
Männer
1 Benz, Ulrich (GER) LG Brandenkopf 02:31:33
2 Klingenberger, Thomas (GER) Team Leistungsdiagnost...02:36:53
3 Schneble, Gerhard (GER) TV Gailingen 02:37:32
Frauen
1 Besler, Heidrun (GER) Ausdauerteam Oberallgäu 03:08:08
2 Reiss, Sandra (GER)PSD Bank 03:12:05
3 Engel, Miriam (GER) TG-Konz 03:14:36
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