Frostig schlummert das Kyffhäuser Gebirge im Morgengrauen. Neblige Schwaden ziehen die Hänge hinunter, liegen dicht auf den Feldern und Auen am Gebirgsrand. Verschlafen liegen die Orte im dämmrigen Dunst.
Doch während so mancher Geliebter sich noch einmal Nähe suchend an seine Geliebte kuschelt, herrscht zu dieser Morgenstunde in der Kleinstadt Bad Frankenhausen ungewohnt emsiger Betrieb. Auf dem Schlossplatz werden Stände aufgebaut und Streckenbänder gespannt. Ein Crossmotorrad rattert die Lindenstraße hinunter. Beim Bäcker sitzen junge Leute vom Deutschen Roten Kreuz und frühstücken. Am Tresen stehen schon jetzt die Leute nach Brötchen an.
Ab 8:00 Uhr füllt sich der Schlossplatz. Läufer stehen miteinander plauschend in Gruppen herum. Man kennt und trifft sich wieder zu diesem alle einendem Hobby: Landschaftsmarathon. Die Stimmung ist recht locker und wirklich allein muss sich hier niemand fühlen. Unsere Walsroder Gruppe nimmt noch schnell Aufstellung zum Gruppenbild, ich küsse Ehefrau Gabi zum Abschied, dann setzen sich die 330 Marathonis in Bewegung.
Petra und Lars sind schneller weg, ich laufe erst mit Franka, ziehe dann im 6 min/km-Schnitt weiter. Ich will heute keine Rekorde brechen. Irgendwo im hinteren Mittelfeld laufen die, die Genießen und für Ultraläufe trainieren. Genau das will ich auch. In vier Wochen soll der Rennsteig Super mein erster Ultra werden. Genauso wie für Petra und Lars und einige andere hier im Feld. Franka kennt ihn schon und schwärmt vom Super Rennsteig. Und der Kyffhäuser als kleiner Bruder des großen Rennsteigs bietet sich uns als Test geradezu an.
Ich aber stehe sehr auf diesen kleinen Bruder. Wohl weil ich hoffe, auch bei meinem 7. Start in Bad Frankenhausen wieder gut übers Kyffhäuser zu kommen. Da hat sich schon eine besondere Beziehung aufgebaut.
Aus Bad Frankenhausen heraus werden wir auf Asphaltstraße am Südhang des Gebirges entlang geführt. Sanft grüßen die fein geschwungenen Hänge des Kyffhäusers. In mattem Grün ist auch der Frühling am Erwachen. Und aus den Wiesen gleich links erhebt sich der Nebel, fein diesig flimmert die feuchte Luft, endlich wird sie von glasklaren Sonnenstrahlen durchbrochen.
Für den eingefleischten Bergläufer mögen die ersten 10 Kilometer unattraktiv sein. Ich aber mag diese beschaulichen Landschaftsansichten, plausche mit anderen, freue und harre auf das Restprogramm.
Mein Freund Kaiser Barbarossa aber schläft noch, solange bis er erwacht, um allenthalben Ordnung zu schaffen. In anderen Jahren tat er das beim Berglauf, indem er mit rot wallendem Bart vor der nach ihm genannten Tropfsteinhöhle uns Läufern aufwartete.
Dann erkenne ich 100 Meter vorn Lauffreund Peter aus Vellmar und muss grinsen. Läuft der 69jährige Genussläufer doch prompt neben einem blond wippenden Pferdeschwanz. Dann ist die Wiedersehensfreude groß. Der blonde Pferdeschwanz gehört zu Anke aus Halle an der Saale und sie ist wirklich sehr nett. Alle in der Gruppe lieben den Landschaftslauf und können auf Stadtläufe verzichten.
Gemeinsam machen wir uns über die erste Verpflegung in Steinthaleben her. Es gibt Bananen, Butterbrot, Tee… All das kommt gerade recht, denn jetzt ist das Vorgeplänkel vorbei und es geht gut 7 km lang hoch. Anke verfällt in Ultralaufmanier nicht unüblichen Gehschritt, nun, auch sie will den Super Rennsteig in 4 Wochen. Ich überlege, ob ich mich an blonde Frau oder ans Gebirge halten soll? Ich wähle das Gebirge und laufe hoch. Und Peter, der hält sich irgendwo dazwischen.
Die Steigungen verlangen Kraft aber keine alpine Härte. Die Lust am Laufen ist vollends geweckt, ich bin da, zum 7. Mal bei meiner Geliebten: dem Kyffhäuser Gebirge. Endlich duftet es nach Wald, die Wege sind Natur, die wärmende Sonne flutet durchs Geäst.
Ich krame einen Salzbonbon aus meiner Tasche und als ich ihn lutschend eine Frau überhole, ruft sie mir zu: „Puh, jetzt könnte ich Traubenzucker gebrauchen.“ „Habe ich leider nicht, aber mein Gel, das kannst du haben“, entgegne ich großzügig. Sie nimmt es dankbar an und wir laufen und plauschen eine Weile. Ingrid, W65, will auch noch den Rennsteig laufen, aber den normalen Marathon.
25 km vor dem Ziel sind wir oben am Fernsehturm und lassen uns von der Bundeswehr verpflegen. Jetzt biegen wir auf einen herrlichen Pfad und laufen mit steiler Aussicht nach unten am Hang überwiegend bergab. Für viele Teilnehmer ist das die schönste Passage am Kyffhäuser. Ich kann mich da nicht festlegen, denn ich bin sowieso verliebt ins Kyffhäuser.
Jetzt müssen wir wieder hoch und streben zum kulturell attraktivsten Streckenabschnitt: dem Kyffhäuser Denkmal. Die schnelleren kommen von vorn und da grüßt mich auch schon Petra: „Super, Petra!“, rufe ich ihr mit erhobenen Daumen zu und mache mir meine Gedanken. Hoffentlich ist sie nicht zu schnell, da auch auf sie ja der Super Rennsteig noch wartet.
Oben am Denkmal zu Füßen meines in Stein geschlagenen schlafenden Freundes Barbarossa richtig gute Verpflegung: Haferschleim, Obst, Salz, Cola … Bier. Auf Bier verzichte ich lieber. „Warum?“, fragt der Verpflegungsposten. „Na, weil ich sonst die Lust am Laufen verliere“, antworte ich. Dann ein letzter Gruß zu Barbarossa hin und es geht hinab, bald auf schmalem wurzelumsäumten Weg. Da bleibt der rechte Fuß an einem hervorstehenden Stein hängen. Geradeso fange ich mich mit dem linken Fuß noch ab und stürze nicht. Nein, meine Geliebte ist nicht ohne. Also nicht von Barbarossa verleiten lassen und schlafen. Es gilt konzentriert bei meiner Geliebten zu bleiben. Mein Liebes läufst du noch?
Wir laufen durch vorfrühlingshaft erblühenden Wald auf verschlungen Wegen durch Berg und Tal. Vor mir eine Frau, deren Schritt und Outfit die Trailläuferin verrät. Manuela von der LG Rosbach Rodheim läuft den Kyffhäuser zum zweiten Mal in Folge. Sie war im letzten Jahr den Super Rennsteig gelaufen und macht mir auf diesen Mut. Sie selbst hat alpine Ziele. Und sorry Manuela, ich habe dich gegoogelt. Du hast mehrere Ironman Triathlons hinter dir und liefst auch schon den Transalpine Run: 300 Kilometer mit 15 000 Höhenmetern, das Ganze in 8 Tagen. Wow!!!
Noch die Steigung zum Dreiforststein hinauf, dann beruhigt sich die Strecke. Auf breitem Kammweg ziehen wir über leichte Wellen und herrliche Aussicht aufs Kyffhäuser Denkmal genießend dahin. 4 Kilometer lang lässt mich meine Geliebte zur Ruhe gekommen.
Doch 10 Kilometer vor dem Ziel zieht sie sich mich wieder fest an sich und zu sich hinab. Auf brüchig karststeinigem Weg führt sie mich über 3 km bis nach Udersleben herunter. Dort heilfroh angekommen, empfangen uns die Anwohner mit teils frenetischer Anfeuerung und reichhaltigem Buffet. Versehentlich greife ich zum Bier und mische es mit Cola. Und ab geht die Post, den anfangs recht Steilen und sich dann hinziehenden Segelflugplatzberg hinauf.
Meine Geliebte fordert mich ordentlich, doch ich halte stand und laufe und laufe. Der Puls geht etwas zu hoch, ja mein Schatz, schon gut, das mit dem Bier lasse ich lieber. Das gute Zureden hilft und ich tauche oben angekommen in den kleinen Wald. Ich trinke einen letzten Tee, passiere den Rundbau des Panoramamuseums und lasse mich von meiner Geliebten steil nach Bad Frankenhausen hinunter geleiten.
Sie steht noch, die schiefe Oberkirche. Doch sind ihre Tage bald gezählt? Einen Kilometer noch. Sind es glückverheißende Endorphine oder ist es wehmütiger Abschied? Den Schlossplatz vor Augen überkommt mich die Rührseligkeit. Es ist einfach toll, diesen Lauf wohlbehalten zu finishen. Und es hilft ja nicht, man muss wohl von jeder Geliebten auch scheiden. Es bleibt das erstrebenswerte Ziel nach einem Wiedererleben.
Am Schlossplatz nimmt mich Ehefrau Gabi wieder auf; diese Geliebte wird sie mir verzeihen. Und im Ziel warten schon Petra und Lars. Manuela erreicht das Ziel auf einem Bein lahmend. Aber sie beißt eisern die Zähne zusammen. Ein Läufer steht mit blutenden Schürfwunden da und lächelt doch übers ganze Gesicht. Horst Diele vom MT Melsungen ist da. Er wird erster M 75 und hat alle 10 bisher ausgetragen Marathons am Kyffhäuser erfolgreich bestritten. Dann muss ich wieder grinsen, Lauffreund Peter aus Vellmar kommt gemeinsam mit Anke aus Halle an der Saale die Arme hoch reißend ins Ziel. Da ist auch Ingrid und wird stolz 1. W65. Franka erreicht das Ziel und berichtet wohl mehr mit vom Laufen rührender Röte im Gesicht, dass sie unterwegs gleich zwei Heiratsanträge bekomme hatte.
Sagt was ihr wollt, das Kyffhäuser Gebirge im April hat was Erotisches.
Fortsetzung folgt.